33. Fireproof

Als Niall mich losließ, um in den Flur zu stürzen, wusste ich ziemlich genau, was nun passieren würde. Bevor ich mich von meinem Bett erhob, vernahm ich auch schon seine Worte: „Wer von euch ist Max?"

Meine Beine trugen mich so schnell es ging zur Tür, als ich sah, wie Max sich mit wütendem Gesicht vor Niall aufbaute.

„Ich bin Max", blökte er.

„Dann bist du derjenige, der meine Freundin geschlagen hat."

Nialls Stimme klang viel zu ruhig für meinen Geschmack und ließ mich wissen, dass gleich etwas passieren würde. Sekunden später war es dann soweit. Mein Puls stieg ins Unermessliche, als ich mit offenem Mund beobachtete, wie Niall wortlos mit seiner Faust ausholte und Max einen Schlag ins Gesicht verpasste. Blut spritzte umher, als ich seine sonst so sanfte Stimme schreien hörte: „Jetzt mache ich dich fertig!"

Die unterschiedlichsten Gefühle stürzten gleichzeitig auf mich ein: eine unglaubliche Genugtuung, aber auch die Angst, dass Niall etwas abbekommen könnte, obwohl die anderen Jungs auch anwesend waren und ihn vermutlich unterstützen würden, falls er Hilfe benötigen sollte.

Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Jason sich von Hinten auf Niall stürzen wollte, der inzwischen mit Max auf dem Boden lag. Doch Jason hatte nicht mit Liam gerechnet, der das schlaksige halbe Hemd einfach zu sich zog, um ihm einen Kinnhaken zu verpassen, der Jason augenblicklich zu Boden gehen ließ. Ich wusste, dass Jason gegen Liam keine Chance haben würde und so richtete sich meine Aufmerksamkeit sofort wieder auf Niall, als ich bemerkte, dass Max sich energisch zu wehren versuchte. Doch Niall war so wütend, ein Aspekt, der übermenschliche Kräfte in ihm freizusetzen schien, denn er ließ sich von Max nicht unterkriegen, obwohl dieser um einiges größer und schwerer war als er.

„Niemand schlägt ungestraft meine Freundin!", hörte ich ihn keuchen, als er Max auch schon den nächsten Schlag verpasste.

Das war alles zu viel für mich, ich war einem Nervenzusammenbruch nahe und doch konnte ich nichts anderes tun, als zu Niall und Max zu rennen, die noch immer wie ein Knäuel auf dem Boden lagen.

„Nein! Bel!"

Harrys große Hände griffen nach mir und zogen mich zurück, bevor seine Arme meinen Körper fest umklammerten.

„Lass mich los, ich will Niall helfen!", schrie ich.

„Bel! Zayn und Louis stehen direkt daneben, sie werden sofort eingreifen aber nun lass ihn doch erstmal seine Aggressionen loswerden!"

„Aber...!"

Bevor ich weiter reden konnte, sah ich, wie Louis sich auf Niall stürzte und schrie: „Willst du ihn umbringen?"

„Er hat Bel wehgetan! Und dafür wird er bezahlen!", hörte ich Niall schreien. „Er hat das Mädchen geschlagen, das ich liebe, verstehst du?"

„Aber dafür musst du ihn nicht umbringen!"

Max lag völlig fertig und stöhnend auf dem Boden, beide Augen dick geschwollen, mit aufgeplatzter Lippe und einer Nase, aus der das Blut herauslief. Doch auch Niall, der jetzt von Louis buchstäblich weggezerrt wurde, schien etwas abbekommen zu haben. Alles, was ich wollte war, zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen, doch zuerst würde Harry seinen Griff lockern müssen. Das tat er auch, denn sowohl von Jason, der von Liam seine Abreibung bekommen hatte, und auch von Max drohte keine Gefahr mehr.

Zayn, der die ganze Zeit an der Tür Schmiere gestanden hatte, kam jetzt zu uns.

„Draußen ist alles ruhig", sagte er. „Ich denke, du kannst Bel jetzt loslassen, Harry."

Kaum leistete der Lockenkopf Zayns Anordnung Folge, stürzte ich auf Niall zu, der seine Arme ausbreitete, um mich damit zu umschließen. Er besaß nun, genau wie ich, ein blaues Auge, nur seine Lippen hatten Gott sei Dank nichts abbekommen. Im Gegensatz zu Max, dessen rechte Gesichtshälfte fast komplett blau angelaufen und dick geschwollen war, sah er jedoch aus wie ein Model.

„Bel", flüsterte er leise, während seine rechte Hand über jenen Teil meines Gesichts streichelte, der nicht verletzt oder geschwollen war. „Bist du ok?"

Schluchzend legte ich meinen Kopf an seine Schulter. „Ich bin ok aber wie geht es dir?"

Meine Stimme zitterte so sehr, dass ich sie kaum wahrnehmen konnte, doch Niall schien mich verstanden zu haben.

„Mir geht es gut", brachte er hervor, hauchte mir dann einen Kuss auf die Stirn und sagte dann an Louis gewandt: „Lasst uns abhauen. Ich muss Bel nach Hause bringen."

Nach Hause! Es tat so gut, das aus seinem Mund zu hören. Während ich noch immer in Nialls Armen meinen Tränen freien Lauf ließ, kümmerten sich Zayn und Harry um meine Sachen. In Windeseilen packten sie meine Klamotten und Schuhe in die große Reisetasche, die sich neben meinem Kleiderschrank befand, schnappten den Laptop, der auf dem Bett lag, drückten mir das Handy und meinen Mantel in die Hand und schon konnte es los gehen.

Mit einem verächtlichen Blick auf Max und Jason, verließ ich die Wohnung, die mir wie ein Albtraum vorkam. Nie wieder würde ich hierher zurückkehren, nie wieder würde ich ihre Gefangene sein, nie wieder würde ich den Fehler begehen, mich in die Hände von Menschen zu begeben, von denen ich nichts wusste. Ich hatte eine harte Lektion für mein zukünftiges Leben gelernt.

Fünf Minuten später saßen wir in einem großen schwarzen, von außen völlig verdreckten Van. Es war mir schleierhaft, wo die Jungs diesen aufgetrieben hatten, doch im Grunde genommen interessierte mich das auch nicht. Mein größter Wunsch war es, so schnell wie möglich zu Nialls Wohnung zu gelangen und später in seinen Armen einschlafen zu dürfen. Er hatte gesagt, dass er mich liebte.

„Er hat das Mädchen geschlagen, das ich liebe, verstehst du?"

Seine Worte befanden sich in meinem Kopf, in meinem Herzen, einfach überall. Sie machten mich unendlich glücklich und trotzdem blieb der bittere Nachgeschmack, dass ich alles hätte anders machen können. Wäre ich nur bereit gewesen, ihm zuzuhören, dann würde er jetzt nicht mit einem blauen Augen neben mir sitzen, auch Liam hätte sich nicht zu schlagen brauchen und Harry, Louis und Zayn hätten vermutlich einen ruhigen Abend mit ihren Freundinnen verbracht, anstatt sich mit diesem Abschaum auseinander setzen zu müssen.

Alles war meine Schuld und ich musste die Verantwortung tragen, sollte jemand die Jungs erkannt haben. Mir wurde ganz schlecht, als ich darüber nachdachte, welche Konsequenzen das für ihre zukünftige Karriere haben konnte. Doch keinen von ihnen schien das im Augenblick zu interessieren, sie waren einfach nur froh, mich dort herausgeholt zu haben.

„Das ist ja nochmal gut gegangen", hörte ich Liam sagen, der neben Zayn auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Louis und Harry befanden sich auf den hintersten Sitzen, während Niall und ich in der Mitte saßen.

Er bestand darauf, dass ich mich hinlegte, meinen Kopf in seinen Schoß gebettet, während er meine rechte Hand in seiner linken hielt. Es fühlte sich unwirklich aber trotzdem so vertraut an, seine Nähe zu spüren, zu wissen, dass er bei mir war, dass er mich nicht aufgegeben hatte, obwohl ich ihn abgewiesen und mich wie ein unreifer Teenager verhalten hatte.

„Was machen wir denn, wenn jemand sich das Kennzeichen unseres Wagens notiert haben sollte?", hörte ich Harry plötzlich fragen.

„Dann kriegt zuerst mein Kumpel die Anfrage von den Bullen, dem das Auto gehört", erwidert Zayn gelassen.

„Ja, aber er wird der Polizei bestimmt sagen, dass er seinen Van an uns verliehen hat", gab Liam zu bedenken.

„Quatsch", meinte Zayn. „Der hält dicht. Er selbst hat ein Alibi, weil er heute Abend bei einer großen Veranstaltung zu sehen ist, was bedeutet, dass jede Menge Leute bezeugen könnten, dass er heute nicht in diesem Viertel war. Wir haben abgesprochen, dass ich den Van nachher kurzschließe, ihn in einer einsamen Gegend abstelle, und den Schlüssel an mich nehme, damit mein Kumpel ihn als gestohlen melden kann. Somit wird niemand auf die Idee kommen, dass ausgerechnet wir ihn ausgeliehen haben."

Als ich Zayn so reden hörte, stellte sich der Gedanke bei mir ein, dass er auch in einer Streetgang oder sogar bei der Mafia gut aufgehoben gewesen wäre, wenn es mit der Gesangskarriere nicht geklappt hätte. Jedenfalls gelang es ihm sehr gut, seine Bandkollegen zu beruhigen, selbst Harry, der bei solchen Dingen meist überreagierte, wie ich es in Neuseeland hatte erleben dürfen, benahm sich wieder normal.

Mein Kopf lag noch immer in Nialls Schoß und ich spürte jede Erschütterung, die durch Schlaglöcher auf der Straße ausgelöst wurde, was meinen lädierten Kopf ziemlich leiden ließ. Mit geschlossenen Augen versuchte ich mich nur noch darauf zu konzentrieren, dass Niall meine Hand fest umschlungen hielt.

Es tat unglaublich gut zu wissen, dass ich wieder bei ihm sein durfte. Ich konnte nicht verhindern, dass sich Tränen in meinen Augen bildeten, obwohl ich heute weiß Gott schon genug geweint hatte. Doch irgendwie fühlte ich mich gerade danach, alles herauszulassen, meine Ängste, meine Wut, die Enttäuschung über mich selbst, die Erleichterung, dass Niall trotz allem zu mir stand und das grenzenlose Glück, das ich in jenem Augenblick fühlte, weil er und die Jungs mich gerettet hatten. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn ich die Nachricht an ihn nicht hätte versenden können. Ich wäre Max und Jason hilflos ausgeliefert gewesen und als Prostituierte auf der Straße gelandet.

Nur alleine die Vorstellung daran ließ mich innerlich erschaudern. Niemals hätte ich es nicht verkraftet, meinen Körper an Männer zu verkaufen. Etwas in meinem Innersten wäre zerbrochen und all das, was Niall für mich getan und mit mir zusammen erarbeitet hatte, wäre verloren gegangen. So, als wäre unsere Liebe zueinander nie existent gewesen.

Gott sei Dank war es anders gekommen, wofür sich eine unglaubliche Dankbarkeit in mir ausbreitete.

„Bel", hörte ich Niall leise wispern, der meine Tränen ganz sanft mit seinem Daumen wegwischt. „Hab keine Angst, ich bringe dich nach Hause."

„Ich habe keine Angst", flüsterte ich leise und schlug anschließend meine Augen auf, um in seine zu blicken. Diese blauen Augen, wie sehr hatten sie mir gefehlt, ebenso sein Lächeln, welches sich nun zaghaft auf seinem Gesicht abzeichnete.

Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich seine Bartstoppeln durch meinen Tränenschleier betrachtete. Niall schien sich seit Tagen nicht rasiert zu haben, was mich jedoch nicht störte, im Gegenteil, ich fand es ziemlich heiß, wie er aussah. Komisch, dass mir gerade jetzt solche Gedanken durch den Kopf schossen. In einer Situation, die unpassender nicht sein konnte. Alles schien so unwirklich zu sein, angefangen von meinem Auszug, bis hin zu dieser Autofahrt, die mich wieder zu Niall nach Hause brachte.

Nach ungefähr fünfzig Minuten hatten wir unser Ziel erreicht, das Haus, in welchem sich Nialls Apartment befand, tauchte vor meinen Augen auf. Da ich mich inzwischen aufgesetzt hatte, erkannte ich die Umgebung sofort, obwohl die Dunkelheit sich schon lange über die große Stadt gelegt hatte. Aber das Licht der Straßenlaternen reichte aus, um mich wissen zu lassen, dass wir gleich anhalten und aussteigen würden.

Alle Jungs verließen den Van, nachdem Zayn eine Parklücke gefunden hatte. Harry trug meine Reisetasche, während Niall mich zur Tür führte. Auch Liam, Louis und Zayn betraten hinter uns das Haus, so als ob sie sicher gehen wollten, dass ich auch wirklich gut in Nialls Wohnung ankam.

Als er die Tür zu seinem Apartment öffnete, strömte mir sofort der angenehme, vertraute Geruch entgegen und nicht mehr dieser ekelhafte Mief, welcher durch Jason verbreitete wurde, wenn er kiffte.

Energisch versuchte ich jegliche Gedanken an diese Dinge abzuschütteln. Ich befand mich hier in Sicherheit, hier gehörte ich hin, egal, wie ich darüber noch vor wenigen Tagen gedacht hatte, aber Niall war mein Fels in der Brandung, der mich niemals untergehen lassen würde.

Ich beobachtete, wie Harry meine Tasche ins Schlafzimmer trug, wie die anderen sich auf dem Sofa im Wohnzimmer niederließen, wo mich jeder anschließend herzlich umarmte.
„Diese Schweine", sagte Louis, der sich mein Gesicht nun näher betrachtete.

„Ich hätte noch fester zuschlagen sollen", ließ Liam sich vernehmen, worauf Niall nur nickte.

Er drückte mir nun ein Glas Wasser in die Hand, streichelte sanft über meine Haare und meinte: „Trink das, Bel. Nachher koche ich dir unseren Lieblingstee."

Ich nahm das Glas entgegen, leerte es in einem Zug und lehnte mich dann an seine Schulter, da er inzwischen seinen Platz neben Liam eingenommen hatte, der mich noch immer leicht besorgt anschaute.

„Ich bin ok, wirklich", versuchte ich meinem besten Freund die Ängste zu nehmen.

„Aber du musst doch Schmerzen haben wie ein Tier", brachte Liam kopfschüttelnd hervor.

„Das ist nicht mehr so schlimm, es ist ja schon einen Tag her, dass Max mich geschlagen hat", erwiderte ich leise mit gesenktem Kopf.

Nialls Schmerzen waren mit Sicherheit um einiges schlimmer, denn sein Auge sah echt übel aus. Es tat mir unendlich leid, ihn so zu sehen und wenn ich in der Lage dazu gewesen wäre, die Zeit zurück zu drehen, hätte ich es getan.

Die Jungs hielten sich ungefähr eine Viertelstunde in Nialls Apartment auf, dann verabschiedeten sie sich von uns. Ich sah wie Niall seine Autoschlüssel an Liam weitergab, der dann sagte: „Ich erledige das mit dem Van gemeinsam mit Zayn und bringe dein Auto zu mir. Du kannst es morgen dort abholen."

„Danke", war alles was Niall dazu sagte, dann klopfte er Liam auf die Schulter.

„Wir waren gut, oder?"

„Wir waren super Niall, nächstes Jahr melden wir uns für die Weltmeisterschaft im Boxen oder Ringen an", erwiderte Liam verschmitzt grinsend.

Es tat so gut, die Jungs wieder um mich zu haben aber es war nichts gegen das Glück, das ich empfand, als Niall mich in eine sanfte Umarmung zog, nachdem wir uns alleine in seiner Wohnung befanden. Vorsichtig legte ich meine Arme um seinen Körper, es fühlte sich so an, als ob ich ihn das erste Mal umarmen würde. Mein gesamter Körper wurde von einem Zittern erfasst, was Niall natürlich sofort bemerkte.

„Bel, ist alles in Ordnung?", fragte er sofort.

„Ja, wenn ich bei dir sein kann, ist alles in Ordnung", erwiderte ich leise.

Niall hauchte einen sanften Kuss auf meine Stirn, bevor er flüsterte: „Ich hab dich so vermisst, Bel. Und ich würde dir gerne erklären, warum ich mich mit Megan getroffen haben."

Eigenartigerweise war das für mich jedoch nicht mehr wichtig. Ich wollte ihm vertrauen und wie hätte ich ihm das besser zeigen können als dadurch, dass es mich nur bedingt interessierte, was es mit Megan auf sich hatte. Dies machte ich ihm nun ziemlich unverblümt klar.

„So lange du mich nicht mit ihr betrogen hast, ist es mir mittlerweile egal, warum ihr euch getroffen habt", erwiderte ich nur, ohne seinem Blick auszuweichen.

„Was?! Du willst wirklich nicht wissen, warum..."

Weiter kam er nicht, denn ich legte ihm den rechten Zeigefinger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Ich vertraue dir, Niall. Und wenn du mir sagst, dass deine Verabredungen mit ihr nichts mit unserer Beziehung zu tun haben, dann glaube ich dir das. Bitte nimm es mir nicht übel, dass ich nicht wissen will, warum du dich mit ihr getroffen hast aber das hat einfach keine Priorität mehr in meinem Leben. Alles was ich will und was ich brauche bist du."

Tränen stiegen in meinen Augen auf, als ich den nächsten Satz herausbrachte: „Es tut mir so leid, was passiert ist aber.... Ich liebe dich so sehr..., bitte verzeih mir."

Seine Stimme klang rau, als in meine Augen schaute und antwortete: „Ich würde ich jetzt so gerne küssen aber deine Lippe tut bestimmt sehr weh."

Dann beugte er sich zu mir hinab, um in mein Ohr zu flüstern: „Ich liebe dich, Bel. Mehr als du es dir vielleicht vorstellen kannst."

„Aber..., verzeihst du mir auch?", stammelte ich.

„Es gibt nichts zu verzeihen, wir beide haben Fehler gemacht und ich bin heilfroh, dass dir nicht wirklich etwas Schlimmes passiert ist, obwohl das alles echt hart an der Grenze war."

Hart an der Grenze, damit hatte Niall wohl durchaus Recht. Viel mehr wären meine Seele und mein Körper nicht bereit gewesen, auszuhalten. Ich merkte erst jetzt, wie sehr mich das alles mitnahm, als ich zur Ruhe kam und über alles nachdenken konnte.

Eine halbe Stunde später, nachdem ich meine Tasche ausgeräumt und eine schnelle Dusche genommen hatte, saßen Niall und ich gemeinsam am Esstisch und schaufelten die Nudeln mit Tomatensauce, welche er im Schnellverfahren gekocht hatte, in uns hinein. Meine schmerzende Lippe störte dabei gewaltig, doch mein Hunger gewann die Oberhand, so dass ich dies ertrug. Wenigstens konnte ich meinen Tee ohne Probleme in kleinen Schlucken trinken.

Während des Essens sprachen wir so gut wie nichts miteinander, jeder schien in seine Gedanken versunken zu sein, doch wir schauten uns hin und wieder in die Augen, was bewirkte, dass ich mehrmals lächeln musste. Seine wunderschönen blauen Augen drückten so viel Liebe aus, dass sich Schmetterlinge in meinem Bauch bildeten. Es fühlte sich so an, als ob ich frisch verliebt sei.

„Hast du noch Hunger?", fragte Niall, nachdem ich alles aufgegessen hatte, doch ich schüttelte nur meinen Kopf.

„Danke, dass du für mich gekocht hast", flüsterte ich leise.

Als ich spürte, wie seine Hand über meine streichelte, bildete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht. Es tat so gut, seine sanften Berührungen zu spüren, zu wissen, dass ich bald neben ihm einschlafen durfte, er einfach für mich da war.

Die Müdigkeit kam jetzt bei mir durch, schließlich war es schon reichlich spät und die letzten Tage und Stunden waren mehr als nur anstrengend gewesen. Diese hatten mich fast meine gesamte Kraft gekostet, was sich nun deutlich zeigte.

„Ich würde jetzt gerne schlafen gehen", murmelte ich, jedoch ohne meine Hand wegzuziehen, die noch immer von Niall gestreichelt wurde.

Ohne ein Wort zu sagen, erhob er sich plötzlich, ging auf mich zu und bevor ich wusste, wie mir geschah, wurde ich ins Schlafzimmer getragen. Dort legte Niall mich vorsichtig auf das Bett und wisperte mir ins Ohr: „Ich komme gleich nach, ok?"

Ich nickte, zog die Decke bis zu meinem Kopf und schloss meine Augen. Keine fünf Minuten später betrat Niall das Schlafzimmer, um sich neben mich zu legen. Die Wärme seines Körpers zog mich magisch an, ich konnte nicht widerstehen und kuschelte mich ganz nah an ihn heran. Seine Muskeln zu fühlen und seinen Atem zu spüren, gab mir die Gewissheit, dass ich nicht träumte, dass ich tatsächlich wieder in seinen Armen lag, die nach wie vor die Welt für mich bedeuteten. Langsam glitt ich in den Schlaf über, nachdem er mir einen Kuss auf die Stirn gehaucht hatte.

Doch ich hatte längst nicht alles hinter mir gelassen. Irgendwann begann ich zu träumen, wie Max und Jason mich festhielten und ein dicker Mann in das Zimmer mit den roten Wänden hineingelaufen kam, der den beiden Geld anbot, weil er Sex mit mir haben wollte. Als ich mich wehrte, schlug Max zu. Er traf meine Lippe, die im Traum zu schmerzen begann, ebenso wie mein Auge.

„Nein! Nicht! Bitte hör auf!"

Ich erwachte durch meine eigenen Schreie und dadurch, dass Niall mich wachrüttelte.

„Bel! Bitte wach auf! Du bist bei mir! Alles ist gut!"

Seine aufgeregte, verängstigte Stimme brachte mich augenblicklich in die Realität zurück. Mein kompletter Körper zitterte, als ich schweißgebadet erwachte, um in Nialls blaue Augen zu schauen. Das gedämpfte Licht der Nachtischlampe reflektierte den Glanz seiner Augen, die mich erschrocken und forschend zugleich anschauten. Er nahm mich fest in seine Arme, um mir kurz danach ins Ohr zu flüstern: „Was haben sie dir angetan? Bitte erzähle es mir, ich muss es wissen."

Es war richtig, er musste es wissen und zwar alles, bis ins kleinste Detail. Niall besaß in diesem Augenblick mein uneingeschränktes Vertrauen, ich konnte ihm alles sagen
Dennoch benötigte ich ungefähr fünf Minuten, um die Kontrolle über meine Stimme zu erlangen, dann begann ich stockend zu erzählen, wobei ich den Teil, als Max mir zum ersten Mal richtig Angst eingejagt hatte, nicht ausließ.

Niall sollte einen Überblick über meine Empfindungen bekommen, er sollte wissen, dass ich seelisch und körperlich misshandelt worden war. Seine Wut auf Max vergrößerte sich mit jedem meiner Sätze mehr und als ich zu der Stelle gelangte, an welcher ich bestohlen worden war, vernahm ich sein entrüstetes Schnaufen. Doch er sprach kein Wort, sondern ließ mich weiterreden, da die Worte nun geradezu wie ein Wasserfall aus meinem Mund strömten.

„Max und Jason haben es natürlich abgestritten", berichtete ich, „und dann kam Carrie, die mit ihnen unter einer Decke steckt. Alle drei sagten mir, dass..."

Ich holte tief Luft, bevor ich weitersprach. „Sie machten mir begreiflich, dass ich das Geld für die Miete als Prostituierte verdienen müsste."

„Oh mein Gott!"

Das waren die ersten Worte, die Niall aussprach, seit er mir ununterbrochen zuhörte. Ich sah, wie ihn das alles mitnahm, fühlte, dass er nach meiner Hand griff und doch ich war noch nicht fertig mit meinen Ausführungen.

„Als ich mich dagegen gewehrt habe, hat Max zugeschlagen. Zuerst hat er meine Lippe getroffen und dann das Auge."

Als mein Kopf sich nach unten senkte, spürte ich Tränen, die überall hin tropften, doch es waren nicht nur meine, sondern auch Nialls. Sie vermischten sich miteinander, so als ob sie genau wussten, dass jeder dem anderen ein Stück Schmerzen abnehmen konnte, als ob sie ahnten, dass unsere Seelen miteinander verbunden waren, dass es nichts auf dieser Welt gab, was uns auseinander zu bringen vermochte.

Seine Arme umschlossen meinen Körper, seine Lippen legten sich vorsichtig auf meine Stirn und wanderten dann langsam zu jenem Teil in meinem Gesicht, der nicht geschwollen oder aufgeplatzt war. Ich genoss jeden einzelnen sanften Kuss, sowie das Streicheln seiner Hände über meinen Rücken, Berührungen die mir bewusst machten, dass ich nie wieder von ihm getrennt sein wollte. Niall war mein Leben und nichts würde das ändern.

„Ich liebe dich", wisperte ich leise, während ich meine Augen schloss.

„Ich liebe dich auch, Bel. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, das darfst du mir glauben."

„Ich glaube es dir."

Ich vertraute ihm und ich glaubte ihm, obwohl er sich mit einer andern Frau getroffen hatte, über die ich nicht das Geringste wusste, außer, dass sie plötzlich auf diesem Weihnachtsball aufgetaucht war. Vielleicht würde ich es irgendwann wissen wollen, doch im Moment reichten Nialls liebevolle Worte aus, um mein Herz zum Schmelzen zu bringen.

Vertrauen war ein Geschenk und ich wollte ihm dieses geben, genau jetzt, genau hier, denn er hatte es verdient.

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Was soll ich sagen? Irgendwann musste sich das Blatt ja mal wenden!
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und keine Angst, ihr werdet im laufe der Geschichte natürlich noch erfahren, warum Niall sich mit Megan getroffen hat ... :D

Nächstes Update: Mittwoch!

LG, Ambi xxx

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