-3-

Als ich klein war, erzählte mir meine Mutter oft von etwas namens "Weihnachten."
Jedes mal begannen ihre Augen zu glänzen, als sie die Lichter, die Gerüche und die Geschenke beschrieb, die der Weihnachtsmann brachte.
"Und draußen fiel ganz sanft der Schnee, eine Flocke nach der anderen" ,hatte sie gesagt und mich gekitzelt.
Das war natürlich bevor ich sie erschossen habe.

Bitte versteht das nicht falsch, ich bin keine herzlose Person, die einfach so Leute abknallt. Eigentlich habe ich sogar noch sehr oft Albträume deswegen, aber der Weg des Überlebens ist niemals einfach.

Ich weiß wovon ich spreche. Seit drei Jahren überlebe ich ganz alleine und schlage mich durch verlassene Städte und das Ödland.
Ich bin damit aufgewachsen, aber meine Mama hat mir früher erzählt wie schön alles war. Damals hatten sie ein Haus, in dem sie richtig gewohnt hatten und sogar einen Garten.
Doch das änderte sich mit dem Virus. Es brach aus, als sie 17 gewesen war und bald hatten sich nur noch wenig Menschen unter Kontrolle.

Ihr müsst eine Sache über das Virus wissen. Es scheint nicht wie eine normale Krankheit. Es greift weder dein Immunsystem, noch deine Kräfte oder irgendwas in der Art an.
Es zeigt sich vielmehr in deinem Verhalten und betrifft deinen Geist. Deshalb dachte man zuerst, dass es sich einfach um eine mentale Krankheit handelt, aber das war falsch.
Es war ein Fehler zu versuchen die Leute zu heilen, denn das einzige das hilft, wenn man betroffen ist, ist eine Kugel durch den Kopf.

Es geht sehr rasch, wenn man einmal infiziert ist. Man wird praktisch eine komplett andere Person, nicht im Sinne von Zombies oder so, aber einer kühlen Höflichkeit, bei der mir einfach nur schlecht wird.
Am Anfang scheint das kein großes Problem zu sein, aber wenn das Virus fortschreitet wird es schlimmer. Es raubt einem alle Emotionen, vor allem die guten. Mitleid, Anderen zu helfen, und der Altruismus, der uns zu Menschen macht verschwindet langsam.
Der Virus sorgt auch dafür, dass er verbreitet wird. Infizierte hängen sich an Gesunde und appellieren and deren Altruismus, bis sie sie anstecken können.
Das passiert in der Endphase, in der man höchst ansteckend ist und einen nichts mehr heilen kann.

Inzwischen bin ich alleine, aber ich komm damit klar. Bis auf meine Mutter hatte ich niemanden, aber das ist inzwischen ja auch Vergangenheit.

Es wird in letzter Zeit wieder kälter und es hat auch schon ein paar Mal geschneit. Nicht sanfte weiße Flocken, wie meine Mutter sie beschrieben hat, sondern rußige, die ätzen können.
Es ist nicht stark, aber auf Dauer kann es sehr wehtun. Ich weiß wovon ich spreche und schließlich habe ich auch schon genug Schneeleichen gesehen.

Da ich momentan ein verlassenes Einkaufszentrum in einer kaputten Stadt für mich habe, ist alles gut, ich muss mich nur von den kaputten Stellen im Dach fernhalten, ansonsten habe ich alles was ich brauche.
Wahrscheinlich werde ich sogar über den Winter hier bleiben, obwohl ich nicht gerne lange an einem Ort bin.

Für mein Abendessen mache ich ein kleines Feuer und bin deswegen noch vorsichtiger als sonst.
Deshalb bemerke ich auch die leisen Stimmen, die sich mir nähern.
Ich hebe meine Flinte.
"Was wollt ihr?" ,frage ich laut. "Kommt langsam her, oder ich schieße."
Zwei dürre Personen schleichen mit erhobenen Armen um die Ecke. Ein Mann und eine Frau, beide vielleicht Anfang 30.
"Oh alles gut, es ist nur ein kleines Mädchen." Der Mann seufzt und lässt die Arme sinken. "Das du dir nicht mit der Waffe wehtust."
Ich bin schon fast 15, aber ich sehe viel jünger aus, vielleicht wie 11. Unterernährung und dickes Gewand spielen da eine große Rolle.
Trotzdem sagen die meisten Menschen, dass ich einschüchternd aussehe, fast gar nicht wie ein richtiger Mensch.
Meine Haut ist nämlich wegen meines Vitiligos vor allem Gesicht sehr stark gefleckt und Augen mit unterschiedlichen Augenfarben habe ich auch. Grün und Schwarz. Keine häufige Kombi hat meine Mama gesagt.
Sie hatte auch Vitiligo, aber bei ihr war der Farbkontrast nicht so stark.

"Ich kann sehr gut mit der Waffe umgehen" ,sage ich mit lauter Stimme und der Mann lächelt leicht.
"Natürlich kannst du das. Aber dürfen wir uns zu dir setzen, Beatrice, die Ärmste ist schon so verfroren." Er deutet auf seine Freundin, die micht mitleidig anlächelt.
Ich habe selten Mitleid mit anderen, aber erfrieren würde ich trotzdem niemanden lassen.
Dazu führt sich der Mann so fake auf, dass er überhaupt nicht infiziert sein kann. Denke ich zumindest.

Ich nicke langsam und lasse die Waffe sinken.
"Danke Liebes." Die Frau redet zum ersten Mal, aber ihre Stimme passt nicht zu ihren Worten. Sie hört sich ein wenig abwesend, wenn nicht sogar kühl an.
Sofort geht mein ganzer Körper in Alarmbereitschaft.

"Also ja, ich bin Beatrice und das ist mein Mann Hank. Wie heißt du denn Liebes?"
Meine Mama hatte mir eigentlich empfohlen niemandem meinen Namen zu nennen, aber ich verstehe nicht ganz wieso. Was sollten die schon damit anfangen?
"Vanity" ,antworte ich.
"Oh natürlich" ,sagt Hank. Er glaubt mir nicht. Niemand tut das. Noch ein Grund warum ich unbesorgt meinen Namen nennen kann.
"Na dann Vanity, wo sind denn deine Eltern?"
"Tot" ,antworte ich ohne zu Zögern. Dann fange ich an zu essen. Ich muss jetzt wirklich nicht mit denen reden.
"Oh nein, du Arme" ,sagt Hank automatisch. "Bist du etwa ganz alleine?"
"Offensichtlich" ,nuschle ich mit vollem Mund.
"Dann können wir ja vielleicht bei dir bleiben, zumindest über Weihnachten, nicht wahr?"
"Aber Beatrice, sie ist ja zu jung um überhaupt zu wissen was Weihnachten ist."
"Doch, ich weiß was Weihnachten ist" ,antworte ich sofort. Ich habe schließlich wirklich viele Geschichten darüber gehört.
"Achso ok." Hank klingt ein bisschen überrascht.

Nach dem Essen lege ich mich auch direkt hin, bleibe aber wach.
Wenn sie denken, dass ich schlafe, reden sie vielleicht über etwas hilfreiches.
Dieser Plan geht nicht ganz auf, sie scheinen sich nur für eine ganze Weile zu küssen und ich schlafe wirklich fast ein.
Nach einer Weile passiert allerdings doch noch was.
"Die Kleine hat viel mehr zu Essen, als wir" ,zischt Beatrice ihrem Mann zu. Wieder klingt ihre Stimme kühl und höflich.
"Sie ist doch so klein.. aber du hast schon Recht."
Entweder ist Hank ein Arschloch, dass er ein kleines Mädchen bestehlen will, oder er ist auch schon infiziert.
Es könnte spannend sein, weil er und Beatrice noch zusammen sind. Normalerweise sind Infizierte alleine. Allerdings wird es dadurch schwerer sie zu töten, deshalb bringt mir diese wissenschaftliche Entdeckung rein gar nichts.
"Unser Weihnachten wird wunderbar" ,sagt Beatrice, aber ihre Stimme löst bei mir eine Gänsehaut aus. Es würde mich nicht wundern, wenn sie Hank bei der nächsten Gelegenheit auch loswird.

Ich warte bis ich merke, dass sie eingeschlafen sind. Dann stehle ich mich so leise wie möglich davon.
Meine Sachen sind sowieso immer gepackt, nur den Schlafsack muss ich noch zusammenrollen.
Das ist zum Glück schnell erledigt und ich bin verschwunden, bevor die Asche kalt ist.
Beatrice und Hank werden überrascht sein, wenn ich weg bin, aber die einzig andere Möglichkeit wäre sie umzubringen.
Blöderweise schneit es draußen noch wie verrückt. Ich muss irgendwo eine gute Plane, oder was ähnliches finden, um mich bis zum nächsten Gebäude zu schleichen. Hank und Beatrice sollten dann schnell meine Spur verlieren.
"Vanity?" ,höre ich es da rufen. Verdammter Mist, wieso sind sie schon wach? Mindestens eine halbe Stunde hätte ich noch gebraucht. Wahrscheinlich muss ich sie jetzt doch töten.

Ich renne nach oben, da habe ich einen besseren Überblick und bemerke einen offenen Lüftungsschach. Es ist zwar riskant, aber sie können mir dort nicht hineinfolgen und mit ein bisschen Glück kann ich sie belauschen und unaufflig erschießen.
Also zwänge ich mich hinein und krieche schnell weiter. Ganz lautlos ist es nicht, aber sie werden wohl kaum vermuten, dass ich die komischen Geräusche mache.
Schon bald darauf kann ich ihre Stimmen hören.

"Komm schon Vanity, du bist doch so ein kluges Mädchen. Willst du wirklich Weihnachten alleine verbringen?" Beatrice' Stimme scheint ganz nah zu sein. Vor mir ist ein Loch im Lüftungsschach und ich sehe die beiden unten stehen. Ich krieche ein Stück weiter nach vorne und Beatrice redet weiter. Ich hasse ihre Stimme.
"Du weißt ja was Weihnachten ist, nicht wahr? Dann weißt du doch auch, dass man dafür gemeinsam sein muss. Ich weiß wir kennen uns noch nicht lange, aber wenn du zulassen würdest das wir uns kennen lernen!"
Pah, sicher nicht, denke ich, aber dennoch... kann ich sie wirklich erschießen? Eigentlich will ich das wirklich nicht, aber ich will auch nicht, dass sich das Virus ausbreitet und ich mich auch anstecke. Ich will nicht, dass es ewig so weitergeht, ich will, dass es wieder so wird wie in der Kindheit von meiner Mama. Vor allem aber will ich wieder meine Mama haben.
"Du, Hank und ich könnten eine richtige Familie sein. Hättest du nicht gerne eine neue Mama?"
Ich unterdrücke ein Schluchzen.
"Dann kann bald alles wieder wie früher sein. Mit richtigem Weihnachten. Dann hat man einen Baum und Geschenke, die der Weihnachtsmann bringt, wenn er den Kamin herunter kommt."
Ich fasse einen Entschluss und packe meine Waffe fester.
"Weihnachtsmann und Geschenke kannst du gleich haben." Ich lasse mich durch das Loch fallen und richte mein Gewehr auf sie.
"Ho Ho Ho, Bitch."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top