Eine Stunde im Heute

Kennt ihr das, ihr führt richtig krassen trash talk mit nem Freund und dann plötzlich taucht irgendwo eine extrem "trashige" aber sehr philosophische Idee auf und ihr könnt es kaum erwarten, daraus eine Geschichte zu machen? Nein? Just me, okay  xD 

Enjoy: Eine Stunde im Heute

23:58

Die Digitalanzeige auf dem Wecker sagt mir, dass es schon wieder fast Mitternacht ist. Aus einer Ecke des Zimmers ist noch leises Lachen zu hören, ich glaube, die anderen spielen noch Karten. Ich kuschle mich in meinen Schlafsack und versuche, die langsam in mir aufsteigende Melancholie zu unterdrücken. Es funktioniert nicht.

Alles in mir sehnt sich danach, diesen Abend so lange wie möglich hinauszuzögern, an dem ich so glücklich war, so glücklich wie schon lange nicht. Die meisten Menschen, die mir viel bedeuten sind hier, mit mir, und ein paar schöne Stunden lang verging die Zeit schneller als gewöhnlich, weil sie so voller Freude war. Und ich würde auch nichts ändern wollen, ein durch und durch perfekter Tag.

Ich weiß, es ist albern, dass ich mir wünsche, dieser Tag würde niemals enden. Morgen früh wache ich im selben Kreis von Menschen auf, fröhlich, ausgeschlafen, dankbar und glücklich. Und dann geht es zurück in den Alltag, und auch dort werden mir wunderschöne Momente begegnen, wenn ich sie denn begreife. Und doch, was würde ich geben, nur für eine weitere Stunde im Heute? Vielleicht nicht mal im Hier und Jetzt, einfach nur im Heute, eine Stunde, in der ich reflektieren und wertschätzen kann, was mir dieser Tag geschenkt hat?

Eine Stunde im Heute länger glücklich sein?

23:59

*****

23:58

Ich renne. Ich renne durch die Dunkelheit, ich sehe nichts, weiß nicht, wohin mein Weg mich führt, es liegt nicht an den Tränen, ich hätte auch ohne sie wohl längst die Orientierung verloren. Als ich den anhaltenden Schmerz des Seitenstechens nicht länger ignorieren kann, bleibe ich schließlich stehen, atme, sinke zu Boden. Ich spüre den Kies an meinen Händen.

Eine halbe Minute etwa brauche ich, um mich wieder im Stande zu fühlen, mich aufzurichten. Während ich mein Handy in meiner Jackentasche suche, lasse ich die letzten Stunden Revue passieren: der Streit, der Schmerz, dieses betäubende Gefühl der Machtlosigkeit, und schließlich meine Flucht vor den Tatsachen.

Und nun bin ich hier, es ist fast Mitternacht (wie ich feststelle, als ich mein Handy gefunden habe), allein auf diesem Kiesweg irgendwo außerhalb der Stadt, umgeben von Feldern. Sie scheinen im Mondlicht nicht ganz so düster, wie es in mir aussieht, haben eher eine beruhigende Wirkung auf mich, als könnten sie eine gewisse Sympathie empfinden und mir Trost spenden.

Und in diesem Moment wünsche ich mir nichts mehr, als all das, alles, was passiert ist, einfach nur hinter mir zu lassen und zu vergessen. Selten hatte ich so einen schlechten Tag. Wenn ich wenigstens noch eine Stunde hätte, ohne Erinnerung an alles, was mich unglücklich macht, einfach eine Zeit für mich?

Wenigstens eine Stunde im Heute glücklich sein?

23:59

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Irgendwo zwischen den Zeiten 23:59 und 00:00

Wie stellt man sich nichts vor? Blöde Frage, man kann sich nichts nicht vorstellen. Irgendwie weiß? Oder doch schwarz? Ein leerer Raum? Natürlich nicht. Einfach nichts. Nichts, mit Ausnahme der zwei Gestalten, die sich dort im Nichts befinden. Man könnte wohl nicht sagen, auf welche Weise sie sich dort befinden: stehen, gehen, sitzen, schweben? Nichts von alledem. Sie sind einfach da. Und schauen sich an.

Da ist das dumpfe Gefühl, dass sie sich doch eigentlich wundern sollten, dass sie sich fragen müssten, wo sie sind, wie sie dorthin gekommen sind, wie das sein kann, wer die andere Person überhaupt ist. Und doch tun sie es nicht. Der Absurdität der Situation zum Trotz sind in ihren Augen keine offenen Fragen zu erkennen; nur der Ansatz eines Lächelns auf der einen Seite, und versiegte Tränen auf der anderen.

Es mag beinahe eine Stunde vergangen sein, in der beide ihren eigenen Gedanken nachhingen, beschäftigt mit sich, und doch in Gesellschaft, als doch schließlich eine Stimme erhoben wird: „Und, warum bist du hier?" So banal die Frage auf den ersten Blick scheint, so ernsthaft kommt die Antwort: „Ich bin hier, um zu vergessen." Die Gegenfrage, wenn auch ungestellt, wird ebenso beantwortet: „Ich bin hier, um mich zu erinnern."

Und sie sehen sich in die Augen, und ohne ausgesprochen zu werden, wissen beide, sie sind aus demselben Grund hier: noch eine Stunde im Heute glücklich zu sein. Und obwohl durch das Schicksal getrennt voneinander, sind sie es doch:

Glücklich, in einer Stunde im Heute.

*****

00:00

Aber leider ist das nicht möglich. Meine Rationalität sagt mir, dass ich mich damit wohl abfinden muss, doch da ist dieses seltsame Gefühl, als hätte ich bereits erreicht, was ich mir gewünscht habe, ohne das mir klar wäre, wie das hätte gehen sollen. Mein Blick auf die Uhr und mein gesunder Menschenverstand bestätigen mir, dass gerade mal eine Minute vergangen ist. Absurd.

Ich schüttle das merkwürdige Gefühl ab. Mitternacht. Ein neuer Tag beginnt, und er ist ein unbeschriebenes Blatt. Und aus irgendeinem Grund spüre ich, da sind Menschen, die sich ebenfalls auf ebendiesen Weg machen, neue Herausforderungen, neuer Schmerz, neue Glücksmomente. Sie gehen diesen Weg mit mir und ohne mich zugleich, in ihrem eigenen Leben, zu ihrer eigenen Zeit.

Und ich gehe glücklich in mein neues Heute.

00:01

Hoffe, es gefällt euch! Ich weiß, es ist teilweise sehr verwirrend, weil so viel offen gelassen wird, aber das ist kinda part of the fun you know :) Ihr könnt aber gerne in den Kommentaren fragen, wenn ihr was nicht versteht haha, konstruktive Kritik nehm ich auch gerne^^

All the love xx

HerGinnyLu♡

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