1 - Stolz

Dies ist meine Kurzgeschichte für den Schreibwettbewerb von pulmera18
Das Thema war Stolz und ich hoffe, ich konnte es einigermaßen gut einfangen.
Ich bedanke mich, dass ich teilnehmen durfte.

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Cassandra
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Cassandra wollte.
Cassandra wollte nicht.
Und doch tat sie es.

1

Sie stieg aus ihrem Auto - ein klappriges Teil, das ein Geschenk von Granny gewesen war. Sie hatte es angenommen, auch wenn sie etwas Besseres verdient hatte. Ihr Bruder hatte ein Motorrad bekommen, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn es nicht eine teure Maschine gewesen wäre, für die er bestimmt dreimal am Tag tanken musste und die das Zweifache ihres Autos wert war.
Sie war nicht neidisch - wollte es auch gar nicht sein -, dennoch war ihr manchmal danach zu schreien. Sie wusste jedoch ganz genau, dass wenn sie jemanden anschreien würde, sie sich verhaspeln würde und geknickt aufgeben müsste.
Witzig wenn man bedenkt, dass Schreien das Erste ist, was ein Mensch tut, wenn er auf die Welt kommt und später kriegt er Panikattacken, wenn er den Mund aufmacht, um seine Meinung zu sagen.
Bei diesem Gedanken dachte Cassandra an ihre letzte Musikstunde. Sie hasste den Musikunterricht, da sie gerade Improvisation behandelten.
Es gibt kein Falsch. Wie oft sie diesen Satz schon von ihrer Lehrerin gehört hatte, konnte sie schon überhaupt nicht mehr zählen.
  Sie stieg aus, schloss ihr Auto ab und ging die leiterähnliche Treppe hoch zu ihrer Haustür.

Drinnen im Eingangsbereich roch es nach purer Kälte. Als Cassandra tief einatmete, schnitt die Luft durch ihre Nase und den Rachen. Sie fasste die Heizung an und fühlte, dass sie kalt war - genauso wie erwartet.
  Mom saß im Wohnzimmer. Cassandra strich ihr übers Handgelenk, welches beinahe noch kälter als die Heizung war.
  „Ma, is alles okay?", fragte sie.
  Als sie keine Antwort bekam, stieg in Cassandra eine derartige Panik hoch, dass ihr übel wurde. Vielleicht war sie tot und deswegen so kalt. Sie rüttelte an ihrer Mutter, bis diese die Augen voller Verwirrung aufschlug. „Du hast mich aber erschreckt", sagte sie.
„Du mich auch", erwiderte Cassandra und ließ sich in einen weiteren Sessel fallen. Sie sah ihrer Mom dabei zu, wie sie sich leicht aufsetzte und eine Decke um sich schlug. „Ma, wieso sitzt du hier im Kalten?"
„Ich weiß nicht. Sag du's mir, Cassy."
Cassandra lächelte leicht und stand auf. Sie machte sich stumm auf den Weg in ihr Zimmer. Dann ließ sie ihren Beutel auf einen Stuhl neben der Tür nieder und legte sich ausgestreckt auf das Bett, was unter einem kleinem Fenster stand. Draußen war es dunkel und im Zimmer brannte eine kleine Schreibtischlampe, welche sie beim Hereinkommen angeknipst hatte.

Drei Stunden später

Cassandra schreckte hoch und blickte sich um. Anscheinend war sie eingeschlafen. Ihre Augen brannten wegen der Mascara. Der Wecker auf ihrem kleinen Nachttisch zeigte, dass es 11 Uhr war.
Es war Zeit.

Sie zog sich ihre Stiefel und ihre Handschuhe an. Es war kalt draußen und sie musste sich möglichst viele Sachen anziehen, um draußen nicht zu erfrieren. Als sie fertig war, öffnete sie die Eingangstür und trat hinaus. Die Luft war klar und sie stieg wieder in ihr Auto. Es brauchte zwei Versuche, bis es ansprang. Cassandra rubbelte ihre Hände aneinander, um Wärme zu erzeugen. Sie fuhr von der Auffahrt herunter und lenkte auf die Straße.
Sie fuhr etwa fünfzehn Minuten, bis sie an ihrem gewünschten Ziel ankam. Das Auto ließ sie auf einem leeren Parkplatz hinter einem großen, sterilen Gebäude stehen. Sie lief einige Meter auf dieses zu. Durch die großen Panoramafenster konnte man erkennen, dass es von innen hell erleuchtet war.
Ein leicht mulmiges Gefühl stieg in ihr auf, wobei sie doch ein wenig Freude empfand. Cassandra hielt eine Karte an ein Kartenschloss und eine große Schiebetür öffnete sich. Mit der Zeit hatte sie sich an die Kälte und das Licht gewöhnt, die ihr jedesmal entgegen kamen, wenn sie eintrat. Sofort machte sie sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Sie drückte auf ‚Nummer 312', welche sie zu ihrem Ziel bringen sollte und hielt sich dann an einem der Messinggriffe fest. Der Fahrstuhl fuhr los. Es war als würde sie in höchster Geschwindigkeit schweben. Die Fahrt war nicht sehr angenehm, aber ihr machte es nichts aus. Bald schon ging es vorwärts und sie konnte ein wenig durchatmen.
  Nach einer weiteren Minuten blieb der Fahrstuhl stehen und sie stieg aus. Vor ihr erstreckte sich ein langer und steriler Flur. Sie ging in einen Raum, wo nur Kleiderhaken hingen und moderne Spinde aus Mahagoni standen. Schließlich benutzte sie ihre Schlüsselkarte ein zweites Mal um einen Spind aufzumachen. Sie nahm einen Anzug heraus und zog ihn an, ehe sie ihre normalen Sachen zurücklegte und die Tür wieder schloss. Dann schritt sie auf den Flur, um in einen großen Raum einzutreten, in welchem zwei weitere Personen standen.

„Maria, da sind Sie ja", begrüßte ein großer Mann sie. Er wurde Ryan genannt.
  An diesem Ort war Cassandra Maria, so wie die Frau mit dem Kurzhaarschnitt Amelia genannt wurde. Maria gab den beiden die Hand. „Haben Sie schon Vorschritte?",fragte Maria.
  „In der Tat. Der Proband hat heute Morgen die Würmer vom Frühstück erbrochen", antwortete Amelia.
  „Und?"
  „Nichts."
  Seufzend ging Maria auf einen Einwegspiegel zu, um den Probanden zu beobachten. Er war abgemagert und blass, dennoch sah er unverändert aus. Genauso wie vor dreiundzwanzig Tagen, als er eingeliefert wurde.
„Könnten Sie zu ihm durchdringen?", fragte Maria.
„Negativ."
„Aber hat er sich gewehrt oder Schmerz empfunden?"
„Ebenfalls negativ."
Maria dachte nach. Es musste etwas geben, was ihn aus der Bahn werfen würde und sie war sich sicher, es bald zu finden. Niemand konnte so perfekt sein. Es war geradezu unmöglich.
„Maria, er ist es", sagte Ryan nach einigen Minuten.
Sie sah ihn starr an, während sie monoton mit dem Kopf schüttelte.
„Er ist perfekt. Sein Gesicht ist symmetrisch, seine Augen sind lebendig, sein Körper ist kräftig, aber nicht aufgepumpt, sein Haar ist ordentlich, aber dennoch menschlich. Und ja, er empfindet keinen körperlichen, sowie seelischen Schmerz, aber kann dennoch fühlen." Ryan blickte von Maria zurück zum Probanden.
„Wir haben alles getestet, Maria. Er ist unsterblich, aber menschlich genug um bestimmte Entwicklungsphasen - wie zum Beispiel Gewichtsverlust - zu durchlaufen", sprach Amelia die Worte, die Ryan nicht gewagt hatte auszusprechen.
„Wie lange haben wir darauf gewartet?", fragte Maria den Blick wieder zum Probanden lenkend.
„Dreizehn Jahre, zwei Monate, siebzehn Tage und sechs Stunden, Ma'am", erwiderte Ryan.
„Sie wissen was Sie zutun haben. Stellen Sie dreitausend weitere her und dann können Sie sie losschicken", ordnete Maria an.
„Zu Befehl, Ma'am", sagten Ryan und Amelia gleichzeitig.

Die beiden gingen los. Maria jedoch, blieb noch eine Weile stehen, ehe sie sich zurück in ihren Wagen begab.

Hier konnte sie wieder Cassandra Moley sein - das ganz normale 17-jährige Vorstadt-Mädchen, welches gerade zum ersten Mal mit ihren Freund geschlafen hatte und sich um ihr College-Stipendium sorgte.

Morgen Abend jedoch, würde die 33-jährige Maria wieder hier sein, um dreitausend Menschen in schmerzunempfindliche Maschinen umzuwandeln. Dann würde Maria den Verlauf des dritten Weltkriegs planen, welcher vor 7 Minuten begonnen hatte.

Maria war nicht stolz und würde es auch nie werden, wenn sie so weitermachte.
Und sie wusste, dass sie so weitermachen würde.

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