Kriegszeiten
14.02.1947
Hallo meine liebe Anna,
Ich wollte dir mitteilen, dass ich noch am Leben bin. Hier schlagen einige Bomben ein, doch ich bin unverletzt, mache dir bitte keine Sorgen um mich, Anna!
Ich muss dir außerdem unbedingt von einer Begegnung erzählen. Wenn Du diesen Brief erhältst, ist es schon viele Tage her, aber ich finde, dass Du es wissen solltest und ich brauche jemanden, dem ich es erzählen kann.
Ich traf vorhin einen Jungen, neun Jahre alt. Er stand ganz allein vor den Trümmern seines früheren Zuhauses. Das Haus war zerbombt und als solches nicht mehr zu erkennen. Von dem Schutt war sein Haargestrüpp ganz grau geworden. Ich habe mich eine Zeit lang mit ihm unterhalten, Jürgen hieß er, und habe herausgefunden, dass er schon seit Sonnabend dort stand(Heute ist Mitte der Woche!). Er erzählte mir,dass er seinen verschütteten kleinen Bruder vor den Ratten schützen wollte. Denn er hatte vom Lehrer gelernt, dass Tote Menschen von Ratten gegessen werden. Sein Bruder wurde nur vier Jahre alt...
Ich wollte, dass er zu sich nach Hause geht, etwas isst und sich ausruht.
Deshalb habe ich ihm erklärt, dass Ratten nachts schlafen, dass seinem kleinen Bruder Nichts passiert, wenn es draußen dunkel ist, dass er nur solange aufpassen muss, wie es draußen hell ist. Ich habe zu ihm gesagt, ich hole ihn dort ab, wenn es dunkel wird und bringe ihn nach Hause.
Meinst du, das war richtig von mir? So viel Leid, Anna... das mit Jürgen, dass schockt mich, obwohl es hier jeden Tag solche Situationen gibt, geht mir der Junge nicht mehr aus dem Kopf. Ich möchte so gern dieser Familie helfen, doch ich weiß nicht wie. Sicherlich sagst Du nun, dass ich der Familie schon geholfen habe, indem ich Ihnen Jürgen wiedergebracht habe, weil er ohne mich noch immer in dem Glauben gewesen wäre, Ratten schlafen nie und er hätte so lange dort gestanden, bis er selbst auch Futter für die Ratten gewesen wäre, weil er nichts gegessen hätte, aber meinst Du nicht, ich muss noch anders helfen? Sag mir wie, Anna. Sag mir wie.
Jürgen sah so traurig und müde aus, dass ich ihm einen weißen, kleinen Hasen geschenkt habe, damit er ein bisschen lächelt. War das richtig, Anna? Ich weiß doch gar nicht, ob seine Familie genug hat für sich und genug hat, um auch noch einen Hasen zu versorgen... Sie haben doch alles verloren durch die Bombe, alles! Auch ein vier Jahre altes Kind, Anna!
Ich gehe jetzt zu Jürgen und bringe ihn nach Hause.
Bis bald, Anna.
Dein Wolfgang.
Diese Kurzgeschichte entstand heute im Deutschunterricht. Wir haben die Kurzgeschichte "Nachts schlafen die Ratten doch." von Wolfgang Borchert gelesen und unteranderem war eine Aufgabe dazu, einen Brief, aus seiner Sicht über die Begegnung mit dem Jungen, an seine Frau (zum Beispiel - in diesem Brief ist es an seine Frau) zu schreiben. Ich habe mir gedacht, ich teile es mit Euch.
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