34|| ENGLAND!
Carter
Die Wochen vergehen wie im Flug und urplötzlich ist es soweit – alles unterschrieben, gepackt und geplant – und ich sitze neben Amanda und Kilian auf der Rückbank des MINIs der Vines und fahre mit Sack und Pack zum Flughafen.
Die letzten Tage war ich beinahe ausschließlich bei Amanda.
Wir haben gemeinsam auf ihrem Bett gelegen und Komödien geschaut, sind nachts spazieren gegangen, haben uns im strömenden Regen in den Sand gelegt und einander geküsst, mit Morle gekuschelt, gemeinsam gekocht, gelernt und Spiele mit ihrer Familie gespielt.
Meine Oma war beinahe ebenso oft wie ich unterwegs.
Seit neuestem trifft sie sich immer öfter mit dem Nachbarn ein paar Häuser weiter.
Ein sehr netter und zuvorkommender Witwer, der ein sichtbares Auge auf meine Großmutter geworfen hat.
Die beiden sind zuckersüß anzusehen und meine Ängste um sie halten sich in Grenzen, weil ich weiß, dass sie bei Gilbert in besten Händen ist.
Er wird mir gut auf sie aufpassen und Mira hat mir ebenfalls versichert, dass ich mich unbesorgt auf die Reise in meine Heimat machen kann.
Ich liebe Amandas Mutter. Sie ist stets freundlich und sorgsam. Sie ist einfach ein guter Mensch.
»Kilian, wann war der erste datierte Flug mit einem Motor?«, fragt Amanda über mich hinweg und sieht ihren besten Freund fragend an.
Den ganzen Morgen über murmelt sie schon irgendwelche Daten und Fakten vor sich hin und knabbert an ihren Fingernägeln, während sie abstreitet, dass sie Angst vor ihrem ersten Flug hat.
»Wilbour und Orville Wright. 17. Dezember 1903«, antwortet Kilian vollkommen entspannt und schnaubt dann amüsiert, als er seine beste Freundin auf dem Rücksitz nervös vor sich hin murmeln sieht.
Sie versucht zwanghaft sich abzulenken, um ihre Panik und Aufregung zu kaschieren.
Es ist zu süß.
»Baby, nun mach dir mal keinen Kopf. Du fliegst schließlich nicht allein und so wie ich dich kenne, verschläft du diese zwei Stunden sowieso.«
Mira versucht ihre Tochter irgendwie zu beruhigen und sieht sie durch den Rückspiegel an.
Amanda lächelt verkrampft.
»Ich bin bloß so ... nervös.«
Wir müssen alle grinsen.
Denn genau so sieht sie auch aus.
Bis zum Flughafen fahren wir nur eine knappe Stunde.
Die Zeit vergeht wie im
Flug und schon ist es Zeit sich zu verabschieden.
Amanda und Mira halten sich lange im Arm, Torben küsst seine Frau liebevoll und auch ich finde ein wenig Nähe.
Herzlich und liebevoll umarmt mich Mira und ich kann nur immer wieder dafür danken, sie und ihre Tochter kennengelernt zu haben.
Diese Familie ist alles und so viel mehr des Guten, von dem meine Großmutter am Telefon immer schwärmte.
Diese Menschen sind mehr als Gold wert und ich werde niemals vergessen, was sie schon alles für mich getan haben.
Hand in Hand laufen Amanda durch den Flughafen in Richtung der Abflughalle.
Kilian läuft neben Torben und unterhält sich mit Amandas Vater über die erste Flugmaschine, die es historisch vermerkt gibt.
Cleo hat schon recht. Kilian und Motti sind wirklich kleine strebsame Nerds, wenn es um Geschichte geht.
Aber neben den kleinen Witzen, die wir übereinander machen, muss ich auch immer wieder faszinieren, wie viel sich beide merken können.
All diese Zahlen, Namen und Erfindungen würde ich niemals in meinem Kopf bekommen.
Amanda beherrscht sie im
Schlaf. Das ist unglaublich!
»Carter ... falls ich dir gleich deinen Arm breche vor Angst, dann ... tut es mir leid, okay?«, sagt Amanda, als wir einsteigen können und gemeinsam hinter Miss Merlin und den anderen in Richtung des Flugzeugs laufen.
Ich sehe grinsend zu meiner Freundin hinab.
Jetzt gibt sie also doch zu, dass sie panische Angst vor dem Fliegen hat.
»Okay. Aber du wirst mir nicht die Hand brechen, Süße!«
Ich drücke zuversichtlich ihre Angst, ehe ich uns an der Stewardess vorbeischleuse und nach unseren Sitzplätzen suche.
»Hochmut kommt vor dem Fall!«, murmelt sie hinter mir her und lässt mich abermals grinsen, als ich die richtige Sitzreihe gefunden habe.
Es sind drei Plätze hinter der Sitzreihe von Miss Merlin und Amandas Vater.
Kilian hat sich schon den Platz am Fenster gesichert.
Er grinst frech, als ich ihn anfunkle.
Fensterplätze sind die besten.
Aber das scheint Amanda anders zu sehen. Beinahe dankbar setzt sie sich an den Gang, links von mir, uns lässt mir die Mitte.
Ihre Hand klammert sich an meine, dabei sind wir noch immer am Boden.
Ich kann kaum glauben, dass diese ängstliche Frau tatsächlich meine Amanda ist.
Das Mädchen, das keine Probleme mit einem ekligen Spinnennetz direkt über dem Bett oder streunenden Ratten bei einem nächtlichen Spaziergang hat.
Wovor hat sie Angst, wenn sie über die Gedanken eines Monsters unter dem Bett schmunzeln muss?
Wieso stutzt ein Flugzeug ihre Flügel?
Ich bin tatsächlich verwundert. Aber Ängste lassen sich schlecht erklären.
Darum versuche ich nicht, nach einem Ursprung zu suchen. Ich halte einfach nur Amandas Hand, als es losgeht und küsse ihr die verkrampfte Hand, bis wir in der Luft sind und sie tatsächlich, wie Mira vorausgesagt hat, keine zwanzig Minuten später wegnickt.
An meiner Schulter schlafend, bleibt sie die nächsten zwei Stunden vollkommen ruhig, während ich mich mit Kilian über Gott und die Welt unterhalte und die Zeit so ins Land gehen lasse.
Schneller als gedacht, fliegen wir über die Häuser und Gebäude von London hinweg und setzen zum Landen an.
Es kommt mir vor, als wäre ich Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen.
Alles scheint vollkommen anders, förmlich neu zu sein und mehr Farbe bekommen zu haben.
Und doch ist dort diese stille Vertrautheit, als ich die Gruppe durch den großen Flughafen lotse und uns ein Taxi bestelle, das uns zum Hotel fahren soll. Ich bin sofort zurück in meinem Element, weiß mich wörtlich auszudrücken und fühle mich daheim angekommen.
Tatsächlich sind wir eine ganze Woche in England.
Heute ist Montag, der Wettbewerb aber erst am Mittwoch und Freitag und die Abreise am Samstagmorgen.
Warum wir so lange hier sind, hängt mit dem Wettbewerb zusammen, der auf zwei Tage geteilt ist. Ich freue mich außerordentlich über diese sechs Tage, denn so bleibt genug Zeit, um meine Mutter zu besuchen und Amanda mein London zu zeigen.
Ich bin ihr schließlich noch ein Date schuldig ...
x x x x
»Wie wahnsinnig ist einfach die Vorstellung, dass du in dieser Metropole wohnst!«, staunt Kilian begeistert, als er eine halbe Stunde später aus dem Fenster unseres Hotelzimmers sieht und über die leicht verwinkelten Hausdächer sieht.
»Bist du wohl nicht gewohnt, was, Landjunge?«, frage ich grinsend und lache, als er mir die Zunge rausstreckt.
»Mach dich ruhig lustig, Städter, aber das kriegst du wieder«, schmunzelt er und löst sich dann von der Fensterbank, um sich auf das große Ehebett zu werfen, das wir uns für die nächsten Tage teilen.
Amanda ist mit ihrem Vater auf einem Zimmer direkt gegenüber.
Miss Merlin hat ein Einzelzimmer am Anfang des Flures erhalten.
Für diesen Trip sind wir alle verpflichtet, einander Bescheid zu geben und aufzupassen, wo wir uns befinden.
Besonders ich muss mich ein wenig zurückhalten und meine so vertraute Umgebung in die Zeit quetschen, die ich tatsächlich frei herumlaufen darf.
Torben soll als meine Aufsichtsperson schließlich keine Probleme bekommen.
Freizeit haben wir dennoch.
»Später musst du uns hier mal ein bisschen herumführen. Aber jetzt brauch ich erstmal was zwischen den Zähnen. Ich sterbe vor Hunger!«, jault mein Freund und schlüpft zurück in seine Sneaker, um mit dem Aufzug ins Erdgeschoss zum Abendessen zu fahren.
Ich folge ihm einstimmig.
Mein Magen ist auch nicht mehr als ein schwarzes, leeres Loch, das sich nach britischem Dinner sehnt.
Am Esstisch sind auch schon alle anderen versammelt.
Die Teller vollgefüllt mit Leckereien sitzen Merlin, Torben und Amanda beieinander und grüßen uns, als wir ihnen Gesellschaft leisten.
Amanda sieht schon wieder viel gesünder aus. Ihre fahle Haut und der panische Blick in ihren Augen, der Flugangst wegen, sind wieder normal.
Bloß ihre Haare sind vom Schlafen noch ein wenig zerknautscht, aber das macht sie nicht weniger schön.
Während Miss Merlin und Torben die Tage planen, witzeln wir jungen Erwachsenen ein bisschen herum und genießen den ersten Abend in der Stadt des Trubels.
Mit dem Essen fertig, laufen wir drei zurück zum Fahrstuhl und fahren bis ganz nach oben, um auf dem Dach des Hotels den Sonnenuntergang zu genießen.
Amanda hat Cleo mit einem Videoanruf live bei uns und so quatschen wir gemeinsam, lachen und bestaunen die Aussicht Londons, die ich erst jetzt, wo ich zurück bin, bemerke, richtig vermisst zu haben.
Erst nach Mitternacht wünschen wir uns alle eine gute Nacht und verabschieden uns an unseren Hotelzimmern voneinander.
Miss Merlin und Torben schlafen längst.
Aber ich möchte ohne einen Kuss nicht träumen.
»Ist es so, wie du es verlassen hast?«, fragt Amanda mich, als Kilian uns ein paar Minuten für uns gibt.
»Es sieht farbenfroher und neuer aus. Aber es ist London. Unverkennbar mein London«, nicke ich.
»Zeigst du mir dein London?«
Ich lächele auf sie hinab.
Dann nicke ich.
»Natürlich. Du bekommst eine extra Tour von mir und für unser Date habe ich mir auch schon ein paar schicke Gedanken gemacht, Rosie.«
Ich zwinkere ihr zu.
Ihre Augen leuchten.
Dann küsst sie mich.
»Gute Nacht, Carter.«
»Gute Nacht, Amanda.«
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