25|| ICH. BIN. NICHT. DA!
Carter
Sie hat keine Ahnung, wie schön sie ist.
Sie hat einfach keine Ahnung, wie schön sie ist.
Sie hat keine Ahnung, wie schön sie ist!
Wunderschön.
Ihr blass-blondes Haar liegt über meine Brust verteilt und kitzelt mich am Hals.
Ihr Gesicht liegt seitlich auf meinem Oberkörper.
Sie hat sich im Schlaf auf mich gerollt.
Hat ihre Beine zwischen meine gelegt und ihre Arme um mich geschlungen.
Dann hat sie sich die ganze Nacht über nicht mehr bewegt.
Seelenruhig hat sie in meiner Nähe geschlafen.
Und ich?
Ich habe das alles zugelassen.
Habe lächeln müssen, habe mein Glück nicht fassen und erstrecht nicht schlafen können.
Ich habe wach bleiben müssen, weil diese Chance einmalig und vielleicht für eine lange Zeit die letzte gewesen ist.
Die Sonne prasst in Hülle und Fülle durch die verwinkelten Fensterscheiben des Wohnzimmers und lädt die Wärme des Zimmers voll auf.
Mir ist heiß, nicht zuletzt wegen diesem Mädchen, aber ich will mich nicht rühren, bis sie es selbst tut.
Es ist schön, sie beim Schlafen zu beobachten.
Ihre Lider geschlossen, ihr Gesicht entspannt, ihre Lippen monoton und doch der größte Anreiz und Folterpunkt ihres Körpers, wenn man der Versuchung widersteht, sie zu küssen.
Sie ist es, die ich begehre.
Dieses umwerfende Mädchen.
Und doch werde ich warten, obwohl ich mir immer sicherer bin, dass wir beide dasselbe füreinander empfinden.
Meine Beherrschung nicht ganz fassen könnend, lasse ich meine Hände über ihren Rücken streichen, ihre Taille entlang fahren und die freigelegte Haut ihrer Handflächen kitzeln.
Ihr zarter Teint mit leichter Bräune ist weich und warm.
Ebenso wie ihr Haar, das im Sonnenlicht glitzert oder ihre Lippen, von denen ich einfach nicht lassen kann.
Sie kraust die Nase, als ich ihr über die Wange fahre, aber außer einer minimalen Fingerbewegung bekomme ich keine Reaktion von ihr.
Sie seufzt bloß und fällt dann zurück in ihren Tiefschlaf.
Sie macht mich verrückt.
Oh, und wie mich dieses Mädchen verrückt macht.
Wie geschickt sie gestern gekocht hat, wie sie von diesem Wettbewerb erzählt hat, wie sie mich überzeugt hat, diesen urkomischen und entwürdigenden Anzug zu tragen.
Aber was soll ich machen?
Ich bin ihr hoffnungslos unterlegen! Und für den Spaß, den sie bei meinem Aufzug gehabt hat, ist es mir jede peinliche Sekunde wert gewesen.
Ich würde diesen Anzug in alle Ewigkeit tragen, wenn ich sie im Gegenzug glücklich und zum Lachen bringen würde.
Oh, Amanda, du bist, was ich begehre, was ich vergöttere, was ich liebe.
Und nein, das ist keinesfalls kitschig. Es ist die Wahrheit und ich bin gesonnen, sie in alle Welt hinauszurufen.
Du bist mein!
Ich weiß es. Ich sehe es in ihren Augen. Sie leuchten für mich, ebenso wie meine für sie.
Ich habe mich gestern nur schwer davon abhalten können, sie zu küssen.
Ich weiß, sie hätte den Kuss mit Sicherheit erwidert, mich nicht von sich gestoßen.
Aber ich will alles der Reihe nach machen. Will es ordentlich machen, mir nichts verspielen.
Sie soll es wollen, sie soll es genießen, genau wie ich, und sie soll wissen, was für ehrliche Absichten ich habe.
Denn ich will Amanda nicht für heute und morgen.
Ich will Amanda an meiner Seite, solange ich lebe.
Warum ich das sicher weiß?
Weil ich das einfach weiß.
Weil es so ist.
Weil ich sicher bin.
Weil wir Carter und Amanda sind.
Ich habe in der Sekunde, in der sie mich nach nicht mal zwei Minuten auf der Party von meiner Grandma umgestoßen hat, gewusst, dass Amanda Rosalia Vine jemand besonderes ist.
Ich schätze, wenn man sich verliebt, behauptet man von vielen Menschen, sie seien besonders.
Jeder Mensch ist besonders.
Aber niemand ist für alle Welt besonders.
Das muss er auch nicht.
Es zählt, dass Amanda allein für meine Welt besonders ist.
Sehr besonders.
Sie ist das Mädchen, das ihre Katze liebt.
Sie ist das Mädchen, das immer bunte Klamotten trägt.
Sie ist das Mädchen, das behauptet, nicht tanzen zu können.
Sie ist das Mädchen, das ihrer Schwester niemals die Hoffnung nehmen würde, Prinzessin zu werden.
Sie ist das Mädchen, das viel zu sehr und viel zu häufig an sich selbst zweifelt.
Sie ist das Mädchen, das keine Ahnung hat, wie bezaubernd sie ist.
Sie ist das Mädchen, das eine wunderbare und ehrliche Freundin ist.
Sie ist das Mädchen, das die besten Methoden hat, jemanden aufzumuntern und aufzubauen.
Sie ist das Mädchen, das am besten über dieses Leben philosophieren kann.
Sie ist das Mädchen, mit der sichersten Eins plus in Geschichte auf dem Zeugnis.
Sie ist das Mädchen, mit dem ich problemlos über meine Sorgen reden kann.
Sie ist das Mädchen, das mir zuhört und das mich in den Arm nimmt und dann zum Lachen bringt.
Sie ist Amanda.
Sie ist mein Mädchen.
Sie ist meine Rose.
x x x
»Na, wie war das Wochenende mit deinen Freunden?«
»Ziemlich lustig und schön. Ich bin wirklich froh, so schnell und so guten Anschluss gefunden zu haben. Ich liebe die Leute hier. Wir haben gekocht, Musik gehört, geredet, Filme geguckt und 'ne Menge gelacht. Es war wirklich einfach ... toll«, berichte ich mit einem schmalen Lächeln und lasse die kleine Kabbelei mit Amanda auf dem Sofa bewusst aus.
Das alles würde bloß ein falsches Bild werfen und meine Grandma hat mir mit ihrer letzten Rede schon genug Stoff zum Nachdenken in Sachen Liebe gegeben.
Ich bin noch immer dabei, das zu verarbeiten.
»Es freut mich so für dich, Carter. Ich hatte gehofft, dass du hier tolle neue Freunde findest und in einen Alltag, neben deinem Alltag.«
Ihr ehrliches Lächeln zerfällt und in einem Wimpernschlag senkt sie den Kopf und starrt auf ihren Schoß.
Mein mieses Bauchgefühl meldet sich sofort und in nur einem Schritt bin ich bei ihr und setze mich neben meine Grandma auf das Sofa.
Es ist später Nachmittag.
Wir haben noch den ganzen Samstag zusammen die Freiheit und Freundschaft genossen, Brettspiele gespielt und einfach die Seele baumeln lassen.
Erst seit knapp fünf Minuten bin ich wieder zuhause.
»Was ist los, Grandma?«, frage ich besorgt und lege ihr meine Hand auf das Knie, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
Ich mache mir augenblicklich Sorgen und all die Zweifel und Vorwürfe kommen wie ein Wasserfall zurück und prasseln auf mich ein, weil ich sofort ein schlechtes Gewissen habe, schon wieder nicht da gewesen zu sein.
Grandma zittert.
Ihr Kopf ist gesenkt und die schlechten Gefühle in mir werden immer stärker und wilder.
Als Tränen aus ihren Augen rollen und sie zu schluchzen beginnt, ist alles in meinem Inneren lahmgelegt.
Von jetzt auf gleich vergesse ich, wie glücklich ich bis vor wenigen Minuten noch war, wie selig ich Amanda nachgesehen habe und wie sorglos ich den Tag genossen habe.
Jede Träne meiner Großmutter, die auf meinen Handrücken fällt, fühlt sich wie ein tonnenschweres Gewicht an und bricht mir mehr und mehr das Herz.
»D-deine Mutter ...«, haucht sie nach spannungsvollen Minuten in die Stille und reibt sich über die nassen, verweinten Augen.
Das Herz bleibt mir stehen, als ich diese verschwommenen Worte verstehe und sie sich in meinen Kopf saugen, wie das Wasser in einen Schwamm.
Mum.
Was ist mit ihr?
Hat sie angerufen?
Was ist passiert?
Scheiße, was ist passiert?!
Die Panik kriecht in mir empor und ich will meine Großmutter schon anschreien, dass sie mit der Sprache herausrücken soll, als sie es von selbst tut.
»C-Carter, Schatz, deine Mutter hatte einen Unfall.«
Es gibt Momente, da scheint diese Welt eine andere zu sein.
Da lachen die Kinder auf dem Spielplatz und man vergisst, dass die eigenen Kinder in der Zukunft in all den Klimakatastrophen vermutlich niemals etwas zu lachen haben werden.
Da liegt man am Strand im Sand und schwimmt im Meer und vergisst, dass nur zweihundert Meter weiter, dort, wo nicht jeden Tag Strandmitarbeiter und tatkräftige Menschen, den Sand ablaufen und sauber halten, ein Haufen voller Plastikmüll liegt.
Da liegt man im Bett und schaut auf Netflix seine Lieblingsserie und vergisst, wie viel Energie für das Streaming aufgewandt wird und mit jeder neuen Folge, die noch so schön sein kann, viele katastrophale Folgen der Energieverschwendung kommen.
Da sitzt man im Auto und hört lautstark Musik auf dem Weg in den Urlaub und vergisst, wie viele Abgase in die Luft pesten.
Da genießt man Früchte und Gemüse im Garten in der Sonne und vergisst, wie chemisch sie bearbeitet sind und wie sie durch die halbe Welt geschaffen wurden, nur, damit wir sie das ganze Jahr über essen können.
Da ist man in einem Zoo und fasziniert von den Tieren und man vergisst, dass sie teilweise vom Aussterben bedroht sind und das wir Menschen sie jagen.
Da hat man einen Mädelsabend und lackiert sich die Fingernägel, redet über Jungs und vergisst, dass für jede bunte Flasche ein Hase oder ein Affe als Versuchsobjekt herhalten mussten.
Ja, es gibt Momente, da blendet man die Realität aus, sieht nur das, was man sehen möchte und weiß vielleicht von jeder Schandtat auf diesem Planeten und sitzt sie trotzdem stur aus, als sei es ganz andersherum.
Es gibt Momente, da ist man wie in einer Blase gefangen, sagt sich selbst: Ach, nur dieses eine Mal! und entschuldigt sich selbst und so geht das ein Leben lang, bis man die Katastrophen mit ins Grab nimmt.
Unverändert. Ungeklärt.
Unausgesprochen.
Das alles wird niemals ein Ende nehmen.
Denn so lange uns die Probleme nicht selbst betreffen, verändert niemand sein Verhalten.
Die Welt sieht zu, wie die Welt untergeht.
So, wie ich in diesem Moment.
Jetzt.
Genau in diesem Augenblick.
"Deine Mutter hatte einen Unfall."
Meine Welt geht unter.
Sie reißt entzwei und dann entvier und dann bleibt nichts als Dunkelheit zurück.
Grandmas Worte rauschen in meinen Ohren und werden immer lauter bis sie mir zurufen, dass ich versagt habe, dass ich schwach und dumm und naiv gewesen bin.
Dass ich es schon wieder geschafft habe, die wichtigsten Menschen in meinem Leben allein gelassen zu haben und dass ich schon wieder für niemanden da sein konnte.
Ich bin ein Schwachmat, ein Idiot, ein Schwächling!
Die einzigen zwei Personen, die mir geblieben sind, die einzigen Menschen, die immer für mich da waren, sind es, auf die ich nicht recht Acht geben kann!
Du bist ein Versager, Lewis, ein Versager!
Und als Versager beginne ich haltlos zu weinen und meine Oma in den Arm zu nehmen, um sie zu trösten und in mir das Gefühl loszuwerden, ein nichtsnutziger Arsch zu sein.
»Sie hatte einen Autounfall und ... liegt im Koma!«, stottert Grandma an meiner Halsbeuge und klammert sich schluchzend an mich, während ich ihren Rücken streichle und wie monoton auf das Bild an der Wand gegenüber starre.
Da ist sie ... meine Mum.
Die Frau, die mich nach Dads Tod genauso in ihre Arme geschlossen hat, wie ich Grandma gerade.
Die Frau, die mich auf diese Welt gebracht hat, die es überhaupt erst möglich gemacht hat, dass ich hier sein darf und kann.
Die Frau, die sich Tag und Nacht für mich den Arsch aufgerissen hat, um mir ein halbwegs normales Leben bieten zu können.
Die Frau, die mich mehr liebt, als irgendetwas sonst auf dieser Erde.
Die Frau, die ich mehr liebe als jemanden sonst.
Koma.
Sie liegt im Koma!
Und ich bin nicht da, um ihre Hand zu halten, um sie zu halten, um nichtsnutzig nichts zu tun.
ICH. BIN. NICHT. DA!
Die Schmerzen in meiner Brust sind unerträglich.
Messerstiche. Pfeilspitzen.
Ich spüre, wie ich blute.
Wie meine Augen bluten und mein Herz und mein Kopf.
Wie alles kaputt ist, in Scherben liegt, weil ich Angst und panische Sorgen habe, meine Mutter zu verlieren.
Ich kann sie nicht verlieren.
Ich kann sie nicht verlieren.
Ich habe alles verloren, ich kann sie nicht verlieren.
»Ich liebe dich, Grandma«, hauche ich lautlos und leblos und leise, in dem Wissen, dass sie mich trotzdem gehört hat.
»Ich weiß, mein Schatz. Und wir werden das schaffen, sie wird das schaffen. Die Ärzte konnten noch nichts genaues sagen, aber sie wird nicht gehen.«
Ich löse die Umarmung, ziehe mich ein wenig zurück, ehe ich aufstehe.
Ich kann ihre Nähe nicht ertragen. Sie tut mir weh.
Vor allem, weil ich es nicht verdient habe, getröstet zu werden.
»Deine Mutter ist eine starke Frau und sie liebt dich. Sie würde dich niemals auf diese Weise verlassen.«
Ich nicke belanglos, ehe ich mich abwende.
Das hat mir der Arzt damals im Krankenhaus auch gesagt.
Das hat mir die Krankenschwester damals im Krankenzimmer auch gesagt.
Das hat mir meine Mutter damals zuhause auch gesagt.
Und jetzt?
Und heute?
Richtig.
Mein Dad ist nicht mehr hier.
Denn manchmal misst sich Stärke mit dem Tod und ... vergeht.
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Hat jemand damit gerechnet?
Mein armer Carter ...
So schnell wird aus Glück das größte Unglück.
...
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