Kapitel 2 ϟ Stunner

Coming Home - Keith Urban & Julia Michaels ♪♫

"Das hast du nicht", verweigerte Tori fassungslos Katies Zusammenfassung des Geschehenen.

"Doch, hat sie", bekräftigte Sydney. "Sie hat sie so richtig in die Pfanne gehauen. Du hättest ihren Blick sehen müssen, einfach göttlich!"

Die anderen lachten und ich schmunzelte leicht. Die Aktion war cool, aber ich war trotzdem die Einzige, die an das dachte, was noch kommen sollte. Das Schuljahr hatte nämlich gerade erst angefangen und ich bereute, was ich getan hatte.

"Jetzt nichts gegen Melody", verkündete Teddy, "aber irgendwie fand ich sie schon immer ein bisschen komisch."

"Was? Teddy, du als waschechter Hufflepuff hast gerade deine Abneigung preisgegeben?!", lachte Tori.

"Hör bitte auf mit den Klischees! Ich mag nicht alle Leute! Ich bin nur nicht so negativ eingestellt wie ihr", beschwerte Teddy sich.

"Negativ eingestellt?", mischte Henry sich ein. "Sorry, aber für kein Gold der Welt lasse ich mich mit Maddox in einen Raum einsperren."

"Das stimmt allerdings", stimmte Tori ihm zu.

"Ach, Katie", wechselte Alia plötzlich das Thema, "Was läuft da jetzt eigentlich zwischen dir und Luke Bell?"

"Pah!", prustete Katie los. "Luke ist ein Arsch."

"Das stimmt auch", unterstütze Tori sie. "Großmaul und reiche Eltern, das war's."

"Andere Frage: Warum zum Teufel ist Zack Lestrange Vertrauensschüler?", führte Lil einen erneuten Wechsel an.

"Ist er nicht", erschrak Teddy und setzte sich kerzengerade hin.

Zack war zwar in unserem Jahrgang, aber an der ganzen Schule bekannt. Es gab eben diese Schüler, die jeder kannte, und Zack war schon früh einer von ihnen geworden. Aber nicht, weil er so freundlich und offen war wie Shawn oder Teddy, sondern weil er einen schwer im Magen liegenden Namen trug und dem alle Ehre machte.

"Er und Lewis haben sich gestritten", warf Alia ein. Wir schauten sie überrascht an. "Lewis Johnson?", fragte Teddy. Lil nickte.

Diese Information schockte mich auch. Zack und Lewis waren jahrelang dicke Freunde gewesen, und das war mehr als verwunderlich. Denn eine Freundschaft zwischen Gryffindor und Slytherin war ohnehin schon selten, aber dann ließ sich ein Lestrange noch auf das Niveau herab, mit einem Halbblut Zeit zu verbringen.

Was zusätzlich überraschend war: Lewis war der einzige Nicht-Slytherin, mit dem Zack Zeit verbrachte - verbracht hatte.

"In den Sommerferien hatten sie wohl mächtig Krach und reden jetzt nicht mehr miteinander. Keiner weiß warum, aber es muss echt heftig gewesen sein. Zack stand angeblich vor Gericht, weil er außerhalb der Schule gezaubert hat. Aber seine Familie hat ihn da natürlich rausgehauen."

"Und damit rückst du erst jetzt raus?!", rief Tori entsetzt. "Das ist zu hundert Prozent das Thema beim Festessen!"

"Ich hab da was anderes gehört", mischte Katie sich ein. "Shawn geht jetzt angeblich mit Camila Cabello."

"Nein", stieß Teddy überrascht aus.

Das war wohl die zweite Gryffindor-Slytherin Ausnahme. Die Shawn-Camila-Affäre. Irgendwie wusste keiner so recht, was zwischen den beiden lief. Und keiner schloss Teddy ein, der normalerweise derjenige war, der alles wusste.

"Wieso, bei Merlins Unterhose, habe ich das alles verpasst?", klagte er. "Sind mit dem Schulsprecheramt auch sämtliche Informationen an mir vorbeigezogen? Nie wieder, das schwöre ich bei meinem Reising '12, verbringe ich die Sommerferien drei Wochen bei meiner Oma und dann eine Woche im Tropfenden Kessel. Wieso kommt denn keiner auf die Idee, mir das zu schreiben?"

"Ich dachte, wenn du den Streit nicht erwähnst, wüsstest du es schon", entschuldigte Alia sich.

"Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich euch solange damit genervt, bis ihr mir einen Heuler geschickt hättet!"

Teddy klatschte entrüstet seine Handflächen auf seine Oberschenkel - wir lachten.

"Aber die Info mit Shawmila ist erst gut eine Stunde alt", korrigierte Katie.

"Was habe ich nur für unzuverlässige Freunde", stöhnte Teddy. "Los, erzähl mir alles."

"Sicher, dass sie zusammen sind?", warf ich ein. Katie schaute mich verdutzt an. "Wieso?"

"Na ja, ich und Mel - als ich vorhin auf dem Gang war, kamen Shawn, Flint und Dave aus ihrem Abteil gestürzt und Shawn ist den beiden wie ein aufgescheuchtes Huhn hinterhergerannt, weil sie Camila irgendwas sagen wollten. Muss wohl das gewesen sein. Shawn hat behauptet, er stehe nicht auf sie."

"Was Shawn behauptet und was wahr ist - dazwischen liegen Welten", plädierte Tori.

"Jetzt lasst Katie doch endlich mal erzählen", unterbrach Teddy uns aufgeregt und wandte sich der kleinen Brünetten zu. "Schieß los. Und denk dran: alles."

Katie fing an zu erzählen, was sie bei dem Treffen der Vertrauensschüler aufgeschnappt hatte. Das Gerücht war - völlig logisch - von Gree Flint in die Welt gesetzt worden. Ich verfluchte, dass ich bei dem Gespräch zwischen ihr und Melody nicht aufgepasst hatte, denn dann hätte ich wahrscheinlich alles gewusst; sogar die Wahrheit.

Ansonsten diskutierten wir andere Neuigkeiten. Unter anderem die Verwandlung Nate Kennedys über die Sommerferien, vom pickligen Außenseiter zum beliebten und vor allem attraktiven Vertrauensschüler.

Henry berichtete über Gerüchte, die eine Affäre von Jacob Newton und Jasmin Campbell versprachen. Beide waren Ravenclaws Vertrauensschüler; Jacob im sechsten und Jasmin im siebten Jahrgang. Ich kannte beide - Jacob von den Quidditchspielen und Jasmin von den vielen Lernabenden, an denen sie uns Jüngeren geholfen hatte - und musste zugeben, dass sie doch ganz gut zusammen passten.

Was jeder von uns wusste, aber keiner erwähnte, war, dass James Potter jetzt nach Hogwarts ging. Für Tori und Teddy war das natürlich nichts Besonderes, schließlich war Tori James' Cousine und Teddy eine Art großer Bruder. Das änderte aber nicht den Umstand, dass wir anderen neugierig waren, ob er wirklich so frech war, wie immer alle behaupteten.

Zwischendurch aßen wir noch Kleinigkeiten und die Vertrauensschüler unter uns schlenderten ab und zu für zehn Minuten auf dem Gang entlang. Später verabschiedeten Sydney und Henry sich und wir übrigen zogen uns schließlich unsere Umhänge an.

Der Hogwarts-Express fuhr in den Bahnhof von Hogsmeade ein und ich war das erste Mal an diesem Tag erleichtert. Endlich war ich angekommen und hatte zumindest bis Weihnachten nichts mehr zu fürchten.

Alia und ich setzten uns in eine Kutsche, da Tori bei Teddy blieb und dieser und Katie bereits mit Freunden aus ihrem Jahrgang in anderen Kutschen saßen.

Die Kutsche, in die wir stiegen, war noch komplett leer und die nächste halbe Minute blieb das auch so, bis jemand dazu stieg.

"Nein echt, sie hat ihm vor die Füße gespuckt, ich schwör's! Frag sie selbst, es war total abgefahren - Hey! Kassy!"

Olivia strahlte mich in dem düsteren Licht an. Ich lächelte zurück und begrüßte sie und Davina, die hinter Olivia folgte, fröhlich.

"Toll, jetzt habt ihr hier voll den Ravenclaw-Squad", klagte Alia und verschränkte die Arme.

"Wer hat einen Ravenclaw-Squad?", fragte Henry und schwang sich durch die Tür.

"Nicht du auch noch! Ich fühle mich verraten", flennte Lil.

Just in diesem Moment steckte ein großer Junge seinen braunen Wuschelkopf in die dunkle Kutsche und fragte: "Hey, ist hier noch frei?"

"Endlich, ein Gryffindor. Klar, komm rein, Lewis", freute Lil sich.

Lewis setzte sich, die Tür hinter ihm schloss sich von selbst und die Kutsche setzte sich in Bewegung.

"Wie war dein Sommer?", fragte Olivia an Lewis gewandt. Ich biss mir auf die Lippe. Olivia wusste anscheinend nichts von dem Streit.

"Weniger prächtig", antwortete Lewis stumpf. "Hätte besser laufen können. Bei dir?"

"Oh, er war super. Wir waren in Amerika, das ist echt klasse da. Dad sagt, ich könnte dort vielleicht später für ein, zwei Jahre arbeiten", schwärmte Olivia und erzählte die restliche Fahrt von ihrem Urlaub.

"Kassy, kommst du?", tickte Henry mich an.

Erschrocken fuhr ich aus meinen Gedanken hoch. Die anderen hatten die Kutsche bereits verlassen.

"Was? Na klar, sofort."

Schnell checkte ich, ob mein Zauberstab sich noch an seinem Platz in der Innenseite meines Umhangs befand und folgte Henry nach draußen.

Die Luft war erfrischend und um einiges besser als die in der Kutsche. Gemeinsam ging ich mit den anderen in die große Halle und dann trennten wir uns.

Lewis ging gemeinsam mit Alia zu den Gryffindors und ich blieb bei Henry, Olivia und Davina.

Das Festessen war wie jedes Jahr traumhaft. Nachdem auch der letzte Erstklässler in sein Haus gesteckt wurde (James Potter und Fred Weasley, Toris Cousins, kamen beide nach Gryffindor), erschien das Essen der besten Küche Großbritanniens und ich schlug ordentlich zu.

Auch Henry erwähnte mit keinem Wort mehr, dass er abnehmen wollte (was er übrigens überhaupt nicht nötig hatte). Das Gesprächsthema des Abends hielt sich wirklich gemischt - der Streit zwischen Lewis und Zack wurde vereinzelt angesprochen, die Shawmila-Affäre und Nates Verwandlung war Thema der Älteren und die Jüngeren diskutierten ausgelassen über den vorgestrigen Sieg der Chudley Cannons gegen die Tutshill Tornados.

Nach dem Nachtisch verschwand das Essen, als wäre es nie dort gewesen, Professor McGonagall begrüßte uns kurz, erinnerte an die wichtigsten Regeln und schickte uns dann ins Bett.

Henrys und mein großer Moment war gekommen: Zu meiner Erleichterung verlief alles reibungslos. Wir sammelten jeden Erstklässler ein und als wir die große Halle verließen, war diese schon fast leer.

Henry und ich kamen mit den Erstklässlern als Letztes vor dem bronzenen Adlertürklopfer an, da die jungen Schüler bei der Wendeltreppe schwächelten (nach den schon sieben überwundenen Stockwerken).

Die schlichte Holztür war geschlossen.

"Ihr kommt in den Gemeinschaftsraum", fing Henry an zu erklären, "indem ihr die Frage, die euch der Adler stellt, beantwortet."

"Der Adler?", fragte ein Mädchen mit hochgezogenen Augenbrauen.

"Ja, der Türknauf", bestätigte Henry.

"Dabei ist es nicht zwingend wichtig, dass es die korrekte Antwort ist", fuhr ich fort. "Manchmal reicht eine weise Antwort, da es teilweise auf die Fragen kein richtig und falsch gibt."

"Wenn ihr falsch oder unklug antwortet, müsst ihr dummerweise warten, bis jemand anderes kommt und die Frage richtig beantwortet. Das könnte euch am Anfang häufiger passieren, aber das ist nicht schlimm, ist uns allen passiert", grinste Henry und sah mich dabei schelmisch an.

Es war bisher allen passiert, außer mir. Doch ich war froh, dass er das verschwieg.

"Wir demonstrieren euch das jetzt mal", beschloss Henry, nahm den Türklopfer in die Hand und ließ ihn auf den Anschlag fallen.

Der Adler erwachte zum Leben und begann sogleich, die Frage zu stellen: "Ich tauche durch Hecken, ohne jeglichen Laut."

Einige der Erstklässler machten große Augen, andere schauten konzentriert und entschlossen, das Rätsel zu lösen.

"Ich gehe durch Fenster, ohne sie zu zerbrechen. Was bin ich?"

"Ach komm schon", lachte Henry. "Du wolltest mich in die Irre leiten, das weiß ich. Einfacher ging's nicht, was? Ein Geist."

"Frech gesagt, aber korrekt."

Der Adler fror wieder ein und die Tür schwang auf.

Im Gemeinschaftsraum versammelten wir uns unter der Marmorbüste Rowena Ravenclaws und warteten etwas, bis sich die begeisterten Blicke und das aufgeregte Getuschel wieder gelegt hatten.

Wir erklärten den Erstklässlern noch einmal die wichtigsten Regeln und beantworteten Fragen, zum Beispiel wie sie an ihre Stundenpläne kämen oder wie sie geweckt werden würden.

"Die Hähne sind laut genug, spätestens um halb acht seid ihr wach", hatte Henry grinsend geantwortet.

Danach hatte sich ein braunhaariges Mädchen darüber aufgeregt, dass ihr Handy nicht funktioniere und dass die Schule es ersetzen müsse, wenn sie es denn schon nicht reparieren wollten.

Ich schaute Henry nur schulterzuckend an - wir hatten keine Ahnung, was das Mädchen meinte.

Schließlich nahm Henry die Jungen mit in die eine, ich die Mädchen mit in die andere Richtung, um ihnen die Schlafsäle zu zeigen.

"Morgen früh, wenn es hell ist, könnt ihr sehen, wie weit man aus den Fenstern schauen kann. Wir haben den besten Ausblick", erzählte ich nebenbei, während wir die Stufen zu dem Schlafsaal hinauf stiegen.

Ich schickte die Mädchen durch die Tür und stieg danach die vier kleinen Treppen bis zur Spitze des Schlafsaalturms. Der Schlafsaal meines Jahrgangs befand sich ganz oben und hatte somit die beste Aussicht. Ich freute mich, wieder hier zu sein.

Sofort durchströmte mich der altbekannte Geruch und die blaue Farbe wirkte unheimlich vertraut. Ich war wieder Zuhause.

Zufrieden lächelnd begrüßte ich Ivy, die ich als Einzige noch nicht gesehen hatte. Wir waren nur vier Mädchen in dem Schlafsaal, weswegen jede von uns angenehm viel Platz hatte.

Wir legten uns in die weichen Himmelbetten und in dem Moment spürte ich, wie sehr ich Hogwarts wirklich vermisst hatte.

Wir quatschten noch ein bisschen, doch es dauerte nicht sehr lange, da waren wir alle erschöpft eingeschlafen. 

Als wir am nächsten Morgen unsere Stundenpläne von dem kleinen Professor Flitwick, unserem Hauslehrer, ausgehändigt bekamen, kam mir mein Kürbissaft fast wieder hoch.

"Sagt mal, hab nur ich das Gefühl, oder wird der Unterricht von Jahr zu Jahr mehr?", fragte ich und starrte ehrfürchtig auf das Pergament.

"Das wird definitiv stressig", bemerkte Ivy. "Die Älteren haben nicht gelogen, als sie meinten, dass die ZAGs anstrengend werden."

Es war mehr als anstrengend. Mit dem vielen Unterricht kam ich klar, ich hatte eigentlich kein Hassfach. Ich fand alle Lehrer nett und die Themen waren auch in Ordnung. Meine Sorgen lagen in den Hausaufgaben.

Ich hatte eigentlich geplant, dieses Jahr an der Quidditch-Auswahl teilzunehmen. Doch bei den Bergen an Aufsätzen, die jeder Professor erwartete, könnten meine Noten unter dem Training leiden. Und das, was ich am Wenigsten gebrauchen konnte, waren schlechte Noten. Ich wollte meinem Vater nicht noch einen Grund geben, mich zu hassen. Das mit Melody würde ihn sicher auch bald erreichen.

"Ach komm schon, Kassy", versuchte Henry mich beim Mittag zu überzeugen. "Das wird bestimmt lustig, vielleicht schaffen wir beide es in die Mannschaft. Ich will da echt nicht alleine hin!"

"Es wäre für uns beide besser, wenn Weena uns nicht aussucht", bestritt ich. "Mir reicht es ehrlich gesagt schon nach vier Stunden und ich hab jetzt noch zwei Stunden Arithmantik und danach eine Stunde Verwandlung. Mein Kopf raucht!"

"Aber Kassy, es ist Quidditch und du bist verdammt gut", bettelte Henry. "Bitte!"

"So gut bin ich nun auch wieder nicht", stritt ich ab.

"Jetzt hör auf, natürlich bist du gut", schnauzte er mich an.

"Wir machen einen Deal, okay?", schlug ich vor.

Henry grinste mich an. "Ich höre?"

"Ich geh mit dir zum Auswahlspiel, aber werde davor nur trainieren, wenn ich wirklich Zeit habe. Und wenn ich es dann tatsächlich in die Mannschaft schaffen sollte, geh ich mich unter dem ganzen Stress begraben. Abgemacht?"

"Klingt super!"

Der restliche Tag zog wie im Flug an mir vorbei und ehe ich mich versah, fand ich mich nach dem Abendessen im Gemeinschaftsraum in unserer Lerngruppe wieder.

Ich saß mit Henry, Olivia, Davina und Ivy an einem der Tische. Wobei es nicht irgendein Tisch war, sondern unser Standardtisch, den wir, seitdem die Siebtklässler vorletztes Jahr gegangen waren, für uns beansprucht hatten.

"Wieso bist du eigentlich hier und nicht in der Bibliothek?", fragte Davina mich nach einer Weile, in der jeder für sich über den Hausaufgaben brütete.

"Äh, na ja, ich wollte am ersten Tag einfach was mit euch machen. Ich muss ja nicht immer nur mit anderen was machen, ich dachte - "

"Sie hat sich mit Melody gestritten und traut sich seit dem nicht mehr raus", unterbrach Henry mich.

"Henry!", brauste Olivia entsetzt auf. "Sag das nicht, bist du von allen Poltergeistern verlassen?"

"Was? Ist doch so", verteidigte Henry sich beleidigt.

"Er hat ja recht", gestand ich verlegen. "Ich versuche zumindest, ihr nicht mit Absicht zu begegnen."

"Was ist denn passiert?", fragte Olivia fürsorglich.

Doch ich schüttelte nur den Kopf. "Ist kompliziert."

Wir widmeten uns wieder den Hausaufgaben, aber ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. In meinen Gedanken spielten sich diverse Szenarien ab, wie eine Begegnung mit Melody verlaufen würde.

Mein Buch für Zaubertränke half mir bei dem geforderten Aufsatz auch nicht weiter und so beschloss ich, dieses Problem als Vorwand zu benutzen, um mich meiner Angst zu stellen und die Bibliothek aufzusuchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich Melody tatsächlich begegnete, war verschwindend gering, doch wenn ich das nicht sicher prüfte, würde ich die ganze Nacht kein Auge zu kriegen.

"Ich geh kurz ein Buch ausleihen, in den Büchern steht nicht genug über Mondstein drin", entschuldigte ich mich, klopfte mit der flachen Hand auf den Bücherstapel, den wir aus den Regalen an den Wänden zusammengetragen hatten, und stand auf.

"Was?", quiekte Henry auf. "Das sind fünf Bücher, da steht doch auf über zehn Seiten was!"

"Ja, nicht genug."

Olivia, Ivy und Davina lachten und Henry seufzte.

"Aber beeil dich", rief er mir nach, "es ist schon nach halb acht!"

"Ja ja!", antwortete ich und verließ den Gemeinschaftsraum.

Ich tat es so leicht ab, aber Henry hatte recht, ich musste mich beeilen. Die Bibliothek schloss um acht und das letzte, worauf ich jetzt Lust hatte, war eine Diskussion mit Madam Pince.

Ich spurtete die Wendeltreppe nach unten und lief vom siebten in den vierten Stock. Dort betrat ich die Bibliothek um zwanzig vor acht und lief direkt zielstrebig auf die Regale mit Büchern über Zaubertrankzutaten zu.

Da ich vier Jahre lang überwiegend mit Melody gelernt hatte, kannte ich schon viel Stoff aus dem nächsthöheren Jahrgang. Deswegen wusste ich auch, wo ich nach dem Buch suchen musste.

Ich überflog das hintere Regal schnell und nahm neben dem dünnen Buch über Mondstein (aus dem mir sogar noch das Meiste bekannt war) noch zwei dicke Wälzer mit, in denen nützliche Informationen über Flussgras, Greifklauenpulver, Löffelkraut und Tentakelsamen (die auf dem offenen Markt verboten waren, was mich noch mehr reizte) standen.

Mit den Büchern im Arm trug ich mich in die Liste ein und verließ die Bibliothek wieder. Kein Anzeichen von Melody, was mich selbstgefällig grinsen ließ.

Auf dem Gang lief ich an einer Gruppe Gryffindors vorbei, die sich angeregt über Quidditch unterhielten. Ich identifizierte sie als halbe Hausmannschaft. Mein Cousin Evan stand dabei und diskutierte mit einer der Jägerinnen, Elise, über die Tutshill Tornados.

Mum hatte mir erzählt, dass Evan es nicht zum Kapitän der Mannschaft gebracht hatte, sondern Elise Kennedy die Kapitänin war. Evan tat mir ein wenig leid, aber ich freute mich für Elise, denn sie war eine sehr gute Spielerin. Da brauchte ich nicht einmal Katies Schwärmereien, um ihr Talent zu erkennen.

Die Frage war nur, ob Elise ihre Bekanntheit vielleicht an ihren jüngeren Cousin Nate verlor - er soll angeblich nicht nur sein Aussehen, sondern auch seine Spielfähigkeit verbessert haben. Eventuell hieß es dann nicht mehr "Nate, der Cousin von Elise Kennedy", sondern "Elise, die Cousine von Nate Kennedy, du weißt doch, der heiße Fünftklässler aus Hufflepuff".

Durch die Unterhaltung wurde ich wieder an Henrys Worte erinnert. In Verwandlung hatte Alia mich auf Henrys Anweisung die ganze Stunde genervt, weil ich ihr angeblich letztes Jahr versprochen hatte, auf jeden Fall mitzuspielen ("Ich habe versprochen, mir zu überlegen, ob ich am Auswahlspiel teilnehme" - "Du hast versprochen, definitiv teilzunehmen, damit wir beide in die Hausmannschaft kommen!" - "Ach Lil, ich weiß nicht" - "Kassy! Tori ist zu gut, ich brauche doch jemanden, der sich zusammen mit mir blamiert!").

Ehrlich gesagt hatte ich unglaublich Lust, Quidditch zu spielen. Doch das drückende Gefühl in meiner Magengegend wies mich darauf hin, dass ich nicht nur wegen der Hausaufgaben Bammel hatte.

Wenn ich nun auch noch in der Hausmannschaft spielen würde, und meine Chancen standen leider tatsächlich nicht schlecht, würde Dad mich womöglich enterben.

Als ich wieder an der Spitze der Wendeltreppe ankam, traf ich auf eine Gruppe Erstklässler, die sich stritten.

"Ich hab dir gesagt, dass die Lösung nicht Trolltrank ist!", rief das eine Mädchen aufgebracht und schaute einen rothaarigen Jungen mit Sommersprossen böse an.

"Ist ja gut! Aber du hast auch nicht richtig geraten!", bockte der Junge zurück.

"Das hat nichts mit raten zu tun", mischte sich ein kleines blondes Mädchen mit Brille ein. "Das ist Wissen und woher sollen wir denn jetzt schon einen Zaubertrank kennen, der dich in alles verwandelt?"

"Ein Zaubertrank, der dich in alles verwandelt?", sprach ich und trat zwischen die Kinder. "Gibt es nicht, aber einen, der dich in jede beliebige Person verwandelt, wenn du die DNA, zum Beispiel Haare oder Fingernägel, von ihm hast. Heißt Vielsafttrank, ist aber verdammt schwer zu brauen."

Der Rothaarige und die Blonde starrten mich mit großen Augen an, doch das andere Mädchen meckerte: "Ja, aber das war in der Form eines Rätsels gestellt und das haben wir gelöst."

Ich zog die Augenbrauen hoch. Es war das Handymädchen.

"Woher sollen wir sowas wissen, wenn wir gerade Mal seit 24 Stunden hier sind!"

"Ist ja gut, deswegen sollte ich euch helfen, aber wenn ihr mich nicht vorbei lasst, geht das nicht."

Das Mädchen schenkte mir einen letzten giftigen Blick und trat dann zu Seite, sodass ich an den Türklopfer kam und der Adler zum Leben erwachte. Wie ich erwartet hatte, stellte der Kopf eine neue Frage. Er war wohl eingeschnappt, weil ich die Antwort zuerst den Erstklässlern anstatt ihm verraten hatte: "Wo wird ein Bild uns dargereicht, das uns in jedem Alter gleicht?"

"Oh, das ist einfach. Komm schon", sprach ich den rothaarigen Jungen an. "Wie heißt du?"

"Finley", antwortete er etwas schüchtern.

"Komm schon Finley, ich weiß, dass du es weißt. Versuch's, es ist nicht schwer", ermutigte ich ihn.

Finley zögerte noch einen Moment, ehe er sich räusperte und eher fragte als antwortete: "Ein Spiegel?"

"Völlig richtig", sagte der Adlerkopf und die Tür schwang auf.

"Da hast du's, es ist wirklich nicht schwer."

Finley verabschiedete sich und die kleine Blonde winkte mir, als sie dem unfreundlichen Handymädchen in den Schlafsaal folgte.

"Und? War Melody da?", fragte Henry, als ich die Bücher auf die Tischplatte fallen ließ und mich wieder in den Sessel setzte.

"Woher - "

"Kassy, ich bin zwar kein Überflieger, aber trotzdem ein Ravenclaw. Also, war sie da?", fragte er erneut.

"Nein, war sie nicht", antwortete ich stumpf und versank in den nächsten zwanzig Minuten in dem Mondsteinbuch.

Gegen elf Uhr beschlossen wir, uns in die Betten zu legen. Die Hausaufgaben hatte ich überwiegend erledigt, um den Verteidigung gegen die Dunklen Künste Aufsatz würde ich mich morgen kümmern.

Im Schlafsaal redeten wir nur noch ein wenig über die neuen Erstklässler, ich las nebenbei in dem dicken Buch über Tentakelsamen und irgendwann, mit dem Blick auf den klaren Sternenhimmel, schlief ich ein.

Der nächste Vormittag verlief recht unspektakulär. Beim Frühstück erhielt ich einen Brief von Mum, den ich später lesen und beantworten würde.

Der Unterricht war wie immer, selbstverständlich anspruchsvoller, aber auch viel interessanter und spaßiger. Kräuterkunde war nicht mal kalt, da trotz des Septembers überwiegend die Sonne schien.

Allerdings war ich seit der ersten Stunde etwas mies gelaunt, denn wir hatten Zauberkunst mit den Slytherins. Ich hatte kein Hassfach, aber ein Lieblingsfach - Zauberkunst. Und das hatten wir jetzt nicht mehr mit Alia und Tori, sondern mit seltsamen Menschen wie Zack und Hannah.

Nach dem Mittagessen trennten sich unsere Wege. Ivy, Henry und Davina, ebenso wie Tori, gingen zu Pflege magischer Geschöpfe und ich hätte jetzt eigentlich mit Alia und Olivia Alte Runen, aber Professor Pawn war gestern einem magischen Ausbruch einer Erstklässlerin zum Opfer gefallen. Jetzt war sie im Krankenflügel und wartete, dass ihr linker Daumen und rechter Mittelfinger nachwuchsen.

Da Alia die Freistunde nutzte, um unten beim Quidditchfeld mit einigen Gryffindors zu trainieren und Olivia mitkam, blieb ich allein im Schloss und verbrachte die Zeit wie üblich in der Bibliothek. Dort unten befanden sich zu viele fremde Menschen.

An meinem Lieblingsort angelangt, brachte ich als Erstes die Bücher von gestern wieder zurück (außer das mit den Tentakelsamen) und setzte mich dann in eine Nische, um den Brief von Mum zu lesen.

Der Inhalt ließ mich nur erschrocken den Kopf schütteln, wobei er mich zur selben Zeit nicht verwunderte. Das Mädchen, um das Jules sich gestern kümmern musste, weil ihre Zähne nicht mehr aufgehört haben zu wachsen, war Mandy Chapman, eine Zweitklässlerin aus Hufflepuff. Und das Mädchen, die ihr diesen Fluch aufgehalst hat, war niemand geringeres als meine kleine Schwester Saiph.

Mum schrieb, dass sie einen Brief nach Hause bekommen hätten. Dad hätte es nicht gekümmert, Mum hätte ihn wohl sogar ein wenig schmunzeln sehen. Saiphs Strafe bestand aus Nachsitzen und Pokalen putzen. Außerdem musste sie sich bei Mandy entschuldigen.

Als Mum fragte, ob ich wüsste, wie sie überhaupt an den Fluch kam, weil er für Zweitklässler völlig ungeeignet und eigentlich sogar zu schwer war, biss ich die Zähne aufeinander. Das könnte wohl meine Schuld gewesen sein, weil ich meine Bücher Zuhause überall rumliegen ließ. Ich hatte mir diesen Fluch tatsächlich angesehen. Saiph hatte wohl das offene Buch entdeckt und sich den Spruch abgeschrieben.

Seufzend legte ich den Brief beiseite und antwortete Mum nur kurz. Ich schrieb, dass es womöglich meine Schuld war und es mir leid täte. Sonst teilte ich ihr mit, dass alles gut wäre, ich an der Quidditch-Auswahl teilnehmen würde (egal, was Dad davon hielt) und Shawn und Jules Schulsprecher wären. Die Sache mit Melody schrieb ich nicht.

Danach setzte ich mich an den Aufsatz für Verteidigung, welcher mich aufstöhnen ließ. Ich mochte das Fach, ich fand es echt super, aber leider bedeutete das nicht, dass ich gut war. Gut schon, aber nicht sehr gut und das stand Dad im Weg - und mir in gewisser Weise auch.

Nach der geschriebenen Einleitung und der Hälfte des Hauptteils hatte ich keine Lust mehr. Das kam eigentlich relativ selten vor, da mir selbst Hausaufgaben normalerweise Spaß machten, aber heute war ich nicht so gut drauf wie sonst.

Deswegen entschied ich, die vier Bücher auszuleihen und im Gemeinschaftsraum ein wenig zu lesen.

Ich packte die Pergamentrollen, meinen Federkiel und das Tintenfässchen in meine Tasche, die bis zum Rand voll war, schulterte diese und nahm die beiden Bücher, die nicht in die Tasche gepasst hatten, auf den Arm. Hätte ich geahnt, dass ich die Bücher mitschleppen müsste, hätte ich den Rucksack genommen.

Bevor ich die Bibliothek verließ, schaute ich noch beim Regal mit den Kräuterkundebüchern vorbei. Heute hatten wir keine Hausaufgaben aufbekommen, weil wir morgen nochmal eine Doppelstunde hatten, aber ich war mir sicher, dass wir über das Wochenende einen Aufsatz aufgedrückt bekommen würden und da wollte ich schon mal Bücher mitnehmen, bevor die Besten weg waren.

Als ich schließlich fast am Ausgang angelangt war, entdeckte ich aus dem Augenwinkel ein Buch, was auf dem Stapel der abgegebenen Bücher ruhte (eigentlich sollten wir die Bücher wieder einsortieren, aber einige interessierte das nicht). Es trug den Titel "Theorie der Verwandlung für Fortgeschrittene" und landete auf meinem Stapel, der inzwischen gefährlich hoch und vor allem schwer war.

Ich balancierte mit den Büchern im Arm aus der Bibliothek und versuchte nicht zu fallen. Ich hätte sie schweben lassen, aber ich hatte zu viel Angst, dass ein Lehrer mich erwischte. Zauberei auf den Gängen war verboten und ich war Vertrauensschülerin - noch ein Grund, mich an die Regeln zu halten.

Kurz vor der Kurve zur Treppe hielt ich inne und versuchte mich daran zu erinnern, ob ich mein Tintenfass eingepackt hatte. Ich war mir nicht mehr sicher und hielt deswegen den Stapel Bücher unter Schmerzen nur mit einem Arm fest, um mit dem anderen in meiner Tasche zu suchen.

Ich hatte das Tintenfass gefunden und zog erleichtert meinen Arm aus der Tasche. Dabei verhedderte sich meine Feder in meinem Umhangärmel und fiel auf den Boden.

Genervt stieß ich die Luft aus und bückte mich. Den Bücherstapel legte ich dabei auf meinem Bein ab, entlastete den Arm also auf diese Weise kurz, schnappte nach der Feder und legte sie auf das oberste Buch. Ich ahnte, dass ich es nur schlimmer machen würde, wenn ich versuchte, sie jetzt noch in meine Tasche zu stopfen.

Mit beiden Armen packte ich den Bücherstapel erneut an und wollte wieder aufstehen.

Dann lag ich plötzlich auf dem Boden.

Langsam öffnete ich meine zusammengekniffenen Augen. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem rechten Ellbogen und meinem Rücken. Der Steinboden fühlte sich kalt an.

Als ich mich umsah, erblickte ich meine Bücher um mich rum verteilt, einige lagen offen mit dem Buchrücken nach oben. Das schrie geradezu nach zerknickten Seiten; Madam Pince würde mich umbringen.

"Oh Shit, das tut mir leid!", sagte plötzlich eine vertraute Stimme vor mir. "Ich bin so dumm, ich hab nicht hingeschaut, wo ich lang laufe. Geht's dir gut?"

Jetzt erkannte ich, dass ein Junge etwas weiter rechts vor mir auf dem Boden hockte und sich gerade aufrappelte.

Es war Shawn - und er sah mir direkt in die Augen.

ϟ          ϟ          ϟ

Und da geht es auch schon los, Shawn ist voll dabei *-*

Sorry für die große Verwirrung beim ersten Kapitel, es gab einen Zeitsprung, den einige nicht ganz mitbekommen haben :D

Wir befinden uns jetzt im Jahr 2015, Kassy tritt ihr 5. Schuljahr an. Der Prolog hat am Anfang ihres ersten Jahres (2011) gespielt ;)

Was glaubt ihr ist an Shawmila dran?

Und was wird als nächstes passieren, nachdem Shawn Kassy so richtig klischeemäßig umgerannt hat (keine Angst, das wird das einzige Klischee der ganzen Story sein)?

Danke für die unzähligen Kommentare im letzten Kapitel! Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 09.09.2017 (Saturday)

[04.09.2017]

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