Kapitel 10 ϟ Shot
Stargazing - Kygo & Justin Jesso♪♫
"Och komm schon, Kassy, bitte!", flehte Alia und zog an meinem Arm. "Nur 'n bisschen, dumuss auch probiern!"
"Lil, nein! Ich helfe Teddy jetzt, diese scheiß Party zu beenden!"
"Das schafft ihr eh nicht!", mischte Katie sich gut gelaunt ein.
Ich fuhr herum und unsere Köpfe knallten beinahe aneinander. "Du auch?", stellte ich enttäuscht fest.
"Ich wollte es nicht so weit kommen lassen, echt nicht, aber Hölle ist dieses Zeug gut! Außerdem hat Teddy gesagt, dass er alles im Griff hat."
Fragend drehte ich mich zu Teddy, doch dieser war schon wieder verschwunden. Ich entdeckte ihn an der Stelle, wo die drei Erstklässler von der Decke hingen.
"Lil, lass mich mal bitte los", forderte ich meine Freundin auf und schüttelte meinen schmerzenden Arm ein wenig.
"Nein, du bisso schön kuschelig", nuschelte sie in meinen Umhang und klammerte sich noch fester.
"Hör zu, ich mach dir ein Angebot: Ich probiere einen Schluck Feuerwhisky und du lässt mich los. Deal?"
Alia nickte heftig und murmelte etwas Unverständliches.
"Ich geh was holen", flötete Katie gut gelaunt.
Ich zog Alia schon ein wenig in Teddys Richtung, kam aber mit ihr an mir nicht wirklich weit. Katie tauchte relativ schnell wieder auf und streckte mir begeistert eine halbleere Flasche entgegen.
Ich wollte nicht wissen, wie viele Leute - und vor allem wer - schon aus dieser Flasche getrunken hatten, aber ich hatte keine Zeit mehr, um auch noch nach einem Becher zu fragen. Primär, weil mein Arm gerade starb.
"Also gut", presste ich hervor und nahm Katie die Flasche ab.
Ich atmete kurz durch, ehe ich die Flasche ansetzte und einen Schluck nahm. Als ich absetzen wollte, löste Alia ihren freien Arm und benutzte ihn, um mir die Flasche an den Mund zu drücken.
So flossen noch drei weitere Schlucke meine Kehle herunter, bevor Alia plötzlich los ließ, die Flasche abrutschte und sich der restliche Inhalt auf dem Teppich ergoss. Nun war nur noch eine Pfütze auf dem Flaschenboden, den Alia ohne Wenn und Aber einfach austrank.
Der Alkohol brannte stark in meinem Mund und ich spürte, wo meine Speiseröhre saß. An den Geschmack konnte man sich gewöhnen, an das Brennen eher weniger.
Ich schüttelte mich und verzog das Gesicht.
"Nicht gut?", fragte Katie enttäuscht.
"Wie haben sie dich dazu gebracht, das Zeug zu trinken?", wollte ich ahnungslos wissen.
"Ach, Teddy hat ..."
Ich ignorierte Katies Erklärung, da die Erwähnung von Teddy mich wieder an mein ursprüngliches Vorhaben erinnerte.
Mit dem unangenehmen Brennen und einer seltsamen Wärme in meinem Oberkörper schlug ich mir meinen Weg zu Teddy vor, der auch den letzten Erstklässler von der Decke holte.
"Ey, kein Wort", beugte Teddy sich gerade über die drei Zwerge, "zu irgendeinem Lehrer, oder ich" - Teddy stieß kurz auf - "oder ich bring euch zurück da hoch, verstanden?"
Ängstlich nickten die drei Kleinen. Ihre Köpfe waren hochrot, da ihr gesamtes Blut hinein gelaufen war. Wie ich vermutete, hatten sie schon eine ganze Zeit da gehangen.
"Gut", lächelte Teddy hochzufrieden. "Und jetzt verpisst euch!"
Die Erstklässler zuckten vor Schreck zusammen und rannten voller Panik in Richtung der Stufen zu den Schlafsälen.
"Teddy, was soll das?", fragte ich ihn und versuchte, das Brennen zu ignorieren.
"Ich hab nur dafür gesorgt, dass sie uns nicht verpetzen", verteidigte er sich empört.
"Wir sollten dafür sorgen, dass das hier aufhört, damit uns niemand verpetzen muss! Wenn ich erwischt werde, dann kann ich mein Vertrauensschüleramt vergessen, ich bin schon verwarnt! Und du erst recht, du bist jetzt Schulsprecher! Stell dir mal vor, Shawn wäre hier, dann wäre der Basilisk unter den Hähnen!"
"Dann rette mal so viele Hähne wie du kannst, der Basilisk ist eingetroffen", sagte Teddy, stolz auf sein Wortspiel.
"Was?", fragte ich verwirrt.
"Na ja, der Basilisk - nein, Moment, das passt nicht."
Teddy verzog das Gesicht und dachte scharf nach. Es ähnelte einem Kleinkind, was fieberhaft versuchte, den Würfel durch die Dreiecksform zu drücken.
"Ist doch egal", winkte Teddy beleidigt ab, "da ist dein Shawn, du Spinner."
Ich riss die Augen auf und drehte mich erschrocken um. Shawn stand mit geöffnetem Mund vor dem Portraitloch und beobachtete die Masse, die immer noch tanzte und sang.
Sofort bahnte ich mir den Weg zu ihm vor, was sich als äußerst schwierig gestaltete. Wenn man sich überwunden hatte, die Schüler zu fragen, ob sie Platz machen könnten, hatten sie einen nicht gehört und die Lücken, wo man hätte durchschlüpfen können, schrumpften mit jedem Schritt.
Ich tickte einen Jungen an, der Rücken an Rücken mit Dominic Russell stand. Die Wahl zwischen einem Unbekannten und Dominic fiel mir nicht schwer.
Doch zu meinem Unglück drehte sich der Unbekannte um und entpuppte sich als Evan.
"Kassy! Du hier? Ich glaub's ja nicht! Mensch, bist du groß geworden!", rief er begeistert und umarmte mich. "Ich hab dich in letzter Zeit gar nicht gesehen! Alles Gute zum Geburtstag! Hattest du doch, oder?"
"Ja rate mal, wieso ich hier bin", murmelte ich. Evan war anscheinend doch ziemlich betrunken, wenn er sich nicht mal daran erinnerte, dass er mich seit einer geschlagenen Woche ignorierte.
Doch immerhin hatte ich so weit Glück, dass Dave und Flint nicht bei ihm standen. Lediglich Elise, Weena und Evans bester Freund Jace beäugten mich mit schief gelegten Köpfen.
"Was hast du gesagt?", fragte Evan und hielt sein Ohr näher an meinen Mund.
"Egal. Kann ich durch?"
Evans Kopf bewegte sich zurück und ein breites Grinsen schlich sich auf seine Lippen.
"Kassy, sag mal, hast du schon mal Bacardi getrunken?", fragte er verschmitzt.
"Evan, bitte. Ich hab's eilig."
"Nur wenn du probierst", bestimmte er und nahm den ihm von Jace gereichten Becher entgegen.
"Gib her", stöhnte ich ungeduldig, riss ihm den Becher aus der Hand und trank den ganzen Inhalt.
Evan und Jace jubelten laut, während Elise und Weena mich mit hochgezogenen Augenbrauen musterten.
Das Zeug brannte noch stärker als der Feuerwhisky.
"Bah, was ist das für ein Russenzeug?", würgte ich.
"Ist nicht russisch, ist aus dem guten alten Britland", brüllte Evan mir gegen die Musik entgegen, die soeben lauter geworden war, da die Schwestern des Schicksals nun durch Celestina Warbeck ersetzt wurden. Ich hasste Schlager, aber irgendwie sang jeder zweite Schüler nun begeistert Ein Kessel voller heißer, starker Liebe mit. Dass sowas überhaupt noch gespielt wurde, ließ mich erneut würgen.
"Das Zeug gehört hundert Prozent verboten!", schüttelte ich den Kopf.
"Nich hundert, nur vierzig", widersprach Jace und Evan krümmte sich vor Lachen.
Ich verstand den Witz dahinter nicht, was mir aber egal war. Evan war unabsichtlich zur Seite getreten und ich konnte die letzte Hürde überwinden.
Doch Shawn stand nicht mehr vor dem Portraitloch. Ich stampfte ärgerlich auf und kletterte auf den nächsten freien Sessel, um mir einen Überblick zu verschaffen.
Der Gryffindor-Gemeinschaftsraum war nicht sonderlich groß, doch es waren verdammt viele Schüler hier, sodass ich Shawn unter den schwarzen Strichen nicht finden konnte.
Deswegen zog ich meinen Zauberstab, legte ihn flach auf meine Hand und befahl ihm, wie schon am Wochenende, in Shawns Richtung zu zeigen.
Der Ahornstab drehte sich kurz und zeigte dann in die Richtung der Treppen.
Ich nahm ihn von meiner Hand und suchte fieberhaft nach Shawns braunen Haaren, was nicht sonderlich einfacher war, da so gut wie jeder Junge braune Haare hatte.
Doch dann sichtete ich Shawn, wie er versuchte, sich den Weg zu Dave und Flint zu erkämpfen.
Das musste ich unter allen Umständen verhindern, die beiden würden ihn abfüllen und dann hatte er ein mächtiges Problem.
Ich sprang vom Stuhl und nahm nun keine Rücksicht mehr auf irgendwelche betrunkenen Siebtklässler, die mich anpöbelten, als ich sie zur Seite schubste.
"Shawn!", rief ich aus vollem Hals. Dabei kam der Geschmack von Evans Zeug wieder hoch und ich biss die Zähne zusammen. Es war widerlich. "Shawn!"
Kurz bevor er bei Dave angelangt war, bekam ich seinen Umhang zu fassen. Shawn war von der ruckartigen Bremse so überrascht, dass er ausrutschte, auf den Boden fiel und mich mit sich zog.
"Fledermausmist, Kassy!", stöhnte er und hielt sich den Kopf.
"Shawn, du musst hier weg", sprudelte es aus mir hervor. Diesmal verschluckte ich mich nicht, noch blieb mir der Satz im Hals stecken. Nicht mal mein Herz pochte - eigentlich schon, das lag aber an meinem sportlichen Einsatz.
"Was ist hier los? Du hast von einer kleinen Party geredet!"
Shawn rappelte sich auf und ich nahm dankend seine helfende Hand, um mich aufzurichten.
"Ich weiß, aber durch einen Unfall hat wohl der Besen gebuckelt und Teddy hat die Kontrolle verloren", erklärte ich Shawn das, was ich wusste.
"Teddy ist hier? Wieso unternimmt er nichts?", sprach Shawn das aus, was ich mich von Anfang an gefragt hatte.
"Der ist vom Besen geflogen, du weißt schon, Feuer brennt, aber Kessel ist leer. Nicht mehr zu gebrauchen. Wir beide müssen jetzt nur sehen, dass wir hier schleunigst raus kommen."
"Wieso?", erkundigte Shawn sich. "Ich muss Dave und Lewis hier auch raus schaffen."
"Sind Dave und Flint Vertrauensschüler, die eine fette Verwarnung haben und sozusagen auf Bewährung stehen?", brüllte ich ihn gegen den Gesang an, der soeben angeschwollen war, da es zum letzten Refrain von Warbecks Megahit kam.
"Nein, ich versteh ja schon. Okay, komm. Eve ist noch in der Bibliothek, wir sorgen dafür, dass sie McGonagall holt", schlug Shawn vor und ich nickte unterstützend. Endlich mal jemand, mit dem man vernünftig planen konnte.
Ich konnte es wirklich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, meine Freunde einfach so zu verpetzen und ihnen mächtigen Ärger einzuhandeln, aber ich hatte keine Wahl. Shawn und ich würden das auch mit Teddys betrunkener Hilfe nicht beenden können und bevor noch irgendwas Schlimmes passierte, wollte ich wenigstens den Ärger so gering wie möglich halten.
Shawn und ich drängelten uns durch die Masse zurück zum Ausgang und der Gryffindor wollte mir gerade den Vortritt lassen, da hörte ich zwei Jubelrufe, die ganz eindeutig nach Alia und Henry klangen.
Das Schlimmste erwartend drehte ich mich zu der Quelle und sah, wie die beiden im Rekordtempo eine Metflasche nach der anderen exten. Erst staunte ich nicht schlecht, denn Alia war unter normalen Umständen sehr schlecht darin, überhaupt einen Kelch Kürbissaft zum Frühstück zu trinken.
Aber dann verschluckte Alia sich, hustete und setzte die Flasche ab. Sie beugte sich nach vorne, der Inhalt der Flasche ergoss sich über ihrem Umhang und dann kippte sie vom Stuhl.
"Oh, Fuck!", schrie ich so laut, dass sich die umstehenden Hufflepuffs erschrocken umsahen.
"Was ist?", fragte Shawn ängstlich.
"Geh schon mal vor, ich muss mich um Lil kümmern", wies ich ihn an.
"Nein Kassy, das geht nicht. Du hast selbst gesagt, dass wir beide tief in der Drachenscheiße stecken, also komm", verlangte er und umfasste meinen zerquetschten Arm.
Der Schmerz von Alias Tortur durchzuckte mich. Dazu kam, dass der Geschmack des Alkohols wiederkehrte und ein komischer Schalter in meinem Kopf, der nie zuvor betätigt wurde, klick machte.
"Shawn, verpiss dich jetzt!", brüllte ich ihn an, was für die Außenstehenden glücklicher Weise in der Musik unterging.
Einen Moment lang sah Shawn mich verletzt an. Der gleiche Blick, den ich auch schon an meinem Geburtstag zu sehen bekommen hatte. Dieser Blick traf mich, schlug direkt in mein Gewissen ein und ich wollte mich entschuldigen, aber es ging nicht.
"Bitte", flehte ich ihn förmlich an.
Shawns Lippen wurden zu einem Strich, er ließ meinen Arm los und nickte enttäuscht.
"Okay, aber beeil dich", gab er sich geschlagen.
Ich nickte heftig und lief in Alias Richtung. Wie ich erwartet hatte, scherte sich niemand um sie, weswegen sie mit leuchtenden Augen auf dem Boden saß und den anderen von unten in die Nasenlöcher blickte.
"Kassyleiniiii!", quiekte sie begeistert, als sie mich entdeckte. Ich stellte mich neben sie und meine Freundin umklammerte sogleich mein Bein.
Ich schwor, wer auch immer Alia abgefüllt hatte, ich würde ihn umbringen.
"Alia, Mann ey, geh bitte ins Bett", jammerte ich und versuchte sie am Arm hochzuziehen.
"Nö, ich will nich hoch gehn", weigerte Alia sich und klammerte sich fester an mein Bein.
"Lil, bitte", versuchte ich sie zu überreden. "Gleich kommt ein Lehrer, du kriegst so schon genug Ärger."
"Ärger is was für Anfänger, ich bin Profi", lachte Lil. Ich stöhnte.
"Komm, wir spielen ein Spiel, okay?", versuchte ich es auf die Kleinkinderweise.
"Nö, ich will nich spielen. Ich hab Durst. Und irgendwie auch Hunger. Auf Wurst. Oha Kassy! Hast du das gehört? Das hat sich gereimt!"
Lil lachte begeistert. Wieso waren betrunkene Menschen so anstrengend?
"Kassy, scheiß auf Schule. Ich werd' Dichter", sagte Alia völlig ernst.
"Du bist schon dicht genug", knurrte ich wütend.
"Ich will mehr Met!", rief Alia laut.
"Nein!", sagte ich bestimmend und zog sie auf die Beine.
"Doch, ich bin mir sicher, dass da noch was geht!" Dann lachte sie los. "Hast du gehört? Ich bin Profi im Reimen. Ich trag jetzt ein Gedicht vor."
Fest entschlossen kletterte Alia zurück auf den Stuhl und von da aus auf den Tisch.
"Nein! Lil, komm da runter! Bitte!", rief ich zu ihr hoch, doch sie hörte mich nicht.
"Ein Gedicht!", schrie Alia aus vollem Halse, sodass sich alle im Umkreis von einem Meter umdrehten - und das waren mehr als genug.
Ich gab es auf. Ich musste warten, bis sie ihren Willen bekam, vielleicht hätte ich dann eine Chance, zu ihr durchzudringen.
"Meine Freunde sind die Besten, das brauch ich nich zu testen."
Auf der anderen Seite hörte ich eine kleine Gruppe jubeln. Das konnte nur Tori sein.
"Teddy kann neuerdings Backflips und hat auch sonst viel Grips. Tori is Französin und macht mit mir viel Unsinn."
Wieder ein Jubeln. Definitiv Tori.
"Kassy ist die schlauste Ravenclaw auf der Welt, auch wenn sie sich für dumm hält."
Ich lief knallrot an, als sich alle Köpfe zu mir drehten, da Alia auf mich zeigte. Hoffentlich würde sich morgen niemand mehr hieran erinnern.
"Katie kommt aus London, wo die heißen Jungs wohn'. Warum sie noch kein' Freund hat, weiß ich auch nich."
Einige Schüler buhten und Alia stampfte wütend auf die Tischplatte.
"Das war mit Absicht kein Reim, du dummer Schlickschlupf! Das war ein gebrochener Reim, wegen des Inhalts! Sag mal, hast du noch nie was von Stilmitteln und Rhetorik gehört!", brüllte Lil einen Sechstklässler wutentbrannt an.
Jetzt entlockte sie sogar mir ein leichtes Grinsen. Ich musste ja zugeben, lustig war es schon.
"Henry kenn' ich noch nich lang, aber er ist ein super Mann. Olivia ist viel zu schlau, Davina ... macht wau! Tschau!"
Alia sprang vom Tisch, taumelte kurz, blieb jedoch stehen. Die anderen fingen an zu klatschen und zu jubeln und Lil verbeugte sich tief und ausgiebig.
"So, das reicht jetzt aber", bestimmte ich und zog Alia mit mir, die sich nun auch mitnehmen ließ.
"Wo gehn wir jetzt hin?", wollte sie wissen.
"An einen ganz schönen Ort. Und wenn du da bleibst, dann kaufe ich dir morgen was Schönes", log ich.
"Au ja! Was denn? Ich will Gummischnecken! Kauf mir Gummischnecken!"
"Ja, du kriegst Gummischnecken", seufzte ich.
Wir waren an der Treppe angelangt und Alia ließ sich bereitwillig von mir die Stufen hinauf begleiten.
Der Weg in den Schlafsaal war lang, da Alias wie meiner ganz oben lag. Schon nach ein paar Stufen wurde mir klar, dass das zu lange dauern würde.
Ich hatte zwar noch nie einen Menschen schweben lassen, aber einen Versuch war es wert.
Ich zückte meinen Zauberstab, konzentrierte mich, richtete die Spitze auf Alia und sagte deutlich: "Wingardium Leviosa!"
Alia erhob sich ein kleines Stück. Nicht viel, aber es reichte, um die Stufen problemlos zu überwinden.
"Kassy! Ich schwebe! Ich bin so toll!", rief Lil begeistert, als ich schnell die Stufen nach oben joggte und sie vor mir her schweben ließ.
Auf den letzten Stufen war ich außer Atem und konnte mich vor allem wegen Alias Gebrabbel nicht mehr konzentrieren und der Zauber brach ab.
Alia plumpste auf die Stufen und ich bewahrte sie davor, runter zu purzeln. Die Brünette wollte gerade ansetzten, etwas zu sagen, aber ich riss sie einfach am Arm die letzten vier Stufen nach oben. Ich hatte keine Zeit mehr.
Im Schlafsaal schmiss ich Lil aufs Bett, sagte ihr, dass sie dableiben und schlafen sollte und verriegelte mit Colloportus vorsichtshalber noch die Tür. Alia war hoffentlich zu betrunken zum Zaubern.
Ich wusste, dass die Zugänge zu den Schlafsälen der Mädchen in jedem der vier Häuser durch bestimmte Zauber geschützt waren. In Gryffindors Fall war es eine Rutsche, die ich nun ausnutzte. Ich hatte in Geschichte Hogwarts' davon gelesen und kannte den Zauber, der die Rutsche auslöste.
Ich wendete ihn an und befand mich in Nullkommanichts wieder unten, wo die Party nach wie vor im vollen Gange war.
Zu meiner großen Erleichterung befand sich noch kein Lehrer hier. Meine letzte Chance, mich aus dem Drachenmisthaufen zu ziehen.
Ich wollte schnell unter den Schülern durch tauchen, rannte jedoch schon nach drei Schlangenlinien in Luke Bell, der laut rumbrüllte.
"Ey! Mach mal einer diesen Muggelscheiß aus!", röhrte er über die Köpfe hinweg.
Das Radio spielte tatsächlich Musik, die ich nicht kannte. Zuhause war durch meinen Vater so gut wie alles, was mit Muggeln zu tun hatte, verboten. Sogar Saiph hielt nicht viel von der Muggelmusik, und die probierte alles aus, was Dad uns verbot.
"Was hast du gegen die Musik?", kam es von der anderen Seite von Jace.
"Diese scheiß Schlammblutmusik kannst du bei deiner wertlosen Muggelmutter hören, aber nicht in meinem Gemeinschaftsraum!", brüllte Luke laut und ausnahmslos jeder Kopf drehte sich in seine Richtung.
Ob Luke nun rassistisch oder einfach nur betrunken war - Jace interessierte das herzlich wenig und er rannte auf Luke zu. Die Gasse dorthin öffnete sich von selbst und bei dem Sechstklässler angelangt schmiss Jace sich auf ihn.
Irgendwer drehte die Musik ein wenig leiser, doch der Lautstärkepegel des Raumes wurde dadurch nicht verändert, da die Mädchen zu kreischen und die Jungs zu jubeln anfingen.
Die beiden Gryffindors verpassten sich gegenseitig einige Schläge und ich schaute entsetzt zu. Das war genau das, was ich mit schlimmer werden meinte.
Als Jace von Luke weggetreten wurde und wehrlos auf dem Rücken lag, erhob Luke sich und wollte sich mit der Schulter zuerst auf Jace schmeißen, da rannte eine andere Gestalt auf Luke zu.
Lewis Johnson rammte seine Schulter mit voller Geschwindigkeit gegen Lukes Brustkorb, woraufhin dieser nach hinten taumelte und umfiel. Lewis schmiss sich auf Luke und schlug zu.
Luke verpasste Lewis einen sauberen Schlag aufs Auge. Der Getroffene wich zurück, doch bevor Luke weiter schlagen konnte, griff Jace ihn erneut an. Die Musik war mittlerweile ganz aus und man hörte nur noch die Rufe der Umstehenden und das Keuchen der Jungs.
Was die Wenigsten wussten, war, dass Jace Jones und Lewis Johnson Brüder waren.
Lewis war der Cousin von Fred Weasley; das war einigen bekannt, aufgrund seines Nachnamens und der Verbindung zu Freds Mutter Angelina Johnson, die wegen ihrer Quidditchkünste einen Namen trug.
Allerdings wusste ich mehr, weil Teddy mehr wusste. Lewis' und Jace' Eltern hatten sich früh zerstritten, weswegen Lewis bei seinem Vater Raphael blieb und Jace den Namen seiner Mutter annahm und zu ihr zog.
Lewis und Jace pflegten kein sonderlich gutes Verhältnis, doch Lewis' Einsatz zeigte, dass wenigstens er die Eier hatte, seinem Bruder zu helfen. Ganz im Gegensatz zu Evan, der nur starr am Rand stand und zusah.
Jace war im Begriff, Luke endgültig zu Boden zu bringen, obwohl der Sechstklässler bereits aus der Nase und an der Lippe blutete, da ertönte das Geräusch, das jeder Gryffindor kannte.
Das Portraitloch schwang auf.
Ich beobachtete, wie einige Schüler der höheren Jahrgänge Desillusionierungszauber auf sich legten, wie Weena zum Beispiel. Wenn sie hier erwischt werden würde, dann hätte sie als Quidditch-Kapitänin mächtige Probleme.
Einige Erst- und Zweitklässler rannten in die Schlafsäle, auch Akira Llewellyn und Enya Whisp huschten an mir vorbei. Irgendjemand musste die beiden endlich freigelassen haben. Hinten in der Ecke sah ich James Potter und Fred Weasley, wie sie unter einem Tarnumhang verschwanden.
Jace' Faust sank langsam nach unten. Auch Luke machte keine Anstalten mehr, Jace wehtun zu wollen. Sogar Lewis ließ die perfekte Chance verstreichen, sich und seinen Bruder in Sicherheit zu bringen.
Nun lagen alle übrigen Blicke auf dem Durchgang.
Als Professor McGonagalls spitzer grüner Hut in den Gemeinschaftsraum ragte, wich Jace augenblicklich von Luke und setzte sich neben Lewis.
Doch es war zu spät; Professor McGonagall wusste auf den ersten Blick, was hier los war.
"Würgende Wasserspeier - was zum Merlin haben Sie getan?"
Hätte Professor McGonagall mit Wut gesprochen, hätte ich das bekommen, was ich erwartet hatte. Doch aus ihrer Stimme sprach keine Wut - es war pure Enttäuschung.
Und das traf nicht nur mich mitten in die Brust.
Viele Schüler senkten betroffen die Köpfe, einige Mädchen - angetrunken oder nicht - schluchzten und wischten sich die Tränen aus dem Gesicht.
Professor McGonagalls Blick haftete auf den drei Jungen am Boden. Luke lag auf dem Rücken und hielt sich die blutende Nase, Lewis lehnte an einem Sessel und presste sich die Hände auf sein Auge, und Jace kniete vor Lewis, seine linke Hand auf die Wange drückend, in der tiefe Kratzspuren verewigt waren.
"Ich - bin tatsächlich sprachlos. Sie bekommen hier nicht nur Magie, sondern auch Anstand gelehrt, und was finde ich vor? Drei meiner besten Schüler auf dem Boden, blutend. Eine Party mit jeder Menge Alkohol, die man von draußen riechen kann. Und Schüler aller Altersklassen und diesem Anblick nach auch diverser Häuser in meinem - ehemaligen - Gemeinschaftsraum, die den Kessel anheizen."
Betreten senkte sich nun auch mein Blick auf den Boden. Ich war überrascht, wie still es war und umso beruhigter, dass sich Alia vorerst sicher oben befand.
"Ich würde Sie umgehend alle nach Hause schicken, doch dann bliebe von meiner Schule allem Anschein nach kaum noch etwas übrig. Das ist eine Schande, wie Sie den Namen Gryffindors derart besudeln, dass selbst ein Bergtroll fliehen würde. Wer - und wagen Sie es ja nicht, mich anzulügen - ist für diese Entehrung verantwortlich?"
Einige Köpfe hoben sich an und Augenpaare suchten nach den Schuldigen, die durch den Raum verstreut standen.
Tori war die Erste, die nach vorne trat und sich stellte.
"Ich, Professor. Es tut mir leid", sagte sie leise. Ihr Kopf senkte sich und ihre langen hellen Haare fielen ihr vor das hübsche Gesicht.
Als auch Katie nach vorne trat, suchte ich fieberhaft nach Teddy. Der Schulsprecher stand neben dem Kamin und schaute mich an, als hätte er nur darauf gewartet, meinen Blick aufzufangen.
Fast unmerklich schüttelte er seinen Kopf und ich nickte ebenso unauffällig.
Ich durfte mich nicht ausliefern. Es war nicht meine Schuld, doch es brach mir das Herz, meine Freunde zu sehen, wie sie vor allen bloßgestellt wurden und sich selbst opferten, um den Ärger ihres Lebens zu bekommen.
Ich wollte in diesem Moment bei ihnen sein, aber gleichzeitig erinnerte Teddy mich daran, dass ich es nicht konnte. Es wäre mein Ende. Mir wurde klar, dass ich nicht nur mein Abzeichen verlieren würde, sondern tatsächlich von der Schule geworfen werden könnte.
Mein Herz bekam einen Riss, als Teddy sich zu Tori und Katie stellte und noch einen, als Henry als Letzter nach vorne trat. Vor allem Teddy wurde von Professor McGonagall enttäuscht angesehen.
"Ich sehe, eine gemischte Verteilung. Ganz wunderbar", sprach Professor McGonagall bitter.
Sie zückte ihren Zauberstab und machte drei kleine Schlenker. Neben ihr tauchten aus dem Nichts eine Feder und ein Stück Pergament auf. Die Feder schrieb wie verrückt Sachen auf und ich war mir ziemlich sicher, dass es sich dabei um die Namen aller Anwesenden handelte.
"Homenum Revelio", rief Professor McGonagall, schwang ihren Zauberstab in einer großen Bewegung und sämtliche Desillusionierungszauber wurden aufgehoben.
Doch wie ich aus dem Augenwinkel beobachtete, blieben James und Fred unter dem Tarnumhang geschützt, da sie nicht auftauchten.
"Jedem hier anwesenden Schüler werden zehn Hauspunkte abgezogen. Jeder Schüler, der nicht dem Hause Gryffindors angehört, verlässt umgehend diesen Raum. Ich verlange, nie wieder einen von Ihnen hier zu sehen. Sie gehen in Ihre Gemeinschaftsräume und warten dort auf Ihre Hauslehrer."
Ich beobachtete Flint, wie er sich stumm von Dave verabschiedete. Weena, die hochrot an der Wand zum Ausgang huschte. Kieran und Isabelle, wie sie Hand in Hand flüchteten. Olivia und Davina, wie sie an Professor McGonagall vorbei schlichen.
Und dann wurde mir plötzlich bewusst, dass auch ich nicht hier her gehörte.
Mit gesenktem Kopf ließ ich als letzte Fremde Henry und Teddy vor Professor McGonagall stehen. Als ich an der Schulleiterin vorbei schritt, hörte ich sie leise seufzten. Allerdings traute ich mich nicht, aufzusehen und zu prüfen, ob dies wirklich mir galt.
Trotz aller Warnungen schaffte ich es nicht, meine Freunde allein zu lassen.
So leise, dass Professor McGonagall es hoffentlich nicht hören konnte, belegte ich mich mit einem Desillusionierungszauber, stellte mich dicht an die Wand gedrückt in den Durchgang, kurz vor das Portraitloch, und lauschte.
"Meine Damen und Herren, auf Sie wartet eine saftige Strafe. Sie gehen sofort in Ihre Schlafsäle und bleiben da, bis Professor Longbottom Sie holt. Und versuchen Sie gar nicht erst, sich zu drücken. Ihre Namen wurden auf der Liste vermerkt. Jetzt!"
Ich hörte, wie sich alle in Bewegung setzten. Nach gut einer Minute wurde es still.
"Nun gut, das wird jetzt eine nette kleine Runde", sprach Professor McGonagall und lief der Lautstärke ihrer Stimme nach durch den Raum.
"Professor - ", setzte Teddy an, wurde jedoch von der Schulleiterin unterbrochen: "Einen Moment noch, Mr. Lupin."
Ich ordnete ihre Stimme der Nähe des Kamins zu. Gespannt darauf, was nun folgte, fuhren meine Augenbrauen in die Höhe, doch mit dem sich dann Anschließenden hatte ich nicht gerechnet.
"Ich beglückwünsche Sie für Ihren sehr gut gelungenen Desillusionierungszauber, Miss Bole, aber auch Sie dürfen jetzt aus Ihrem Versteck herauskommen."
ϟ ϟ ϟ
Autsch, voll erwischt.
Was Kassy jetzt wohl erwartet? Was war eure Lieblingsstelle in diesem Kapitel?
Wie fandet ihr Alias Gedicht? :D
Vielen vielen Dank für eure ganzen Kommentare, ich liebe es, sie zu lesen. Falls ich nicht immer Antworte, tut es mir leid, dann hat Wattpad mir es (mal wieder) nicht angezeigt. Wundert euch also nicht wenn ihr so ein halbes Jahr später auch mal eine Antwort bekommt xD
Bis demnächst, Amelie :)
Next Update ⥋ 14.10.2017 (Saturday)
[10.10.2017]
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