Kapitel 18 ϟ Margin

A Message - Coldplay ♪♫

Langsam öffnete ich die Augen. Mein Kopf dröhnte.

Die Sonne schien auf mich herab und ich musste die Augen wieder etwas zukneifen.

Von weiter weg nahm ich leise aufgeregte Stimmen wahr. Ich wollte mich aufrichten, doch konnte mich nicht bewegen.

"... ich bring ... um!" "... ihr gut?" "... nie wieder ... dich ..." "... bereuen ..."

Es waren eindeutig Tori und Weena, die ich da hörte.

Mit einem Ruck richtete ich mich auf und schrie vor Schmerz. Mein Rücken tat unglaublich weh und mir wurde sofort schwindelig.

"Bleib liegen!", rief Alia mir zu.

Ich tat wie mir gesagt wurde und versuchte mich trotz meines pochenden Schädels daran zu erinnern, was passiert war.

Ich hatte den Quaffel, ich hatte ein Tor geworfen ... alle hatten gejubelt ...

Ich hatte einen Klatscher gegen den Kopf bekommen.

Wieso war ich dann hier und nicht im Krankenflügel? Über mir flogen schwarze Punkte, von denen einige dem Boden entgegen kamen.

Bildete ich mir das alles nur ein? Lag ich vielleicht im Koma? War ich tot?

Ach Quatsch, Kassy, reiß dich zusammen!, schnauzte ich mich selbst an.

Ganz langsam stützte ich mich auf meine Arme. Mein Rücken signalisierte mir aufzuhören, doch es war trotzdem ertragbar und ich konnte mich setzten. Na ja, sowas in der Art.

"Ich hab dir gesagt, du sollst liegen bleiben!", seufzte Alia.

Sie lief neben Tori und Katie auf mich zu. Von der anderen Seite nährten sich nun auch Henry, Ivy und Alice - Moment, wieso nährte sich Alice mir?

"Bist du okay?", fragte Henry außer Atem.

"Nein", presste ich hervor und Alia half mir, mich aufzurichten.

In dem Moment landeten Olivia, Jacob und Jusrus neben uns.

"Wieso bist du überhaupt wach?", wollte Alice wissen. "Du hast das Balldings voll gegen den Kopf bekommen!"

"Weena hat uns allen zur Sicherheit Kopfschutzzauber aufgelegt", erklärte Jacob. "Nur zur Sicherheit, falls genau sowas passiert."

"Kopfschutzzauber?", fragte Alice verwirrt. "Den gibt es nicht."

Jacob verdrehte die Augen und kniete sich zu mir runter.

"Ist dein Kopf okay?", fragte er mich.

Ich nickte und verzog das Gesicht vor Schmerz.

"Doch nicht", widerrief ich. "Kopfschmerzen ... und Rücken."

"Okay gut - also nein, nicht gut - aber - ach egal, ich hole Madam Pomfrey her", ließ Olivia uns wissen, stieg auf ihren Besen und zischte davon.

"Wieso seid ihr alle hier? Ihr dürft während des Spiels nicht auf den Boden", bemerkte ich langsam. "Das ist ein Foul und noch mehr Strafstöße wären ... doof."

Henry lachte leicht auf. Es versammelten sich immer mehr Spieler um mich und langsam wurde es unangenehm.

Sydney und Teddy waren vollkommen in Ordnung, Stacy und Jules auch, ebenso wie Stella, doch bei Nate, Kieran und Isabelle wurde es dann etwas unangenehm.

"Fast in dem Moment, wo Flint dir den Klatscher an den Kopf geschlagen hat, hat Teddy den Schnatz gefangen", ließ Sydney mich wissen, doch ich war ganz woanders.

"Was - Flint hat mir den Klatscher gegen den Kopf geschlagen?", wiederholte ich ungläubig.

Die anderen blickten mich stutzig an.

"Was glaubst du, wen Weena gerade anschreit. Hast du es nicht gesehen?", fragte Stacy.

"Hätte ich es gesehen, hätte der Klatscher nicht meinen Kopf sondern mein Gesicht getroffen", antwortete ich in dem gleichen raren Tonfall wie sie.

Alia und Tori konnten schon wieder lachen, deswegen beschloss ich, dass es an der Zeit war, den Schmerz in mich rein zu fressen und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Zumal immer mehr Schüler von den Tribünen auf das Feld strömten.

Wenige Bekannte, einige vertraute Gesichter und viele Schüler, die ich sonst nur beobachtete. Ich bezweifelte stark, dass sie vor heute überhaupt gewusst hatten, dass ich existierte.

Ich stand auf, steckte den Schmerz weg und zwang mich, zu lächeln. In diesem Moment entdeckte ich unter den vielen Menschen ein sehr vertrautes Gesicht.

Shawn drängte sich nach vorn und steuerte uns an.

Zuerst wollte ich ihn nicht hier haben, doch als er bei Weena und Flint stehen blieb um Demian zu helfen, den Streit zu schlichten, machte sich ein komisches Gefühl in mir breit, welches ich sonst nur als Enttäuschung kannte.

Langsam ging ich auf Weena zu und versuchte das Humpeln zu verstecken. Die anderen um mich rum baten mich, mich wieder hinzulegen, aber ich hörte ihnen nicht zu.

Ich konnte nicht liegen bleiben. Dann sahen alle, dass ich schwach war und mich nicht zur Wehr setzten konnte. Diesen Triumph würde ich Flint nicht gönnen.

"Es ist mir egal, Flint! Ich hab dich so oft gewarnt!", brüllte Weena außer sich.

"Shawn! Endlich! Mann, es tut mir leid!", rief Flint, sobald er seinen Kumpel entdeckte. "Es war nicht mit Absicht! Echt nicht! Kassy!"

Lass mich in Ruhe!, hätte ich am liebsten geschrien. "Nicht mit Absicht" - sollte ich ihm das wirklich glauben?

"Sag Weena, dass es nicht mit Absicht war! Bitte!"

Sag Weena, dass es nicht mit Absicht war, äffte ich ihn in Gedanken nach. Bitte bitte, du mich auch! Wie wär's mal mit 'na Entschuldigung an mich, du schleimiger Schnarchkrackler!

Ich blieb stumm und blickte nur fragend zu Weena. Ihr Kopf war hochrot und sie versuchte sich nach wie vor aus Demians Griff zu befreien. Dieser kämpfte ebenfalls stark, was man ihm deutlich ansah.

"Außerdem ist es doch gar nicht so schlimm!", versuchte Flint sich rauszureden.

"Nicht so schlimm?", wiederholte Weena. "Hast du dir mal ihr Gesicht angesehen?"

Geschockt fasste ich an meine Wange und starrte auf das Blut auf meinen Fingern. Ich wollte wirklich nicht wissen, wie ich aussah.

"Kassy, geht's dir gut?", fragte Shawn mich besorgt.

"Ja", log ich, ohne ihn anzusehen. Die anderen waren mir gefolgt und beäugten unsere Konversation skeptisch.

"Nein!", protestierte Weena. "Flint, ich kann mich nur wiederholen - Summers, lass - mich - los! - Das war's!"

Weena riss sich los, trat drei Schritte auf Flint zu und hielt ihm ihren Zeigefinger unter die Nase.

"Ich habe dich gewarnt. Du warst kaum beim Training, du machst nicht das, was ich sage. Du knockst unsere Spieler aus, du verursachst Freiwürfe durch deine Fouls und gibst es dann noch nicht mal zu! Ich hab genug! Du fliegst! Ich schmeiße dich endgültig aus dem Team! Das muss ich mir nicht geben!"

Weena drehte sich um und dabei flogen ihre hellbraunen in einem Zopf gefassten Haare Flint fast ins Gesicht.

"Spielanalyse, morgen um elf Uhr im Gemeinschaftsraum - für das Team!"

Und weg war sie.

"Lewis", setzte Shawn an, doch Flint unterbrach ihn sofort: "Shawn, das war wirklich keine Absicht!"

"Vielleicht solltest du das nicht mir sagen", erwiderte Shawn nur ruhig und nickte in meine Richtung.

Flints Kopf drehte sich zwar, doch es folgten keine Worte. In seinem Blick lag etwas Komisches. Etwas, was Unbehagen in mir weckte und mich anschrie, wegzulaufen.

Ich hätte es am liebsten auch getan, aber wie würde es aussehen, wenn ich wie ein kleines Kind wegrannte, nur weil Flint mir nichts zu sagen hatte?

Die Frage war, ob er es wirklich aus Versehen getan hatte. Hemmte ihn sein Stolz, sich bei mir zu entschuldigen?

Mir mit Absicht einen Klatscher gegen den Kopf zu hauen wäre nicht nur brutal, sondern auch noch ziemlich blöd, und das war Flint gewiss nicht.

Er setzte alles daran, dass Shawn nicht sauer auf ihn war. Ich verbrachte Zeit mit Shawn, Flint war sich im Klaren darüber, dass Shawn eine solche Aktion nicht einfach so hinnehmen würde.

Vielleicht hatte Flint es tatsächlich nicht mit Absicht gemacht.

"Was ist jetzt?", holte Shawn mich zurück in die Wirklichkeit.

In den wenigen Sekunden hatte niemand etwas gesagt, auch Flint nicht. Alle Umstehenden tauschten fragende Blicke aus, niemand traute sich, einen Laut von sich zu geben. In der Mitte standen Shawn, Flint und ich. Von Weitem liefen nun auch endlich die Lehrer auf uns zu.

Ich konnte nicht mehr. Ich hielt die Blicke und die Aufmerksamkeit und vor allem die Demütigung nicht mehr aus. Ich musste hier weg.

"Ist schon gut", sagte ich gerade so laut, dass Flint und Shawn es hören konnten, ohne, dass die Trockenheit meiner Kehle auffiel.

Mit nach unten gerichtetem Blick wandte ich mich ab und ging.

Hinter mir vernahm ich aufgebrachte Stimmen der Lehrer, die Schüler maßregelten und zum Schloss schickten. Die Rufe meiner Freunde, die mir folgen wollten, aber wussten, dass sie in der Umkleidekabine nicht zugelassen waren.

Das alles war Rauschen in meinen Ohren. Die Geräuschkulisse und mein Blut mischten sich und es klang, als stände ich zwischen zwei tosenden Wasserfällen.

Auch mein Blick wurde unschärfer. Shawns überraschte Miene ist mir nicht entgangen, auch Flints undefinierbarer Blick. Doch es verschwamm alles bei dem Gedanken, dass mich soeben die ganze Schule beobachtet hatte.

Evan, der mit seinen Freunden über seine dumme Cousine lästerte.

Melody, die mit ihren neuen und besseren Freunden wie wild über mich herzog.

Jules, die Elay alles berichten würde, wenn Evan nicht schneller war.

Eve, die sich fragte, was bei mir falsch gelaufen war.

Maddox, der einen Grund mehr hatte, sich über mich lustig zu machen.

Finley, dessen Blick ab sofort sicher nicht mehr so anerkennend wäre.

Saiph - oh Gott, ich musste aufhören, daran zu denken. Sofort.

Ohne es richtig gemerkt zu haben, stand ich plötzlich wieder in der Umkleidekabine, die wir vorhin verlassen hatten. Weena war mit ihren Sachen schon weg, ich war allein.

Ich wollte mich einfach nur schnell umziehen, mir meinen Besen schnappen und - mein Besen.

Drachenmist.

Zurück da raus würde ich sicher nicht gehen, nie im Leben. Irgendjemand würde meinen Nimbus schon aufgabeln und ihn mir vor die Füße schmeißen.

Was eigentlich gar nicht nötig ist, fiel mir soeben ein. Ich besaß ja nun meinen neuen Besen.

Aufgeregt ging ich um die Ecke auf den Pfosten zu, gegen den Weena meinen Feuerblitz vorhin gelehnt hatte.

Doch er war nicht da.

In der Überzeugung, den Pfosten in meinem Zustand vertauscht zu haben, suchte ich noch alle anderen ab, doch nichts. Mein Besen war weg.

Ich wusste doch, ich hätte ihn nicht einfach so stehen lassen sollen. Jemand musste ihn geklaut haben! Allerdings wusste kaum einer von meinem Geschenk. Wir alle hatten uns bis eben auf dem Feld aufgehalten. Es konnte keiner aus meinem Team gewesen sein - Saiph. Nicht schon wieder.

Sie hatte mich also doch nur verarscht. Oder hatte sie den Besen an sich genommen, um ihn als Erste auszuprobieren?

Verzweifelt, voller Sorge und Schwindel, mit dem permanenten Rauschen in meinen Ohren, ließ ich mich auf meinem Platz auf der Bank nieder und stütze die Stirn in beide Hände.

Mein Blick fiel unter die Bank und ich entdeckte eine Form, die sich von den Silhouetten der Holzdielen und Bänke deutlich abhob.

Es war mein Feuerblitz.

Erleichtert griff ich nach dem Stiel und zog ihn ins dämmernde Öllampenlicht. Sofort stach mir eine Veränderung ins Auge, die sogleich mein Herz durchbohrte.

In dem schönen haselnussbraunen Stiel, an der Stelle zwischen zwei leichten Griffkerben für die Hände, war ein schwarzes F eingebrannt worden.

Als hätte jemand ein Messer genommen und sich verewigt, nur, dass es kein Messer gewesen ist, sondern ein Zauberstab.

F für Flint.

Ich ging in die Hocke und spähte unter die schäbige Bank. Wie erwartet fand ich einen kleinen Zettel, den ich aufhob und in das Licht der Lampe hielt.

Die Schrift war krakelig und sah aus, als wäre ihr Verfasser in großer Eile gewesen. Doch nach zweimaligem Durchlesen wusste ich, was drauf stand und ein eiskalter Schauer ließ mich zittern.

Damit du mich nie mehr vergisst, Schätzchen. Das war ein kleiner Vorgeschmack. Treffsichere Grüße, Flint x

Mir war klar, dass der Vorgeschmack nicht das Verstecken oder die Schändung meines Feuerblitzes war. Es war der Klatscher, er hatte mich also doch mit voller Absicht getroffen.

Wenn das Zerfetzen meines Schädels ein Vorgeschmack sein sollte, dann wollte ich nicht wissen, was noch folgte.

Angst machte sich in mir breit. Der Schwindel verstärkte sich, das Rauschen wurde lauter und urplötzlich wurde mir schwarz vor Augen. Ich sackte zusammen.

Olivia fand mich keine Minute später auf dem Boden liegend. Ich war nicht in Ohnmacht gefallen, das war ich generell noch nie. Ich brauchte nur eine Weile, bis ich wieder richtig atmen, sehen und hören konnte.

"Ist alles okay, Kassy?", fragte sie leise und wusste wohl genauso gut wie ich, dass diese Frage komplett bescheuert war.

"Ja", antwortete ich und stand auf. Der Zettel fand schnell den Weg in meine Umhangtasche und schweigend zogen Olivia und ich uns um.

Sie hatte mir meinen Nimbus mitgebracht. Der Stiel war angeknackst und Splitter standen ab, an einigen klebte ein wenig Blut.

Irgendwie kümmerte mich das erschreckend wenig.

Kurz bevor wir die Umkleide verließen, kamen Jacob und Jusrus rein.

"Wir sehen uns morgen", verabschiedete ich mich ganz stumpf und hatte mich schon aus dem Staub gemacht.

Olivia unterhielt sich noch kurz mit den Jungs. Worüber sie sprachen hörte ich nicht, aber keine Minute später schloss sie zu mir auf. Das Schweigen brach nicht.

Als wir im Gemeinschaftsraum standen, wurden wir aus allen Ecken beäugt. Es waren noch nicht viele Schüler hier. Einige, das wusste ich, hatten nicht viel für Quidditch übrig und waren daher gar nicht zum Spiel gekommen. Andere, wie Haylee Towler aus der kleinen Lerngruppe oder Sarah Hooper, eine Freundin meiner Schwester, mussten wohl schneller als wir gewesen sein, was mich aber auch nicht wirklich wunderte.

Ich bat Olivia einfach, niemandem etwas von meinem Schwächeanfall zu erzählen. Sie hatte die ganze Situation ohnehin nur halb verstanden und versprach deswegen, zu schweigen. Ich ließ sie im Gemeinschaftsraum allein und legte mich im Schlafsaal ein wenig hin.

Nach meinem kurzen Schlaf, der eine halbe Stunde angehalten hatte, ging es mir nicht wie gedacht besser - im Gegenteil. Die Kopfschmerzen waren nun deutlich stärker. Ich hatte das Gefühl, ein Gnom würde mit seinen Zähnen an meiner linken Schläfe nagen.

Ich schleppte mich ins Bad, spritzte mir ein wenig Wasser ins Gesicht und begutachtete mich im Spiegel.

Meine Haare hingen locker und schlaff in dem mehr schlechten als rechten Zopf. Als ich vorsichtig an der Seite meines Kopfes lang tastete, spürte ich eine dicke Beule über dem Ohr.

Ganz zu schweigen von den Schnitten an meinen Wangen. Das musste die Hinterlassenschaft meines Besenstiels gewesen sein. Nachdem er von dem Klatscher abgebrochen worden war, hatten die Splitter sich beim Aufprall auf den Boden in mein Gesicht gebohrt. Die Wunden waren verkrustet, dreckig und pochten.

Obwohl ich es irgendwie nicht wollte, ging ich schließlich doch zu Madam Pomfrey. Mein Rücken tat zu sehr weh und die Schnitte in meinem Gesicht sahen nicht wirklich gut aus.

Im Krankenflügel bekam ich erst mal eine Standpauke. Madam Pomfrey war entsetzt, dass ich nicht gleich zu ihr gekommen war und verfrachtete mich ohne Widerrede in ein Bett. Meine Wunden wurden gesäubert, was zugegeben echt weh getan hatte, mein Rücken eingerenkt und mir wurde etwas gegen die Kopfschmerzen gegeben.

Dann schneite Professor McGonagall vorbei, um mir mitzuteilen, dass es noch ein Gespräch mit Flint, Weena und mir geben würde und letztendlich bekam ich einen kurzen Besuch von Professor Flitwick, der zur netten Abwechslung einfach nachsehen wollte, wie es mir ging.

Zum Glück erlaubte Madam Pomfrey mir, zum Abendessen zu gehen. Nachdem ich schon das Mittagessen ins Bett hatte verlegen müssen, konnte ich sie wenigsten dazu überreden und Olivia sagen, dass weder Alia, noch Teddy oder Tori nach mir sehen mussten.

Beim Essen wurde ich ausgequetscht, doch nicht nur von meinen Freunden, nein, von allen. Jeder Zweite schielte mich schief an und wollte von mir persönlich die ganze Geschichte hören. Ich tat meistens so, als würde ich sie nicht bemerken und überließ Olivia und Henry die ehrenvolle Aufgabe, für mich zu Antworten oder die neugierigen Schüler wegzuschicken.

Alia rannte mich fast um, als sie mich nach dem Essen in der Bibliothek sah und auch Katies Umarmung fiel nicht minder aus. Tori und Teddy stießen später dazu, nachdem sie das Kräuterkundeprojekt für Teddy protokolliert hatten.

Das Thema wurde ich nicht los. Wir unterhielten uns über das Spiel, die Taktiken, die Tatsache, dass Hufflepuff gewonnen hatte (überwiegend darüber) und natürlich meinen Unfall.

Genau dasselbe wurde mir am Sonntagvormittag bei der Spielnachbesprechung aufgetischt. Weena redete und redete, so wie wir es von ihr gewohnt waren. Flint befand sich zu der Zeit glücklicherweise nicht im Gemeinschaftsraum.

Doch das war noch nicht alles, denn ich durfte mir Weenas Gezeter am Abend bei dem Gespräch erneut anhören. In einer kleinen Runde von Weena, Flint, mir, Professor McGonagall, Professor Flitwick und Stella erzählte Flint alles erneut aus seiner Perspektive und schließlich musste ich ran.

Niemand bekam eine Strafe, doch Flint musste sich bei mir entschuldigen. Ich hatte ziemliche Angst, ließ mir das jedoch nicht anmerken. Shawns Tipps halfen mir sogar dabei. Rücken aufrecht, Schultern zurück, die Mundwinkel minimal nach oben ziehen und tief durchatmen.

Flint reichte mir die Hand, entschuldigte sich förmlich und sah mich an. Sein Blick ließ mich innerlich sofort klein werden. Wir wussten beide, was wir eben wussten - ich, dass es Absicht war, er, dass ich schweigen würde. Ich musste mich stark zusammenreißen, meine äußere Fassade zu bewahren.

Ins Team zurück durfte Flint trotzdem nicht, denn Weena war nach wie vor Kapitän und weigerte sich strikt, Flint eine zweite Chance zu geben. Davon hatte er nach ihren Worten schon acht zu viel bekommen und mir sollte es nur recht sein.

Und dann war mal wieder Dienstag. Ein weiterer Tag, an dem ich mich vor einer weiteren Person rechtfertigen musste. Shawn.

Ich log ihn an, sagte, dass alles gut wäre und irgendwie versetzte es mir einen Stich ins Herz. Er vertraute mir; er glaubte mir, wenn ich behauptete, ich sei in Ordnung und hätte kein Problem mit Flint.

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen, das würde ihn innerlich nur aufwühlen und letztendlich würde seine Wahl auf Flint fallen. Er würde mir nicht glauben.

Trotzdem riss ich innerlich ein wenig, Shawn war meine letzte Chance gewesen. Auch er konnte nicht hinter meine Mauer sehen, hörte meinen stummen Hilferuf nicht, hakte nicht nach, bis ich brach. Er akzeptierte meine Lüge und ich konnte ihm nichts vorwerfen - und doch riss ich, ein weiterer kleiner Teil meiner Seele fiel leise und sachte wie eine Feder auf den Boden zu den anderen vielen kleinen Teilen.

Das Aufkommen löste dennoch Schmerzen aus.

Die darauffolgende Zeit flog nur so an mir vorbei.

Unser neuer Treiber war Humphry Turner, was mich eher weniger freute, da ich auf Henry gehofft hatte. Weena gönnte uns eine Woche Pause, dann nahm sie das übliche Training wieder auf, jedoch nur noch einmal pro Woche.

Die Pflanzen, um die wir uns in Kräuterkunde kümmern mussten, wuchsen heran und unsere Sternenkarten in Astronomie wurden immer schneller vervollständigt.

Aus September wurde Oktober, und eh ich mich versah, stand Halloween unmittelbar vor der Tür.

Exakt eine Woche vorher hingen die Listen für den Hogsmeadebesuch aus, der dieses Jahr direkt an Halloween selbst stattfinden würde.

Ich hatte gar keine Chance, denn es wurde nicht mal darüber diskutiert. Wir alle würden gehen und ich freute mich sogar ein bisschen.

Eigentlich waren mir in Hogsmeade viel zu viele Menschen, aber ich brauchte Ablenkung und war froh, zumindest für einen Tag dem Schloss entfliehen zu können.

Außerdem schuldeten die anderen sowohl mir als auch Alia und Olivia ein Butterbier und Süßigkeiten aus dem Honigtopf. Wir hatten schon damals, in unserem ersten Jahr, beschlossen, uns nichts zum Geburtstag zu schenken. Stattdessen mussten die anderen den Geburtstagskindern was in Hogsmeade ausgeben.

"Du bist zu spät", grinste ich Shawn am Dienstagvormittag an, als er völlig außer Atem um die Ecke gehechtet kam.

"Ich weiß, und ... es tut mir ... auch wirklich ... wirklich ... leid", keuchte er und stützte sich an der Wand ab. "Aber ich ... musste noch was klären."

"So so", lächelte ich und betrat den Klassenraum. Er folgte mir.

"Willst du gar nicht wissen, was?", fragte er fast schon ein wenig enttäuscht.

Natürlich wollte ich wissen, was er geklärt hatte, doch es ging mich nichts an. Wenn er das Verlangen spürte, es mir erzählen zu wollen, würde er es ohne mein Gedränge tun. Ich mischte mich generell nicht in Angelegenheiten anderer Menschen ein - zumindest nicht in ihrer Gegenwart.

"Wird ja wohl kaum um mich gegangen sein", antwortete ich und stellte meine Tasche ab.

"Genau genommen hast du den Deckel auf den Kessel getroffen."

Mein Blick schnellte hoch. Das Grinsen auf Shawns Lippen verriet ihn.

"Okay, du hast mich. Ich dachte wirklich kurz, es wäre meinetwegen gewesen. Bin drauf reingefallen."

Seine Stirn legte sich in Falten. "Das war kein Spaß, echt nicht. Ich meinte das ernst."

"Ist klar", nickte ich und setzte mich auf den Tisch in der ersten Reihe des Klassenraums.

In Wahrheit rasten schon wieder tausend Möglichkeiten durch meinen Kopf. Was konnte ich in der letzten Zeit getan haben, was Shawn Schwierigkeiten verschafft haben könnte? Hatte ich gelästert? Hatte ich etwas Peinliches getan oder gesagt? Konnte Teddy mal wieder seine Klappe nicht halten?

"Ich musste an unsere erste Nachhilfestunde denken", erklärte Shawn mir und setzte sich neben mich.

In den letzten Wochen saßen wir oft nebeneinander auf dem Tisch und er gab mir Tipps für mehr Selbstbewusstsein. Oder wir redeten einfach. Shawn hatte mich durchschaut und erkannt, dass mir das half, mich ihm weiter zu öffnen.

Doch jetzt merkte ich, dass es ein Fehler war. Seine Nähe war plötzlich unangenehm und was immer er vorhatte, ich schwor mir, nicht drauf einzugehen.

Seit der Sache mit Melody hielt ich es für das Beste, in der kommenden Zeit niemandem mehr so einfach zu vertrauen. Ich brauchte keine neuen Freunde, meine momentanen reichten mir völlig.

"Zu der ersten Stunde bist du auch zu spät gekommen", erinnerte ich mich und versuchte etwas aus Shawns Blick zu deuten. Doch es war nicht möglich, er hatte sein Pokerface aufgesetzt.

"Schön, dass du das ansprichst, denn darum geht es mir."

Sein einer Mundwinkel zog sich leicht nach oben. Mir wurde schlecht.

Sag mir jetzt einfach, was du willst, oder ich gehe, hätte ich fast gesagt, aber ich hielt mich zurück. Noch hatte mir Shawn keinen Grund gegeben, giftig zu werden, und er hatte es nicht verdient, ein weiteres Mal meinen Selbstschutz vor den Kopf gestoßen zu bekommen.

"Geht's dir gut?", fragte Shawn auf einmal besorgt. "Du bist so blass."

Wieso fiel ihm das ständig auf? Immer, wenn ich Angst bekam, nervös wurde, aufgeregt war, bemerkte Shawn es. Tat er das immer? Wie hielten seine Freunde das nur aus?

"Ja, alles in Ordnung. Könntest ... du vielleicht einfach sagen, was du sagen möchtest?", drückte ich mir gewählt vorsichtig aus.

"Du hast die Tür auf gezaubert, weil ich den Schlüssel vergessen habe. Ich habe gesagt, wenn du mir nur ansatzweise beweisen kannst, dass der Obliviate für mich genauso einfach sein kann, wie dein Zauber für dieses Türschloss, dann gebe ich dir ein Butterbier aus."

"Nur eins?", grinste ich in dem Wissen, dass es genau das war, was ich auch vor mehr als einem Monat gesagt hatte. Shawn schien das ebenfalls bewusst zu sein.

"Nein, mindestens zwei. Ich hab ihn gestern mit Bestnoten vorführen können. Am Samstag ist der Hogsmeade-Ausflug und ich wollte dich fragen, ob du vielleicht daran Interesse hättest, deine Forderungen wahr zu machen."

Wollte ich das? Wollte ich mit Shawn ein Butterbier trinken gehen? Was würden die anderen dazu sagen? Würde Flint mich hassen, würden Tori, Alia und Teddy weiter Andeutungen von sich geben?

Eigentlich hatte ich sehr Lust darauf. Es könnte durchaus witzig werden, aber allein wollte ich trotzdem nicht mit ihm gehen. Noch weniger als mit seinen Freunden.

"Also ... schon." Ich zögerte. "Aber ... ich bin schon mit meinen Freunden verabredet. Weißt du, wir haben da so ein Ding laufen, mit Butterbier zum Geburtstag und so ..."

"Oh, das ist kein Problem", wandte Shawn ein. Er wirkte ganz entgegen meiner Erwartungen überhaupt nicht enttäuscht. "Ich will dich ja nicht für den ganzen Tag entführen. Und wenn du und deine Freunde nichts dagegen haben, kann ich mich auch einfach für eine Stunde zu euch setzten. Ich würde sie wirklich gerne näher kennenlernen."

Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Das war eine super Idee.

Die anderen würden Shawn endlich kennenlernen und ich konnte Teddy beweisen, dass ich nicht mehr als eine Bekannte Shawns war. Er würde die Menschen kennenlernen, die mich jeden Tag umgaben und beide Seiten würden erkennen, dass sowohl Shawn, als auch meine Freunde, völlig normale Menschen waren. Vielleicht könnten wir danach sogar sowas wie entfernte Freunde werden.

"Das ist eine super Idee", stimmte ich ihm zu. "Wenn es nicht regnet, gehen wir zu Fuß, du müsstest uns also spätestens gegen elf im Drei Besen finden."

"Klasse, dann machen wir das so. Ich freu mich!"

In Shawns Gesicht tauchte ein Lächeln auf und ich erkannte etwas darin, was entweder vorher nicht da gewesen oder von mir ignoriert worden war.

Leicht lächelte ich zurück, was Shawn wohl als Bestätigung auffasste und mich drückte.

"Ich freue mich auch."

Vielleicht war Shawn weder ein Bekannter, noch ein Schwarm. Vielleicht war er nicht der unerreichbare allseits beliebte Junge. Vielleicht war er einfach nur Shawn.

Und vielleicht - ganz vielleicht - waren wir schon längst Freunde.

ϟ          ϟ          ϟ

Was meint ihr? Sind die beiden schon längst Freunde? ;P

Und es war Flint, wie die meisten richtig lagen. Wie ihr sehen könnt, hattet ihr wirklich recht - Flint kann Kassy durchaus gefährlich werden.

Wie werden wohl die anderen auf Shawns Idee reagieren?

Und bei wem ist es auch so verdammt kalt? Friere mir seit ein paar Tagen den Arsch ab.

Kaltes Wetter ohne Weihnachten ist scheiße. Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 26.11.2017 (Sunday)

[19.11.2017]

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