6|| GENTLEMAN
Amanda
Die graukarierte Stoffhose in Kombination mit einem enganliegenden, weißen Hemd, das in die Hose gesteckt ist, steht ihm fabelhaft.
Weiße Sneaker befinden sich vor meiner Nase und weil die Hose wenige Zentimeter zu kurz ist, kann ich seine gebräunte Haut erkennen.
Seine Arme hängen locker an seiner Taille hinab und mir scheinen sie endlos lang, als ich mich nach ewigen Minuten Scham-Sterben dazu zwinge meine zugekniffenen Augenlider zu heben und meinem Gegenüber die Aufmerksamkeit zu schenken.
Nach dem, von mir verursachten, Unfall scheint mir das am höflichsten.
Dabei wünsche ich mir im Stillen noch immer, der Boden würde sich auftun und mich verschlucken.
Sein sonnengebräuntes Gesicht stimmt fabelhaft mit seinen ordentlich liegenden, schwarzen Locken überein, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich kenne ihn nicht. Seine jadegrünen Augen sind mir fremd und auch die geschwungenen Lippen und die silberne Kreuzkette um seinen Hals kommt mir nicht bekannt vor.
Ich kenne den hübschen Jungen nicht, der mich einen Moment so einnimmt, dass ich vergesse, dass ich immer noch auf dem Boden liege und wahrscheinlich schon die Aufmerksamkeit der halben Gewerkschaft habe.
Seine samten Worte kommen mir erst jetzt in den Sinn.
Jetzt, wo wir uns in die Augen sehen und ich vergesse mich zu schämen, weil er so fürsorglich und verständnisvoll aussieht.
Er schaut mich an, als sei der Sturz es wert gewesen und der Champagnerfleck auf seiner Schulter nur die halbe Miete.
Die Gesichtsröte fällt mir von den Wangen und ich atme erleichtert aus, weil ich plötzlich keine Sorgen mehr habe. Irgendetwas in seinem Blick hebt meine Laune augenblicklich und ich fühle mich nicht mehr halb so fehl am Platz, wie noch vor zwei Sekunden.
»Ist nicht deine Welt, was?«
Ich brauche ihm nicht antworten. Es ist eine Feststellung. Er klingt so verständnisvoll, dass ich fast glaube, ihm wäre es auch mal so ergangen.
»Darf ich dir aufhelfen?«
Mit einer Hand am Rücken, beugt er sich tiefer zu mir hinab und reicht mir seine andere. Drei Ringe stecken an seinen Fingern und ich starre sie eine Weile zittrig an, ehe ich Mut fasse und meine Hand in seine lege.
Wärme durchströmt mich. Kalte Wärme, die so angenehm durch meine Finger fließt, dass ich glaube sie seien Puzzleteile, die zueinander gefunden haben.
Sanft umfassen seine Finger meine, drücken sie kurz und ziehen mich dann an ihnen zurück auf die Beine.
Mein weißes Kleid wirbelt auf.
Der cremefarbige Stoff geht bis knapp über dem Boden und wird ohne Träger gehalten. Kleine Glitzersteine funkeln über dem letzten Rand des Dekolleté, das von meinen offenen Haaren bedeckt wird.
Wir stehen direkt voreinander. Er ist wenige Zentimeter größer als ich.
Unsere Nasen schweben voreinander und einen Moment sehen wir uns so tief in die Augen, dass das Wohnzimmer verschwimmt und wir in unsere eigene Welt eintauchen.
Eine Welt, die auch meine Welt ist.
Besser. Heil. Ohne Scham.
Wir vergessen zu atmen.
Wie in einer Blase schweben wir Hand in Hand davon. Ich glaube zu fliegen, spüre meine Beine nicht mehr, spüre mich nicht mehr. Nur noch ihn. Ihn allein, seine Hand in meiner, seinen Atem auf meiner Haut.
»So, Kinder! Das Buffet ist jetzt eröffnet!«
Plop!
Die Blase zerplatzt augenblicklich, als Melania in einem Sommerkleid das Wohnzimmer betritt und laut dazu auffordert ihr in den Garten zu folgen.
Erst jetzt nehme ich ihn wieder richtig wahr, sehe, was ich tue und getan habe und wie festgewurzelt ich an seiner Hand klebe. Ruckartig löse ich mich, die Peinlichkeit kehrt zurück und weil ich nicht weiß, was ich sagen oder tun soll, entziehe ich mich ihm endlich und laufe schnell nach draußen, hinter Melania her. Unangenehmer kann es nicht werden.
Ich weiß nicht, ob er mir nachsieht, mir folgt und ob er genauso verwirrt ist wie ich. Mein Kopf dreht sich.
Die Details seines Gesichts brennen sich in meine Erinnerungen und seine Stimme hallt wieder und wieder durch meinen Kopf.
Ich bin so verwirrt, dass ich über die Türschwelle stolpere und mich gerade noch so halten kann, bevor ich auf mein Kleid trete.
Wieder schäme ich mich, aber diesmal trage ich es mit Fassung, um Melania endlich zum Geburtstag zu gratulieren.
Der Garten ist mit wunderschönen Lichterketten behangen, die in der angehenden Dunkelheit warmes Licht spenden und die gemütlichen Sitzecken und die aufgebaute Tanzfläche beinahe magisch wirken lassen.
Menschen lachen, Menschen bedienen sich beim aufgebauten Buffettisch oder sitzen beieinander und unterhalten sich.
Alles wirkt stimmig und gelöst. Nur ich komme mit der Atmosphäre nicht auf einen Nenner. Das Gefühl zu fliegen ist verschwunden. Vielleicht war es auch nie da.
Ich entdecke Melania auf der Tanzfläche. Eine Schar von Gästen hat sich um sie gestellt und singt laut ein Geburtstagsständchen in den Himmel. Mit einem breiten Lächeln sieht sie sich um, nimmt Geschenke entgegen, errötet und lässt sich umarmen.
Ich freue mich, dass sie sich freut. Diese übermannende Art von Aufmerksamkeit und Liebe hat Melania sich verdient.
Als das Lied vorbei und der erste Tumult sich gelegt hat, schaffe auch ich es endlich nach vorne, um die kleine Dame in den Arm zu nehmen.
Ihre grauen Locken kitzeln an meinem Ohr. Der vertraute Duft nach Blumen und Orange steigt in meiner Nase hoch und ich versinke einen Moment, ehe ich ihr gratuliere.
»Alles Gute, liebe Nachbarin! Auf das wir noch viele Male Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen werden!«
Sie lacht herzlich.
»Danke schön, Liebling! Und natürlich werden wir unehrlichen Hasen das.«
Sie zwinkert mir freudig zu, löst sich dann ein wenig und sieht zu mir auf.
»Du siehst wunderschön aus in diesem Kleid. Du verdrehst allen die Augen.«
Ich denke an meinen Sturz zurück und entscheide, dass diese Aussage wohl gelogen ist. Weil man Miss Stevens allerdings nicht widersprechen kann, lasse ich ihre Worte unbetagt im Raum stehen.
»Ach ... Na ja ... Ich denke, die Aufmerksamkeit liegt viel mehr auf dem jungen Geburtstagskind von heute!«
»Findest du? Ich habe ja auch das Gefühl, dass Gilbert Kracher mich schon den ganzen Abend über anglotzt!«
Sie rollt mit den Augen und verdreht sie hinter sich, wo ich im Augenwinkel den siebzigjährigen Herrn von nebenan festmachen kann.
Er ist ebenfalls verwitwet und vielleicht gerade deswegen so interessiert an seiner Nachbarin.
Leider beruht das, laut Melania, nicht auf Gegenseitigkeit.
Sie findet nämlich, dass Gilbert mit seinen siebzig zu alt für ihre fünfundsechzig ist.
Ich weiß, dass sie das nur als Vorwand benutzt, um ihr eigentliches Interesse an ihm zu verbergen.
»Ich werde ihn im Auge behalten«, verspreche ich Melania und kichere, als ich bemerke, dass sie ihn mindestens genauso offensichtlich "anglotzt".
»Gut, Kindchen. Ich muss jetzt leider wieder gehen, Familie Montgomery ist gerade gekommen und wenn ich mich nicht beeile, frisst Claude wieder den ganzen Kartoffelsalat auf und hat danach Bauchschmerzen, weil er doch Laktose intolerant ist!«
Ich nicke verstehend und seufze innerlich, weil ich wieder allein herumstehe.
Um nicht schon wieder mit einem Missgeschick für Aufmerksamkeit zu sorgen, suche ich nach einem freien Sitzplatz im Garten.
Ich werde schnell fündig.
Eine der Holzbänke, die an der Hauswand lehnt und wegen ihres abseitsgelegenen Orts mehr beschattet als erhellt wird, ist vollkommen unbesetzt.
Ihre Lage ist dennoch perfekt. Die Tanzfläche ist nur wenige Meter von mir entfernt und ich kann durch den gesamten Garten blicken und dabei doch unauffällig bleiben.
Niemand nimmt mich wahr. Und ich bin froh darüber, denn dann fällt niemandem auf, dass ich sie beobachte und beim Tanzen verfolge.
Geschmeidig und geladen mit guter Laune bewegen sich erste Paare über die Tanzfläche und ich frage mich, wie es sein kann, dass einige Menschen mit so viel Eleganz geboren werden und andere mit gar keiner.
Trostlos starre ich auf meine zwei linken Füße und wackle mit den Zehen, weil mir nach einer guten Viertelstunde starren langweilig wird.
Meine Eltern haben es mittlerweile auch nach draußen geschafft und wechseln alle paar Minuten ihre Gesprächspartner, um sich mit jedem anzufreunden.
Leo hat die Nachbarskinder entdeckt und tobt mit ihnen durch die Blumenbeete.
Mir bleibt nur der klare Sternenhimmel, der die warme Finsternis noch magischer macht. Glühwürmchen quasseln durch den Garten, es riecht nach frischen Rosen und trotzdem trübt mich in all dem Stimmengewirr die Einsamkeit.
Was Morle wohl gerade macht?
Wie gerne hätte ich sie mit hergenommen.
»Ich habe nie einen sehnsüchtigeren Blick gesehen, als den deinen.«
Ich bin gar nicht fähig mich zu erschrecken, weil seine Stimme so interessant klingt, dass ich augenblicklich wieder eingenommen von ihrer Sänfte und dem fremden Akzent bin. Seine Worte klingen so englisch und doch muttersprachlich, dass ich beinahe Kopfschmerzen bekomme, wenn das nicht gleichzeitig so anziehend und cool wäre.
Die Bank knarzt, als er sich neben mich setzt und meinen einsamen Körper mit seiner Anwesenheit wärmt. Sein straff hochgekrempeltes Hemd kitzelt mich am Oberarm. Ich bin augenblicklich verwirrt und abgelenkt. Abgelenkt von ihm.
»Dann scheinst du noch nicht vielen Menschen ins Gesicht gesehen zu haben«, murmele ich und spiele mit meinen Fingern.
»Du hast recht. Das habe ich tatsächlich nicht. Deswegen ist dein Blick, der sehnsüchtigste bisher.«
»Ich bin aber nicht sehnsüchtig.«
»Was bist du dann?«
»Gelangweilt.«
»Gelangweilt von was?«
»Gelangweilt von Gesprächen, Fragen und dem aufgesetzten Gelächter«, antworte ich ehrlich und verliere meinen Blick auf dem tauenden Rasen.
Ich weiß nicht, warum ich überhaupt den Mut aufbringe, so direkt mit ihm zu sprechen.
Irgendwie fühlt sich das gerade aber gut an. Ich fühle mich leichter.
»Wieso tust du dann nicht etwas, das all diese Dinge nicht weiter belastet?«
»Und was soll das sein?«
»Du könntest tanzen.«
Mit seinem Kopf nickt er zur Tanzfläche. Sie ist bis auf zwei einsame Paare leer.
Die Gäste tummeln sich gerade am Buffettisch, holen sich Nachtisch aus der Küche oder ein neues Glas Champagner.
Ich lache ironisch auf.
Tanzen wäre das Letzte, was ich mit meinem Ungeschick versuchen sollte. Durch mein Blut fließt so ziemlich alles, was einen eleganten Tanz unmöglich macht. Es wäre nur peinlich.
»Oh, nein. Mein peinlicher Sturz gerade eben sollte Vorgeschmack genug sein.
Ich bin leider ohne Rhythmusgefühl und musikalische Sinne geboren, das macht einen Tanz unmöglich.«
Nun lacht er ebenfalls.
»Och, komm. Ich dachte, du würdest mir mit einer besseren Ausrede kommen.«
»Das ist keine Ausrede.«
»Was ist es dann? Ein Korb? Willst du mich loswerden?«
Er scheint amüsiert und doch habe ich keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Loswerden will ich ihn ganz bestimmt nicht, aber tanzen werde ich auch nicht.
»Nein, so radikal ist es nicht gemeint. Ich kann nur nicht tanzen.«
»Jeder kann tanzen«, widerspricht er mir und erhebt sich. Ich schüttle den Kopf, als er zwischen der Tanzfläche und mir hin und her sieht.
»Nicht, wenn man mit zwei linken Füßen geboren wurde und damit jeden mit Ungeschick verletzen wird.«
Er hält einen Moment inne und ich lächle innerlich, weil ich überzeugt bin, ihn damit abgeschreckt zu haben.
So sanft war der Fall auf den Rücken anscheinend nicht gerade und wenn er klug ist, dann schreckt ihn meine Rede ab.
Anscheinend ist er nicht klug.
Als ich nämlich beinahe glaube, er würde ohne noch ein Wort davonrennen, ergreift er erneut das Wort.
»Das ist doch perfekt! Zufälligerweise bin ich mit zwei rechten Beinen geboren, wir werden uns ganz bestimmt ergänzen. Komm!«
Er klingt angetan und euphorisch. Ich falle seiner Begeisterung nicht bei und aufstehen tue ich auch nicht.
»Nein, bitte, ich möchte wirklich nicht tanzen. Tut mir leid.«
Ich versuche die zweite Variante. Die Nein-Danke-Ein-Anderes-Mal-Vielleicht– Variante.
Leider schlägt sie noch weniger bei ihm an.
Er sieht mich einen Moment mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann schüttelt er den Kopf.
Ich hebe ebenfalls meine Augenbraue. Ich verstehe nämlich nicht, warum er so dringend mit mir tanzen möchte. Auf dieser Feier wird sich bestimmt jemand finden, der lieber mit ihm tanzen würde und auch seiner Schönheit gleichkäme.
Noch dazu kommt, dass ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Ich kenne diesen Jungen gar nicht. So, wie er redet, kommt er aus England und ist erst seit einer Weile in Holland.
Ich frage mich augenblicklich, was er hier auf der Party sucht. In welcher Weise ist er mit Melania verwandt oder befreundet? Sind seine Eltern auch hier?
Ich bin verwirrt.
Dabei bleibt mir dafür keine Zeit. Während ich nämlich Löcher in die Luft starre und mich nicht entscheiden kann, ob ich hier meine Lebensveränderung verpasse oder alles richtig gemacht habe, steht der Schönling seufzend auf und lässt mich allein.
Alle Enttäuschung sackt in meine Glieder.
Wieso konnte ich nicht einmal Ja sagen und ein wenig Spaß haben?
Ich bin verklemmt.
Das ist es, was meine Mutter nicht versteht, denn sie ist hemmungslos und für jede Verrücktheit zu haben.
Sie hätte niemals eine solche Aufforderung abgeschlagen und ich wünsche mir mit jedem Schritt, den er von mir weggeht, dass auch ich mich einfach hätte fallenlassen.
Vielleicht wäre es ja lustig geworden.
Vielleicht hätten wir uns näher kennengelernt und der Abend hätte eine viel spannende Variante als Langeweile genommen.
Vielleicht hätte ich endlich jemanden, mit dem ich mich auf Gartenpartys unterhalten könnte.
Danke, 'Manda! Du bist echt ein Profi im Leute-Abservieren.
Ich senke beschämt den Kopf.
Woher kommt denn immer diese Spaßbremse in mir? Üblicherweise liegt sie nicht in meiner Natur.
Da interessiert sich einmal – Einmal! – ein männliches Lebewesen für mich und das Erste, was ich mache, ist ihn wegschicken.
Ganz toll gemacht.
Ich starre dem Schönling hinterher. Seine Schritte sind ruhig und anmutig, als würde er schweben. Auch aus der Ferne ist seine muskulöse Statur unübersehbar. Seine Locken liegen vom Winde verweht auf seinem Kopf, aber ich muss zugeben, das macht ihn attraktiver denn je.
Er steuert auf Melania zu, die mit einer Gruppe von Damen, unter denen ich auch meine liebreizende Mutter entdecke, an einem weißgedeckten Gartentisch sitzt und ein Stück ihrer Geburtstagstorte isst.
Als der Schönling sich neben sie stellt, erhellt sich ihre Miene und sie legt einen Arm um den schlanken Jungen, während sie sich mit einem herzlichen Lächeln an die Damen neben sich wendet.
Ihr Lächeln geht auf das der Frauen über und sie alle scheinen von ihm entzückt zu sein.
Ich kann aus der Entfernung nicht hören, wovon sie sprechen, aber meine Mutter lächelt wie ein Honigkuchenpferd und das bedeutet allgemein nicht wirklich etwas Gutes.
Ich zwinge mich nicht länger über ihn nachzudenken.
Bestimmt kann er meine Reue langsam an seinem Rücken spüren und das ist unangenehm.
Er ist doch schlicht ergreifend ein Junge, der mit mir hat tanzen wollen.
Zwanglos und ohne Absicht.
Ich würde bestimmt an einem anderen Tag eine andere Möglichkeit bekommen.
Auf der Welt gibt es Milliarden Männer.
Warum soll meine Chance also an diesem einen zersprungen sein? Und warum plagt mich dieses komische Bauchkribbeln voll Trauer?
Meine schweren Gedanken werden von einem leisen Räuspern unterbrochen, das mich erschreckt hochsehen lässt.
Ein grinsender Lockenkopf verbeugt sich vor mir auf der erhöhten Tanzfläche und lächelt freundlich auf mich herab, während ich ihn fasziniert und mit großen Augen anstarre.
Die Lichter der Lichterketten spiegeln sich in seinen grünen Augen und ich frage mich, ob nur ich es bin, die das unwiderstehlich schön findet.
Magisch.
Seine verzogenen Lippen spalten sich und seine linke Hand schnellt vor meine Sicht, ehe er mit ernstem, charmantem Ton zu fragen beginnt.
Ich bin überwältigt und irgendwie ... gerührt.
»Amanda Rosalia Vine, würdest du mir die Ehre erweisen und mit mir tanzen?«
Er fragt mit amüsierter Unschuldsmiene und ich kann mir das Kichern nicht verkneifen.
Die Aufmerksamkeit von mindestens Melanias Damengruppe liegt auf seiner Hand und meiner Entscheidung, die sich nicht noch ein zweites Mal falsch erwählen lässt.
Grinsend schenke ich dem edlen Ritter meine Hand, die ihn zuletzt ebenfalls lächeln lässt. Er zieht mich zu sich auf die Tanzfläche und es passiert wie von allein, dass unsere Körper und Arme zu einer Tanzposition zusammenfinden.
Meine Arme schlingen sich um seinen Hals und seine legen sich warm und locker an meine Taille, ehe sie mich über den Parkettboden schweben lassen, als könne ich doch tanzen.
Ich kann nicht fassen, ihm das vorerst ausgeschlagen zu haben, denn mir fällt schnell auf, dass ich Spaß an unserem Tanzen finde.
Die Art und Weise wie er uns durch das Lied leitet, ist traumhaft schön und dabei angesehen und belächelt zu werden, wie seine Lippen und Augen es tuen, ist ein fabelhafter Bonus.
Ich genieße die Sekunden, die wir beide frei durch die frühe Nacht wirbeln.
Meine gefühlte Langeweile ist verpufft und wilder Energie gewichen, die sich dreht und lacht und fremden Bewegungen hingibt.
Er kann toll tanzen und ich muss nicht einmal seinen Namen wissen, um mich sicher und geborgen in seinen Armen zu fühlen.
Seine Nähe beunruhigt mich nicht einmal. Im Gegenteil.
Ich fühle mich erwärmt und bemerkt und auf eine Weise auch begehrt, denn immerhin hat er explizit mich zu einem Tanz aufgefordert und sich dafür sogar meinen vollen Namen stibitzt.
Im Nachhinein würde ich das gerne einem charmanten Schachzug zuschreiben, aber je länger ich ihn und seine Motorik beobachte, desto eher kommt mir in den Sinn, dass er immer so zuvorkommend und freundlich ist.
Das alles macht es beinahe noch besser. Denn ein echter Gentleman ist schwer zu finden und irgendwie einfach unheimlich attraktiv.
»Ich denke, nachdem ich mir deinen Namen gestohlen habe, ist es nur fair, wenn du auch von meinem erfährst«, bricht er die flatternde Stille zwischen uns und schaut mir in die Augen.
Ich nicke erwartungsvoll, obwohl ich mich auch gerne mit meinen überbrückten Spitznamen zufrieden gebe.
Sie beschreiben ihn immerhin perfekt.
»Ich heiße Carter.«
Ein schöner Name. Und irgendwie passt er zu ihm.
Carter.
»Ich habe dich noch nie zuvor gesehen. Kommst du von hier?«, frage ich und hebe meinen Kopf, um ihm in die Augen sehen zu können.
Seine Pupillen gleichen der dunkelgewordenen Umgebung und ich kann nur schwach das Grün erkennen, das um sie herum glänzt.
»Nein, ich komme nicht von hier. Aber meine Großmutter lebt hier und sie ist es, die ich momentan besuche.«
Carter nimmt sich meine Hand und verschränkt sie mit seinen Fingern, ehe er mich in nächster Sekunde von sich führt und mich um meine eigene Achse drehen lässt.
Mit den Impulsen des Liedes zieht er mich nach drei Umdrehungen wieder an sich und beugt sich näher zu mir hinab.
»Siehst du, Rosie, du kannst doch tanzen.«
Seine Stimme kitzelt an meinem Ohr und ich bin benebelt von dieser Art von Nähe. Noch nie zuvor ist mir ein Junge so nahe gekommen, außer Lili vielleicht, und ich hätte nie gedacht, dass ich so positiv unbedacht damit umgehen würde.
Carters Nähe macht mich nicht nervös – naja, vielleicht ein bisschen – sondern berauscht mich mit prickelnden, neuen, aufregenden Gefühlen.
Mein Körper spielt verrückt.
Meine Haut pulsiert, wenn er meine Hand greift.
Mein Herz schlägt wild auf und ab und in meinem Magen kitzelt es.
»Das bildest du dir ein, Cater. Ich kann nur tanzen, weil du mich dazu anführst meine Beine an die richtige Stelle zu bewegen.«
Er grinst schief.
»Aber das ist doch vollkommen irrelevant. Fakt ist doch, dass du es zuletzt richtig machst.«
Hätte er das mal nicht gesagt.
Denn kaum ist das Wort richtig ausgesprochen tritt mein Fuß an die falsche Stelle und Carter mitten auf die Zehen.
Ich beiße mir ruckartig auf die Zunge. Denn während er zunächst verdutzt scheint, weil sich mein Fußabdruck auf seinen Schuhen abzeichnet, bin ich weniger mit Scham als Belustigung gefüllt.
Natürlich musste das passieren.
»Es tut mir leid, Carter. Ich bin nur einfach ein wandelndes Missgeschick«, pruste ich und entferne mich einen Schritt. Er schüttelt den Kopf und holt den Abstand wieder auf.
»Ich kenne dich zwar nicht sehr gut, aber mein Gefühl sagt mir, dass das nicht wahr ist.«
Seine Hand wandert zurück zu meiner Hüfte und als
sei nie etwas passiert, dreht er uns in die nächste Figur des angespielten Tanzes.
Ich bin froh, dass er es gelassen nimmt. Irgendwie spült das meine Hemmungen ein wenig hinunter und ich kann mich freier fühlen.
Vielleicht, weil Carter mich für weder das eine noch das andere boshaft verurteilt.
»Erzähl mir mehr über dich. Wohnst du in der Nachbarschaft? Hast du Geschwister? Was machst du gerne, ohne, dass es dir peinlich ist?«
Ich überlege einen Moment.
Tja ... was mache ich denn gerne, ohne, dass es mir peinlich ist?
Bei meiner Mum wäre es auf jeden Fall das Cornflakes Fressen den gesamten Tag über. Das macht sie wirklich, wirklich, wirklich gerne.
»Ich wohne gleich nebenan. Dort vorne.« Ich deute auf unser Haus, das direkt neben Miss Stevens Haus andockt.
»Ich habe eine kleine Schwester, Leo, die müsste hier auch irgendwo herumtoben und eine Katze, die ich leider in meinem Zimmer lassen musste. Aber ich glaube, das stört sie keineswegs.«
»Wieso glaubst du das?«
»Naja«, ich grinse belustigt, »sagen wir mal, dass Morle nicht die netteste und sozialste Hauskatze ist.«
»Wie kann ich das verstehen?« Er erwidert mein Gegrinse.
»Sie starrt einen immer so unglaublich unfreundlich und desinteressiert an. Grundsätzlich hasst sie es zu kuscheln oder gestreichelt zu werden und sie hält sich an keine einzige Regeln bei uns Zuhause.«
»Klingt nach einer liebenswerten Katze.«
Ich nicke zustimmend.
»Das ist sie. Ich liebe sie abgöttisch. Und zu deiner letzten Frage.«
Ich halte noch einen Moment inne.
»Ich glaube, etwas, was ich liebe und mir nicht peinlich ist, ist meine Gemütlichkeit.«
Er scheint von dieser Antwort angetan. Interessiert glitzern seine Augen in meine und warten auf mehr Informationen.
Ich bin überrascht, dass er sich tatsächlich dafür wissbegierig zeigt.
»Deine Gemütlichkeit?«
»Ja, meine Gemütlichkeit. Du wirst mich gleich als Mann wahrscheinlich ziemlich kitschig und langweilig finden, aber ich liebe es mich in warme, bequeme Kleidung zu werfen und es mir auf dem
Sofa vor dem Fernseher mit heißer Schokolade gemütlich zu machen.«
Anders als erwartet verziehen sich seine Lippen zu einem Schmunzeln.
»Das ist keineswegs langweilig. Mir gefällt die Antwort«, beteuert er und sieht mich ehrlich an.
Ich bin positiv überrascht.
Wenn er lügt, dann kann er dies hervorragend kaschieren.
»Und du? Was lässt deine Seele baumeln?«
Seine Antwort fällt sofort.
»Ein gutes Buch, Musik und ein offenes Fenster mit frischer Luft.«
»Was für Bücher liest du gern?«
»Jedes Buch bei dem mir das Cover gefällt.«
Ich kichere. Diese Antwort hätte ich ihm auch gegeben, denn wenn ich ehrlich bin, lese ich kein Buch, das von außen nicht meine Interesse weckt.
»Meistens sind das Romane«, fügt er hinzu und dreht uns einmal im Kreis über die gesamte Tanzfläche.
Ich bin mittlerweile ziemlich losgelöst und eingenommen in unsere Bewegungen.
Carter kann hervorragend tanzen und ich bin neugierig, wo oder von wem er all diese Bewegungen beigebracht bekommen hat.
Sogar einen Tollpatsch wie mich lässt er auf dieser erleuchteten Fläche halbwegs elegant aussehen.
Und ich wünsche, dass wir niemals aufhören zu tanzen. So schön ist das Gefühl seiner Nähe.
Wie auch immer das möglich ist.
Carter und ich tanzen beinahe die ganze Nacht.
Melanias Geburtstagspartys sind berüchtigt für guten Punsch und eine lange Nacht, dass es nicht verwunderlich ist, das bis drei Uhr morgens niemand die Feier verlässt.
Ich amüsiere mich zum ersten Mal prächtig auf einer Feier. Carter weicht mir nicht mehr von der Seite.
Wir unterhalten uns lange, lachen und tanzen.
Und mit unseren Worten bricht die Zeit.
Gegen halb vier steuert Mum die kleine Gartenbank an, auf die Carter und ich uns zurückgezogen haben.
Ihr Gesicht ziert ein sanftes, zufriedenes Lächeln.
»Wir wollen langsam aufbrechen. Leo ist längst eingeschlafen und dein Vater hat langsam taube Arme, weil er sie tragen muss.«
Sie kichert und schaut fragend von mir zu Carter.
Der Lockenkopf erhebt sich fast zeitgleich mit mir und nickt zuvorkommend.
»Dann will ich nicht länger stören. Ich wünsche eine angenehme Nacht.«
Er schüttelt meiner Mutter die Hand und verbeugt sich andeutend.
Schleimer.
»Ihr zwei werdet euch sicher noch einmal sprechen, aber auch dir eine gute Nacht, Carter.«
Meine Mutter scheint beeindruckt und wendet sich mit einem vielsagenden Blick ab, um mir die letzten Worte ohne ihre Ohren zu lassen.
»Ich weiß gar nicht, ob ich mich für den tollen Abend bedanken oder lieber doch auch eine gute Nacht wünschen soll?«
Carter dreht sich zu mir und senkt den Kopf.
Sein Körper ist mir mit einem Mal wieder unglaublich nahe.
»Bedank dich nicht, Rosie. Wir haben beide unseren Spaß gehabt.«
»Dann also eine gute Nacht. Schlaf gut, Carter.«
Ich schenke ihm ein letztes Lächeln.
»Träum süß, Rosie.«
Carter schenkt mir einen Handkuss.
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