Kapitel 15 ϟ Emotions

Higher Ground - SKAAR ♪♫

Wie Weena es prophezeit hatte, gab Isabelle den Termin noch am Nachmittag bekannt und ich ließ mich am Sonntag zu einer Spaßpartie Quidditch überreden. Diesmal konnte Teddy sogar mitspielen.

Nach dem Abendessen trafen sich die anderen in der Bibliothek, doch ich wollte vor einer neuen Schulwoche noch ein wenig Platz in meinem Kopf schaffen.

Schnell und unbeobachtet zwängte ich mich durch die Mauern und als ich meinen Kopf raus ins Freie streckte, wurde das Druckgefühl auf meiner Brust leichter.

Der Wind wehte ein wenig stärker als vorhin und ich zog meinen Umhang näher um mich. Vorsichtig setzte ich mich auf den Vorsprung und rückte im Schneidersitz etwas näher an die Kante.

Wie ich erwartet hatte, traf ich Helena nicht an, obwohl ich es ein wenig gehofft hatte.

Eine Zeit lang saß ich einfach nur da, atmete tief ein und aus und dachte zu Abwechslung mal an nichts. Ich spürte, wie meine Augenlider schwerer wurden.

Ich rückte von der Kante weg, lehnte mich gegen die Mauer und schloss die Augen. Flint tauchte unmittelbar wieder auf.

Seufzend setzte ich mich anders hin und zog die Knie bis ans Kinn. Ich legte meine Arme um die angewinkelten Beine, meinen Kopf in den Nacken und stieß meinen Atem in die kalte Abendluft.

Ich zwang mich, mir etwas vorzunehmen: Ich würde nichts auf Flints Drohung geben.

Das war schwieriger als gedacht. Schon allein der Gedanke, wie Flint mich erneut zu Seite zog und mir seinen Zauberstab in den Kiefer drückte, ließ mich erschaudern.

Was hatte er nur gegen mich? Meine Güte, eine Verwarnung zum Schulverweis - ich hatte ihn nicht gezwungen, auf diese Party zu gehen. Geschweige denn, ihn verpetzt, aber das konnte ich ihm schlecht sagen. Er würde mich sowieso nicht glauben.

Kläglich wurde mir bewusst, dass ich nichts gegen ihn tun konnte. Ich saß in der Falle, ich musste ausharren.

"Du steigerst dich da rein", schimpfte ich mich selbst aus. "Du übertreibst und machst es nur schlimmer."

Ich würde durchhalten. Ich hatte schon viel Übleres ausgehalten und würde mich garantiert nicht zurück in die offensive Opferrolle begeben; damit hatte ich abgeschlossen.

Schließlich fing es an zu regnen. Schon als die ersten Tropfen meine Nase trafen, drängte ich mich zurück auf die andere Seite der Mauer. Ich holte meine Hausaufgaben von oben, strich Flint aus meinem Kopf und setzte mich dann zu den anderen in die Bibliothek.

Der Montag war ein typischer Montag - ein scheiß Montag. Es passierte nicht viel, wie üblich, obwohl ich aus Versehen etwas geschafft hatte.

Während das Geheimnis um Professor Goldsteins Schulzeit gelüftet wurde und er den anderen erzählte, wie schnell seine damaligen Mitschüler den Patronus vollbracht hatten, spielte ich nachdenklich mit meinem Zauberstab.

Es wurde eine Theorieeinheit zwischen die Praxisstunden geschoben, um unsere Kräfte zu schonen.

"Damals war die Gefahr real", erklärte Professor Goldstein. "Heute gibt es keine Dementoren mehr, zumindest nicht in der Nähe. Damals war das anders. Wir waren motiviert, zu lernen. Natürlich hatten wir keine Dementoren zum Üben, weswegen viele von uns schnell Erfolge gefeiert haben."

Ich hörte nur mit halbem Ohr zu und suchte stattdessen nach dem Gefühl, welches ich bei der Nachhilfestunde gespürt hatte. Ich hatte es vergessen, ich wusste nicht genau, was für ein Gefühl es war. Ich konnte es nicht beschreiben. Vorher hatte ich nie etwas Gleichartiges Gefühlt, weswegen ich es nicht zurückholen konnte.

"Außerdem gibt es wohl kaum einen besseren Lehrer als Harry Potter. Ich will euch nächste Woche besondere Motivation verschaffen, aber ich verrate euch noch nicht wie. Solange beschäftigen wir uns mit Kreaturen der dunklen Art im Zweiten Zaubererkrieg."

Sofort stieg das Gemurmel auf. Den Zweiten Zaubererkrieg würden wir nach Weihnachten behandeln und es würde das einzige Spannende werden, was Professor Binns uns jemals beibrächte. Jeder freute sich auf dieses Thema, denn es war nicht nur ein Krieg, dessen finale Schlacht an dieser Schule stattgefunden hatte, sondern gleichzeitig auch die Geschichte des Jungen, der lebt. Eine Heldengeschichte - und jeder liebte spannende Abenteuer.

"Wer kann mir sagen, wann der Zweite Zaubererkrieg stattgefunden hat?", fragte Professor Goldstein und sofort schossen mehrere Arme in die Luft.

Ich starrte weiter auf meinen Zauberstab und drehte ihn zwischen meinen Fingern. Es konnte doch nicht so schwer sein, das Kribbeln zurückzuholen!

Um nicht negativ aufzufallen, hob ich meinen Kopf und beobachtete Professor Goldstein, wie er versuchte, in die Diskussion, ob der Krieg mit Voldemorts Rückkehr, schon davor begonnen oder seit dem 31.10.1981 eigentlich gar nicht richtig aufgehört hatte, Ordnung rein zu bringen. Zuhören tat ich, wenn überhaupt, nur unabsichtlich.

Ich wollte es unbedingt schaffen - aber ich versuchte mich zu beruhigen. Shawn hatte mir geraten, es nicht zu verkrampft zu erzwingen.

Ich hatte es bei Shawn geschafft. Ich hatte es schon mal geschafft, es konnte nicht so schwer sein. Shawn hatte damit nichts zu tun; Ich wusste selbst nicht, was es war. Doch ich konnte es noch einmal schaffen.

Es war ein Kribbeln und diese Übelkeit. Ich dachte daran, wie es wäre, wenn ich es schaffen würde. Als Erste einen gestaltlichen Patronus zu zaubern. Teddy wäre bestimmt stolz auf mich und Professor Goldstein beeindruckt. Ich wäre besser als Olivia.

Plötzlich beschleunigte sich mein Herzschlag und mir wurde übel. Doch es war nicht dieselbe Übelkeit, es war irgendwie anders.

Krampfhaft versuchte ich mich zu beruhigen. Ich hatte das Gefühl, mein Herz spränge mir gleich aus der Brust. Es musste so laut hämmern, dass es garantiert jemand hörte.

Doch der Gedanke, wie Shawn wohl reagieren würde, wenn ich ihm erzählte, dass ich es als Erste geschafft hatte, machte es nicht besser. Shawn wäre garantiert stolz auf mich. Vielleicht würde er mich sogar wieder mit diesem einen Blick ansehen, mit dem er mich schon zwei Mal angesehen hatte.

"Pst, Kassy", flüsterte Henry neben mir und ich zuckte dermaßen stark zusammen, dass ich den Zauberstab mit einem Klirren auf den Tisch fallen ließ. "Da kommt was aus deinem ... Zauberstab."

Henry zeigte auf den Ahornstab, der auf dem Tisch der Kante entgegen rollte und die letzten weißen und hellblauen Schlieren mit sich zog.

Panisch griff ich nach ihm und erneut klapperte Holz auf Holz. Mehrere Köpfe drehten sich zu mir und ein Blick Professor Goldsteins ließ mich klein werden.

"'Tschuldigung", murmelte ich verlegen und verstaute den Zauberstab in meinem Umhang.

"Was war denn vorhin los mit dir?", fragte Henry etwas besorgt, bevor unser Weg sich zu unseren verschiedenen Kursen trennte.

"Nichts, ich hab nur mal wieder geträumt", redete ich mich raus. Dass ich vor mich hin träumte, kam häufiger mal vor.

"Sicher? Ey, was ist das da an deinem Hals?"

Neugierig regte Henry seinen Kopf vor, doch ich senkte das Kinn nach unten und drückte ihn weg.

"Da ist nichts", log ich. "Ich ... hab mich nur mit Tinte vollgeschmiert."

Henry blickte mich skeptisch an und schüttelte den Kopf. "Tinte, ist klar ..."

Vor sich hin murmelnd schlug er den Weg zu den Ländereien ein, ich verschwand hinter der Ecke zum Klassenzimmer für Muggelkunde.

Während des Mittagessens spürte ich deutlich, wie Henry immer wieder Versuche unternahm, an die Unterseite meines Kiefers zu gucken. Ich hielt den Kopf gesenkt und schützte den Druckpunkt und mittlerweile gelb grün angelaufenen Fleck mit Hilfe meiner Haare.

In Verwandlung schafften unter anderem Tori, Olivia, Alia und ich, unsere Maus komplett verschwinden zu lassen. Lewis Johnson konnte seine sogar wieder zurückholen.

Meine Freistunde verbrachte ich wie üblich in der Bibliothek. In Alte Runen fluchte Alia mehr, als das sie Übersetzte, aber das störte mich wenig. Ich fand es genauso doof.

Henry nervte mich den ganzen Abend mit seinen Blicken und als er sich, kurz bevor wir zur Astronomiestunde abgeholt wurden, auf den Boden hockte und zu mir hoch sah, gab es mir den Rest.

"Henry, ich schwöre dir eins", knurrte ich und zog ihn am Ohr wieder nach oben. "Lass das oder das Caerphilly Catapults Poster über deinem Bett findet den Weg ins Feuer da drüben."

Henry knurrte beleidigt etwas Unverständliches und schlug meine Hand von seinem roten Ohr.

In Astronomie schlief ich fast ein und obwohl Henry mich - wenn auch ziemlich verstimmt - in Ruhe ließ, fühlte ich mich dennoch von jemandem beobachtet. Komischer Weise wurde ich das Gefühl nicht los, dass dieser jemand Zack Lestrange war, warum auch immer.

Ich schlief lange und machte mich erst um zwanzig vor neun auf den Weg zum Frühstück. Besonders großen Hunger hatte ich nicht. Da meine Schlafsaalfreundinnen schon fertig mit Essen waren und Henry mich aus Prinzip nach wie vor pikiert mied, suchte ich nach meinen Freunden am Gryffindortisch.

Mit der Miene, als wüsste ich genau, was mein Plan war, lief ich durch die schon recht leere Halle. Glücklicherweise entdeckte ich Katies Freundin Clove Smith durch ihre Lockenmähne und ihr auffälliges Lachen recht schnell.

"Hi, Kassy!", begrüßte Katie mich und klopfte neben sich auf die freie Bank. "Setz dich zu uns!"

Ich ließ mich nieder und begrüßte Clove und Fleyara Baggins mit einem leisen: "Hi".

Das Gespräch über Kräuterkunde setzte sich fort und da ich nicht mitreden konnte, aß ich stumm einen halben Toast. Clove strebte einen Themenwechsel an, da auch sie sich ein wenig außen vor gelassen fühlte.

"Leute, Alte Runen nervt mich momentan so! Ich bin echt gut, aber die Runen auswendig zu lernen ist der reinste Horror."

"Nicht meine Schuld, ich hab das ja nicht gewählt", bemerkte Fleyara stumpf und spielte an ihren bunten Armbändern herum, die von ihrem Handgelenk bis zur Mitte ihres Unterarms reichten.

"Ja, ich hab auch kein Kräuterkunde mehr und glaub mir, das feier ich mega", entgegnete Clove und nahm sich eine Banane.

"Du hörst aber auch nicht auf zu essen, oder?", stellte Katie lachend fest.

"Was?", antwortete Clove, puhlte die Schale ab und biss in die Frucht. "Ich hab halt Hunger."

"Kassy!", rief plötzlich eine Stimme rechts von uns. Mein Kopf drehte sich in die entsprechende Richtung. Shawn schlenderte auf uns zu.

"Uh", raunte Katie hinter mir und ich brachte sie, ein Grinsen unterdrückend, mit einem leichten Schlag gegen den Oberschenkel zum Schweigen.

"Der Raum ist dienstags immer besetzt, deswegen müssen wir das Alte Runen Klassenzimmer nehmen, aber ich denke, das wird auch gehen."

Erst am Ende des Satzes fiel mir wieder ein, worüber Shawn eigentlich sprach. Die Nachhilfe hatte ich ganz vergessen.

Dementsprechend musste ich, nachdem ich gecheckt hatte, wovon er redete, den Satz auch noch verstehen und eine zu lange Pause entstand.

"Denke ich auch", sagte ich und würde am liebsten im Erdboden versinken. Ich konnte mir nicht ausmalen, für wie blöd Clove und Fleyara mich nun halten mussten.

"Super, treffen wir uns dann zur dritten Stunde dort?"

Ich nickte und Shawn setzte sich wieder in Bewegung. "Klingt gut."

"Klasse, dann bis nachher", verabschiedete er sich und verschwand.

"Date?", grinste Fleyara mich an.

"Nein", entgegnete ich leicht lächelnd, auch wenn ich es mehr unangenehmen als lustig fand.

"Was dann?", hakte sie neugierig nach.

"Kassy redet nicht darüber", fuhr Katie dazwischen. "Ich glaube, sie weiß es selbst nicht genau, aber es geht um irgendwas Schulisches."

Ich warf ihr einen schnellen Blick zu, der Dankbarkeit ausdrücken sollte. Von mir wäre nur eine schlecht zusammengestammelte Erklärung gekommen.

"Ist klar", grinste Fleyara und rückte die graue Mütze zurecht, die sie fast immer auf ihren schulterlangen dunkelblonden Haaren trug. "Also doch ein Date."

"Ist es nicht", betonte ich und spielte unterm Tisch an meinen Fingernägeln. "Außerdem läuft doch zwischen ihm und Camila was, oder?"

Damit hatte ich von mir ablenken können. Shawmila war nach wie vor ein heiß umstrittenes Thema.

Clove behauptete, dass Ginger von Nate wüsste, dass Max Cauldwell von seiner Schwester erzählt bekommen hätte, dass Dorothy eindeutig behauptete, Camila hätte im Gemeinschaftsraum geschworen, dass sie nicht auf Shawn stände.

Tatsächlich waren Ginger und Max die Einzigen, denen ich noch Glauben schenken konnte, doch da allein Dorothy mit drinsteckte, war das für mich keine Information, sondern ein reines Gerücht.

Die ersten beiden Stunden verbrachte ich mit Olivia und Ivy in der Bibliothek. Davina hatte sich zu Henry und Vince gesetzt und lernte mit ihnen.

In der Pause schlenderte ich durch die Flure und begegnete dem einen oder anderen bekannten Gesicht. Heute schien das Glück auf meiner Seite zu sein, denn es waren keine Personen der negativen Sorte dabei und sogar Peeves blieb mir erspart (der, wie mir später erzählt wurde, damit beschäftigt gewesen war, Erstklässler mit lebensgroßen Aufzieh-Mumien zu verschrecken).

Pünktlich zum Klingeln bog ich in den Gang ein, in dem das Klassenzimmer für Alte Runen lag. Shawn entdeckte ich nicht, weswegen ich eintrat.

In dem Klassenzimmer stieß ich auf den Gryffindor. Er saß auf einem der Tische, schwang leicht die Beine hin und her und versuchte, seinen Zauberstab auf der Spitze seines Fingers zu balancieren.

Als ich auf ihn zu kam, lächelte er mich freundlich an, fasste seinen Zauberstab richtig an und sprang von der Holzfläche.

"Super, dass du da bist. Fangen wir gleich an?", fragte er gut gelaunt und deutete an die Wand hinter mir. "Meine Sachen liegen da, du kannst deine dazu legen und dann mach ich uns hier ein wenig Platz."

Ich schmiss meine Tasche neben Shawns und war ziemlich stolz, dass sie perfekt getroffen liegen blieb. Gleichzeitig kümmerte Shawn sich um die Möbel. Die Tische und Stühle stapelten sich perfekt an der Wand und erneut verspürte ich ein wenig Eifersucht.

"Das musst du mir unbedingt noch zeigen", bewunderte ich Shawns Künste.

Er lächelte mich stolz an. "Irgendwann sicherlich, aber wir sind hier, damit du mir zeigst, was ich in diesem Bereich besser machen kann."

"Desillusionierungszauber?", grinste ich.

"Ja", nickte Shawn begeistert. "Aber zuerst du. Oh, übrigens, herzlichen Glückwunsch, neue Ravenclaw-Jägerin."

"Danke", murmelte ich verlegen und sah an die Wand hinter Shawn.

"Du hast super gespielt, da weiß ich gar nicht, ob ich mithalten kann."

Meine Augen weiteten sich etwas. Shawn spielte ja ebenfalls als Jäger (wenn er es ins Team schaffte, aber niemand erwartete etwas anderes - er war der Jacob der Gryffindors), das hatte ich völlig vergessen.

Shawn schien meine Überraschung bemerkt zu haben und wechselte leicht lachend zum ursprünglichen Thema zurück: "Wie war deine Stunde am Freitag?"

Ich berichtete ihm etwas beschämt von meinem weiteren Misserfolg und der Theorieeinheit gestern.

"Das klingt vielleicht echt bescheuert, aber ich muss es bis morgen schaffen. Die anderen sind morgen ganz sicher soweit und ich will mithalten. Noch eine Stunde ohne irgendwas neben Olivia und Ivy, die garantiert einen Gestaltlichen schaffen, erträgt mein Ravenclaw-Ego nicht."

Shawn lachte leicht und trat einen Schritt zurück. "Das verstehe ich, das Gefühl kenne ich auch. Meistens, wenn ich neben Lewis stehe, vor allem in Zauberkunst. Also, worauf warten wir?"

Auf Shawns Angebot, mir noch einmal die Theorie zu erklären, verzichtete ich dankend. Die Theorie kannte ich in- und auswendig und dank Shawns einmaliger Hilfe konnte ich sie ansatzweise umsetzen.

Ich hoffte einfach auf den Schalter, dass er nun endlich Klick machte.

Als mein Name bei der Quidditchauswahl gesagt wurde. Das Gefühl war noch nicht so alt und ich war so stolz gewesen, wie lange nicht mehr. Ich entschied mich für diese Erinnerung.

"Expecto Patronum", sagte ich selbstbewusst und zu meiner großen Überraschung passierte etwas.

Der Patronus hatte etwa die Größe eines Blumenstraußes und schwebte für einen kurzen Moment vor mir, dann löste er sich auf.

Instinktiv blickte ich zu Shawn, der mich mit einem offenen leichten Lächeln ansah. Als sein Blick schließlich meine Augen einfing, passierte etwas in mir. 

Für einen Moment hatte ich das Gefühl, als kenne ich ihn schon ewig. Es war ein vertrauter Blick. Ich hatte das erste Mal nicht das Verlangen, wegzusehen. Als wäre Shawn Teddy oder Alia, ein langjähriger Freund.

Was er jetzt wohl dachte? Hatte Flint recht und es war alles nur ein Spiel für ihn?

Nein, das konnte nicht sein. Ich wusste, wie Menschen sich verhielten, was sie dachten und wie sie fühlten. Shawn log mich nicht an. Dieser Blick war voll von Ehrlichkeit, niemand hätte so gut lügen können.

Es fühlte sich vertraut an und gleichzeitig so unheimlich komisch. Ich kannte Shawn noch nicht lange. Eigentlich dachte ich wie jeder andere ihn zu kennen, doch ich tat es nicht - und er kannte mich nicht.

Konzentriert versuchte ich das Kribbeln auf meiner Haut zu unterdrücken. Was passierte hier nur? Ich fühlte mich allein gelassen, inmitten lauter unbekannten Situationen, Gedanken und Gefühlen, in denen ich beinahe ertrank.

Ich hasste ungewohnte Situationen.

"Expecto Patronum."

Es klang nicht sehr überzeugend und ich achtete auch nicht wirklich auf die Erinnerung selbst, sondern mehr darauf, an sie und nichts anderes zu denken.

"Klasse, Kassy!", jubelte Shawn und kam auf mich zu. "Das ist schon richtig gut!"

Überrascht schaute ich auf den Patronus, der aus meiner Zauberstabspitze strömte und Shawns Gesichtszüge in gleißendes Licht tauchte.

Doch so schnell er gekommen war, ging er auch wieder. Das hielt Shawn allerdings nicht von seiner Begeisterung ab.

"Das war fantastisch! Total super! Siehst du, du kannst es doch!"

Anerkennend und fast ein wenig stolz klopfte Shawn mir auf die Schulter.

"Jetzt übertreibst du", rutschte es mir raus.

"Oh nein, du hast dein Ziel erreicht, das ist fabelhaft. Daran arbeiten wir weiter und dann bist du bald wieder an der gewohnten Spitze."

Er zwinkerte mir zu, doch ich schüttelte nur den Kopf.

"Ich bin nie an der Spitze", murmelte ich für mich. "Ich war noch nie dort und ich will auch nie da hin."

Ich hatte damit gerechnet, dass Shawn es nicht vernommen hatte. Dennoch folgte seine Antwort: "Eben ... von oben fällt man am Tiefsten."

Ich gab vor es nicht gehört zu haben und tat das, was ich am besten konnte: So tun, als ob ich selbstbewusst wäre, lächeln und das innere Verlangen, wegzurennen, unterdrücken.

"Das reicht erst mal", sagte ich laut, als wäre nichts gewesen. "Ich bin tatsächlich etwas erschöpft. Jetzt bist du dran."

Das war eine Lüge, eigentlich fühlte ich mich recht gut. Ich hatte es geschafft. Ich wusste nicht wie, aber ich hatte es geschafft. Das reichte mir als eine Bestätigung.

Auch Shawn verhielt sich für seine Verhältnisse normal und gab sich viel Mühe. Tatsächlich vollbrachte er es, sich schon beim zweiten Versuch ganz verschwinden zu lassen.

"Wow!", staunte ich und freute mich ein wenig. Shawn hatte es gemeistert, ich hatte es ihm beigebracht. "Jetzt bist du sogar besser als ich - hey, wo bist du?"

"Hinter dir", raunte Shawn neben meinem Ohr.

Ich fuhr atemlos vor Schock herum und hielt mir das Herz. Allerdings fand ich es - zu meiner eigenen Verwunderung - keineswegs seltsam oder peinlich.

Ich konnte mein Lachen nicht verhindern und musste mich hinhocken, um nicht umzufallen.

Zuerst hörte ich Shawn lachen, dann husten und schließlich den Gegenzauber keuchen. Er wurde wenige Meter vor mir entfernt sichtbar, wie er auf dem Boden saß und sich vor Lachen den Bauch hielt.

"Shawn", rang ich nach Luft, "dein Bein."

Für den Bruchteil einer Sekunde stand ihm die Panik ins Gesicht geschrieben, doch dann lachte er erneut los. Sein Bein war weg, oder besser gesagt, nicht zurückgekommen.

"Was glaubst du, was Dave sagen würde, wenn ich so zurückkomme? Ich könnte die Kante rot zaubern und so tun, als sei ich ein Kriegsheld!"

Shawn lag inzwischen auf dem Rücken und atmete zwischen den Lachern tief ein. Seine Bemerkung dämmte meine Fröhlichkeit auf eine seltsame Art und Weise ein, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

Mit einem möglichst überzeugendem Grinsen auf den Lippen stand ich auf, trat näher an den röchelten Ex-Schulsprecher und hielt ihm meine Hand hin.

Dankend griff er sie mit seiner Hand, die so viel größer war als meine eigene. Ich zog ihn zurück auf die Füße und er stützte sich an meiner Schulter ab. Ich ließ ihn.

"Ich weiß gar nicht, wieso ich das jetzt so lustig fand", stieß er hervor und grinste breit.

"Da steigert man sich rein", sprach ich aus Erfahrung und ein echtes Lächeln schlich sich zurück auf mein Gesicht.

"Und jetzt?", erkundigte Shawn sich, nachdem er sich einigermaßen beruhigt und sein Bein zurückgeholt hatte.

"Obliviate?", entgegnete ich keck und Shawn warf den Kopf in den Nacken.

"Du forderst mich heute ganz schön!"

Zum ersten Klingeln, was das Ende der dritten Stunde markierte, überzeugte Shawns Zauberstabbewegung und seine Aussprache mich. Wir gönnten uns eine kleine Pause, in der Shawn vorschlug, einfach so zu lernen.

Zuerst fragte ich ihn über Rougarous und Lethifolde ab (Shawn hatte in den Sommerferien stolz vorgearbeitet), dann über das amerikanische Geheimhaltungsgesetzt in den 1920ern und schließlich musste ich die zwölf Anwendungen von Drachenblut aufzählen.

"Gut, du hast nur die Siebte vergessen", lobte Shawn mich. 

"Brandfleckenentferner!", fuhr ich aufgeregt dazwischen. "Ich vergesse immer die des Brandfleckenentferners!"

"Maddox wird das sicher nicht mehr vergessen ..."

Ich stimmte in Shawns Lachen ein und verfolgte skeptisch, wie der Gryffindor sich von dem Tisch schwang.

"So, zum Abschluss bist du jetzt nochmal dran", veranlasste er.

Seufzend folgte ich ihm in die Mitte des Klassenzimmers und während Shawn sich in den Hintergrund verzog, zückte ich meinen Zauberstab.

Einerseits hatte ich keine Lust, mich zu konzentrieren, andererseits wollte ich ein erneutes Erfolgserlebnis erzielen.

Also beschloss ich auf meine Ravenclaw-Art an die Sache heranzutreten.

Analytisch setzte ich eins und eins zusammen. Ich hatte mir diesen Denkvorgang für diesen Moment aufgehoben, weil ich keinen Nerv übrig hatte, mich wann anders damit auseinanderzusetzten. Doch die verstrichene Stunde war der Beweis.

Ich musste es mir eingestehen: Es klappte immer dann, wenn Shawn mit ihm Spiel war. Wann immer ich an ihn gedacht hatte oder er nur am Rande meiner Gedanken aufgetaucht war, passierte es.

Ich hielt es für völlig bescheuert. Ich kannte Shawn nicht lang und auch nur sehr lückenhaft.

Aber ich ließ keine Möglichkeiten offen.

Ich schloss die Augen und rief mir das Kribbeln zurück ins Gedächtnis. Wie Shawn neben mir gestanden und mir geholfen hatte. Es funktionierte, das Gefühl kam erneut hoch. Wie mir schlecht wurde, als er mir sagte, er hätte mich wiedererkannt. Als er mir zum Auswahlspiel gratuliert hatte. Als er mich am Donnerstagabend einfach so umarmte und wie er mich anlächelte, jedes Mal, wenn er mich sah.

Ich hörte mich: "Expecto Patronum", sagen. Es lief automatisch ab, als würde eine innere Kraft von alleine handeln, weil sie wusste, dass ich bereit war.

Das Kribbeln fuhr durch meinen ganzen Körper. Es elektrisierte mich und ließ mein Herz rasen.

"Merlins Unterhose!", rief Shawn begeistert. "Du - oh Mann!"

Ich riss die Augen auf und verfolgte das kleine Tier auf den letzten Metern.

Es hatte funktioniert. Es hatte funktioniert, als ich an Shawn gedacht hatte.

Diese Tatsache war mir so peinlich, dass der gestaltliche Patronus wieder verschwand, bevor er sich komplett gebildet hatte.

"Wow! Kassy, das war fantastisch! Ich bin - begeistert! Du bist so gut!"

Shawn kam aufgeregt auf mich zu und ehe ich es verhindern konnte, umarmte er mich erneut. Ich wollte lächeln, doch die Peinlichkeit steckte noch so tief in meinen Knochen, dass ich Shawn nur zurück drücken konnte.

"Was war es für ein Tier?", fragte ich heiser. "Ich hab es nicht erkannt."

Shawn ließ mich los und strahlte mich an. "Etwas kleines, ähnlich wie ein Otter, aber was genau, weiß ich auch nicht", sagte er, ohne dass seine Mundwinkel sich senkten. "Aber es war großartig!"

Obwohl ich der festen Überzeugung war, dass Shawn in seiner Freude maßlos übertrieb, musste ich lächeln. 

Jetzt, wo ich es geschafft hatte, fühlte es sich nicht so aufregend an, wie ich es mir vorstellt hatte. Vor mir hatten es schon viele geschafft. Viele beim ersten Versuch, ich hatte kein Recht, mich zu freuen.

"Kassy? Alles okay?", fragte Shawn mich besorgt.

Doch, ich hatte ein Recht mich zu freuen. Ich konnte in der nächsten Verteidigungsstunde beweisen, dass ich nicht unfähig war. Die nächste Stunde war schon morgen - morgen würde es bergauf gehen.

"Alles Bestens", grinste ich. "Nochmal?"

Shawn lachte. "Nein, warte lieber bis - wann ist deine nächste Stunde?"

"Morgen."

"Dann warte lieber bis morgen", riet er mir. 

Er setzte sich auf den Boden und bedeutete mir, es ihm nach zu tun.

"Es nagt an den Kräften, auch wenn du es nicht merkst", erklärte er, schmunzelte mich an und zauberte einen Schokofrosch aus dem Nichts. "Hier, iss Schokolade. Das hilft."

ϟ          ϟ          ϟ

Kassy hat es geschafft. Was könnte wohl ihr Patronus sein - irgendwelche Ideen?

Geht es noch irgendeinem wie mir - kurz vorm Verrecken wegen einer Erkältung?

Wenn ja, dann gute Besserung. Bis demnächst, Amelie :)

Next Update ⥋ 07.11.2017 (Tuesday)

[02.11.2017]

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