Kapitel 26 ϟ GRAVITY
Still Falling For You - Ellie Goulding ♪♫
"Wo bist du gewesen?", war wohl die häufigste Frage, die mir in den nächsten Tagen gestellt wurde. Wenn nicht sogar in meinem ganzen Leben.
Es ging im Zug los, Teddy war der Erste, der fragte. Zu Beginn konnte ich es verstehen, schließlich habe ich vier Tage keinen Brief gelesen, geschweige denn beantwortet, und wusste auf keine der Fragen, die mir nach meinen schlechten Ausreden zur Kontrolle gestellt wurden, die richtige Antwort.
Teddy schloss ziemlich schnell darauf, dass etwas passiert sein musste und ich seit Silvester nicht mehr Zuhause gewesen war.
Meine Freunde versuchten alles. In kleinen Gruppen; über fremde Menschen; allein; doch jedes Mal erzählte ich die gleiche Lüge: Meine Schwester hatte etwas angestellt, mein Vater ist ausgerastet und hat uns den Briefkontakt für die letzten Tage verboten.
Ich erzählte es so oft, dass ich irgendwann selbst daran glaubte. Natürlich war die Ausrede fehlerhaft, denn ein Briefverbot wäre keine Strafe für Saiph, sondern nur für mich. Das machte es allerdings auf der anderen Seite wieder plausibler, wenn man bedachte, wie sehr Dad mich hasste.
Und der Fakt, dass weder Mum mir schrieb, noch Saiph mir geschrieben oder mich angesprochen hatte, machte mir nur klar, dass Dad Zuhause nach all den Jahren immer noch das Sagen hatte. Dass der Schwur immer noch galt und Dad sich ihn zu eigen machte.
Doch bereits nach dem Abendessen hatten auch meine Freunde dieses Drama vergessen, denn es war kein Drama mehr. Nicht im Verhältnis zu dem, was in den Ferien im Schloss passiert war.
Die Anzahl der Schüler, die über Weihnachten im Schloss blieben, stieg mit jedem Jahr. Einige Familien der Muggelgeborenen fuhren in den Urlaub und konnten ihr Kind nicht mitnehmen, da der Unterricht in Hogwarts in die Muggelferien hinein reichte.
Dies war jedoch nur einer der eher selteneren Gründe. Viel häufiger fanden es Gruppen "cool", das ganze Schloss für sich zu haben. Einige schmuggelten Alkohol herein und veranstalteten kleine Parties, andere stellten ihren abwesenden Freunden und Feinden Fallen.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, denn sie war gerade mal zwei Tage alt, weswegen die Eulen zeitgleich mit den Schülern ankamen.
Dave Owen und Sally Ettitbal wurden beim Sex erwischt.
Keiner, wirklich keiner, sprach über irgendetwas anderes. Überall schossen Fragen wie Unkraut aus dem Boden, wie sie das geschafft hatten, von wem sie erwischt wurden, wieso sie es getan hatten, wo sie es getan hatten, wann genau, warum, weswegen und immer so weiter.
Eines der vielen Male wo ich Teddy Lupin als Freund wie Gold schätzte. Selbstverständlich wusste er bereits nach dem Abendessen alles.
Es begann alles angeblich mit einer Wette oder dem Drang, was zu beweisen, das blieb wohl heiß umstritten. Sally hatte sich mit Vielsafttrank in Cole Flawley verwandelt und war so als Hufflepuff unbemerkt in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors gelangt.
Teddy schüttelte sich bei dem Teil. Er war generell etwas blass um die Nase, was ich nachvollziehen konnte. Schließlich kannte er Sally recht gut, sie war in seinem Jahrgang gewesen, bevor sie ihre ZAGs vorletztes Jahr wiederholen musste.
In Daves (und zu meiner verstörenden Feststellung somit auch in Evans und Shawns) Schlafsaal hätten sie es dann getan. Clove Smith, Katies Freundin, die im Schloss blieb, da ihre alleinerziehende Mutter Urlaub mit ihrem neuen Lover machte, erinnerte sich, dass Cole den Gemeinschaftsraum erst vor wenigen Minuten mit Ralph Dover zum Abendessen verlassen hatte.
Sie verständigte deswegen Professor Longbottom, der zur Sicherheit nachgesehen hatte. Nun denn, auf frischer Tat ertappt.
Für beide Parteien war das gewiss kein schöner Anblick und Teddy witzelte darüber, was wohl passieren würde, wenn Jace rausfände, dass sein Bett und nicht Daves beschmutzt wurde.
Dort, wo der erste spannende Teil endete, setzte der zweite direkt an. Sally und Dave hatten den Vielsafttrank nicht selbst gebraut, da es eine sehr spontane Aktion war. Sie hatten ihn gekauft, und so wurde auch der Dealer aufgedeckt.
Seit einiger Zeit gingen im Schloss diverse verbotene Tränke rum. Von Vielsafttrank über Armortentia bis hin zu Felix Felicis, die ganze Bandbreite, fanden ihren Weg in die Hände aller Jahrgänge. Ich für meinen Teil hatte davon gehört, konnte aber nur Vermutungen anstellen, wer welche besaß.
Das erklärte auch, woher Melody den Vielsafttrank hatte. Sie saß quasi direkt an der Quelle, denn der Dealer war ihr neuer Freund Thekla Bletchley.
Erst am Abend wussten wir, welche Konsequenzen das mit sich trug. Alle Schüler wurden in die große Halle gerufen und während viele dachten, es habe mit einer Rede über das inakzeptable Verhalten Dave und Sallys zu tun (die beide für eine Woche vom Unterricht suspendiert wurden), war Teddy schon längst eine Idee weiter.
"Die durchsuchen unsere Sachen, um zu gucken, an wie viele Thekla vertickt hat", erklärte er uns. "Wenn ihr also etwas zu verbergen habt, würde ich es außerhalb der Schlafsäle verstecken."
Ein wenig Panik überkam mich schon, völlig unbegründet, aber dennoch hatte ich Angst, dass sie etwas bei mir finden würden. Es würde mich kein Stück wundern, denn ich kannte genug Leute, die mir Tränke zustecken würden.
Natürlich wusste das niemand und deswegen erregte ich bei Henry große Skepsis. Er fand keinen logischen Grund für meine Nervosität und das machte auch ihn nervös.
Bei mir wurde zu meiner Erleichterung nichts gefunden, aber eine Reihe anderer Schüler wurden zur Aussage mitgenommen. Einige wenige stellten sich, darunter Hannah Khan, Sammy-Lee und zu meinem großen Erschrecken auch Evan.
Zu den anderen, die erwischt wurden, gehörten eine Reihe bekannter Gesichter. Zack Lestrange, Nico Goyle, Melody, Malcolm Torebs, der echte Cole Flawley, Dominic Russell, Humphry Turner, Maddox und natürlich Laurent, Gree und Flint.
Auf der anderen Seite hielten sich auch ein paar Überraschungen bereit. Skye Khan, was mich sprachlos machte, Leonhard Martin, Xavier Moore und Cliff Raynolds. Es waren auch überraschend viele Schüler aus den unteren Jahrgängen dabei.
Jeder, bei dem etwas gefunden wurde, wurde je nach Menge und vorhandenem oder eben nicht vorhandenem Verantwortungsbewusstsein ein bis zwei Woche vom Unterricht suspendiert. Thekla wurde verhaftet und da er schon volljährig war, stand ihm ein Prozess bevor.
Das machte den Unterricht leer. In Zauberkunst waren wir nur 13 anstatt 19 und Alia erzählte, dass sie in Verteidigung nur elf anstatt der üblichen 20 waren. Teddy toppte jedoch alles, in seinem Zaubertränke-UTZ-Kurs fehlten elf Leute, was ihren Kurs auf drei, einschließlich Teddy, sinken ließ.
"Ich verstehe sowieso nicht, wieso ich in dem Opferkurs bin", beschwerte er sich fünf Tage nach der Durchsuchung.
"Das ist fies, wir sind auch Opfer", bemerkte Alia und ich musste ihr zustimmen.
"Ihr wisst, wie ich das meine", erklärte Teddy.
"Und ihr seid keine Opfer", fügte Tori mit einem warnenden Blick an Teddy hinzu.
"Du kannst das leicht sagen", schmiss ich dazwischen.
"Kassy, halt die Klappe", grinste Teddy. "Ich meine diese ganzen gruseligen Menschen, die eigentlich gar nichts können. Die sind alle suspendiert wurden, weil sie Tränke gekauft haben – die sollten fähig sein, sich selbst welche zu brauen!"
"Teddy!", lachte Tori und boxte ihm gegen die Schulter.
"Was? Ist doch so! Kassy, was sagt Shawn eigentlich zu der ganzen Geschichte? Ich hab ihn lang nicht mehr gesehen. Das letzte Mal in Verteidigung gestern, aber da war irgendwie auch nur so halb da."
"Er sagt ... nicht viel. Eigentlich gar nichts", antwortete ich ehrlich.
Shawn beschwieg die ganze Sache. Ich versprach ihm, nicht darauf einzugehen, was seine steife Stimmung etwas auftauen ließ. Insgeheim war ich stolz, dass er nun eine Bürde trug, die er nicht bereden wollte. So musste ich sozusagen seine Rolle übernehmen, was mir zumindest das Gefühl gab, ihm etwas zurückzugeben.
Genau das erzählte ich Teddy. "Am Ende war er fast wieder der alte. Wir haben viel über die Ferien gequatscht."
Da war die nächste Lüge, noch im selben Atemzug. Wir hatten über die Ferien gequatscht, aber nicht über die Zeit, die wir getrennt verbracht hatten. Wir hatten uns über die Serie unterhalten - wie es weitergehen könnte -, Shawn hatte mir alle neuen Eishockeyergebnisse mitgeteilt und ich ihm das Geld für meine Kleidung zurückgezahlt.
Diese eine Stunde fühlte sich an, als hätte uns jemand in Shawns Wohnung zurückgesetzt. Ich war fröhlich, fühlte mich unbeschwert und musste nicht aufpassen, was ich sagte. Denn vor Shawn hütete ich nur die Geheimnisse, die ich seit Jahren hütete, und nicht aus Versehen darauf zu sprechen zu kommen, war keine Kunst mehr.
Ähnlich verlief es auch nächsten Dienstag. Zumindest in den ersten Minuten. Wir redeten in erster Linie über Eishockey und Quidditch, rafften uns schließlich auf, um auch etwas für den Unterricht zu tun und nach einer Stunde überlegte Shawn sich eine neue Aufgabe für mich.
"Hm ... bei Slughorn hast du dich übrigens sehr gut geschlagen, ich bin stolz auf dich", lächelte er mich an und seine Schulter streifte mich.
Wir saßen, wie immer wenn ich an der Reihe war, nebeneinander auf dem vordersten Tisch im Alte Runen Klassenzimmer. Doch heute hatte ich das Gefühl, dass Shawn mir näher war als sonst.
"Danke", antwortete ich und versuchte, meine Atmung zu kontrollieren. Mein Herz pumpte wie verrückt, doch ich fand keine Erklärung. "Womit lasse ich mich diese Woche foltern?"
"Du könntest dich endlich mit mir sehen lassen", grinste er und warf mir einen frechen Blick zu.
"Das klingt so fies", entgegnete ich. "Du weißt, dass es nicht an dir liegt."
"Ja, ich weiß", seufzte er, legte einen Arm um mich und zog mich zu sich.
Ich war wie gelähmt. Was passierte hier gerade?
Es war nicht das erste Mal, dass wir uns umarmten oder so dicht nebeneinander saßen, aber jetzt fühlte es sich komisch an.
Nicht unangenehm, aber komisch.
Nachdem Kimber sich umgebracht hatte, spürte ich etwas seltsames zwischen Shawn und mir. Am Anfang war es schwer, ihn anzusehen, da ich mich immer wieder aufs Neue fragte, was wirklich geschehen war.
Doch Shawn war schon nach ein paar Wochen wieder der alte gewesen, was mein Vertrauen aufleben ließ. Er hatte keinen Grund mich zu belügen, weswegen ich es einfach abhakte.
Ich hatte früh gelernt, dass es manchmal besser war, die Dinge einfach ruhen zu lassen. Denn sich den Kopf darüber zu zerbrechen rief nur Albträume hervor und da ich ihn nie drauf ansprechen würde, half es auch nicht.
Wir machten danach also weiter, wie bisher. Wir lachten viel, lernten, ich hatte mich wohl gefühlt. Viel wohler, als zu Beginn des Schuljahres. Und dann kam Silvester.
Ich merkte erst jetzt, was sich verändert hatte. Als wir zurück nach Hogwarts gefahren sind, als wir uns am Gleis verabschiedet hatten, war ich traurig. Denn ich wusste genau, dass ich Shawn vermissen würde.
Und zwar den echten Shawn. Ich hatte ihn in der kurzen Zeit so viel besser kennengelernt und mir reichten zwei Stunden in der Woche nicht mehr.
Shawn hatte recht, ich wollte mich öffentlich mit ihm abgeben, um auch außerhalb unserer Nachhilfestunden Spaß zu haben und in mich hineinzugrinsen, wenn Shawn mir von der Seite Blicke zuwarf, von denen er dachte, ich würde sie nicht bemerken.
"Irgendwann bin ich so weit, versprochen."
"Irgendwann ist gut", kicherte er. "Mein Irgendwann ist begrenzt, in einem halben Jahr bin ich hier weg."
Das traf mich wie ein Klatscher am Kopf. Shawn hatte recht. Es war sein letztes Jahr, mehr als ein Drittel unserer gemeinsamen Zeit war bereits um.
Ich seufzte leise.
"Ich würde so gerne auch außerhalb mit dir so lachen können wie hier drin", gestand der Braunhaarige. "Ich weiß, dass es weder für deine noch für meine Freunde ein Geheimnis ist, aber es fühlt sich trotzdem so an."
"Das weiß ich, aber ich kann das nicht. Du bist in einem halben Jahr weg, aber ich habe dann noch zwei Jahre vor mir. Zwei Jahre, in denen mich womöglich mal nicht alle vergessen würden."
"Es ist schwer für dich, das links liegen zu lassen, nicht?"
"Sauschwer ... vielleicht musst du einfach nächstes Jahr jeden Dienstag vorbeikommen", scherzte ich und blickte zu ihm hoch.
Seine Augen blitzen auf. „Glaub mir, das würde ich tun. Für dich würde ich alles tun. Na ja, fast."
Er grinste, doch ich konnte es nur gezwungen erwidern. Was tat er da?
Bezeichnete man das als flirten?
Er musste damit aufhören, ich konnte das nicht! Außerdem flirteten Freunde nicht.
Das ließ mich sofort an Tori und Teddy denken. Teddy war seit Jahren in Tori verschossen, das wussten wir alle - irgendwie, nur Tori nicht. Trotzdem verhielten sie sich häufiger, als seien sie zusammen. Oder eben wie Geschwister, was sie im Prinzip waren.
Teddy und Tori waren zusammen aufgewachsen, ich kannte Shawn seit vier Monaten.
Doch unser Verhältnis fühlte sich viel zu intensiv für unser Erlebtes an.
Da waren immer noch diese Gefühle, diese Erinnerungen, die kein Bild fassten. Ich fühlte mich seit Kimbers Tod viel stärker zu ihm hingezogen, konnte mir aber nicht erklären, wieso. Das, was passiert ist, hätte auch mit jeder anderen Person passieren können.
Shawn sollte aufhören, ich tat ihm nicht gut. Ich würde ihn runterziehen, er musste sich noch mehr unbegründete Sorgen als ohnehin schon machen und früher oder später würde Sachen von mir wissen wollen – er würde es verdienen, sie zu wissen -, die ich ihm nicht erzählen konnte.
Ich war nicht in Shawn verliebt, ich wusste nicht mal, was Liebe war. Ich war vorher noch nie verliebt gewesen und nur weil ich mich mit Shawn auf Anhieb gut verstanden hatte, sollte ich nicht zu viel hineininterpretieren.
Melody hatte recht, ich war dumm und naiv.
"Aha, was würdest du denn nicht tun?", fragte ich deswegen keck.
"Hm ... ich würde mich vielleicht nicht unbedingt vom Astronomieturm schmeißen ..."
Shawn stockte bei den Worten und schien seine Aussage zu bereuen.
Ich konnte mir keine Gedanken darüber machen, denn vor meinem inneren Auge zuckte etwas. Ein heller Blitz, eine Hand und Shawns Augen. Der Geruch von Butterbier war wieder da.
Ich verdrängte es. Die Sache war abgeschlossen, ich würde nicht nochmal durchdrehen. Es lag bestimmt daran, dass ich schon wieder nicht geschlafen hatte. Verdammt, ich sollte früher zu Bett gehen.
"Und mich einem Drachen zum Fraß vorwerfen – nope, da bin ich auch nicht so scharf drauf. Aber sonst", lächelte er.
"Würdest du dir auch einen Fluch für mich einfangen?"
"Jederzeit."
Eine Gänsehaut lief über mein Gesicht.
"Soll ich Maddox holen gehen?"
Shawn brach in Lachen aus und ich grinste breit. Ich liebte es, wenn er lachte.
Weil ich es mochte, Leute zum Lachen zu bringen. Shawn hatte ein komisches aber wunderschönes Lachen und –
Ich hörte auf, darüber nachzudenken. Es war seltsam.
Shawn beruhigte sich und drehte sich zu mir. Auf seinen Lippen erschien ein leichtes Lächeln, er griff nach meiner Hand und sah mir in die Augen.
Ich konnte gar nicht anders, ich lächelte sofort. Was tat er nur mit mir?
"Komm, du musst nochmal ran. Der Proteus-Zauber sitzt noch nicht richtig."
In den letzten zwanzig Minuten berichtigte ich Shawns Zauberstabhaltung und –bewegung. Er sah mich oft von der Seite an, noch mehr als gewöhnlich, und ließ sich nicht davon stören, wenn unsere Blicke sich trafen.
Es war jedes Mal wie ein intensives Krachen. Eine enorme Energie sprühte durch die Gegend und ich hatte das Gefühl, dass es laut war. Und jedes Mal war ich die, die wegschaute und versuchte, ihr rotes Gesicht zu verbergen.
Irgendwie gefiel es mir. Es war ungewohnt, ich fühlte mich etwas unwohl, aber andererseits auch besonders.
Mir gefiel das Gefühl, dass Shawn mich zu mögen schien. Das drückte mir direkt das schlechte Gewissen auf. Wie fies waren solche Gedanken?
Ich wusste genau, ich mochte Shawn. Es war anders als bei Teddy und Henry. Ich konnte mich nicht länger selbst belügen - einfach nur befreundet zu sein reichte mir nicht.
Doch ich hatte Angst. Ich hatte so verdammt viel Angst. Davor, ihn zu verletzten. Vor Dave, seinem besten Freund. Vor Flint, ich hatte scheiße Angst vor Flint und seinen Drohungen, die er wahr machen würde.
Ich hatte Angst vor den Reaktionen der anderen Schüler, den Lästereien. Davor, dass Teddy und Tori vielleicht Recht hatten und ich Shawn auf die andere Art mochte. Dass die Blicke, die Alia und Katie ständig austauschten, wenn es um Shawn ging, mehr Wahrheit beinhalteten, als mir lieb war.
Dass die Gänsehaut nicht von der Kälte kam, dass hinter Shy so viel mehr als nur eine Alberei steckte.
Den ganzen Tag verfolgten mich diese Gedanken und fraßen mich von Innen auf. Ich wusste nicht, was ich fühlte. Was das war, was mir diese andauernde Aufregung verpasste.
Doch ich wusste, wen ich fragen musste. Wenn ich jemanden suchte, der sich in mich hineinversetzen und mir einen vernünftigen Rat geben konnte, dann war es Ivy.
Am Abend fragte ich sie, ob sie kurz fünf Minuten hatte, um mit mir zu reden. Sie willigte ein und schickte ihre Freunde aus Hufflepuff, mit denen sie sonst normalerweise Zeit verbrachte, in die Bibliothek vor.
Es war schon dunkel draußen und warm generell nicht. Dennoch setzten wir uns auf die Stufen, die zum Pausenhof führten. Weit und breit war niemand zu sehen oder zu hören, und zur Sicherheit legte ich noch einen Schutzzauber um uns. Wir waren also völlig ungestört.
Dann begann ich, ihr mein Problem zu schildern. Zuerst stockend und langsam, doch nach einer Weile sprudelten die Worte aus mir. Ivy hörte aufmerksam zu und nickte ab und zu.
Ich erzählte ihr alles.
Dass ich die letzten Ferientage bei Shawn verbracht hatte, wie er mich ansah, mit mir flirtete, was er in mir auslöste. Ich erzählte ihr, dass Flint mich bedroht hatte, dass Dave mich hasste und dass ich unglaubliche Angst vor ihnen hatte. Es tat gut, sich das alles von der Seele zu reden und nicht verurteilt zu werden.
Ich versuchte, Ivy meine Gefühle zu erklären. Es war äußerst schwierig, Worte für etwas zu finden, was ich selbst nicht verstand. Ich wollte mich nicht blamieren, denn es klang alles so naiv, wenn ich es erzählte.
"Ich hab das Gefühl, wir sind schon eine Stufe weiter, als mir klar ist. Als hätte ich irgendwas verpasst, was Shawn intensiv durchlebt hat. Meine Gefühle sind geblieben, aber ich finde keine Erinnerung."
Das waren die beiden treffendsten Sätze in unserer ungleichverteilen Konversation.
Als ich fertig war, legte Ivy den Kopf schief und dachte ein wenig nach.
Nervös spielte ich an meinen Fingern und an dem Saum meines Umhangs herum und biss mir die Innenseite meiner Unterlippe kaputt.
"Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber ich glaube, du bist ganz schön verknallt in Shawn."
Das waren die Worte, vor denen ich Angst hatte. Ich wollte das nicht, ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
"Und du weigerst dich dagegen, oder?"
Stumm nickte ich. Alles in mir schrie. Ich wollte und ich wollte nicht. Wie konnte beides zugleich möglich sein? Ich war hin und her gerissen.
"Ich hab so Angst, ich kann mit solchen Gefühlen nicht umgehen", gestand ich. "Er macht mich verrückt."
"Also, ich glaube nicht, dass es an Shawn oder deiner Angst vor den Gefühlen liegt. Er darf geliebt werden, seine Freunde würden das verstehen, wenn es richtige Freunde sind. Er ist nicht das Problem, du bist das Problem."
Ich war das Problem. War ich das Problem? Ich war verwirrt, so viel stand fest.
"Du steckst, seitdem du ihn kennst, ständig in Schwierigkeiten", erkannte Ivy völlig richtig, doch ihre nächsten Worte brachten mich einen Schritt weiter. „Er tut waghalsige Dinge, die nur schwer nachvollziehbar sind. Schon mal darüber nachgedacht, dass du ihn verrückt machen könntest?"
"Ich?", wiederholte ich leise. "Wie denn?"
Ivy lachte. "Kassy, du bist weder hässlich noch dumm."
Nach Melody war ich das. Dumm und hässlich. Ich hatte die letzten Jahre immer das geglaubt, was Mel mir gesagt hatte. Bei allem anderen hatte sie recht, also glaubte ich ihr auch, wenn es um mich ging. Und Ivana und Foxie hatten mir jahrelang dasselbe Gefühl gegeben. Das Gefühl, es nicht wert zu sein.
"Man kann sich in dich verlieben, denn du hast einen starken eigenen Charakter. Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Shawn sich voll in dich verliebt hat."
Mein Magen drehte sich und mein Herz machte einen Hüpfer. Konnte das wirklich sein? Konnte Shawn Mendes sich in mich verliebt haben?
"Aber wieso bin ich dann das Problem?", versuchte ich das letzte Puzzleteil hinzuzufügen. Es ergab noch immer keinen Sinn.
"Das ist einfach", behauptete Ivy. „Du willst nicht geliebt werden. Du lässt dich nicht lieben, weil du denkst, dass du es nicht wert bist."
Das Puzzleteil passte.
Ivy zog die Alraune an der Wurzel, sie hatte den wunden Punkt gefunden. Und sie hatte so recht. Diese Mauer, die nach wie vor stand, blockierte alles.
Shawn konnte bereits einige Steine entfernen, aber er war nicht das Problem. Er musste die Mauer nicht niederreißen, vielleicht würde es reichen, wenn ich ihm einfach nur die Tür öffnete.
"Du denkst, dass du es nicht wert bist, aber Kassy – du bist es wert."
ϟ ϟ ϟ
Wird Kassy Ivy glauben und Shawn öffnen?
Was sagt ihr dazu, dass Thekla mit den Tränken gedielt hat und Dave und Sally erwischt wurden?
Habt ihr schon Theorien, wer Ivana und Foxie sein könnten und um welchen Schwur es sich handelt?
Bis demnächst, Amelie :)
Next Update ⥋ 07.02.2018 (Wednesday)
[02.02.2018]
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