28. Dangerous

Mein Herz klopfte wie verrückt und meine Beine schienen plötzlich gelähmt zu sein, als ich in diese giftgrünen Augen blickte.

„Wen haben wir denn da?", fragte Max mit einem spöttischen Grinsen auf den Lippen. „Belita."

Er sprach meinen Namen zumindest korrekt aus, immerhin etwas. Doch der Klang seiner Stimme produzierte eine Gänsehaut, sowie ein Frösteln in und auf meinem Körper.

„Lass mich gefälligst los!", fauchte ich ungehalten, denn klein beigeben kam nicht in Frage.

„Und wenn nicht?", fragte er mit einem Blick, der mich zu durchbohren schien.

Es kam mir so vor, als würde er mir sämtliche Eingeweide herausreißen und mich zusätzlich mit seinen Röntgen-Augen durchleuchten. „Dann schreie ich die ganze Straße zusammen!", zischte ich drohend.

Ich wollte ihm nicht zeigen, dass ich Angst hatte, denn das würde ihn unter Umständen ermutigen, etwas zu tun, worüber ich gar nicht erst nachdenken wollte. Hätte ich damals bei meiner beinahe Vergewaltigung laut geschrien, wäre vermutlich überhaupt nichts passiert, da sich zu diesem Zeitpunkt viele Leute im Park aufhielten.

Die Straße, auf welcher wir nun standen war menschenleer, doch ringsum befanden sich jede Menge Häuser, in denen noch Licht brannte. Irgendjemand würde mich hören, da war ich mir sicher. Zudem blieb mir nichts anderes übrig, als diesen Versuch zu starten, wenn ich aus der Situation heil herauskommen wollte.

Max machte auf mich den Eindruck eines durchgeknallten aber trotzdem intelligenten Lebewesens, jemand, der genau wusste, was ihm schaden konnte und was nicht. Ich baute einfach darauf, dass er keine Lust darauf hatte, von den Nachbarn angegriffen oder sogar von der Polizei mitgenommen zu werden. Aber vielleicht kam die Polizei hier sowieso nie vorbei, oder nur, wenn man sie ausdrücklich dazu aufforderte. Zwielichtige Gestalten trieben sich hier haufenweise herum, das hatte ich am ersten Tag schon bemerkt.

„Willst du mir Angst machen?" Max begann plötzlich schallend zu lachen. „Du willst mir Angst machen, oder?"

Er packte fester zu, dass mein Arm zu schmerzen begann, doch ich verzog keine Miene. Er sollte nicht denken, leichtes Spiel mit mir zu haben.

„Ich glaube eher, du willst mir Angst einjagen!", giftete ich zurück, wobei meine Stimme leicht ins Zittern geriet. Hoffentlich bemerkte er es nicht!

Meine Augen blickten hasserfüllt in sein Gesicht, am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst, doch das traute ich mich dann doch nicht.

„Lass mich sofort los!", forderte ich ihn auf, was er mit einem hämischen Grinsen quittierte.

„Hör mal, Süße. Ich weiß gar nicht was du gegen mich hast. Ich kann ein verdammt netter Kerl sein, wenn ich will", entgegnete er, während sich sein rechter Arm plötzlich um meine Taille legte.

Angewiderte versuchte ich, ihn von mir zu schubsen, was jedoch kläglich misslang. Das Gefühl, von einem anderen Mann, außer Niall, angefasst zu werden ließ mich fast durchdrehen. Ich wollte seine schmutzigen Hände nicht auf meinem Körper spüren und ich würde alles dafür tun, um zu verhindern, dass er mich in irgendeiner Art und Weise berührte, wie es bisher nur Niall gestattet hatte. Verzweifelt versuchte ich, mich aus seinem Griff zu befreien, doch ich war nicht erfolgreich mit meiner Aktion, ihm gegen das Schienbein zu treten. Im Gegenteil, Max lachte nur darüber, während er fester zupackte.

„Lass mich los! Du tust mir weh!", schrie ich aus Leibeskräften, in der Hoffnung, das mich irgendjemand hörte. Und dann, wie aus heiterem Himmel, vernahm eine Stimme, die ich sofort erkannte.

„Sag mal, bist du verrückt?"

Diese Stimme gehörte eindeutig Carrie, die plötzlich in meinem Blickfeld auftauchte. Ohne einen Ton zu sagen, ließ Max von mir ab, drehte sich um und marschierte von dannen.

„Hat er dir was getan?" Carrie klang überaus besorgt.

Ich schüttelte nur meinen Kopf, denn ich war im Moment nicht in der Lage zu sprechen. Widerspruchslos ließ ich mich von ihr mitführen, in Richtung unseres Hauses. Als wir in der Wohnung angekommen waren, betrachtete sie mich genauer.

„Ich hab nichts! Er ist einfach nur ein Arsch!", brachte ich hervor. „Wie kann Jason mit so jemandem befreundet sein?"

Nun seufzte Carrie laut auf. „Er hat manchmal seine fünf Minuten, ok? Dann ist es besser, sich von ihm fernzuhalten."

Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und fixierte Carries Gesicht, das zu meiner Überraschung ziemlich stark geschminkt war.

„Na toll! Und wie bitte soll ich das machen, wenn er mich verfolgt und mich dann attackiert?", lautete meine nächste Frage.

Resigniert zuckte Carrie mit den Schultern, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand. Ich zitterte noch immer am ganzen Körper, als ich mich auf meinem Bett niederließ. Wo zur Hölle war ich hier hingeraten? Wenn das so weiter ging, würde mir nichts anderes übrig bleiben, als in das Studentenwohnheim zu ziehen. Meine Augen fixierten die Decke des Zimmers, die zum Glück nicht mit roter Farbe angestrichen war, als ich ein leises Klopfen an meiner Zimmertür vernahm. Wer wollte den jetzt schon wieder etwas von mir?

„Wer ist da?", fragte ich genervt.

„Carrie."

Sie öffnete langsam die Tür und trat mit einer Tasse Tee in ihrer rechten Hand, ein.

„Hier, für dich. Ich denke, das kannst du jetzt gebrauchen."

Vorsichtig stellte sie die Tasse auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Bett ab, bevor sie sich zu mir setzte.

„Hör mal, Bel, ich hätte dich vor Max warnen sollen. Es tut mir ganz furchtbar leid, dass das passiert ist."

„Schon gut, du kannst ja nichts dafür", seufzte ich leise.

Anschließend betrachtete ich Carries Gesicht, welches inzwischen wieder ohne Schminke war und wie üblich blass ausschaute.

„Wo bist du eigentlich gewesen?", erkundigte ich mich, nachdem ich einen kleinen Schluck von dem heißen Pfefferminztee getrunken hatte.

„Arbeiten, ich habe noch einen anderen Job", erwiderte sie, um sofort danach das Thema zu wechseln.

„Wann musst du morgen bei diesem Professor Smith vorsprechen?"

„Um neun Uhr."

Dies erinnerte mich daran, dass ich heute nicht unendlich lange aufbleiben konnte, denn ich würde fast eine Dreiviertelstunde benötigen, um zur Universität zu gelangen. Also trank ich in Ruhe meinen Tee aus, während Carrie mir noch bis um kurz vor elf Gesellschaft leistete. Anschließend suchte ich das Badezimmer auf, putzte mir die Zähne und lief zurück in mein hässliches Zimmer. Diese roten Wände mussten unbedingt verschwinden und zwar so schnell wie möglich!

An diesem Abend dauerte es eine ganze Weile, bis ich endlich den so nötigen Schlaf fand. Dauernd tauchte das Gesicht von Max vor meinen Augen auf, bis ich mich schließlich dazu zwang, an etwas Schönes zu denken.

Merkwürdigerweise dachte ich plötzlich an Australien und als ich meinen Gedanken freien Lauf ließ, führten mich diese nach Melbourne, in jene Nacht, in welcher ich zum ersten Mal mit Niall geschlafen hatte. Ohne dass ich es verhindern konnte, kullerten Tränen aus meinen Augen hervor, denn es war und blieb die schönste Erinnerung meines Lebens. Doch jetzt standen wir vor den Trümmern unserer einstmals so perfekten Beziehung.

Ich konnte jedoch nicht bestreiten, dass es noch immer einen Teil in mir gab, der an Niall hing, der ihn nicht vergessen wollte, egal, welche Geschehnisse diesen Ruin verursacht hatten. Vielleicht würde ich nie wieder in seinen Armen liegen, vielleicht würden wir in Zukunft jeder seinen eigenen Weg gehen, ohne uns um den anderen zu kümmern und zu sorgen. Vielleicht waren wir einfach nicht füreinander bestimmt, auch wenn es anfangs anders ausgesehen hatte.

Ich wusste es nicht aber gerade das machte es so schwer für mich. Es war weit nach Mitternacht, als ich endlich einschlief und als mein Wecker mich am nächsten Morgen aus dem Tiefschlaf holte, fühlte ich mich mehr als nur schlecht. Doch es half alles nichts, ich musste aufstehen, denn meinen Termin mit Professor Smith wollte ich auf keinen Fall verpassen. Dafür war dieser viel zu wichtig für mich.

So quälte ich mich aus dem warmen Bett, um kurz darauf unter die Dusche zu springen, mich anzuziehen und meine Unterlagen für die Uni einzupacken, bevor ich das Haus verließ. Das Frühstück sparte ich mir, stattdessen gab es unterwegs einen Coffee to go, sowie einen Schokomuffin, den ich gierig aß.

Mit leerem Magen vorzusprechen lag mir nicht sonderlich, dann wurde ich nämlich noch viel nervöser, als ich es ohnehin schon war. Zudem hatte mir die unerfreuliche Begebenheit am gestrigen Abend ziemlich zugesetzt. Wenn ich an Max dachte, breitete sich unweigerlich ein flaues Gefühl in meiner Magengegend aus. Er gehörte definitiv nicht zu den Menschen, denen ich nochmals im Dunkeln alleine begegnen wollte. Er hatte mir mehr als nur einen Schrecken eingejagt. Ich fühlte mich irgendwie bedroht.

Gott sei Dank wohnte er nicht in unserer WG und ich konnte nur hoffen, dass wir uns nicht allzu oft über den Weg laufen würden. Ärgerlich schüttelte die unliebsamen Gedanken an Max beiseite und versuchte mich innerlich auf das Gespräch mit Professor Smith vorzubereiten.

Als ich vierzig Minuten später das Gebäude der großen Universität betrat, begann mein Herz aufgeregt zu flattern. Gleich würde ich dem Professor gegenüber sitzen, was jedoch voraussetzte, dass ich den Weg zu seinem Büro durch dieses Labyrinth finden würde. Planlos irrte ich durch die Gänge, denn trotz Wegbeschreibung fiel es mir ziemlich schwer, herauszufinden wo ich genau entlang gehen musste. Als ich kurz davor war mein Handy herauszuholen und den Professor anzurufen, tauchte eine Tür mit seinem Namensschild vor meinen Augen auf. Erleichtert blieb ich kurz davor stehen, um mich ein wenig zu sammeln, bevor ich anklopfte.

„Herein", ertönte eine weibliche Stimme.

Ich war direkt im Vorzimmer von Professor Smith gelandet, denn hinter dem Schreibtisch der Dame, welche mich freundlich anlächelte, befand sich noch eine Tür, die mit ziemlicher Sicherheit zu seinem Büro führte.

„Guten Morgen, Sie müssen Belita Kreutzer sein", begrüßte sie mich freundlich.

„Ich bin Sandy, die Assistentin des Professors."

„Guten Morgen", grüßte ich ebenso freundlich zurück.

„Sie können direkt durchgehen, er wartet schon auf Sie."

„Ich hoffe, ich bin nicht zu spät", erwiderte ich schüchtern.

„Nein, nein, das passt schon. Wir wissen beide, wie verwinkelt dieses Gebäude hier ist. Es kommt öfter vor, dass die Neulinge sich verlaufen", antwortete Sandy mit einem verschmitzten Grinsen, was mich erleichtert aufatmen ließ.

Mit klopfendem Herzen betrat ich schließlich das Büro des Professors, der mich sogleich freudestrahlend begrüßte.

„Hallo, Belita, wie geht es Ihnen? Haben Sie gleich hergefunden?", erkundigte er sich mit einem leichten Augenzwinkern und setzte sofort erklärend hinzu: „Wir pflegen unsere Studenten immer mit dem Vornamen anzureden. Ich hoffe, das ist ok für Sie."

„Selbstverständlich", antwortete ich mit einem Lächeln, worauf er mir einen Platz und etwas zu trinken anbot.

„Kaffee, Tee, Wasser oder Fruchtsäfte, was darf Sandy Ihnen servieren?"

„Wasser bitte", antwortete ich, nachdem ich meinen Platz gegenüber von Professor Smith eingenommen hatte.

Anschließend holte ich die Unterlagen hervor, um welche der Professor mich gebeten hatte, unter anderem mein Abschlusszeugnis aus der Schule, das sich wirklich sehen lassen konnte. Rasch entwickelte sich ein Gespräch zwischen uns, bei welchem nicht nur er, sondern auch ich Fragen stellte. Nachdem wir die Notwendigen Dinge geklärt hatten, ließ der Professor mich wissen, dass ich im Rahmen des Meeresbiologie Studiums eine Art Praktikum zu absolvieren hätte.

„Und wo kann ich dieses Praktikum machen?", erkundigte ich mich.

„Überall auf der Welt, wo immer Sie möchten", erwiderte er lächelnd. „Sie bekommen aber auf jeden Fall eine Liste der Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, was Ihnen die Suche erheblich erleichtern wird."

Ich schluckte, denn ich wollte eigentlich in London oder zumindest in der Nähe bleiben. Acht Monate Neuseeland reichten mir durchaus, um Auslandserfahrungen zunächst hinten anzustellen.

„Gibt es denn in England keine Möglichkeit, solch einen Praktikumsplatz zu bekommen?", erkundigte ich mich nun vorsichtig.
Ich hoffte, dass der Professor mir diese Frage nicht übel nehmen würde.

„Leider nicht. Es gibt allerdings eine Institution in Southampton, in welcher Meeresbiologen beschäftigt sind aber diese stellt keine Praktikumsplätze für Studenten zur Verfügung."

„Das ist schade", entfuhr es mir.

„Ach, eine nette junge Dame wie sie, die über Erfahrung mit Walen verfügt, bekommt überall einen Praktikumsplatz, machen Sie sich darüber keine Gedanken", versuchte er mich aufzumuntern.

Er konnte ja nicht wissen, wie schlimm mein Heimweh und die Sehnsucht nach Niall gewesen waren. Niall. Immer wieder tauchte er in meinen Gedanken auf, es wäre auch merkwürdig wenn nicht, denn dann hätte er mir nie etwas bedeutet. Verdammt, warum konnte ich nicht aufhören, an ihn zu denken? Gerade jetzt benötigte ich einen klaren Kopf, denn die Unterredung mit Professor Smith zog sich noch etwas hin.

Nach ungefähr einer Stunde hatte ich es jedoch geschafft. Wir verabschiedeten uns mit einem herzlichen Händedruck voneinander.

„Wir sehen uns dann am zweiten März, da der erste ein Sonntag ist", sagte er, bevor ich das Büro endgültig verließ.

Meinen Studienplan hatte ich per Email zugesandt bekommen, somit würde es möglich sein, die Arbeitszeit im Café weit im Voraus zu planen, was mir nur Recht sein konnte. Sicher würde das meinen neuen Boss erfreuen, dem ich heute auch noch über den Weg laufen würde. Eigentlich war es meine Absicht gewesen, direkt und ohne Umweg nach Hause zu fahren, doch in Anbetracht der Tatsache, dass mein Magen fürchterlich zu knurren begann, kehrte ich noch bei McDonalds ein, um einen Big Mäc, sowie eine Portion Pommes mit viel Ketchup zu verspeisen. Erst danach schlug ich den Weg in jenen Stadtteil ein, der mein neues Zuhause war.

Dort angekommen, suchte ich sofort mein Zimmer auf, denn ich hatte keine Lust, Max zu begegnen, der sicher irgendwann hier auftauchen würde. Carrie hatte mir zu verstehen gegeben, dass er Jason fast jeden Tag besuchte, außerdem fiel mir wieder ein, dass Max einen Schlüssel zur Wohnung besaß, was ich extrem gruselig fand. Ich konnte mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, morgens aufzustehen und ihm im Flur oder in der Küche über den Weg zu laufen. Nicht, nach dem was am gestrigen Abend auf der Straße vorgefallen war. Er sollte mir besser aus dem Weg gehen.

Bevor ich mir etwas zu trinken aus der Küche holte, vergewisserte ich mich, dass weder Max noch Jason sich in der Wohnung aufhielten. Ich trank das Glas mit Wasser in einem Zug leer, stellte es dann in der Spüle ab und zog mich anschließend um.

Es mussten schwarzen Klamotten sein, das hatte mir der Boss ausdrücklich zu verstehen gegeben und so zwängte ich mich in eine enge schwarze Jeans, bevor ich ein schwarzes langärmliges T-Shirt über meinen Kopf streifte. Meine Haare band ich zu einem Pferdeschwanz zusammen und schlüpfte anschließend in meine bequemen schwarzen Sneakers.

Zufrieden mit meinem Outfit, wickelte ich einen Schal um meinen Hals und zog anschließend meine Daunenjacke über. Die Kälte in London hatte sich noch immer nicht verzogen, sondern hielt die Metropole mit ihren eisigen Klauen gefangen. Ich lief im Eiltempo zur U-Bahn, um dem kalten Wind so schnell wie möglich zu entgehen, der geradezu erbarmungslos durch die Straßen fegte.

Zitternd und vor Kälte bibbernd erreichte ich schließlich die U-Bahn Station, in welche gerade ein Zug einfuhr. Somit würde ich es locker schaffen, um viertel vor zwei an der Oxford Street zu sein. Der Gedanke daran heiterte mich ein wenig auf, denn ich freute mich, etwas Neues kennenzulernen. Als Bedienung hatte ich zwar noch nie gearbeitet aber so schwer konnte das ja nicht sein. Zumindest traute ich es mir zu, die Gäste zufrieden zu stellen. Wenn man Carries Aussagen Glauben schenken durfte, erhielt man recht üppige Trinkgelder, solange man seine Sache gut machte. Und ich hatte vor, in meinen neuen Job hervorragend zu sein.

Um Punkt zwei Uhr stand ich mit einer weißen Schürze über meinen schwarzen Klamotten bekleidet im Café und begann meinen neuen Job zu verrichten. Ich musste die Bestellungen der Gäste, welche an den Tischen saßen, aufnehmen, weitergeben und später servieren.

Die Leute, die an der Theke ihren Platz eingenommen hatten, wurden direkt von demjenigen bedient, der an diesem Tag für den Thekendienst eingeteilt war. Als kompliziert konnte man meinen Job wirklich nicht beschreiben und es war mitunter sehr unterhaltsam, da das Café von den unterschiedlichsten Menschen aufgesucht wurde. Die meisten Gäste waren sehr nett, das stellte ich zumindest während meines ersten Arbeitstages fest und sie gaben ein angemessenes Trinkgeld.

Natürlich befand sich hin und wieder jemand dabei, der fast gar kein Trinkgeld herausrückte aber das kompensierte sich ohne Probleme durch die Großzügigkeit der anderen Gäste. So gesehen war ich Carrie dankbar, dass mir hier untergebracht hatte, denn meinen Anteil für die Miete und die Umlagen wie Wasser, Strom und Internet würde ich bald herausrücken müssen.

Die fünf Stunden Arbeitszeit vergingen praktisch wie im Flug und ehe ich mich versah, nahte der Feierabend. Bevor ich den Weg nach Hause antrat, bekam ich noch ein Lob vom Boss zu hören, was mich verständlicherweise sehr erleichterte.

Mein neues Leben begann also mit einem sehr guten Start, anders konnte man es nicht ausdrücken. Trotzdem baute sich immer wieder das Gefühl in mir auf, dass ich nicht hierher gehörte, denn mein Herz tat weh, wenn ich an Niall dachte. Aber es war nicht nur er, der mir fehlte. Ich vermisste ebenso die Gesellschaft von Liam, Zayn, Louis, Harry, El, Perrie und Sophia. Sie waren mir einfach ans Herz gewachsen, umso schlimmer fühlte es sich an, irgendwie nicht mehr dazu zu gehören. Die Mädels, einschließlich Kathy, durften bei den Proben für die anstehende Tournee zuschauen und ich saß hier, in einem Zimmer, dessen Wände mich nach wie vor aggressiv machten.

Seufzend blickte ich auf mein Handy, unschlüssig, ob ich Jonathan vielleicht anrufen sollte, um den Termin am Samstag abzuklären. Doch er kam mir zuvor. Als hätte er es geahnt, dass ich ihn anrufen würde, begann mein Handy plötzlich zu vibrieren und sein Name tauchte auf dem Display auf.

„Hey, Jonathan", meldete ich mich sogleich erfreut.

„Hey, Bel. Na alles klar?"

„Ja, passt schon und bei dir?"

„Naja, es geht so. Ich wollte dir nur mitteilen, dass Kyle und ich am Samstag leider nicht vorbeischauen können, denn er liegt mit einer Grippe im Bett und mich hat es jetzt auch erwischt."

Ein lautes Niesen unterstrich seinen Gesundheitszustand. Soweit ich es beurteilen konnte, hörte seine Stimme sich irgendwie krächzend an.

„Da kann man wohl nichts machen", sagte ich. „Ich wünsche euch beiden gute Besserung und wir verschieben das einfach mit dem Anstreichen, bis ihr wieder fit seid."

„So machen wir es und vielen Dank für dein Verständnis", krächzte Jonathan ins Telefon.

Ich wusste, er würde mich nicht hängen lassen aber es war besser, eine Erkältung auszukurieren, als seine Mitmenschen anzustecken. Das war etwas, was ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen konnte, denn ich war darauf angewiesen, arbeiten zu gehen, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Das hatte ich in Neuseeland zwar auch getan aber mit dem Unterschied, dass die Lebenshaltungskosten nur einen Bruchteil von dem betrugen, was ich in London jeden Monat investieren musste, um einigermaßen über die Runden zu kommen.

Hinzu kam, dass ich die Mahlzeiten meistens bei Keith und seiner Familien eingenommen hatte, weil sie darauf bestanden, dass ich zu ihnen gehörte. Einen kurzen Augenblick dachte ich daran, wie es wohl wäre, ein Praktikum in Neuseeland zu machen, denn dieses Land war mir bereits vertraut.

Vielleicht bestand die Möglichkeit, es sogar in der Nähe der Whale Rescue Organisation zu absolvieren. Anfangs kam mir dieser Gedanke ziemlich absurd vor, doch je länger ich an diesem festhielt, umso konkreter wurden meine Pläne. Ich wollte wegen Niall in London bleiben aber jetzt, da wir so gut wie getrennt waren, wusste ich nicht mehr, wohin mein Herz mich führte. Ich fühlte mich verwirrt, verängstigt und verletzt.

Gleichzeitig keimte eine Art Stärke in mir auf, die mir befahl, nicht klein beizugeben und meinen Weg fortzusetzen. Egal, ob Niall nun an meiner Seite war oder nicht, ich war entschlossen, das Studium durchzuziehen und zwar hier, in London, zumal es die Chancen für spätere Berufsaussichten vergrößerte, wenn man ein Studium in englischer Sprache vorweisen konnte.

Um mir die Zeit zu vertreiben, schaute ich auf Twitter nach, was es an Neuigkeiten gab. Das Erste, was mir ins Auge fiel, war ein Foto von Niall, der wohl gerade ein Pub verließ. Im Hintergrund konnte man eine dunkelhaarige Frau sehen. Ich war mir sicher, dass es sich um die schwarzhaarige Schlampe handelte, die unser Glück zerstört hatte.

Wütend warf ich mein Handy auf das Bett und wischte die kleinen Tränen aus meinen Augen, die sich unweigerlich bildeten, weil ich so sehr darunter litt. Er hatte sich also ein weiteres Mal mit ihr getroffen. Was dachte er sich eigentlich dabei? Dass er während dieser Auszeit tun und lassen konnte was er wollte? Scheinbar nahm er diese Sache gar nicht ernst, sondern versuchte einfach sich zu vergnügen, so oft es ihm beliebte. Wenn das so aussah, dann hatte er mein Vertrauen gänzlich verloren.

Als ich plötzlich Schritte im Flur vernahm, machte sich Panik in mir breit. Ich hatte die Tür zu meinem Zimmer nicht abgeschlossen und befürchtete, dass Max jede Sekunde hineinstürmen würde. Zu meiner großen Erleichterung hörte ich Carrie jedoch rufen: „Bel, bist du da?"
„Ja, komm rein."

Sekunden später spähte eine grinsende Carrie durch den Türspalt, was mich dazu veranlasste, aufzustehen und sie zur Begrüßung zu umarmen.

„Was hältst du davon, wenn wir uns Pizza bestellen und ein bisschen Fernsehen schauen?", frage sie sogleich, was ich mit einem begeisterten „Die Idee finde ich super!", beantwortete.
So kam es, dass wir eine Stunde später gemeinsam auf ihrem breiten Bett saßen, unsere Pizza verdrückten und uns eine Sendung anschauten.

„Nachher müssen wir umschalten, denn One Direction sind live im TV", warf Carrie ein, was mir bewusst machte, wie sehr ich alles, was mit Niall zusammenhing, verdrängte. Trotzdem war ich nicht abgeneigt, den Auftritt anzuschauen. So seltsam es vielleicht klang: Es freute mich, die Jungs zumindest auf diese Art und Weise sehen zu können.

Ungeduldig wartete ich nun auf den Beginn der Sendung, in welcher die Jungs ein neues Lied präsentieren würden. Als es endlich soweit war, klopfte mein Herz schneller und mein Atem ging rascher. Niall stand mit seiner Gitarre am Mikrophon, er sah einfach nur toll aus!

Mir war durchaus bekannt, dass man dunkle Ringe unter den Augen überschminken konnte aber seine Klamotten und sein Lächeln, als er in die Kamera blickte, wirkten so sexy, dass es mir fast den Atem nahm. Ich konnte keiner Frau der Welt verdenken, dass sie es auf ihn abgesehen hatten und doch versetzte mir der Gedanke daran, dass vielleicht eine andere in seinen Armen liegen würde, regelrechte Messerstiche ins Herz. Und dann, als ich beinahe zufällig auf sein Handgelenk schaute, sah ich das Armband.

Jenes Armband, welches ich in Neuseeland für ihn gekauft hatte und das die Aufschrift Forever Yours als Gravur besaß.

Warum verdammt trug er dieses Armband, wenn ich ihm nichts mehr bedeutete? Er konnte sich doch nicht mit einer anderen treffen und gleichzeitig mein Geschenk an seinem Arm tragen!

Verzweifelt versuchte ich etwas aus seinem Gesicht herauszulesen, doch es gelang mir nicht. Er war ein Profi, wenn er auf der Bühne stand. In diesem Augenblick lebte er nur für sein Publikum und ließ nichts anderes an sich herankommen.

Und ich? Ich lebte in jenem Moment nur für diese Minuten, in denen ich jede Mimik, jeden Blick und jede Linie in seinem Gesicht in mir aufnehmen konnte. Wann würde es endlich aufhören weh zu tun? Und wann würde er einsehen, dass er ein sehr gefährliches Spiel mit mir spielte?

Ein Spiel, dass er auf Dauer nur verlieren konnte.

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Was haltet ihr von Max? Und wie denkt ihr wird es nun weitergehen?

Vielen Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel!

Nächstes Update: Sonntag!

LG, Ambi xxx

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