35. Lessons
Es dauerte ziemlich genau vierundzwanzig Stunden, bis Niall durch seine zahlreichen Kontakte, über die er verfügte, einen wie es schien, sehr kompetenten Psychologen in London aufgetrieben hatte. Und es dauerte einen weiteren Tag, bis wir beide dort gemeinsam vorsprechen durften, denn das war Nialls Bedingung gewesen.
Ich wusste, dass er sich diesen Psychologen sehr genau anschauen würde und feststellen wollte, ob ich gut mit ihm klar kam. Schließlich würde ich in den nächsten Monaten dort alleine vorbeischauen müssen, womit ich nicht unbedingt ein Problem hatte. Zumindest nicht, wenn die Chemie zwischen uns stimmte.
Nach meinen früheren Erfahrungen mit Frau Dr. Hoppenstett-Maus in München, legte ich nämlich keinen gesteigerten Wert mehr darauf, jemandem über den Weg zu laufen, der sich in seinem Fach nicht auskannte. Da Niall sich jedoch an meiner Seite befand, als wir das alte beeindruckende Gebäude betraten, in welchem sich die Praxis befand, hielt sich meine Aufregung einigermaßen in Grenzen. Während wir mit dem Aufzug in den zweiten Stock fuhren, drückte er leicht meine Hand, die er locker in der seinen hielt.
„Alles ok, Bel?", fragte er leise.
„Ja, alles bestens", erwiderte ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
„Hör zu, wenn du dich bei diesem Typen unwohl fühlst oder aus irgendwelchen Gründen den Eindruck hast, dass du auf Dauer nicht mit ihm klar kommst, dann lass es mich bitte später wissen", meinte er ruhig.
Ich blickte in seine Augen, die auf mein Gesicht fixiert waren und antwortete nun: „Du kannst dich voll und ganz darauf verlassen, dass ich das tun werde."
„Gut, dann bin ich beruhigt."
Niall atmete kurz erleichtert auf, bevor er mir einen sanften Kuss auf die Stirn drückte. Kurz danach machte der Aufzug halt, da wir an unserem Ziel angekommen waren. Die beiden Damen im Vorzimmer der Praxis betrachteten uns neugierig, als wir unser Anliegen vortrugen und Niall einfließen ließ, dass ein guter Freund von ihm seine Empfehlung für diese Praxis ausgesprochen hätte.
Schließlich führte uns die ältere der Beiden, ich schätzte sie etwa auf Mitte vierzig, direkt zu Dr. Halls, so lautete der Name des Psychologen, in das Behandlungszimmer. Dieser begrüßte uns freundlich, zuerst mich, dann Niall und forderte uns auf, Platz zu nehmen, bevor er seine Assistentin anwies, Getränke für uns zu bringen.
Als ich mich in einem der großen, bequemen Sessel niederließ, fühlte ich mich komischerweise sofort wohl. Niall saß direkt im Sessel neben mir und lächelte mir aufmunternd zu, was ich sehr süß fand.
Bevor die erste Sitzung startete, betrat die Assistentin mit einem Tablett, welches Wasser, sowie verschiedene Fruchtsäfte enthielt, das Zimmer, um dieses dann auf dem kleinen Beistelltisch abzustellen. Ich bediente mich am Orangensaft, während Niall sich mit einem Wasser begnügte. Es war bei Psychologen durchaus üblich, dass diese ihre Patienten immer mit Getränken versorgten, da durch das viele Sprechen der Hals sehr leicht austrockenen konnte.
Dr. Halls machte einen sehr netten Eindruck, als er zunächst einige allgemeine Fragen stellte, welche ich ohne jegliche Probleme beantworten konnte. Anschließend bezog er Niall in das Gespräch mit ein, was mir ziemlich gut gefiel. Es war die Art und Weise wie Dr. Halls redete und mit welcher er den Zugang zu mir fand.
Ich hatte keine Scheu, ihm alles über meine Vergangenheit zu erzählen und anschließend berichteten Niall und ich abwechselnd, wo und vor allem wie wir uns kennengelernt hatten. Dr. Halls notierte sich jedes Detail, das wichtig für den weiteren Behandlungsweg sein konnte, stellte mitunter Zwischenfragen und ließ sich dann von uns erzählen, was sich in den letzten Wochen zugetragen hatte.
Während ich redete, bemerkte ich, wie unsinnig mein Verhalten eigentlich gewesen war. Wie hatte ich nur so dumm sein können, Niall zu verlassen, ohne ihm die Chance zu geben, alles zu erklären? So geriet ich immer ein wenig ins Stocken, als ich mit meinen Ausführungen fortfuhr, was Niall und auch Dr. Halls zu bemerken schienen, aber sie verloren kein Wort darüber. Auch Niall sah mitunter nachdenklich aus, als er die ganze Sache nun aus seiner Sicht schilderte.
Dann kam der schwierigste Teil des Ganzen. Ich musste berichten, was sich in der Wohngemeinschaft, in meinem Zimmer zugetragen hatte. Immer wieder wurden die Gefühle, welche ich empfand, als Max mich schlug, in mir hochgepeitscht. Es war so unglaublich erniedrigend gewesen, vermischt mit einer wahnsinnigen Angst, dass noch etwas viel Schlimmeres geschehen könnte. Und es tat so unglaublich gut, sich nochmals alles von der Seele zu reden.
Niall hielt währenddessen meine Hand und strich beruhigend mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Als die ersten Tränen aus meinen Augen tropften, reichte Dr. Halls mir eine Kleenex Box, aus welcher ich eines der Papiertücher herauszog, um meine Augen zu trocknen. In Gegenwart eines Psychologen zu weinen war nichts Schlimmes, aber ich fühlte mich bei Dr. Halls wesentlich wohler, als bei meiner Ex-Psychologin in München, die es nicht geschafft hatte, meine Berührungsängste auch nur annährend verschwinden zu lassen.
Irgendetwas in meinem Innersten sagte mir, dass Dr. Halls anders war, dass ich Vertrauen zu ihm haben konnte, dass er mich nicht verraten würde, so wie meine Psychologin in München das tat, als sie mich in eine Klinik einweisen lassen wollte, da sie dachte Niall sei nicht echt. Ich merkte gar nicht, wie schnell die Zeit vorüberging und auch Niall reagierte höchst erstaunt, als Dr. Halls uns mitteilte, dass die erste Stunde nun beendet sei.
„So wie ich das sehen, haben Sie beide eine sehr starke Verbindung zueinander", bemerkte er jetzt.
„Könnte man so sagen", kam es von Niall, der noch immer meine Hand hielt.
„Das ist schön und es wird Ihnen mit Sicherheit viel helfen über diese Dinge hinwegzukommen."
Dr. Halls blickte mich freundlich lächelnd an, als er diesen Satz aussprach.
„Ich würde Sie beide gerne übermorgen wieder hier sehen. Ist das machbar?"
Er wandte sich Niall zu, der sogleich sein Handy zückte, um in seinen Terminkalender zu schauen.
„Das dürfte kein Problem sein", hörte ich meinen Freund sagen.
„Fein, dann verabschiede ich mich nun von Ihnen."
Dr. Halls reichte uns beiden nacheinander zum Abschied die Hand, bevor er uns aus seinem Zimmer entließ. Mein erleichtertes Aufatmen, als ich mit Niall die Praxis verließ, nachdem wir einen neuen Termin ausgemacht hatten, veranlasste meinen Freund dazu, eine Frage zu stellen.
„Denkst du, er ist ok?"
„Auf jeden Fall", antwortete ich sofort. „Weißt du, Niall, inzwischen habe ich genügend Erfahrungen mit Psychologen, um so etwas relativ rasch beurteilen zu können", setzte ich noch hinzu.
„Dann bin ich beruhigt."
Nach diesen Worten küsste er meine Nasenspitze, während wir auf den Aufzug warteten. Meine Gedanken standen nicht still, waren aufgewühlt durch das, was ich gesagt und auch von Niall gehört hatte. Wenn diese Woche zu Ende war, würde er nur noch eine Woche bei mir sein, bevor er nach Australien flog.
Ein wenig Angst hatte ich schon, dann ganz alleine hier in London zu sein. Obwohl, so ganz alleine war ich ja nicht, denn mein Freundeskreis hatte sich um einige Leute erweitert. Da gab es nicht nur Perrie, El und Sophia, sondern auch Kathy, Jonathan und Kyle, die sich um mich kümmerten, und mit denen ich jederzeit etwas gemeinsam unternehmen konnte. Außerdem würde mein Studium mir nicht mehr so viel freie Zeit lassen, wie ich diese bisher hatte genießen können. Ganz abgesehen davon, würde mir aber jener Mensch am meisten fehlen, der mein Seelenverwandter war: Niall.
Seufzend lehnte ich mich gegen ihn, nachdem wir den Aufzug betreten hatten, um ins Erdgeschoß zu fahren.
„Wir kriegen das schon hin, mein kleiner Rotschopf", murmelte er, seinen Kopf in meinen Haaren vergraben.
Ich mochte gar nicht an die Nacht denken, die uns bevorstand. Sicher würde ich wieder Albträume bekommen, denn erfahrungsgemäß wurden solche nach dem Besuch beim Psychologen immer erst ein wenig schlimmer, bevor eine leichte Besserung dahingehend eintrat.
Gut, dass ich genügend Erfahrung auf diesem Gebiet besaß, um Niall vorwarnen zu können. Er hörte mir auch geduldig zu, als wir wieder in seinem Apartment angekommen waren und meinte dann: „Ich habe es mir schon fast gedacht, dass so etwas passieren kann. Schließlich wird dein Innerstes wieder aufgewühlt, wenn du alles, was geschehen ist, erneut erzählen musst. Das erlebst du doch irgendwie alles noch einmal".
Er brachte es damit auf den Punkt. Ich hatte all das noch einmal erlebt, als ich Dr. Halls eine genaue Beschreibung der Ereignisse lieferte. Niall versuchte natürlich, mir diesen Abend so schön wie möglich zu machen.
Zuerst lud er mich zum Essen in ein kleines, aber sehr gutes Restaurant ein, dessen Nachtisch wirklich alles übertraf und anschließend besuchten wir die Spätvorstellung ein einem Kino. Mit einem großen Eimer Popcorn und zwei Getränken bewaffnet, suchten wir unser Plätze in der hintersten Reihe auf, wo wir völlig ungestört waren, da die Vorstellung nur spärlich besetzt war.
Zufrieden kuschelte ich mich in Nialls Arm und bediente mich am Popcorn, während wir darauf warteten, dass der Film endlich begann. Es fühlte sich toll an, nach langer Zeit mal wieder etwas ganz Normales mit Niall machen zu können. Niemand störte uns, wir wurden von der Dunkelheit des großen Kinosaals verschluckt, die uns eine gewisse Deckung und Anonymität gab.
Keine Fotografen, keine bettelnden Fans und keiner, der uns neugierig anstarrte. Wir konnten tun und lassen was wir wollten, etwas, was wir natürlich ausnutzten. Unzählige Male trafen sich unsere Lippen, verschmolzen miteinander, ebenso unsere Hände, die wir nicht voneinander lassen konnten. Ich kam mir vor, wie ein verliebter Teenager, der zum ersten Mal mit seinem Freund im Kino saß, um zu knutschen. Aber das störte mich nicht im Geringsten, im Gegenteil, ich fand es richtig aufregend. Doch als der Film dann endlich begann, lenkte sich unsere Aufmerksamkeit fast komplett auf die große Leinwand.
Als wir das Kino gegen ein Uhr in der Nacht verließen, glaubte ich erfrieren zu müssen. So bitterkalt war es in London schon lange nicht mehr gewesen. Niall versuchte alles, um mich zu wärmen, während wir zu seinem Wagen liefen, der Gott sei Dank eine Standheizung inklusive Fernbedienung besaß, welche bereits von Niall eingeschaltet wurde, sobald sich der Sensor dafür in Reichweite befand.
„Du bist echt ein Schatz", flüstere ich ihm ins Ohr, was er mit einem leichten Grinsen quittierte.
„Ich kann dich doch nicht erfrieren lassen", meinte er, griff nach meiner rechten Hand und schob diese gemeinsam mit seiner linken Hand in die Tasche seiner warmen Winterjacke.
Es tat gut, die Wärme seiner Finger zu spüren, die sich mit meinen verschränkten, als wir schnell in Richtung Auto liefen. Zum Glück regnete es nicht, denn das hätte mit Sicherheit zu Glatteis geführt, so kalt wie es im Moment war. Schließlich erreichten wir den Wagen bibbernd und frierend. Doch drinnen empfing uns bereits eine angenehme Temperatur, welche mich erleichtert aufseufzen ließ.
„Ach ist das schön", sagte ich, als ich mich auf den Beifahrersitz fallen ließ, dessen Sitzheizung bereits von Niall aktiviert worden war.
Er startete sofort den Motor und wenigen Minuten später befanden wir uns auf den hell erleuchteten Straßen Londons.
„Das war ein schöner Abend", sagte ich leise, worauf Niall mir zulächelte.
„Das fand ich auch", sagte er. „Und ich hoffe, dass du nicht ganz so schlimme Träume haben wirst."
„Das hoffe ich auch."
Zuhause angekommen, lief Niall zunächst in die Küche, um eine Packung Kekse hervorzuholen.
„Ich habe jetzt irgendwie noch Hunger", hörte ich ihn entschuldigend sagen, was mich zum Lachen reizte.
„Ich auch, Blondie", antwortete ich, worauf er prompt einen Keks in meinen Mund steckte.
Doch er dachte nicht daran, mich diesen alleine essen zu lassen, sondern biss an der einen Seite einfach hinein. Das Spiel begann damit, dass wir den Keks gemeinsam verspeisten, indem unsere Lippen sich immer näher kamen, sobald einer von uns ein kleines Stück davon abgebissen hatte, und endete, als unsere Lippen sich trafen, um einen innigen Kuss zu formen.
Nialls Hände lagen locker auf meinen Hüften, als er den Kuss vertiefte. Meine Augen waren schon lange geschlossen, bevor ich registrierte, dass er mich plötzlich hochhob und mich ins Schlafzimmer trug. Dort legte er mich vorsichtig auf das große Bett, beugte sich über mich und platzierte einen sanften Kuss auf meine Stirn. Langsam öffnete ich meine Augen, um kurz darauf in seinen zu versinken. Die Intensität seines Blicks ließ meinen Atem beinahe stocken. Automatisch streckte ich meine Arme aus, ließ meine Hände durch sein Haar gleiten und zog ihn dann zu mir hinab.
„Bel", flüsterte er, „du brauchst keine Angst zu haben, wenn du jetzt einschläfst, das weißt du, oder?"
„Ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass du bei mir bist", wisperte ich zurück.
Minuten später lagen wir unter der Decke, ich in Nialls Arm, den Kopf auf seine Brust gebettet. Er hielt mich fest umschlungen, was mir ein Gefühl der Sicherheit gab. Niall schien ganz genau zu spüren, dass ich noch nicht in der Lage dazu war, mit ihm zu schlafen. Zu viele, andere schwerwiegende Dingen beschäftigten meinen Geist und verhinderten, dass ich mich einfach fallen lassen und den Sex genießen konnte. Es dauerte gar nicht lange und ich schlief in seinen Armen ein.
Doch die Ruhe währte nicht lange, denn meine Albträume fanden ohne Probleme ihren Weg zu meiner Seele, ließen mich aufschreien und weinen, bis es Niall endlich gelang, mich aufzuwecken.
„Bel! Bitte wach auf! Es ist alles ok! Ich bin doch bei dir... Ich liebe dich."
Seine letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, welches ich aber sehr wohl hören konnte, obwohl ich noch immer schluchzte.
„Ich bin doch bei dir", widerholte er, als seine Hände mein Gesicht vorsichtig umschlossen.
Ja, noch war er das, doch bald würde ich alleine mit diesen nächtlichen Albträumen klar kommen müssen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz, bewirkte, dass ich mich an Niall festklammerte und leise unter Tränen flüsterte: „Bitte bleib hier, bleib bei mir."
„Ich bin doch hier."
Erst als er in meine Augen blickte, ging ich wohl ein Licht auf, das ihn wissen ließ, was ich eigentlich damit meinte. Doch es würde kein Weg daran vorbeiführen. Niall musste mich alleine zurück lassen, wenn er auf Tour ging. Ich zitterte noch immer wie Espenlaub, als er mich fest zu sich zog, als wollte er mich nie wieder loslassen.
„Bel, es wird alles gut, Süße. Du wirst es schaffen. Wir skypen jeden Tag. Ich weiß, das ist nicht das Gleiche aber..."
Er brach ab und begann mich zu küssen. Als ich seine Lippen auf meinen spürte, beruhigte mich das irgendwie immens und die ganze Anspannung verschwand zusehends. Noch halb in meinem Traum gefangen, presste ich meinen Körper gegen seinen und ließ mich förmlich von meinen Gefühlen treiben.
Der Traum war die Hölle gewesen, doch Niall hatte mich gerettet, indem er mich aufweckte. Noch immer liefen heiße Tränen meine Wangen hinab, doch diese wurden weniger, je länger er mich küsste und je fester er mich in seinen Armen hielt. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, doch als damit anfing, wollte Niall nichts davon wissen.
„Bel, du musst das alles verarbeiten, es ist ok. Ich mache dir keinen Vorwurf und du solltest das auch nicht tun", sagte er laut und deutlich, worauf ich nur ein kurzes Seufzen von mir gab.
Ja, ich musste es verarbeiten und zwar auf eine Art und Weise, die mir selbst nicht behagte. Ich wollte nicht, dass Menschen, die ich liebte, davon betroffen waren und doch konnte ich es nicht verhindern. Die enormen Schuldgefühle, die in meinem Inneren wuchsen, machten mich total fertig.
Wie gerne hätte ich wieder ein normales Leben geführt, ein Leben, so wie noch vor wenigen Wochen, bevor diese schlimmen Dinge geschehen waren. Es war meine eigene Schuld, dass meine Welt nun Kopf stand, dass selbst mein Freund nicht mehr durchschlafen konnte, dass ich zu einem Wrack mutierte. Erschöpft schlief ich irgendwann ein, Nialls Arm um meinen Körper gelegt, der mich wissen ließ, dass er immer für mich da sein würde, so lange er konnte.
Am nächsten Tag fühlte ich mich wie ausgespuckt. Meine Haare hingen in Strähnen von meinem Kopf herab, mein Gesicht wirkte blass und eingefallen und meine Augen wurden von schwarzen Rändern verziert. Das einzig Gute war, das meine dicke Lippe fast wieder völlig normal zu sein schien, ebenso das blaue Auge. Die Salben des Arztes schienen eine enorme Wirkungskraft zu besitzen.
Ich wünschte, man hätte die Wunden einer Seele ebenso schnell heilen können. Doch so etwas war leider nicht möglich, denn das dauerte Monate, mitunter Jahre, bis sich dort eine spürbare Besserung zeigte.
Niall streckte sich noch im Bett, während ich unter die Dusche sprang, was ich ihm nicht verübeln konnte. Nicht nach dieser fürchterlichen Nacht, die uns wieder jede Menge Schlaf gekostet hatte. Doch mein Freund wollte nichts von meinen Entschuldigungen hören, im Gegenteil. Er bestand darauf, dass er das Frühstück zubereiten durfte, was ich ihm hoch anrechnete.
Danach brachen wir zu einem Spaziergang an die Themse auf, denn es regnete nicht. So etwas musste man in London wirklich ausnutzen.
„Morgen habe ich wieder einen Termin bei Dr. Halls", sagte ich, als meine Augen über den großen Fluss schweiften.
„Falsch, wir haben morgen einen Termin", berichtigte Niall sofort.
Wir blieben stehen, schauten uns in die Augen und lächelten uns an.
„Ja, wir haben einen Termin", sagte ich schließlich und legte meine Arme um seinen Nacken. Nialls Hände wanderten durch mein langes Haar, bevor er einen Kuss auf meine Schläfe hauchte.
„Wir kriegen das hin, Süße, das verspreche ich dir."
Der Rest des Tages verging wie im Flug, ebenso der Abend, an welchem uns Louis und El besuchten, da sie mich unbedingt sehen wollten. Es wurde ein schöner Abend, mit vielen Gesprächen, wobei El und ich uns auch kurz alleine zurückzogen.
Nach wie vor besaß ich ein enormes Vertrauen zu ihr, etwas was sich nun sehr deutlich zeigte, denn ich konnte ihr wirklich alles erzählen. Sie hörte sich geduldig an, was ich zu sagen hatte, legte ihre Arme um mich, als ich kurz weinte und küsste sogar meine Wangen. Sie verstand durchaus, dass ich mir Vorwürfe machte, obgleich sie mir versicherte, dass ich für viele Dinge nichts konnte.
„Das Wichtigste ist doch, dass Niall und du wieder zueinander gefunden habt", lautete ihre unumstößliche Meinung. „Jetzt müsst ihr einfach weiter daran arbeiten, eure Beziehung zu vertiefen."
„Das tun wir ja aber das Problem ist, dass die Jungs bald auf Tour gehen, wie du ja weißt", seufzte ich leise.
„Ich weiß, Bel."
Beruhigend legte sie eine Hand auf meinen Arm.
„Wann beginnt denn dein Studium?", erkundigte sie sich nun.
„Am ersten März."
El bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick, bevor sie sagte: „Warum fliegst du denn nicht mit nach Australien? Die Jungs sind bis zum 20. Februar dort und geben erst am 24. Februar ihr nächstes Konzert in Japan. Eigentlich könntest du doch mitfliegen, wenn dein Studium erst im März beginnt."
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist, denn ich habe doch gerade erst meine psychologische Behandlung begonnen", äußerte ich meine Bedenken.
„Wann habt ihr beide denn den nächsten Termin beim Psychologen?", erkundigte sich El sofort.
„Morgen, um zwei Uhr nachmittags", antwortete ich und schaut in ihre hübschen Augen.
„Dann frag ihn doch einfach, ob das geht!" Els Worte kamen aus ihrem Mund, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt.
Vielleicht sollte ich das wirklich tun aber vorher wollte ich das gerne mit Niall besprechen. Schließlich hatte er da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Er war nämlich derjenige, der arbeiten musste und seinen Schlaf benötigte. Es würde eine zusätzliche Last sein, wenn ich ihn nachts durch meine Albträume auf Trab hielt.
Als ich El darauf ansprach, schüttelte sie nur ihren Kopf und meinte: „Glaubst du wirklich, Niall schläft besser, wenn du nicht dabei bist aber er ganz genau weiß, dass du nun alleine mit diesen Albträumen fertig werden musst?"
Irgendwie musste ich ihr Recht geben, denn ich wusste sehr wohl, dass wie sehr er sich um mich sorgen würde.
Nachdem Louis und El zu später Stunde das Apartment verlassen hatten, setzten Niall und ich uns noch gemeinsam auf das Sofa, um den Rest in unseren Weingläsern zu leeren.
„Niall", begann ich schließlich, so dass er sofort aufsah.
„Was ist denn, Bel?"
Ich zögerte nur kurz, bevor ich mit der Sprache herausrückte. „El hat mich da vorhin auf eine Idee gebracht und ich möchte gerne wissen, was du davon hältst."
Sein Grinsen wurde ziemlich breit, als er antwortete: „Na dann schieß mal los."
Der Glanz in seinen blauen Augen blendete mich fast, nachdem ich erklärt hatte, dass ich darüber nachdachte, ihn nach Australien zu begleiten.
„Kannst du meine Gedanken lesen, Süße? Ich wollte dich das nachher fragen, ich habe da auch schon drüber nachgedacht!", kam es erfreut von ihm.
„Echt? Dann hast du also nichts dagegen?"
„So eine dumme Frage kannst auch nur du stellen!"
Bevor ich wusste, wie mir geschah, hob er mich vom Sofa hoch, drehte sich einmal um seine eigene Achse und drückte mir dann einen sehr heißen, innigen Kuss auf die Lippen.
„Bel, das wäre so toll, wenn wir die Zeit in Australien miteinander verbringen könnten", sagte er, nachdem er mich wieder auf dem Sofa abgesetzt hatte.
„Ich wäre auch froh darüber", seufzte ich erleichtert.
„Dann reden wir morgen gleich mit Dr. Halls darüber, ok?" schlug Niall vor, was ich mit einem entschlossenen Kopfnicken bejahte.
Auch in dieser Nacht wurde ich von einem Albtraum heimgesucht, aus dem Niall mich herausholte. Er kämpfte wie immer darum, mich wach zu kriegen, schaffte es aber wohl binnen Sekunden und nahm mich dann fest in seine Arme. Das zärtliche Streicheln seiner Hände auf meiner Haut zu spüren, war das schönste Gefühl, dass ich mir in jenem Moment vorstellen konnte. Heute sang er mich mit seiner sanften, melodiösen Stimme in den Schlaf, der mich auf einer Wolke schweben ließ und mir keinerlei Albträume mehr bescherte, zumindest nicht für diese Nacht.
Ungeduldig warteten wir beide am nächsten Tag auf den wichtigen Termin bei dem Psychologen. Ich hoffte so sehr, dass Dr. Halls es verstehen und vor allem für gut befinden würde, wenn ich mit Niall nach Australien reiste, obwohl dies bedeutete, dass ich die Behandlung bei ihm einstweilen unterbrechen musste. So stand ich um kurz vor zwei mit etwas gemischten Gefühlen neben Niall im Aufzug, der zur Praxis führte.
„Das wird schon alles klappen, Bel", munterte er mich ein wenig auf. „Ich bin ja bei dir und werde dich unterstützen."
Es war so süß, wie er mich angrinste, dass ich prompt lachen musste und ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
„Du bist einfach der Beste", flüsterte ich ihm dann ins Ohr.
Hand in Hand betraten wir kurze Zeit später das Zimmer von Dr. Halls, der uns bereits erwartete und freundlich begrüßte. Nachdem wir unsere Plätze eingenommen hatten, sowie mit Getränken versorgt wurden, startete Dr. Halls die Sitzung.
Zuerst erkundigte er sich nach meinem und auch nach Nialls Befinden, dann wollte er wissen, wie die letzten beiden Nächte verlaufen seien. Es fiel mir nicht schwer, über die Albträume zu reden, doch als ich den letzten Satz beendet hatte, schaute ich ein wenig fragend zu Niall, der nun das Wort ergriff.
„Belita und ich haben über etwas nachgedacht", begann er. „Wir möchten beide, dass sie mich nach Australien begleitet. Dort startet unsere Tournee am 7. Februar."
Dr. Halls schaute erst zu Niall, dann zu mir und fragte dann: „Wer hat Sie denn auf diese Idee gebracht?"
„Wir beide, wir möchten es gerne, weil wir denken, dass es gut sein wird", fuhr Niall unbeirrt fort.
Dem Psychologen entwich ein Schmunzeln, als er plötzlich sagte: „Ich finde, das ist eine sehr gute Idee. Sie beide können dadurch nur profitieren, es wird Ihnen helfen."
Am liebsten hätte ich ihn vor Freude umarmt, doch das gehörte sich nicht und so sprang ich auf und umarmte Niall stürmisch. Das konnte mir schließlich niemand verbieten.
„Ist es denn nicht schlimm, wenn ich die Behandlung bei Ihnen unterbrechen muss?", erkundigte ich mich, nachdem ich wieder auf meinem Platz saß.
„Nein, diese können wir später sofort wieder aufnehmen, machen Sie sich darüber keine Gedanken", sprach der Psychologe, was mich immens beruhigte.
Niall und ich hatten nun nach dieser Sitzung eine weitere Aufgabe: Meine Reise nach Australien mit dem Management abzuklären.
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Es geht wieder aufwärts mit Niall und Bel. Seid ihr schon gespannt auf das nächste Kapitel?
Nächstes Update: Sonntag!
LG, Ambi xxx
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