19 || BAD MOMS AND DADS


Amanda

Als ich einatme, fliegt etwas Staubartiges in meine Nase und kitzelt sie augenblicklich, dass ich leise niesen muss.

Mir über die Augen reibend, drehe ich mich zur Seite und kuschle mich enger an die Wärme, die mich an sich drückt und nicht loslässt.

Es dauert Minuten, ehe ich einen Haken an der Situation erkenne und blinzelnd meine Augen öffne, um direkt auf das weite Meer hinauszusehen.

Wir liegen noch immer am Strand, schießt mir der Geistesblitz durch den Kopf. Die Sonne scheint grell auf uns nieder und die Möwen flattern über unsere Köpfe hinweg.

Ich liege in Carters Armen.
Er ist es, der mir Wärme spendet und noch immer nach einer frischen Dusche riecht. Ich atme resigniert aus.
Dann drehe ich meinen Kopf in seine Richtung.

Er schläft noch immer.
Seine dunklen Locken sind voller Sand, aber er atmet seelenruhig.
Die silberne Kreuzkette liegt mittig auf seiner Brust. Sie glänzt im Sonnenlicht.

Mir fällt erst jetzt im Tageslicht auf, dass er auch seine Ringe an den Fingern noch trägt.
An seiner linken Hand prangen ein schlichter silberner Ring am Ringfinger, ein mattschwarzer mit einem kleinen Stein eingraviert direkt darüber und ein grauer Ring mit einem Löwenkopf auf dem Zeigefinger.

Auch an seiner rechten Hand schmücken ihn Ringe. Ein welliger brauner aus dunklem Holz am kleinsten Finger und ein drahtartiger goldener Ring am Mittelfinger.

An den Seiten seines rechten Zeigefingers erkenne ich ein verstecktes Tattoo. Es ist mir nie zuvor aufgefallen. Aber es macht mich sofort neugierig.

Vorsichtig spreize ich seinen Daumen und Zeigefinger, um es näher zu betrachten.
Es ist ein kleiner Erdball um den die Sterne kreisen. Auf der Weltkugel ist ein schnörkeliges '𝔇' eingraviert.

Ich finde das Tattoo schön.
Die schwarze Tinte macht sich gut auf Carters tief sonnengebräunter Haut.

Ich frage mich augenblicklich, ob er noch mehr Körpermalereien hat.

Ich drehe mich zurück in seinen Armen, um ihm ins Gesicht zu sehen.
Wir liegen in der prallen Sonne. Aber Carter scheint vom Licht ungestört.

Seine Lippen sind leicht geöffnet. Ich würde sie zu gerne berühren, einfach, weil es ein Klischee wäre ihn damit aufzuwecken.
Seine Wimpern sind so dunkel wie sein Haar. Ich bin neidisch, dass er so dichte Wimpern, um seine pompösen Augen hat.

Mit ein wenig Wimperntusche sähe er mit Sicherheit aus, als hätte er sich gefälschte Wimpern aufgeklebt. Frauen können davon nur träumen.

»Du starrst, Rosie«, stellt sein entspannter Körper fest.
Nur kurz nachdem seine Lippen mich erwischen, heben sich seine Lider und seine Augen treffen direkt auf meine.

»Ist das bei deinem tollen Aussehen ein Wunder?«, frage ich und beiße mir gleich darauf auf die Zunge.

Verflixt nochmal, Amanda, was tust du da?

»Du findest mich also hübsch?«, fragt er und grinst spitzbübisch.
Ich würde mich am liebsten Ohrfeigen. Aber dann wären meine Wangen noch roter, als sie es eh schon sind.

»Ich ... finde, wir sollten langsam aufbrechen. Wie spät ist es überhaupt?«

Ich richte mich ein wenig unbeholfen auf. Carter folgt meiner Geste entspannt und klopft sich dann den Sand vom Körper.
Am Strand ist nach wie vor niemand.

Ich kann nicht fassen, dass wir hier eng umschlungen eingeschlafen sind.

»Scheiße!«, platzt es leise aus Carter, als er eine Taschenuhr aus seiner Jogginghose fischt und daraufsieht sieht.

»Es ist gleich halb zwölf.«

Wir reißen gleichzeitig die Augen auf.

Es ist Donnerstag! Wir haben die Schule verschlafen und ganz nebenbei geschwänzt!

Auch mir entweicht ein leiser Fluch, ehe ich nach meinen Schuhen greife und mich dann auf den Weg zurück mache.
Carter folgt meinem Beispiel.

Die Hände in die Füße nehmend rennen wir in Richtung der Düne, über die wir zum Strand gekommen sind.

»Es tut mir so leid, Carter. Ich wollte zum Strand und dann sind wir eingeschlafen. Ich wollte nicht, dass wir die Schule verpassen.«

Er nimmt mich bei der Hand und stoppt uns beide beim Laufen.

»Das ist doch nicht deine Schuld. Ich wollte hierher und diese Nacht mit dir genießen.
Es ist überhaupt erst meine Schuld, dass du das Haus verlassen hast.«

Er sieht mir tief in die Augen.

»Wir sind beide schuld«, stelle ich fest.
Dann seufze ich.

»Wieso beeilen wir uns überhaupt? Die Schule können wir knicken und da meine Eltern mich umbringen werden, kann ich mein Schicksal, ermordet zu werden, auch noch ein wenig hinauszögern.«

Ich lächle Carter schwach entgegen. Er grinst nickend.

Ich habe noch nie die Schule geschwänzt. Nicht mal auf die Idee bin ich gekommen.
Jetzt ist es zum ersten Mal passiert.

Es fühlt sich ... aufregend an.

»Lass uns gemeinsam sterben gehen!«, wirft Carter amüsiert ein und läuft mit mir an seiner Hand langsam los.

Wir haben keine Eile.
Es ist für alles zu spät.

Dann können wir die letzte Ruhe auch noch einen kleinen Moment länger genießen.

Die Vögel zwitschern in den Bäumen, die die Fahrradwege beschatten und verflogen uns auf unserem Heimweg.
Die Wege sind bei Tageslicht hell befahren und trotz der Tatsache, dass ich jetzt ganz woanders sein sollte, störe ich mich an nichts und genieße den kleinen Spaziergang sogar.

Carters Hand ist mit meiner verschränkt. Als seien wir ein Pärchen schaukeln unsere Arme zwischen unseren Körpern. Damit ich nicht panisch werde, erzählt Carter schlechte Witze und bringt damit unser beider Körper zum Lachen, dass wir die letzten Meter bis zu unserer Straße voll und ganz genießen können.

Ich fühle mich freier, als ich sollte. Noch nie hatte ich eine so aufregende und schöne Nacht hinter mir und ich will unbedingt wiederholen, was wir vor ein paar Stunden ganz für uns allein hatten.

Die Gespräche mit Carter sind so einfach. Sie sind locker und lustig und doch flexibel, dass sie augenblicklich ernst und tröstend sein können, wenn das von Nöten ist.

Wir haben uns die letzten Stunden so viel erzählt, so viel gebeichtet und uns gegenseitig zum Lachen gebracht, das ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf stehen soll, bei so vielen Eindrücken.

Meine Glücksgefühle sind überall. Sie schwirren wie ein Bienenschwarm um mich und das liegt alles nur an Carter.

Er ist der Grund, warum ich mich so befreit und gut fühle, warum ich kein schlechtes Gewissen habe und warum ich nichts bereue.
Es liegt alles an ihm.

»Danke, Carter!«

Als wir unsere Straße direkt neben dem Kanal belaufen, will ich diese Worte loswerden, ehe sich unsere Wege gleich vermutlich trennen.

»Wofür bedankst du dich?«
Er sieht mich mit einem offenen Lächeln an. Sein Haar wird vom Wind nach hinten gezogen. Der Anhänger seiner Kette ist unter seinem Pullover verschwunden. Carters Ringe glühen an meinen Fingern.

»Für die beste Nacht meines Lebens«, sage ich sicher und schäme mich nicht für dieses Geständnis. Denn es ist die Wahrheit. Und die Wahrheit tut mir nicht weh.

Sein Lächeln wird breiter.

»Ich habe zu danken. Du bist die beste Seelsorge-Zuhörer-Freundin, die die Welt je gesehen hat. Ich habe diese Nacht auch sehr genossen.«

»Dann lass sie uns wiederholen, sollte ich das hier überleben«, gebe ich verscherzt von mir und male mir nun doch Szenarien aus, die eine Wiederholung unmöglich machen könnten.

»Natürlich werden wir das hier wiederholen. Ich lasse nicht zu, dass du stirbst«, erwidert Carter selbstsicher darauf und drückt meine Hand zu dieser Bestätigung.

Er richtet sich selbstsicher wieder zu seiner vollen Größe auf und sieht nach vorne.
Er sieht aus, als würde er das todernst meinen und ich will nicht bestreiten, dass es nicht auch genau so ist.

Einmal mehr bewundere ich ihn für seine Selbstsicherheit.
Er spricht so fest und überzeugt. Ich würde ihm alles glauben, wenn er so sprechen würde, wie gerade eben.

Von dem sorgenvollen und verletzten Carter ist nichts mehr zu sehen.
Aber ich weiß, dass er existiert und das lässt mich nie wieder so naiv denken, wie noch vor weniger als vierundzwanzig Stunden.

x x x 

Als wir die Einfahrt zu meinem Haus passieren, bleibt mir mein Herz für einen kleinen Augenblick stehen.

Die gespürte Ruhe bleicht bei dem strengen Blick meines Vaters, der in der geöffneten Haustür steht und verkniffen zu uns hinüberstarrt.

Ich schlucke benommen. So sollte er Carter ganz sicher nicht kennenlernen.
Jetzt hat er einen völlig falschen Eindruck von ihm bekommen und mich besteigt das ungute Gefühl, dass er Carter unter solchen Umständen noch schwerere Steine in den Weg legt, als er es sowieso getan hätte, um ihn zu testen.

So ein Mist!

Und wie soll ich mich oder uns herausreden?
Ich war die ganze Nacht fort, am Morgen ohne eine Nachricht verschwunden, nicht in der Schule und nicht zuletzt die gesamte Zeit mit Carter unterwegs.

Mein Körper bereitet sich auf eine Menge Stress vor.

Mit schuldbewusstem Blick, löse ich Carters verschränkte Hand mit meiner und gehe einen Schritt in Richtung Daddy, der noch immer mit verbissener Miene im Türrahmen lehnt und uns niederstarrt.

Er trägt sein weißes Geschäftshemd. Das kann mir bedeuten, dass er heute morgen ein Meeting hatte und es wegen mir ins Wasser gefallen ist.
Seine Schuhe hat er erst gestern Abend geputzt. Es muss ein wichtiges Gespräch sein.

Das lässt meine Chancen noch tiefer sinken.

»Wir ... bis später«, murmle ich leise und betreten und werfe Carter einen letzten schüchternen Blick zu.

Meine Glücksgefühle sind unter einer Schicht von Scham begraben, die ich spüre, wenn ich an die Enttäuschung denke, mit der ich gleich konfrontiert werde.

Ich liebe meine Eltern. Sie sind die größten Stützen in meinem Leben und sie lassen mir so viele Sachen kommentarlos durchgehen. Sie lieben mich und das lassen sie mich auch wissen.

Es füllt mich mit Gewissensbissen, dass sie sich Sorgen um mich machen mussten und ich so fahrlässig war und auch noch geschwänzt habe.

So bin ich nie gewesen.
Ich habe nie solche Dummheiten begangen. Ich hätte mich melden sollen, nicht abhauen sollen.

Jetzt habe ich den Salat!

Mit kleinen Schritten laufe ich näher unter die funkelnden Augen meines Vaters.
Er ist angespannt.
Er ist sogar sehr angespannt.
Er ist nie so angespannt.

Meinen Vater aus der Ruhe in Zorn zu bringen, ist wirklich eine schwermögliche Kunst.
Man muss schon viel Scheiße bauen, um das hinzukriegen.

Tada!

»Dad ich -«, beginne ich stotternd zu erklären und bleibe knapp zwei Meter vor ihm stehen.
Ehe ich jedoch weiterreden kann, unterbricht mich jemand und schiebt mich ein wenig schützend hinter sich.

»Es war meine Schuld, Mister Vine. Ich trage die volle Verantwortung dafür, dass Ihre Tochter das Haus verlassen hat und es ist meine Schuld, dass Sie sich sorgen mussten und Amanda auch noch die Schule geschwänzt hat. Ich habe sie dazu angestiftet.
Ich wollte, dass sie mit mir zum Strand kommt und wenn ich nicht so schusselig gewesen wäre, dann hätte sie niemals die Schule verpasst.
Amanda trifft keine Schuld, für alles, was Sie Ihr vorwerfen könnten. Seien Sie bitte nicht sauer auf sie.«

Carters Stimme ist bestimmend und klar. Er spricht so gefasst, dass mir der Mund offen steht, weil er so gekonnt lügt!
Er lügt!
Er lügt wie gedruckt!

Das alles ist meine Idee gewesen!

Ich war es, die zum Strand gewollt hatte!

Aber vor den Augen meines Vaters schuldet er sich alle Wut selbst zu und redet mich aus der Schusslinie.

Er verteidigt mich.
Seine Schulter hat sich in mein Blickfeld geschoben, mich ein wenig hinter ihm geborgen und so niedlich diese Geste auch ist, er darf sich selbst nicht zum Fraß vor meinen Vater werfen.

Das hat er nicht verdient.
Mein Dad soll und darf nicht so schlecht von ihm denken!

Ich will auf diese falschen Worte etwas erwidern, aber mein Dad lässt mich gar nicht zu Wort kommen.

»Ich schätze, du bist dann wohl Carter. Der Junge, von dem Amanda mir erzählt hat.«

Ich bin wie erstarrt.
Denn die Miene meines Vaters wandelt sich innerhalb von Sekunden. Er lockert seine strikte Haltung.

»Ja, Sir. Ich denke, dieser Carter bin ich.«

Ich stehe noch immer im Schatten von Carters Kreuz. Aber mein Dad macht nicht den Anschein, als wäre Schutz länger nötig. Ich bin überrascht.

»Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Carter. Wie unschwer zu erkennen ist, bin ich Amandas Vater und so mutig und nett ich es von dir auch finde, dass du dich so zu ihren Gunsten einsetzt, ich glaube, Amanda hat sich einen Teil schon selbst zuzuschreiben.«

Mein Dad sieht mit amüsiertem Blick zwischen Carter und mir her und wartet dann mit gehobener Augenbraue auf mein Nicken.

Er hat die Lüge also durchschaut.

»Ja, Dad, es war alles meine Schuld. Ich war es, die zum Strand wollte«, bestätige ich seine Vermutung und trete vollständig neben Carter.

Dad nickt darauf.

»Gut. Dann hätten wir das alles ja geklärt. Carter, es hat mich sehr gefreut, dich endlich persönlich kennenzulernen. Ich vermute, dass ich dich nun öfters sehen werde.«

Er lächelt dem Lockenkopf freundlich zu und schüttelt ihm dann die Hand.

»Es hat mich auch sehr gefreut, Sie kennenzulernen, Sir. Auf Wiedersehen.«

Damit wendet sich Carter von meinem Vater ab und sieht zu mir hinunter.
Ehe ich es überhaupt realisieren kann, hat er sich zu mir hinabgebeugt und meine Hand geküsst.

»Ich sagte doch, ich lasse dich nicht sterben«, flüstert er leise an meine Haut, ehe er sich mit dem Räuspern meines Vaters aus seiner zuvorkommenden Haltung aufrichtet und mir lächelnd in die Augen sieht.

»Tschüss, Rosie!«, sagt er laut genug, um meinen Vater teilhaben zu lassen, ehe er sich endgültig abwendet und zum Haus seiner Oma schlendert.

Ich sehe ihm eine Weile nach. Erst als er verschwunden ist und mein Vater sich räuspert, drehe ich meinen Kopf zurück in seine Richtung.

Was jetzt kommt, kann ich nicht einschätzen. Aber nachdem er so freundlich war, müsste er jetzt erst recht mit seiner Standpauke beginnen, um mich nicht vollends zu verwirren.

»Rosie?«

Daddy sieht mich fragend an. Er hat eine Augenbraue gehoben. Sein Blick ist neutral, aber neugierig.

»Wieso nennt er dich Rosie?«

»Weil alle anderen mich Motti nennen.«

Das laut auszusprechen, lässt mich plötzlich warm ums Herz werden. Denn wirklich bedacht habe ich diesen Namen nie. Er hat mich einfach von Anfang an so genannt.

Dass das tatsächlich mit einem Wiedererkennungswert und der Einzigartigkeit wegen sein könnte, macht ihn noch besser.

»Naja ... komm erstmal rein, Amanda«, murmelt mein Vater und klingt dabei von jetzt auf gleich erschöpft und müde, dass ich mich beeile, um ihn nicht noch mehr zu belasten.

Dass er nicht bei der Arbeit ist, kann nur bedeuten, dass er sich Sorgen um mich gemacht und mich gesucht hat.

Ich stelle meine Schuhe im Flur ab, kaum das ich die Küche betrete, schlingt meine Mum ihre starken Arme um mich und drückt mich an sich.

Ein wenig steif lasse ich sie mich einen Moment umarmen.

»Wo warst du?«, fragt sie, als sie sich wieder löst und wir ein wenig Abstand gewonnen haben.

»Sie war am Strand, Schatz.«

Dad lehnt im Türrahmen.
Er sieht gelassener aus, denn je.
Was geht hier vor sich?

»Mit Carter?«, hakt Mum weiter nach und diesmal bin ich es, die antwortet.

»Ja, und bevor ihr sauer seid und mir Hausarrest gebt, lasst es mich bitte erst erklären.
Wir konnten gestern Nacht anscheinend beide nicht schlafen. Ich habe mich stundenlang hin und her auf dem Bett gerollt und aus Carters Zimmer schien auch die ganze Zeit Licht.
Also bin ich aufgestanden und ans Fenster gegangen und da war er.
Er saß auf der Fensterbank und hat sich den Himmel angeguckt.
Ich habe ihm nachgemacht und dadurch kamen wir ins Gespräch. Er hat von Holland und seiner Zeit hier gesprochen, dass er früher in beinahe jeden Ferien hier war und dass er mit seiner Abwesenheit die letzten Jahre glaubt, seine Großmutter ein Stück weit verloren zu haben, wichtige Zeit mit ihr verloren zu haben. Er war wirklich bedrückt und traurig, also wollte ich ihn trösten. Und darum bin ich nach draußen und habe schlussendlich vorgeschlagen, zum Strand zu gehen. Es war alles meine Idee. Und das wir die Zeit vergessen haben, war keine Absicht. Wir sind einfach eingeschlafen und erst zu spät wieder aufgewacht. Wir wollten die Schule nicht absichtlich schwänzen und, dass ich mich nicht gemeldet habe, tut mir auch leid. Falls ihr euch Sorgen gemacht habt. Es war nie geplant, so lange wegzubleiben.«

Ich atmete ein wenig aufgeregt aus und sah zwischen meinen Eltern hin und her.
Mein Dad zuckte irgendwann mit den Schultern.
Mum lächelte zaghaft.

»Wir sind nicht sauer, Motte. Ja, wir haben uns schrecklich, verrückte, kranke Sorgen gemacht! Aber wir waren auch mal jung und auch mal ein wenig gerissen. Vom Schule schwänzen stirbt keiner, mein Schatz.«

Die Sorge um eine jahrelange Hausarrest Strafe, war mit einem Mal verschwunden.
Dieses Gespräch nahm ganz andere Formen an.

»Das heißt?«, fragte ich zögerlich nach.

»Das heißt, dass du dich das nächste Mal meldest, wenn du fortgehst, du dein Handy mitnimmst und dich eventuell zu Zeiten forttreibst, die uns in der Schule nicht ständig lügen lassen müssen. Wenn wir dich nämlich jeden Tag mit einem Anruf decken, könnte das irgendwann zu auffällig werden.«

Mir klappte der Mund auf.
Hatte das gerade wirklich mein Vater gesagt?
Mein Vater?

Mit einer solchen Antwort hatte ich nie gerechnet.
Und überhaupt, fand er es gar nicht schlimm, dass ich geschwänzt hatte?
Im Gegenteil, hatte er gerade behauptet, er habe mich gedeckt und würde es wieder tun?

»Jetzt sieh uns nicht so an, Amanda! Natürlich ist es nicht richtig, Schule ist Pflicht, und wir wollen dich im Schwänzen nicht bestärken. Aber wir waren auch einmal jung, haben wilde Partys gefeiert und Schulstunden, die uns genervt haben, mit einem Date oder einem einfachen Shoppingtrip durch die Stadt getauscht. Natürlich geht man damit Risiken ein und unsere Eltern fanden das gar nicht lustig, aber man muss solche Erfahrungen im Leben machen, muss ein wenig wagen, ein wenig über die Stränge schlagen. Du warst die letzten Jahre so vernarrt in die Schule, hast sie viel zu ernst genommen, dich viel zu sehr darin verrannt und gepaukt. Als Schüler darf man sich nicht so kaputt machen, sich den letzten Rest Freizeit auch noch mit Schule verderben. Gerade darum bin ich so froh, dass du Lili, Cleo und jetzt auch Carter hast, um dich auszulasten, um auch mal etwas Anderes zu machen, als in deinem Schlafzimmer vor dem Schreibtisch zu sitzen. Die Schuljahre sind zeitlich die besten Lebensjahre. Man ist jung und energiegeladen. Und das musst du nutzen und auskosten.«

Mein Mund wollte gar nicht mehr zugehen. Das Eltern so reagierten, war mir neu.

»Natürlich sind wir trotzdem nicht einverstanden damit, dass du Schwänzen zur Gewohnheit werden lässt und auch bei deinen Hausaufgaben einen Durchhänger machst. Wir vertrauen dir aber soweit, dass du es nicht so kommen lässt.«

»Und das wars? Darum habe ich mir so eine Angst und Panik gemacht?«, frage ich mehr mich selbst und kann es nicht fassen.

»Ganz so leicht kommst du uns nicht davon. Dafür, dass wir nicht zu Arbeit gehen konnten, weil wir uns Sorgen um dich machen mussten und dich und Carter wie wild gesucht haben, wirst du gleich losfahren und Cleo vom Kindergarten abholen, eine Runde einkaufen und dann mit ihr rüber zu Miss Stevens gehen, wo es Mittagessen gibt. Du passt mir schön auf deine Schwester auf, ich bin erst spät abends zurück und Daddy musste seine Meetings auch auf den Abend verschieben. Außerdem meldest du dich gleich mal bei Cleo und fragst sie nach dem Stoff, den du heute verpasst hast.«

Das war ja milde.
Aber ich nickte.
Meine kleine Schwester hatte ich schon lange nicht mehr aus dem Kindergarten abgeholt.

»So, nachdem das geklärt wäre. Die Einkaufsliste liegt auf dem Küchentisch. Bei meinen Cornflakes, kannst du wie immer eine Reservetüte mitnehmen. Wir sind, wie gesagt, erst heute Abend zurück. Es kann spät werden, aber du weißt ja, wann deine Schwester ins Bett gehört.«

Ich nickte bestätigend. Dann ließ ich mir von Mum einen Kuss auf die Wange geben, von Dad einen auf die Stirn und zuletzt sah ich beiden dabei zu, wie sie Schuhe und Jacke überzogen und ihre Fahrräder aufschlossen.

Ich stand im Rahmen der Haustür, als Mum losfuhr und Dad sich noch einmal zu mir umdrehte.

»Vielleicht kaufst du lieber zwei Reservetüten, Schatz.«

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Wenn Eltern doch immer so aufs Schule Schwänzen reagieren würden?
Sind Eure Eltern/Erziehungsberechtigte da so locker, wie bei Amanda hier?

Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag!

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