24. Crises
„Bel."
Nialls Stimme klang zehnmal rauer als sonst, was wohl darauf zurückzuführen war, dass er an diesem Abend mehr als genug Alkohol konsumiert hatte.
„Niall, ich bin müde und will schlafen", brummte ich unmotiviert in seine Richtung.
Doch es schien ihn nicht zu interessieren. Langsam näherte er sich dem Bett und nahm unaufgefordert am Fußende Platz.
„Was willst du?", fragte ich seufzend.
„Dich besuchen oder darf ich das nicht?"
Er wollte mich also in seiner eigenen Wohnung besuchen. Wie betrunken war er eigentlich? Meine Augen wanderten nun über sein hübsches Gesicht, das am Kinn mit Bartstoppeln überwuchert war, weil er entweder keine Lust oder keine Zeit gehabt hatte, sich zu rasieren. Seine blauen Augen waren kleiner als gewöhnlich, denn es fiel ihm schwer, seine Lider geöffnet zu halten. Die Alkoholfahne die mir entgegenschlug vermischte sich mit dem Geruch seines Aftershaves und ließ mich fast wieder zurück ins Bett sinken. Doch ich blieb tapfer sitzen und musterte ihn weiterhin recht kühl.
„Belita."
Es klang so lustig, wie er meinen Namen aussprach, ich musste mich beherrschen, um nicht laut loszulachen, obwohl mir eigentlich gar nicht danach zumute war.
„Niall." Eindringlich schaute ich ihn an. „Tu mir bitte den Gefallen und lege dich ins Wohnzimmer, um deinen Rausch auszuschlafen", versuchte ich ihm einzutrichtern.
„Ich bin... nicht... betrunken...", kam es nicht sehr überzeugend zurück.
„Doch das bist du."
„Wie kommst du denn darauf?"
Er grinste noch immer mit halbgeöffneten Augen vor sich hin und streckte jetzt seine Hand nach mir aus. Doch als er versuchte, meinen Arm zu erreichen, verlor er prompt das Gleichgewicht und fiel mit seinem Oberkörper nach vorne. In letzter Sekunde rollte ich mich zur Seite, um nicht von ihm begraben zu werden und Nialls Kopf landete auf meinem Kissen.
„Das riecht so gut", hörte ich ihn murmeln.
Na toll! Er war sturzbetrunken, lag nun in meinem Bett oder besser gesagt, in meinem Teil des Doppelbettes, während ich nun sehen musste, wo ich schlief. Ich würde ihn wohl kaum dazu bewegen können aufzustehen und besaß erst recht nicht die Kraft, ihn alleine vom Bett hochzuwuchten und ins Wohnzimmer zu geleiten.
Somit hieß das wohl, dass ich im Wohnzimmer nächtigen musste. Als ich Niall einen kurzen Blick zuwarf, stellte ich fest, dass er bereits eingeschlafen war. Die Tatsache, dass er noch alle Klamotten trug, ignorierte ich gekonnt, zog ihm jedoch die Schuhe aus, bevor ich aus dem Schlafzimmer verschwand, um in Richtung Wohnzimmer zu laufen.
Dort ließ ich mich auf dem Sofa nieder, schnappte das Kissen und die Decke, die Niall gehörten und versuchte hier meinen wohlverdienten Schlaf zu erlangen. Es war gar nicht so einfach, denn der betörende Duft seines Aftershaves schien mich von allen Seiten zu umgeben. Das Kissen roch danach, die Decke ebenso und selbst das T-Shirt, welches auf dem Sessel lag, der neben dem Sofa stand, verströmte diesen Geruch. Alles roch nach Niall, ich wollte das nicht, verdammt!
Ich war noch immer böse auf ihn, konnte nicht verstehen, warum er mich absichtlich so hintergangen und verletzt hatte und wollte einfach nur Abstand halten. Aber wie sollte das funktionieren, wenn ich überall seinen Geruch wahrnahm, der sich in meiner Nase festsetzte und mich fast den Verstand verlieren ließ?
Stunden vergingen und ich wälzte mich noch immer unruhig auf dem Sofa hin und her, ohne ein Auge zugemacht zu haben, während Niall im Schlafzimmer schnarchte. Die Welt war wirklich manchmal mehr als nur ungerecht.
Irgendwann schlief ich dann doch noch ein und erwachte am nächsten Tag gegen erst gegen viertel vor elf. Entsetzt sprang ich vom Sofa hoch, denn ich musste meinen Flug, der um viertel vor vier startete, erreichen. Schnell lief ich ins Bad, nahm eine kurze Dusche und stürmte dann ins Schlafzimmer, um meinen Koffer zu packen. Ich konnte jetzt keine Rücksicht auf Niall nehmen und wollte dies auch gar nicht.
„Shit", hörte ich ihn murmeln, „mir brummt der Schädel."
Warum trank er auch so viel, wenn er wusste, dass er es nicht vertrug? Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie er mich beobachtete.
„Wie spät ist es denn?", hörte ich ihn fragen.
„Kurz nach zwölf", lautete meine einsilbige Antwort.
„Was?!" Niall war mit einem Satz aus dem Bett draußen und sagte mit rauer Stimme: „Warum weckst du mich denn nicht? Ich muss meinen Flug nach Irland kriegen!"
„Und ich meinen nach Deutschland", antwortete ich seufzend, während ich eine Strickjacke in meinen Koffer legte.
Er brauchte sich nicht einzubilden, dass ich ihm verziehen hatte, nur weil er in meinem Bett hatte schlafen dürfen. Das war höhere Gewalt gewesen oder sollte ich es besser als Volltrunkenheit bezeichnen?
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ Niall das Schlafzimmer. Ich hörte, wie er ins Bad ging und nahm wahr, wie er kurz darauf zurückkehrte, um dann seinen Koffer hervorzuholen. Schweigend packten wir beide unsere Sachen ein und obwohl Niall nach mir damit begonnen hatte, war er vor mir fertig.
„Ich brauche jetzt eine Kopfschmerztablette", hörte ich ihn murmeln, als er den Raum verließ.
Normalerweise hätte er jetzt mein vollstes Mitgefühl gehabt aber in jenem Moment konnte ich es nicht aufbringen. Mir war einfach alles egal und ich wollte nur nach Hause, um ein wenig Abstand von der ganzen Sache und von Niall zu bekommen. Meine Entscheidung, am ersten Weihnachtsfeiertag nicht nach Dublin zu fliegen, stand so gut wie fest, denn ich hatte keine Lust, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. So lief das einfach nicht.
Mit einem lauten Seufzer wuchtete ich den fertig gepackten Koffer vom Bett und rollte ihn in Richtung Flur. Anschließend ging ich zur Garderobe, um meine Jacke anzuziehen. Die Stiefel standen zum Glück nicht weit entfernt davon und so war ich innerhalb kürzester Zeit bereit zum Abmarsch, genau wie Niall, der nur darauf wartete, dass er abgeholt wurde.
„Basil kommt gleich", hörte ich ihn sagen.
Er erwartete also, dass ich ihm Gesellschaft leistete, wenn wir zum Flughafen fuhren. Eigentlich hatte ich auch gar keine andere Wahl, denn meine Bargeldvorräte gingen zur Neige. Ich war mehr oder weniger darauf angewiesen, dass er mich mitnahm, was mich unheimlich ärgerte.
Aber es machte mir auf jeden Fall eines bewusst: Ich wollte in der Zukunft auf niemanden mehr angewiesen sein, jedenfalls nicht auf einen Freund. Bei meinen Eltern sah die Sache ein klein wenig anders aus, denn sie unterstützten mich finanziell, so wie es eben nötig war. Doch alles andere wollte ich nun alleine schaffen.
Niall konnte sich seine Millionen sonst wo hinstecken, denn Geld war nicht alles im Leben. Gefühle bedeuteten so viel mehr, das wurde mir wieder einmal bewusst. Das Komische war nur, dass ich Niall nie so gesehen hatte. Er erweckte immer den Eindruck bei mir, dass ihm eine gute Beziehung und vor allem Liebe viel mehr Wert waren als Geld. Aber das mit der Liebe hatte ich mir wohl eingebildet, ziemlich lange sogar, wenn ich ehrlich mir selbst gegenüber sein wollte. Denn kaum ließ ich ihn alleine, knutschte er mit einer anderen, was mein Vertrauen zu ihm ziemlich erschütterte.
Langsam fragte ich mich wirklich, was in den Monaten meiner Abwesenheit alles geschehen war, von dem ich keinen blassen Schimmer hatte. Meine Gedankengänge wurden unterbrochen, als die Türglocke läutete. Das musste Basil sein, der uns nun abholte und zum Flughafen kutschierte.
Schweren Herzens lief ich hinter Niall die Treppe nach unten und stieg kurze Zeit später in den schwarzen Wagen mit den abgedunkelten Scheiben, nachdem ich Basil kurz mit einer Umarmung begrüßt hatte. Er konnte ja nichts dafür, dass Niall und ich zerstritten waren und ich wusste nicht, ob er es überhaupt schon bemerkt hatte.
Jedenfalls saßen wir gemeinsam auf der Rückbank der Limousine, die nun in Richtung Flughafen fuhr. Die Fahrt kam mir so unendlich lange vor, viel länger als sonst aber das lag daran, dass wir nicht miteinander redeten. Auf jeden Fall war mir das lieber, als eine laute Diskussion, die in Geschrei und Beschimpfungen ausartete, denn verbale Verletzungen brauchte ich nicht auch noch.
Nach gefühlten fünf Stunden erreichten wir endlich den hinteren Parkplatz am Flughafen, von welchem man in den VIP Bereich gelangte. Da mein Ticket schon vor Wochen gebucht worden war, musste ich Niall in diesen Bereich begleiten, ob mir das nun passte oder nicht. Aber das würde ich auch noch hinter mich bringen, denn bald würde ich von allem erlöst sein.
Es wunderte mich, wie ruhig ich mit der ganzen Situation umgehen konnte und dass ich nicht ausrastete. Vielleicht lernte ich jetzt endlich mein Temperament unter Kontrolle zu halten, was manchmal durchaus angebracht war. Lustlos blätterte ich in einer Zeitschrift, während Niall sich mit seinem Handy beschäftigte. Er schrieb mit irgendjemandem, ich wollte gar nicht wissen, mit wem.
Erleichtert atmete ich auf, als endlich mein Flug nach München aufgerufen wurde. Ich erhob mich von meinem Platz, schaute kurz zu Niall und sagte: „Ich wünsche dir einen guten Flug nach Irland."
Es gab keinen Kuss und keine Umarmung zwischen uns, nur seine blauen Augen, die unendlich traurig ausschauten. Als ich in diese blickte, kamen alle Gefühle in mir hoch, die guten und die schlechten.
Ich musste mich mit aller Kraft beherrschen, mich umdrehen und weggehen, damit ich nicht zu heulen anfing. Das tat ich dann im Flugzeug, nachdem ich meinen Platz am Fenster eingenommen hatte. Einer Sintflut gleich stürzten die Tränen aus meinen Augen, denn mein Herz war gebrochen und meine Seele verletzt.
Ein Teil von mir wünschte sich, dass Niall mich jetzt umarmen sollte, doch der andere Teil verbot mir diesen Gedanken. Mein Stolz war viel zu groß, um das zuzulassen. Niemand durfte so mit mir umgehen, und der Mensch den ich liebte schon gar nicht! Dass er sich betrunken hatte, zeigte mir nur, dass er mit der ganzen Situation nicht umzugehen wusste. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen, vielleicht auch nicht.
Nun bekam ich Kopfschmerzen, was nicht verwunderlich war, denn mein Gehirn konnte einfach nicht abschalten. Ständig gaukelte es mir vor, dass ich Sehnsucht nach Niall hatte, doch ich unterdrückte dieses Gefühl mit aller Kraft. Wenn er so leichtfertig mit meinen Gefühlen und mit unserer Liebe und dem gegenseitigen Vertrauen umging, hatte er mich nicht verdient. Und wenn es zwischen uns weitergehen sollte, dann erwartete ich eine angemessene Entschuldigung von Niall. Vielleicht würde ich ihm dann verzeihen aber das Schlimme an der Geschichte war, dass ich ihm vermutlich nie wieder so vertrauen würde wie früher. Und dieser Gedanke lag mir schwer im Magen.
Als die Maschine in München zur Landung ansetzte, versuchte ich mich zusammen zu nehmen. Gleich würde ich einem Familienmitglied gegenüberstehen und noch sollte keiner wissen, was passiert war und wie ich mich im Moment fühlte. Ich wusste nicht, wer mich abholen kommen würde, das war wie immer eine Überraschung.
Der Weg zur Gepäckausgabe zog sich dahin und als ich endlich meinen Koffer vom Band hob, kam es mir vor, als seien Stunden vergangen. Schnell suchte ich nochmals die Toiletten auf, um die letzten Spuren meiner Heulattacke verschwinden zu lassen, was mir glücklicherweise ziemlich gut gelang. Dann schnappte ich meinen Koffer und marschierte gespannt durch die Tür, die zum Ausgang führte.
„Bel!"
Nelias Stimme erklang sofort in meinen Ohren und Sekunden später lagen wir uns in den Armen. Mein Vater, der hinter Nelia stand bekam auch eine Umarmung, nachdem ich meine kleine Schwester losgelassen hatte.
„Du siehst müde aus", bemerkte er beiläufig, als er nach meinem Koffer griff.
„Ich habe letzte Nacht nicht so gut geschlafen", antwortete ich nur.
Das war nicht einmal gelogen, sondern entsprach wirklich der Wahrheit. Den Grund dafür behielt ich jedoch für mich. Nelia grinste nur, sagte aber nichts dazu. Zu dritt liefen wir nun ins Parkhaus, wo der Porsche meines Vaters stand.
„Willst du fahren, Bel?", fragte er, nachdem er den Koffer eingeladen hatte.
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. „Klar!"
Stolz nahm ich den Autoschlüssel entgegen, setzte mich auf die Fahrerseite und startete den Motor. Nelia saß hinten auf der Rückbank, während mein Vater auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Es lag eine ganze Weile zurück, seit ich zum letzten Mal Auto gefahren war, umso mehr freute ich mich nun darüber, das Steuer übernehmen zu dürfen.
Diese Fahrt lenkte mich von meinen trüben Gedanken ab, doch kaum waren wir zuhause eingetroffen ging es schon wieder los. Gleich die zweite Frage, die meine Mutter stellte, bewirkte, dass mein Magen sich zusammenkrampfte.
„Wie geht es Niall? Ich hoffe doch, gut."
„Ja, Mum, es geht ihm gut", lautete meine rasche Antwort, bevor ich mich schnell in mein Zimmer zurückzog.
Niemand sollte wissen, wie sehr ich litt, wie sehr er mir wehgetan hatte. Obwohl ich diesen Schmerz in meinem Herzen trug, holte ich mein Handy hervor, um ihm eine SMS zu schicken. Es war unlogisch, so etwas zu tun, wenn man so sauer auf jemanden war, wie ich gerade im Augenblick, doch ich wusste, dass er sich sonst Sorgen machen würde. Und egal, wie sehr wir uns gestritten hatten, ich wollte nicht, dass Niall sich Sorgen machte, jedenfalls nicht meinetwegen. Die kurze SMS mit dem Wortlaut: „Bin gut zuhause angekommen", beantwortete er sofort mit einem: „Ok, ich auch."
Mehr gab es im Augenblick nicht zu sagen. So stellte ich mein Handy auf lautlos, ließ es auf dem Bett liegen und suchte die Küche auf, wo meine Mutter gerade Paella zubereitete. Sie schien für eine ganze Kompanie gekocht zu haben und es würde mich nicht wundern, wenn meine Brüder nebst Anhang plötzlich auftauchen sollten.
„Fernando, Günther und Gaby kommen nachher."
Die Stimme gehörte Nelia, die sich wie so oft einfach angeschlichen hatte. Als ich mich zu ihr umdrehte, wurde mir bewusst, dass ich ihr alles erzählen musste, denn Darragh und Niall waren nach wie vor die besten Freunde. Nelia würde von Darragh nur Nialls Version der Geschichte erfahren und genau das wollte ich nicht.
„Komm mit, Püppi."
Ich packte meine Schwester einfach am Arm und zerrte sie durch den Flur in mein Zimmer. Dort setzten wir uns auf das Bett, bevor ich zu reden begann. Nelia fielen fast die Augen aus dem Kopf, doch sie sagte etwas, was mich schon wieder vor Wut kochen ließ: „Denkst du nicht, dass du etwas überreagierst, Bel? Ich meine, Niall hat dich noch nie betrogen, er war immer ehrlich zu dir. Vermutlich gibt es irgendeine Erklärung dafür, warum er mit dieser Frau nach draußen verschwunden ist", lautete ihre Aussage, die mich vor Wut schäumen ließ.
„Sag mal, geht's noch? Und was soll es für eine Erklärung geben, dass er sie geküsst hat?"
„Hast du es mit eigenen Augen gesehen?", fragte Nelia lässig.
„Ja und nein. Also er hat sich zu ihr hinabgebeugt und es war dunkel, aber das was ich gesehen habe, reicht mir!", fauchte ich zurück.
„Hast du ihn mal drauf angesprochen?", lautete die nächste Frage meiner Schwester.
Bevor ich darauf antwortete, erhob ich mich vom Bett und ging zum Fenster, durch dessen Scheibe ich jetzt nach draußen starrte.
„Er hat das gesagt, was sie alle antworten, wenn sie ertappt wurden." Seufzend wiederholte ich Nialls Worte: „Es ist nicht so, wie es aussieht."
„Ihr hättet trotzdem miteinander reden sollen", gab Nelia von sich.
Ihre guten Ratschläge konnte sie für sich behalten, ich wollte nichts davon wissen. Zum Glück vernahmen wir das Läuten der Türglocke und Nelia stürmte aus meinem Zimmer. Ich folgte ihr mit nicht weniger schnellen Schritten, denn ich hatte meine Brüder schon ewig nicht mehr gesehen. Unsere Begrüßung fiel auch sehr herzlich aus, vor allem die zwischen Günther und mir.
Der Abend mit meiner Familie verlief sehr lustig, was mich natürlich von meinen Gedanken an Niall ablenkte. Doch als ich später alleine in meinem Bett lag, kamen diese unweigerlich zum Vorschein. Normalerweise würden wir jetzt bis spät in die Nacht hinein skypen und uns sagen, wie sehr wir einander vermissten. Doch danach stand mir im Moment nicht der Sinn, obwohl ich es wirklich vermisste, mit ihm zu reden.
So viele Dinge gingen durch meinen Kopf und ich wusste nicht, ob Nelia vielleicht doch Recht hatte. Wahrscheinlich hätte ich mit Niall reden sollen, denn jeder verdiente schließlich die Chance, sich rechtfertigen und verteidigen zu dürfen. Es existierte sogar ein Gesetz, welches das besagte, was mir sehr wohl bekannt war, da mein Vater sein Geld als Anwalt verdiente.
Komisch, dass mir solche merkwürdigen Dinge immer dann einfielen, wenn ich ein wenig zur Ruhe kam. Unruhig wälzte ich mich im Bett hin und her, das war jetzt schon die zweite Nacht, in der meine Gedanken mir den nötigen Schlaf entzogen. Morgen würde ich bestimmt aussehen wie ein Zombie, selbst wenn ich ausschlafen konnte. Mit Sicherheit würde man mir ansehen, dass ich ein Problem mit mir herumtrug.
Es war wahrscheinlich eine der schlimmsten Nächte meines Lebens, denn meine Sehnsucht nach Niall vergrößerte sich von Minute zu Minute mehr, obwohl ich noch immer sauer auf ihn war. Einerseits wollte ich ihm einen Schwall spanischer Schimpfworte entgegen schleudern und andererseits wollte ich, dass er mich in seine Arme nahm, und mich um Verzeihung bat.
In jenem Moment hätte ich ihm auch verziehen, doch ich wusste, dass man nachts oft eine andere Wahrnehmung hatte, als tagsüber. Dies galt vor allem für Gefühle jeglicher Art und somit war Vorsicht geboten. Ich wollte nichts überstürzen, sondern morgen meine Gedanken in aller Ruhe sortieren, um dann zu entscheiden, wie ich weiter vorgehen würde. Im Klartext hieß das, dass ich am morgigen Tag herausfinden wollte, ob ich am ersten Weihnachtsfeiertag nach Irland fliegen sollte oder nicht. Wenn ich das tat, hieß das für ihn, dass ich ihm verzeihen würde.
Ich wusste nicht, ob er das so einfach verdient hatte. Selbst wenn er nicht mit der anderen Frau geknutscht hatte, war die Situation doch mehr als eindeutig gewesen, er stand zumindest kurz davor. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn ich die beiden wirklich dabei erwischt hätte. Vermutlich wäre von der Schwarzhaarigen jetzt kein Stück mehr übrig, denn mein spanisches Temperament gestattete es nicht, in solchen Situationen ruhig und gelassen zu reagieren. Gegen zwei Uhr in der Nacht blickte ich zum letzten Mal auf die Uhr, danach schlief ich endlich erschöpft ein.
Als ich am nächsten Tag gegen zehn erwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Mein Kopf tat weh und meine Augen schienen irgendwie verquollen zu sein, obwohl ich nicht mehr geweint hatte. Lustlos suchte ich das Badezimmer auf, griff nach einer Schmerztablette, die sich im Spiegelschrank über dem Waschbecken befanden und spülte diese mit einem großen Schluck Wasser aus der Leitung hinunter.
Anschließend legte ich einen in kaltes Wasser getränkten Waschlappen auf mein Gesicht. Dies half zumindest ein wenig und so betrat ich nach kurzer Zeit die Dusche, unter der ich bestimmt zwanzig Minuten verweilte. Nachdem ich ein großes Badetuch um meinen Körper geschlungen hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Der Blick auf mein Handy geschah automatisch und so stellte ich fest, dass Niall mir eine Nachricht hatte zukommen lassen.
„Ich hoffe, dass du am Donnerstag trotzdem nach Irland kommst"
Für einen Moment schloss ich meine Augen und atmete gleichzeitig tief ein und aus. Fast war ich soweit, ihm zu sagen, dass ich kommen würde, doch etwas hielt mich in letzter Sekunde davon ab. Es waren mein verdammter Stolz und meine Sturheit, die das nicht so einfach zulassen würden. So schrieb ich nur zurück: „Ich überlege es mir."
Heute war der dreiundzwanzigste Dezember, bis morgen würde ich hoffentlich eine Lösung gefunden haben, mit der wir beide leben konnten. Nach dem Frühstück wandte ich mich den Weihnachtsgeschenken zu, die ich für meine Familie bereits in London gekauft hatte und die noch eingepackt werden mussten.
Selbst für Niall besaß ich ein Präsent, eine Karte für ein Musical in London. Irgendwann hatte er mal beiläufig erwähnt, dass er gerne eines anschauen würde. Der Termin lag zwar noch in weiter Ferne, genauer gesagt am vierten Februar, einen Tag, bevor One Direction nach Australien fliegen würden, um ihre Tour fortzusetzen. Als ich auf die Karte starrte, bereitete sich eine immense Traurigkeit in mir aus. Was würde bis dahin geschehen? Würden wir wieder zusammenfinden?
„Unsere Herzen werden sich immer finden."
Dieser Satz hatte sich so in meinem Gedächtnis eingeprägt, dass es einfach so sein musste. Ich wollte gerne daran glauben. Zumindest tat ich das in der nächsten halben Stunde, als ich damit beschäftigt war, die Geschenke liebevoll einzupacken. Die Karte für das Musical steckte ich in einen weißen Umschlag, welchen ich mit einer blauen Schleife versah. Um Nialls Namen malte ich zwei ineinander verschlungene Herzen, genau solche, die sich als Anhänger an meiner Kette befanden, die ich einst von Niall geschenkt bekommen hatte.
Lächelnd legte ich den Umschlag zu den restlichen Geschenken, die ich nun alle in meinem Kleiderschrank deponierte. Der Wunsch, am Donnerstag doch nach Irland zu fliegen, wurde plötzlich übermächtig groß und ich griff nach meinem Handy, um Niall eine Nachricht zu schicken.
Einer inneren Eingebung folgend, schaute ich jedoch zuerst auf Twitter nach, was es an Neuigkeiten gab. Es traf mich wie ein Blitz und mein Herz begann zu rasen, als ich die Fotos erblickte.
Meine Timeline war übersäht mit Bildern von Niall und der schwarzhaarigen Schlampe. Diese wurden an jenem Abend aufgenommen, als er betrunken nach Hause gekommen war und sie zerstörten meinen letzten Funken Hoffnung.
Er hatte sich mit ihr getroffen und glaubte, dass das nicht herauskommen würde. Wie weh wollte er mir eigentlich noch tun? Benommen warf ich mein Handy zur Seite, bevor ich mein Gesicht schluchzend in meinem Kopfkissen vergrub. Es war vorbei.
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Denkt ihr noch immer, dass Niall unschuldig ist? Ihr seid sicher schon gespannt auf das nächste Kapitel, das am Samstag kommt.
LG, Ambi xxx
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