Lessingwettbewerb 2018 (hab leider nichts gewonnen)

Die Zeitreise

„15. Oktober 2150, Amsterdam: Wissenschaftler der Universiteit van Amsterdam haben eine Zeitmaschine entwickelt. Dies ist ein großer Schritt für die Menschheit...", las ich heute in der Zeitung. Ich saß in meinem Schaukelstuhl im Hospiz und trank eine Tasse Tee. Die Ärzte haben mir vor fünf Wochen gesagt, dass ich Krebs hätte. Er soll angeblich unheilbar sein. Nach den Angaben meiner Ärzte hätte ich nur noch ungefähr ein Jahr zu leben, oder sogar weniger. Das war ein schwerer Tag für mich. Ich wollte es am Anfang nicht wirklich wahrhaben, aber mittlerweile hatte ich mich doch schon ein bisschen damit abgefunden. Trotzdem hatte ich aber noch die Hoffnung, doch nicht so zeitig sterben zu müssen.
Ich sah nochmal auf die Titelseite der Tageszeitung. Unter dem riesig großen Artikel über die Zeitmaschine stand eine kleine Anzeige, in der man nach Testern für die Zeitmaschine suchte.
Zwei Tage danach schickte ich meine Bewerbung an die Universiteit van Amsterdam (Man hatte mittlerweile alle Forschungseinrichtungen der Stadt zu zwei Einrichtungen zusammengefasst und als Universitäten bezeichnet). Ich tat es mit gemischten Gefühlen. Ich wusste schließlich nicht, ob die Zeitmaschine tatsächlich funktionierte und wenn nicht, ob ich jemals wieder zurück in meine Heimatstadt Amsterdam kommen würde. Aber eigentlich hatte ich sowieso nichts zu verlieren, da ich, wenn man den Ärzten glaubte, in absehbarer Zeit sterben sollte.
Nur drei Tage später erhielt ich eine Antwort von der Universität. Ich sollte am 25. Oktober in die Universität kommen, man hatte mich aus über 20 Bewerbungen ausgewählt.

Am 25. Oktober, pünktlich um 10 Uhr, wurde ich in ein Labor der Universität geführt. Man stellte mir die Forscher vor und erklärte, wie die Zeitmaschine ungefähr funktionierte und was ich auf meiner Reise durch die Zeit zu tun hatte.

Danach wurde mir die Zeitmaschine das erste Mal gezeigt. Von außen sah sie aus wie ein großer Kasten, grau und schmucklos, mit einer Tür und vielen Lampen und Schaltern. Ein Forscher öffnete mir die Tür. Innen war es sehr viel geräumiger, als es von außen aussah. Ich betrat das Innere der Zeitmaschine.

Drinnen war es dämmrig und sehr still, fast schon unheimlich. Ich wurde unsicher. Plötzlich war mir bewusst, wie viel Risiko in einem Test dieser Maschine steckte. Was würde passieren, wenn es schiefginge? Und was wäre, wenn diese Erfindung funktionierte? Könnten dann alle Menschen durch die Zeit reisen? Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Ich zögerte, als mir der Mann hinter mir die entscheidende Frage stellte, ob ich die Zeitreise wagen würde. Nach einer halben Ewigkeit nickte ich.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich sollte in das Jahr 2135 reisen. Die Forscher schüttelten mir die Hand und wünschten mir viel Glück. Dann schloss man die Tür. Nach einer Weile drückte ich dann auf den großen roten Knopf. Und es passierte - nichts. Erstaunt schaute ich mich um, wollte aufstehen und die Tür öffnen, um den Forschern zu sagen, dass die Zeitmaschine nicht funktionierte. Aber kaum hatte ich daran gedacht, begann der Boden unter meinen Füßen zu beben, ähnlich wie bei einem Erdbeben. Mir entwich ein lauter Schrei, eine Mischung aus Erstaunen, Angst und Überraschung. Nach kurzer Zeit hörte das Beben auf. Ich ging langsam zur Tür und öffnete diese einen Spalt breit. Um mich herum waren viele Menschen, welche auf der Stelle sprangen und anscheinend feierten. „All that we got are hearts of gold..." drang es in mein Ohr. Ich sah mich suchend um. Diese Musik hatte ich noch nie gehört. Nicht dass sie mir nicht auf Anhieb gefiel, nein, das war es nicht, was ich so seltsam fand. Es war eher die Tatsache, dass im Jahr 2135 keiner diese Musik gehört hätte. Ich drehte mich um und schaute auf den Monitor der Zeitmaschine. Der zeigte das Jahr 2018 an. Irgendetwas war schiefgegangen.

Ich beschloss, die Zeitmaschine zu verlassen, um herauszufinden, wo ich mich befand. Etwas abseits der tanzenden Menschenmenge entdeckte ich ein Plakat. „World Club Dome Frankfurt a.M. 2018", stand da in großer Schrift. Ich schaute in die Menschenmenge, dann auf die große Uhr am Rand des Geländes und dann wieder auf das Plakat. Wenn ich mich nicht irrte, müsste das der Auftritt einer gewissen Sophie Francis sein. Ich sah mich erneut um. Die Zeitmaschine stand immer noch am gleichen Platz wie bei meiner Ankunft. Ich drehte mich um, ging auf diese zu und entschloss mich, die Reise in das Jahr 2135 auf eigene Faust anzutreten. Ich betrat den Innenraum. Nach kurzem Überlegen trat ich dann aber noch einmal mit meinem Fotoapparat vor die Zeitmaschine, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Dann startete ich, indem ich auf den roten Knopf drückte und kam somit dem Jahr 2135 langsam näher. Nach viel Gewackel und einige Minuten später hielt die Zeitmaschine an und ich öffnete die Tür. Und tatsächlich- ich stand im Herzen von Amsterdam, am Ufer der Amstel! Und es war tatsächlich das Jahr 2135, wie ich auf einer Tageszeitung am Zeitungsstand neben mir sehen konnte.

Die Forscher der Universität hatten mir einen Brief mitgegeben, den ich einem gewissen Herrn van de Brink geben sollte. Seine Adresse hatten sie mir ebenfalls aufgeschrieben. Ich besorgte mir einen Stadtplan und begann, die mir genannte Adresse zu suchen. Es war nicht einfach, aber nach einer Weile fand ich dann tatsächlich die richtige Straße. Sie war nicht weit von mir entfernt. Also ließ ich die Zeitmaschine einfach am Flussufer stehen und machte mich auf den Weg. Ich warf den Brief bei Herrn van de Brink in den Briefkasten und begab mich dann zu dem Haus, in dem ich damals gelebt hatte. Dieses war im Jahre 2136, also im folgenden Jahr, abgebrannt. Aber jetzt stand es noch.

Damals hatte ich das wichtigste Andenken an meine Eltern verloren. Es handelte sich dabei um ein altes Tagebuch, welches alte Fotos von meinen Urgroßeltern und noch vielen anderen Ahnen enthielt. Ich betrat also meine damalige Wohnung und ging zum Schrank, in dem ich das Tagebuch immer aufbewahrt hatte. Ich öffnete ihn, nahm das Buch heraus und steckte es in meine Tasche. Ich hatte es ja schon einmal verloren und wollte das nicht ein zweites Mal riskieren. Ich schaute mich in meiner alten Wohnung um. Nach über drei Stunden und schwelgend in Erinnerungen verlies ich sie dann wieder, mit vollgestopften Taschen und all den Dingen, von denen ich wusste, dass ich sie im Brand verloren hatte. Und das war nicht gerade wenig...
Ich begab mich zurück in die Zeitmaschine, stellte das Jahr 2150 ein und drückte auf den roten Knopf. Das übliche Beben setzte ein und kurz darauf war ich tatsächlich wieder im Labor der Universiteit van Amsterdam. Ich öffnete die Tür und stand vor den Forschern. Sie sahen mich erwartungsvoll an. Ich wurde gefragt, ob ich in einer anderen Zeit gewesen wäre und ob ich den Brief abgegeben hätte. Ich sagte, dass ich ihn abgegeben hätte und das ich sogar im Jahre 2018 gewesen bin. Ich zeigte ihnen das Foto, welches ich dort gemacht hatte und die Gegenstände, die ich aus meiner alten Wohnung mitgenommen hatte. Sie freuten sich sehr, dass ihre Maschine funktioniert hatte. Plötzlich begann die Zeitmaschine wie wild zu wackeln. Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein alter Mann mit weißem Bart im Forscherkittel trat heraus. „Ihr habt es tatsächlich geschafft", sagte er an seine Forscherkollegen gewandt, „Danke, dass ihr mich hierhergeholt habt. Die Idee mit dem Portal war echt Klasse!". Er sah mich an. „Und dem Kollegen hier müsstet ihr jetzt eigentlich den Dienst erweisen, in der Zukunft nach einer Heilung für Krebs zu suchen, um ihn zu retten.", sagte er und legte mir seinen Arm um die Schulter.
Wenige Monate später brachten mich die Forscher in ein Krankenhaus. Ihnen war es tatsächlich gelungen, eine Heilung für die lebensgefährliche Krankheit zu finden. Nach mehreren Operationen und Behandlungen konnte ich das Krankenhaus geheilt verlassen und kehrte in mein Hospiz zurück. Ich packte meine Sachen und zog wieder in meine Wohnung, in die ich nach dem Brand in Jahre 2136 gezogen war.
„30. August 2180, Amsterdam: Der erste Zeitreisende, Martijn van de Velde, ist heute im Alter von 70 Jahren gestorben. Seinem Mut haben wir eine neue Epoche in der Geschichte der Zeitreisen zu verdanken. Er wird uns stets Vorbild sein. In ehrendem Gedenken und stiller Trauer, die Forscher der Universiteit van Amsterdam, die Niederlande und die ganze Welt"

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