2|| SCHLECHTE FREUNDE
Amanda
»Baby! Aufstehen!«
Wenn ich eines an Mum hasse, dann ist das die Freude um sechs Uhr aufzustehen. Ihr innerer Alarm ist so programmiert, dass sie es jeden Morgen schafft, früh genug aufzustehen um Leo, mich und sogar Dad zu wecken.
Ich hasse es jeden Morgen mit zermatschtem Gesicht und verquollenen Augen an ihrer frisch duftenden Gestalt entlang zum Bad zu schlurfen. Manchmal würde ich sie für ihr strahlendes Lächeln am liebsten schlagen.
Aber dafür wäre ich um diese Uhrzeit zu schwach.
»Amanda, ich sage es nur noch einmal, du musst aufstehen!«
Meine Zimmertür klappt auf und ich schrecke so ruckartig mit dem Kopf hoch, dass ich mit dem Hinterkopf gegen die Wand schlage. Der Schmerz folgt nach drei dumpfen Sekunden und lässt mich seufzen.
»Bin ja schon wach ...«, murmle ich genervt und kneife meine Augen bei der Helligkeit in meinem Zimmer sofort wieder zu.
»Hast du etwa im Sitzen und mit Klamotten geschlafen?«
Nein, so sehe ich nur aus.
Als Antwort scheint Mum mein Nicken zu genügen, denn als sie es registriert verlässt sie kopfschüttelnd mein Reich der Träume und schreit nach Dad, dem es morgens ähnlich geht wie mir.
Aufstehen? - Thank you, next!
Ich richte mich nach einigen Minuten Halbschlaf endlich auf und versuche das Bett zu verlassen. Viel zu spät entdecke ich das schwarze Fellbündel in meinem Schoß, sodass dieses mit samt mir vom Bett fällt und ärgerlich losfaucht.
Guten Morgen, Morle.
Anders als ich landet sie allerdings auf den Beinen und schafft es ohne Müdigkeit mein Zimmer zu durchqueren und sich auf die Fensterbank zu bequemen, um dort seelenruhig weiterzuschlafen.
Ich wäre auch gerne eine Katze. Den lieben langen Tag nichts tun und Menschen giftig anstarren. Mehr will man doch gar nicht im Leben, oder?
Als Mum ein drittes Mal schreit verwerfe ich meine Gedanken, rapple mich eilig auf und verschwinde mit frischen Klamotten im Badezimmer. Im Schnelldurchlauf ziehe ich mich um und richte meine blonden Haare, die selbst nach dieser Nacht aussehen, als hätte ich in einem Dornenbusch geschlafen. Als sie einigermaßen normal liegen, lasse ich Leo endlich ins Bad und gehe selbst in die Küche runter.
Mum sitzt friedlich frühstückend am Esstisch.
Dad steht in Pyjama neben der Kaffeemaschine und trinkt seine tägliche Dosis Koffein.
Obwohl Mum es nicht gerne sieht, wenn ich Kaffee trinke, laufe ich heute morgen direkt in Dads Richtung und zwacke ihm bei einem Blick auf die Küchenuhr die eigene Tasse ab.
Schon halb sieben. Shit.
»Ey!«, beschwert sich Dad, als ich ihm die halb volle Tasse aus der Hand reiße und sie für ihn leere.
»Das war mein Kaffee«, schmollt er, als ich ihm die leere Tasse zurückgebe und einen Kuss auf seine Wange hauche.
»Danke, Pops.«
Er grummelt ärgerlich, wünscht mir letztendlich aber einen erfolgreichen Tag und dreht sich dann zurück zur Kaffeemaschine, um seine Tasse neu aufzufüllen.
Mum bekommt für ihre mörderische Aufweck-Aktion heute keinen Kuss.
In meinem Zimmer verabschiede ich nur noch Morle, die mir bis heute Abend bestimmt verziehen hat, dass ich sie eben aus dem Bett geschmissen habe.
»Tschüss, Grummel«, murmle ich, während ich mir meine Tasche über die Schulter werfe und sie hinter den Ohren kraule. Sie klopft zum Abschied nur wieder gegen meine Fensterscheibe.
Als ich das Haus verlasse, bläst mir der kühle Nordseewind die Haare auf und weht mir in den Rücken, als ich mit dem Fahrrad das Grundstück verlasse. Auf zwei Rädern brauche ich bis zur Schule knapp zwanzig Minuten. Dank der vielen Fahrradstraßen, die es entlang des Kanals gibt, komme ich manchmal auch mit guten zehn hin.
Heute brauche ich fünfzehn Minuten, weil ich auf halbem Weg abbiege und mir im Supermarkt noch ein Croissant kaufe. Mit dem Rucksack auf dem Rücken, Kopfhörern in den Ohren und warmem Blätterteig im Mund, biege ich auf den Schulhof und schließe mein Fahrrad ans Ende einer ellenlangen Schlange von Bikes.
Da, wo ich wohne, fährt bald jedes Kind mit dem Fahrrad zur Schule. Die Straßen sind hier für Autos ziemlich eng und mit dem Fahrrad ist es deutlich einfacher an gewünschte Ziele zu gelangen. An so gut wie jeder Straße führt am Rande ein Fahrradweg entlang und wer hier an der See kein Fahrrad besitzt, der ist wirklich arm dran. Das Fahrrad ist Fortbewegungsmittel Nummer eins.
»Hey, Manda!«
»Hey, hey.«
Cleo ist von meinen Freunden immer die Erste an der Schule. Pünktlich um viertel vor sieben sitzt sie neben unserem geschlossenen Klassenraum und wartet. Cleo wohnt in einem Reihenhaus direkt neben der Schule und hat damit nur gute hundert Meter Schulweg. Ich beneide sie manchmal, weil sie morgens einfach keinen Stress hat. Kein schweißperlendes Gesicht, wegen einer hitzigen Fahrradtour und keine Augenringe, weil sie gute vierzig Minuten länger schlafen kann als ich.
Vierzig Minuten könnte ich manchmal wirklich gut gebrauchen.
Als Kilian um die Ecke kommt und sich neben mich auf den Boden schmeißt nur um seinen Kopf auf meinen Oberschenkel zu legen, sieht auch er aus, als wären vierzig Minuten alles nötige an diesem Morgen.
»Dir auch einen guten Morgen, Lili«, grüße ich den Brünett und wuschle ihm durch die fransigen Haare. Ich mag wie spitz und stachelig sie an manchen Tagen zu allen Seiten abstehen, weil Kilian – genau wie ich – weniger Wert auf sein Aussehen, als sein Bett legt. Wir sind uns in vieler Hinsicht ähnlich. Genau darum bin ich auch stolz auf unsere langjährige Freundschaft.
»Moin, Motte.«
Müde hebt sich aus den Tiefen eine Faust und wartet auf ihren Einschlag. Ich grinse schwach und stoße meine Hand gegen seine.
Cleo beobachtet uns beide schmunzelnd. Sie kennt dieses Prozedere. Jeden Morgen dasselbe. Fünf blöde Tage lang.
»Ich bete für euch beide, dass Miss Merlin heute morgen krank geworden ist und die Stunden ausfallen. Aber so wie ich sie kenne, werden sie das wohl nicht.«
»Das müssen sie auch nicht. Die Olle kann mich mal«, brummt Kilian und hebt leidend seinen Kopf, als es klingelt und die Schüler sich zu bewegen beginnen. Lehrer kommen über die Flure und auch Miss Merlin stöckelt nach wenigen Sekunden auf schwarzen Pumps auf unseren Kurs zu.
Sie gehört zu der Art von Lehrern, die riesige Lust haben am frühen Morgen zu unterrichten. Noch dazu liebt sie ihre Unterrichtsfächer und Überraschungstest. Im Großen und Ganzen wohl all das, was ich um diese Zeit nicht gebrauchen kann.
Mit geschlossenen Augen folge ich Kilian und Cleo in den Klassenraum und setze mich in die erste Reihe direkt vors Lehrerpult. Vor etwa drei Monaten hat Miss Merlin beschlossen uns beide – und niemanden sonst – in die erste Reihe zu setzen und seitdem hat sie es auf Kilian und mich abgesehen.
Fünfundvierzig Minuten lang stellt sie uns beiden Fragen und versucht uns vor der ganzen Klasse bloßzustellen. Das macht sie immer.
Und auch, wenn sie es nicht schafft, weil Kilian und ich in Geschichte wirkliche Asse sind, steigt mein Hass auf sie mit jeder Sekunde. Jede Woche ist es dasselbe und langsam pisst mich – und viele andere auch – ihr Verhalten an. Warum auch immer sie Kilian und mich nicht leiden kann, sie widmet ihre Stunden nur uns.
Die anderen Schüler haben kaum die Möglichkeit ihre mündliche Note zu Beweis zu bringen, weil Miss Merlin sie nicht wahrnimmt. Sie schaut nur auf uns, kontrolliert uns und führt ihren Unterricht mit uns.
Sie hasst uns.
Und wir hassen sie.
Das weiß jeder an der Schule.
Als die Geschichtsstunden vorbei sind, platzt mir bereits der Kragen.
Dabei sind von den acht Stunden gerade mal zwei absolviert. Mit finsteren Blicken verlassen wir den Klassenraum und laufen erhobenen Hauptes an Miss Merlin vorbei, die den Hass in unseren Augen herzlich erwidert.
Eigentlich sollte sie mir leidtun. Jede Woche versucht sie uns in den Boden zu treten und jede Woche schafft sie es nicht. Denn wenn Kilian und ich eines können, dann ist das Feinde fertigmachen.
Und Miss Merlin ist der Staatsfeind Nummer eins.
Sie sollte mir wirklich leidtun.
Denn historische Daten beherrscht sie genauso wenig, wie Kilian oder mich.
Wir sind es die sie in den Boden treten, Woche um Woche.
Es gibt nur Leute – Miss Merlin – die das nicht sehen wollen.
»Ihr beide seid einfach genial!«
Cleo grinst schief, als sie nach der sechsten Stunde zu uns in die Cafeteria stößt und sich ans Kopfende von unserem Stammtisch setzt.
Kilian und ich sitzen uns gegenüber, tauschen einen Blick und schlürfen dann stumm an unserer Erdbeermilch weiter.
»Ich weiß zwar nicht, wieso Merlin diesen Scheiß Woche um Woche abzieht, aber an euch beiden knackt sie wirklich keine Nuss. Versteh' nur nicht, warum sie dass nicht langsam auch mal checkt.«
Wir zucken synchron mit den Schultern und schlürfen wieder an der Erdbeermilch.
»Könnt ihr Schlafmützen auch mal mit mir reden? Ich stehe zwar nicht auf ihrer Abschussliste, aber eure schlechte Laune müsst ihr nicht an mir auslassen!«
»Wollen wir auch gar nicht«, mische ich ins Gespräch und löse meine Lippen vom Strohhalm, um Cleo anzusehen.
Kilian tut es mir gleich.
»Wir sind nämlich gar nicht schlecht gelaunt«, stellt er klar und grinst urplötzlich.
Cleo hebt fragend eine Augenbraue. Unsicher sieht sie zwischen uns her.
»Okaayy ... und was läuft dann falsch bei euch?«
»Die Frage ist, was bei dir falsch läuft! Mensch, Cleo! Du hast den Wettkampf gewonnen! Wie kommt du darauf uns nichts davon zu erzählen?«, platzt es aus mir und auf meinem Gesicht malt sich stolze Empörung.
»Ja, Girl, wieso erfahre ich in Mathe über zwei Tratschtanten von deinem Erfolg? Wieso wissen diese Gossip-Taschenrechner besser über dich Bescheid, als ich. Das ist verletzend!«, gibt sich auch Kilian empört.
Seit ich Cleo kenne, reitet und voltigiert sie. Unter der Woche ist sie mindestens drei Mal im Stall bei ihren Pferden und trainiert für Wettkämpfe oder reitet aus Lebenslust.
Cleo ist ein echtes Pferdemädchen und auch, wenn ich selbst nicht viel mit den Vierbeinern anfangen kann, bin ich stolz eine so erfolgreiche beste Freundin zu haben. Es ist unglaublich, was für Kunststücke und Bewegungen sie auf einem Pferderücken machen kann, ohne dabei herunterzufallen.
Ich hätte schon Angst meine Hände im Sitzen loszulassen, wenn das Pferd im Schritt geht. Gegen Cleo ist das ein Witz.
»Ich ... Es ... Ich fand es einfach nicht so wichtig«, murmelt sie verlegen und senkt den Kopf, damit wir nicht sehen, wie rot sie wird. Eigentlich ist es ihr doch sehr wichtig, dass wir davon wissen. Und natürlich ist es uns das. Cleo ist meine beste Freundin.
»Ja, ja und das sollen wir glauben. Mensch, herzlichen Glückwunsch!«
Ich reiße Cleo von ihrem Stuhl und umarme sie fest. Kilian steht ebenfalls auf und umarmt uns dann beide.
»Leute ... ihr erdrückt mich«, stellt Cleo nach fünf Minuten klar, in denen wir uns immer noch in den Armen halten und die Blicke der anderen ignorieren. Sollen sie doch gucken. Hier an der Schule weiß jeder, dass wir ein Team sind.
»Geschieht dir recht. Wie kannst du uns so etwas verschweigen?« Ich versuche verletzt und empört zu klingen, aber viel zu offensichtlich bin ich einfach beeindruckt und stolz auf Cleo.
»Tut mir ja leid. Ich bin halt einfach nicht dazu gekommen.«
Wir lösen uns, als es klingelt und die letzten beiden Stunden anstehen.
»Das sollte dir auch leid tun. Aber uns tut es auch leid, weil wir dich das heute morgen als allererstes hätten fragen müssen.«
»Wir sind so schlechte Freunde, dass wir wieder die besten sind, was?«, scherzt Cleo und hakt sich bei Kilian und mir unter. Ich muss lachen. Kilian stimmt Cleo nickend zu.
»Die schlechtesten besten Freunde, die es gibt.«
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