41|| SOLANGE WIR LEBEN


Amanda

Als wir um halb zwei in der Nacht heimkehren, ist das Fest bei Miss Stevens noch immer in vollem Gange.

Kein einziger Gast hat sich in den Abend entlassen und ich entdecke meine liebe Nachbarin mit ihrem neuen Liebhaber auf der Tanzfläche mit einem Glas Sekt in der Hand tanzen und verliebt in die Augen von Gilbert blicken.

Dass man sich sogar im hohen Alter noch einmal richtig verlieben kann, erwärmt mir mein Herz und ich wünsche den beiden noch viele Jahre gemeinsam.

»Genau das, will ich mit dir«, flüstert mir Carter ins Ohr und drückt mir dann einen Kuss auf die Wange.
Ich sehe ihn verliebt an.

Dieser Mann ist wirklich der größte Romantiker, dem ich je begegnet bin.

Schlimmer noch als mein Dad. Aber ich liebe es.

Also lächle ich und küsse ihn.

»Ein langes, glückliches, gemeinsames Leben«, füge ich hinzu und merke, wie angetan ich selbst von dieser Idee bin.

»Genau das«, nickt Carter und löst sich dann ein Stück von mir.

»Ich schnappe mir mal kurz Kilian und wir ziehen uns was frisches an, okay?«

Ich nicke.

»Jap, ich gehe auch kurz rüber und ziehe mir etwas anderes an«, bestätige ich und suche dann nach meiner besten Freundin, die wir gemeinsam mit Lili ebenfalls hierher geladen haben und der ich bei dieser Gelegenheit auch mal auf den Zahn fühlen kann.

Wir haben schon lange kein Gespräch mehr unter vier Augen geführt und ich bedaure, in den letzten Wochen so sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen zu sein. Wenn Carter recht hat, es zwischen Kilian und Cleo tatsächlich knistert hat, und ich nichts mitbekommen habe, dann wird es jetzt allerhöchste Eisenbahn.

Kaum finde ich Cleo, die meinem sehr gesprächigen Dad über den Weg gelaufen ist, schnappe ich mir ihre Hand und ziehe sie durch den Vorgarten hinüber in Richtung unseres Hauses.

Cleos hübsches Sommerkleid ist noch immer klatschnass und wenn sie nicht langsam aus diesem Stoff kommt, wird sie mir noch krank. Das ist das letzte, was ich möchte, weswegen ich sie gleich hinauf in mein Zimmer ziehe und nach etwas Trockenem für sie suche.

»Sowas wie heute müssen wir unbedingt wiederholen. Ich glaube, ich hatte selten so viel Spaß wie heute Abend«, verrät mir Cleo, während ich ihr Unterwäsche und eines meiner Sommerkleider unter die Nase halte und überlege, ob das das richtige ist, wenn sie gleich auf Kilian trifft.

Seit Carter mir geflüstert hat, wie gut die beiden doch zusammenpassen, ist bei mir ein Schalter umgelegt worden und ich bin Feuer und Flamme herauszufinden, ob an dieser Feststellung tatsächlich etwas Wahres dran ist. Und wenn nicht, ob man daraus nicht etwas Wahres machen könnte. Die beiden würden ein super Pärchen abgeben!

»Das fand ich auch. Ich habe noch immer Bauchschmerzen vom vielen Lachen.«

»Zurecht, die Aktion im Wasser war wirklich uncool!«, schmollt Cleo ironisch und stupst mir in die Seite, während ich das perfekte Kleid für sie finde.

Es ist ein babyblaues Sommerkleid mit herzförmigem Ausschnitt auf das weiße Blumen gestickt sind. Der Stoff ist dick und liegt eng am Oberkörper, während der Rock fächern bis zu den Knien fällt.
Passend zu weißen Sneakern und einer Halskette werden meinem besten Freund die Augen ausfallen, wenn er sie sieht.

»Sag mal ... Kilian und du ... ihr seid nicht irgendwie anders zueinander, oder?«, frage ich in die entstandene Stille und beiße mir auf die Unterlippe, während ich meine beste Freundin fragend ansehe.

Ich will unbedingt wissen, ob etwas an der Sache dran ist.

»Was meinst du mit ... anders?«, fragt Cleo und sieht mir äußerlich ziemlich neutral entgegen. In ihren Augen jedoch liegt ein Schimmer, der etwas zu verbergen hat. Sie ist nervös! 

Die beiden haben ein Geheimnis!

»Na ja ... seid ihr euch irgendwie näher? Magst du Kilian mehr als einen Freund?«, frage ich gerade heraus und kann nicht fassen, dass ihre Wangen tatsächlich rot werden.

Nein!

»Oh, mein Gott, Cleo! Wie könnt ihr mir sowas verschweigen!«, kreische ich laut und reiße meine Augen auf, während ich mich gleichzeitig dafür hasse, die beiden nicht mal genauer unter die Lupe genommen zu haben. Wie kann mir so etwas denn entfallen?

Sie dreht verlegen den Kopf zur Seite.

»Oh, nein! So entkommst du mir nicht, Girl! Ich will alles wissen!«, fordere ich und hebe eine Augenbraue in die Höhe.

Sie beginnt mit ihren Fingern zu spielen.
Ein eindeutiges Zeichen.

»Zwischen Kilian und mir läuft nichts, Amanda! Zumindest nichts festes. Aber wir haben uns in letzter Zeit öfter getroffen, er war ein paar Mal auf dem Reiterhof und hat mich vom Training abgeholt. Wir haben viel zusammen geredet und ich glaube, dass ich ihn mag«, gesteht sie leise.

Ich quietsche erfreut und falle ihr dann in die Arme!

»Und sowas verschweigst du mir?«

Sie zuckt mit den Schultern.

»Ich weiß auch nicht. Ich wusste nicht, was du davon hälst, ob du sauer bist. Und gleichzeitig ist, wie gesagt, gar nichts passiert. Ich weiß nicht, wie Kilian darüber denkt«, gibt sie verunsichert von sich.

Ich rolle mit den Augen.

Das hat doch heute sogar jeder Blinde gesehen, sogar ich, dass Lili in dieselbe Gefühlsrichtung geht, wie meine Freundin.

»Kilian wird sich Hals über Kopf in dich verlieben, wenn er dich gleich sieht, Schwester! Und dann, wenn ihr über eure Schatten gesprungen seid, gehen wir zusammen auf Doppeldates und machen Pärchenabende! Wie cool ist das denn?«

Euphorisch springe ich auf und ziehe sie mit mir auf die Beine ins Bad, um ihre Haare unter Kontrolle zu kriegen.

»Warte mal, du hättest nichts dagegen, wenn wir ... also ...«, stottert Cleo und sieht mich verwirrt an.
Ich schüttle kräftig mit dem Kopf.

»Natürlich nicht! Ihr zwei seid meine besten Freunde und ich will, dass ihr glücklich werdet. Wenn das gemeinsam ist, umso besser. Ihr passt wunderbar zusammen, auch wenn ich Nachhilfe gebraucht habe, um das zu sehen. Mann, war ich blind!«

Cleo lächelt zaghaft. Ich umarme sie kurzerhand.

»Ich freue mich für dich, Cleo. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt und ich bin sicher, dass Kilian dich auch sehr mag. Er hatte heute einen Blick, den ich noch nie an ihm gesehen habe. Er war aus tiefstem Herzen glücklich.«

Wieder wird sie ein wenig rot, dann seufzt sie, während ich nach einer Haarbrüste greife und ihre Haare zu kämmen beginne.

»Mag sein ... aber er zeigt wirklich gar keine Reaktion ... er ist undurchschaubar.«

»Das sind Männer, Cle'. Aber mit ein bisschen Nachhilfe kriegen wir unsere Lili schon. Mach dir keine Sorgen.«

Ich lächle sie durch den Spiegel an. Sie schaut dankbar zurück.

»Danke, Motti. Du bist die beste Freundin, die man sich vorstellen könnte.«

Ich grinse.

»Weiß ich doch!«

x x x x

Frisch frisiert und in neuen Kleidern stehen wir nebeneinander in unserem Hausflur und schauen in den Spiegel.
Cleo trägt das Kleid, das ich ihr herausgesucht habe und, wie ich gedacht hatte, sie sieht fabelhaft und einfach sexy aus.
Ihre blonden Haare sind offen und an den Spitzen leicht gewellt, während sie sich ein bisschen Wimperntusche aufgetragen hat und ansonsten vor natürlicher Schönheit nur so strahlt.

Ich selbst habe mich in die Tiefen meines Kleiderschranks begeben und bin dabei auf ein zart rosanes Kleid mit Spagettiträgern gestoßen, das mir bis auf die Hälfte der Oberschenkel reicht und meinen Körper schmeichelhaft umrundet.
Meine Haare sind zu einem Dutt hochgesteckt und an meinen Ohren blinken goldene Ohrringe, die mir meine Mutter vor einigen Jahren geschenkt hat.

»Wir sehen heiß aus, Schwester. Also wenn unsere Männer da nicht umfallen, weiß ich auch nicht!«, grinse ich und zücke mein Handy für ein Selfie aus der Handtasche über meiner Schulter.

Gemeinsam lächeln wir in die Kamera und schießen ein paar Bilder, ehe ich in die Hände klatsche und uns beide aus dem Haus taxiere.
Es wird Zeit, meine besten Freunde zu verkuppeln.

Die Gäste tummeln sich noch immer im Garten, der von Lichterketten erhellt ist und die Nacht zum Tag macht.

Ich kann meine Mutter an einem der Gartentische sehen, Leo eingeschlafen auf ihrem Schoß, und sie hellwach verwickelt in ein Gespräch mit Valerie Lewis, Carters Mum.

Die beiden scheinen sich prächtig zu amüsieren, lachen immer wieder über die Worte des anderen und es erwärmt mir das Herz, dass unsere Eltern wohl auch miteinander klarzukommen scheinen.

Jetzt, wo wir richtige Nachbarn sein werden ...

»Da sind sie!«, flüstert Cleo und deutet unauffällig auf zwei junge Herren in schwarzen Anzügen, die lachend unter dem großen Eichbaum im Garten stehen und sich unterhalten.

Ich beiße mir auf die Lippe.

Carter ist genau wie Kilian in klassisch schwarz und weiß gehüllt. Die oberen Knöpfe seines Hemdes sind aufgeknöpft und die silberne Kreuzkette kommt darunter auf seiner braunen Haut zum Vorschein.

Sein Anblick ist unwiderstehlicher wie eh und je und lässt mich immer wieder unwirklich daran denken, dass er tatsächlich zurück ist, dass er mein Freund ist und wir uns jetzt jeden Tag sehen werden.

»Ich bin froh, dass es in seiner Schule gebrannt hat und er herkommen musste. Nicht auszudenken, wenn diese Liebesgeschichte nie zustande gekommen wäre«, grinst Cleo, während wir langsam näher treten.

Jetzt selbst verlegen sehe ich sie an.
Sie lächelt nur.

»Du liebst ihn. Und er liebt dich. Das ist so kitschig und pur zugleich, dass ich mich nur für dich freuen kann. Das zwischen euch ist etwas ganz Besonderes und ich wünsche euch alles erdenklich gute.«

Mir kommen beinahe die Tränen, so sehr rühren mich ihre Worte.
»Danke«, hauche ich, ehe ich sie kurz umarme und ihr einen Kuss und die Wange gebe.

»Nichts zu danken, und jetzt schnapp ihn dir und genieß, dass er endlich wieder hier ist.«

Sie macht eine auffordernde Bewegung, die mich mit den Augen rollen lässt.

»Dasselbe gilt aber auch für dich, Schwester. Geh mit ihm tanzen. Ich sage dir, schon so manche Liebesgeschichte hat auf der Tanzfläche begonnen.«

Ich zwinkere Cleo im Vorbeigehen zu und laufe dann etwas schneller auf unsere Männer zu, wohlwissend, dass sie noch eine Sekunde des Mutes braucht.

Als hätte Carter mich gespürt, dreht er seinen Kopf in meine Richtung, als ich nur noch zwei Meter von ihm entfernt bin.

Ein breites Lächeln zieht über seine Lippen und er stößt sich vom Baumstamm ab, um auf mich zuzukommen und mich in seine Arme zu ziehen.

»Da bist du ja, meine wunderschöne Freundin«, raunt er an mein Ohr und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, der mich lächeln lässt.

»Entschuldige für die Verspätung. Aber ich musste noch etwas mit Cleo besprechen, mein wunderschöner Freund«, gebe ich zurück und schließe dann einmal meine Augen um vollends zufrieden seine Nähe zu spüren und seinen typischen Körpergeruch in mich aufzunehmen.
Carter schlingt seine Arme fest um mich.

Erst als eine vierte Gestalt sich aus den Schatten löst und näher kommt, schaffe ich ein wenig Distanz, um keinen Blick und Ausdruck meines besten Freundes zu verpassen, als Cleo ins Licht tritt und ein wenig schüchtern vor ihm stehen bleibt.

Auf Kilians Lippen liegt ein seliges Lächeln und er sieht Cleo glücklich an, dass ich keinen Moment länger glaube, dass er sie nicht genau so sehr mag, wie sie ihn.

Da liegt etwas liebevolles in der Luft, etwas, das ich gar nicht erwartet hatte und jetzt nicht mehr abwarten kann.

Verrückt, wohin die Liebe fällt.

Manchmal, gar nicht so weit.

»Komm, lassen wir die beiden ein bisschen allein. Ich wollte mich sowieso noch einmal richtig bei deiner Mutter vorstellen«, schlage ich Carter vor, dessen Blick ebenfalls interessiert auf Cleo und Kilian liegt.
Er nickt unmerklich und verschränkt dann unsere Hände, um mich in Richtung der Tische zu ziehen.

Ich sehe nur noch einmal auf dem Augenwinkel zu den beiden und lächle zufrieden, als ich sie tatsächlich händchenhaltend in Richtung der Tanzfläche laufen sehe.

Das mit dem Happy-End schaffen sie wohl ganz allein.

Und ich bin froh darüber.

Froh über meine besten Freunde.

Froh über meine Familie.

Froh über meinen Freund, der meine Hand hält und mich gerade jetzt aus funkelnden grünen Augen anlächelt und ganz genau weiß, dass ich an ihn denke.

Ich bin dankbar für diesen Tag.

Dankbar für das Leben, das diesen Tag möglich gemacht hat, weil es Carter und mich und alle anderen Akteure dieser Geschichte kreiert hat.

Ich bin dankbar über jeden schlechten Tag der Vergangenheit, der einen guten Tag wie diesen gebaut hat und der mich jetzt glücklich sein lässt.

So glücklich, dass ich Carter kurzerhand zum Stoppen auffordere und ihn an mich ziehe, um meine Arme um seinen Nacken zu schlingen und ihn zu küssen, als hätte ich ihm noch nie gesagt, dass ich ihn liebe.

Habe ich aber.

Und das werde ich noch viele weitere Male tun.

Solange ich lebe.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top