Neulich beim Kinderarzt

Das kleine nervige Kind rollt noch immer den Holzklotz mit dem Fuß auf dem Boden herum. Hin und her. Klack. Wieder gegen das Stuhlbein gekommen.

Mit einem tiefen innerlichen Seufzer verkneife ich mir einen bösen Blick in Richtung des Kindes, welches mich sowieso während seiner Spielerei andauernd anglotzt. Dabei weiß es bestimmt ganz genau, dass es nervt. Bestimmt lauert es gerade nur darauf, dass ich zu ihm blicke und es dann endlich schadenfroh lächeln kann.

Möglichst unbeteiligt lasse ich den Blick durch das Wartezimmer schweifen und rutsche ein wenig auf der bunten Sitzecke hin und her. Ein Polster unterm Po und eines am Rücken. Wunderbar. Klack und man hört wie der Holzklotz unkontrolliert weg rollt.

Endlich, denke ich mir, doch schon hat es wieder einen neuen Klotz welchen es von seinem Stuhl aus malträtiert. Außerdem fängt es so langsam an unruhig zu werden.

War ich früher auch so? Bin ich auch immer allen auf die Nerven gegangen?

Hin und her rutscht es immer wieder und fängt sogar an auf seine Hände zu sitzen. Schön bequem? Wäre es jünger hätte ich es ja noch verstanden, aber mit geschätzten 9 Jahren erwarte ich doch schon etwas mehr Ruhe. Und wenn es verdammt nochmal – KLACK – spielen möchte soll es sich doch einfach auf den Teppich setzen und es dort wie jedes andere Kind tun.

„Jeremy Pascal, du kannst jetzt ins Behandlungszimmer kommen.“

Mit einem Blick á la Chucky, die Mörderpuppe, stampfte Tschärämü, wie die Mutter gerade nochmal das Kind aufforderte mitzukommen, der Mutter hinterher.

Im Hintergrund fing nun jedoch das qualvolle Wimmern eines Kleinkindes an in einen lauten Schrei überzugehen.

Hatte ich das früher als ich klein war eigentlich nie mitbekommen? War ich tatsächlich so doof gewesen und noch immer frohen Mutes zum Doktor mitgegangen? Hatte ich mich tatsächlich nach jeder Behandlung mit einem Traubenzucker umstimmen lassen?

Entnervt rupfte ich ein Jugend-Magazin aus dem Zeitungsständer.

Wie man Jungs um den Finger wickelt!

Taylor Swift schwanger?

Dein tolles Extra: Sommer-Tattoos! 

Schon sprangen mir die ersten Überschriften ins Gesicht und resigniert stopfte ich das Magazin zurück in die Halterung. Außerdem lagen noch Mickey-Maus-Hefte (wenigstens etwas mit Stil) und Elternberater herum.

„Wickie nun auch in neuer Aufmachung!“, stach mir sofort in den Blick.

Dein Ernst Welt? Erst Biene Maja und nun Wickie? Was war an den guten alten Zeichentrickbildern falsch? Wenigstens lief noch ab und an Michel aus Lönneberga im Fernsehen, was mich wenigstens ein bisschen an die Menschheit glauben ließ. Warum wurden nur alle guten Kindersendungen gestrichen oder einen - wie manche sagen - „wunderbaren, modernen Touch“ verpasst? Und warum fühlte ich mich plötzlich so alt?

„Eeeey, gib das Spielzeug zurück, du Arschloch!“, rief gerade ein kleines Kind der neuen Generation seinem Spielpartner zu.

Kleine süße Kinder – wo seid ihr?

Ich setzte mich unterdessen wieder auf meinen angestammten Platz und entschied doch nur noch weiterhin aus dem Fenster zu blicken.

„Mamaaaa, was ist ein Arschloch?“, schallte es unterdessen draußen im Flur. Schon kam eine wütende Mutter angestiefelt und baute sich vor mir auf. Ne, oder?

„Was erlauben sie sich eigentlich?! Sie sind hier in einer Praxis voller Kinder! Da können sie nicht einfach nur weil sie so cool“ Es war immer schrecklich wenn Erwachsene solche Wörter nutzten. „jugendlich sind mit Fäkalwörtern um sich werfen.“

Sie hatte wohl nicht gehört, dass es von einem kleinen Kind und nicht von mir kam.

„Aber,..“, wollte ich gerade meine Erklärung entgegnen.

„Nichts aber! Sie sollten sich schämen!“ – und schon stiefelte sie wieder von dannen.

Im Flur hörte ich ein gemurmeltes „Die Jugend von heute!“, was die Sprechstundenhilfe mit einem „Schlimm, nicht?“ kommentierte.

Mit versteinerter Miene blickte ich zu dem Kind, welches während der Moralpredigt die ganze Zeit breit lächelnd Gesten, die „blablabla“ signalisierten, machte.

Gut. Es waren nicht alle Kinder abgrundtief böse – wirklich nicht. Das Praktikum im Kindergarten hatte mir das nur zu gut gezeigt. Aber dieses hier war ein kleiner Teufel, welcher anscheinend immer davon kam. Immer.

Da der Spielpartner schon gegangen war, um in die zuvor schon durch den Schrei angekündigte Kammer des Schreckens alias Behandlungszimmer zu gehen, war der Teufelsbraten das einzige Kind im Wartezimmer. Seine Mutter saß mit Kopfhörern in den Ohren in der anderen Ecke und war vertieft in ein Klatschmagazin.

Als ich dies registrierte, vertiefte sich das teuflische Grinsen des Jungen nur noch mehr. Er könnte wirklich der noch bösere Zwilling von Lucius sein.

Einfach ignorieren. Ich wendete schon wieder meinen Blick zum Fenster, als ein kleines Mädchen vollkommen in Rosa (- oh welch Klischee) hereinkam.

Lucius 2.0 warf es mit einem Flummi ab und sofort brach es in Tränen aus.

Jetzt rechte es mir. Ich lief zu dem Mädchen, strich ihm kurz über den Kopf und reichte ihm ein Plüschtier. Dann wandte ich mich dem Jungen zu und sah ihn bitterböse (- fing eigentlich mein Augenlid an zu zucken?) an.

„Was denkst du wer du bist?“

Gelangweilt blickte er an mir vorbei und plötzlich formten sich seine Lippen zu einem Lächeln.

„Was denken Sie wer Sie sind?“, sagte eine neue Stimme hinter mir. Mit einer gewissen Vorahnung, drehte ich mich langsam um und was sah ich?

Genau! Eine Mutter, die erbost auf mich herabstarrte, nun keine Kopfhörer mehr anhatte und das Klatschmagazin mit ihrer Faust folterte.

„Sie können sich doch nicht einfach auf meinen kleinen Jungen stürzen! Was hat er ihnen getan?!“ Langsam verkrochen sich die beiden Kleinen, Lucius und das brave Mädchen, hinter ihrer (wie ich nun bemerkte – beider) Mutter. Hämisch grinsend zogen sie herausfordernd ihre Augenbrauen nach oben. Es fehlten meiner Meinung nach nur noch Hörner. Wie viel Böses kann in diesen zwei kleinen Portionen stecken?

Unerwarteter Weise rettete mich die Sprechstundenhilfe mit einem „Julia, du kannst jetzt ins Behandlungszimmer kommen – der Doktor kommt gleich.“

Mit einem tiefen Seufzer (den ließ ich mir jetzt nicht nehmen) biss ich meine Zähne zusammen, griff mir meine Tasche und stand auf. „‘Tschuldigung, muss jetzt gehen.“, nuschelte ich. Dann stapfte ich mit einem weiteren meiner Meinung nach bösen Blick an die Kinder aus dem Wartezimmer, um den Arzt wenig später eine Spritze in meinen Arm rammen zu lassen. Oh ja, ich liebte Besuche beim Kinderarzt.

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