t w e n t y - s i x
Es war, als würde die Welt explodieren. Laut und grell rauschte die Geräuschkulisse über ihn hinweg und ließ ihn gefühllos zurück, als wäre er ein Fels in der Brandung. Zu stark zum Zerbersten und doch in dem Wissen, von der Zeit und dem Wasser ständig verändert, verkleinert, entstellt zu werden. Wasser war Leben. Wasser war Zerstörung. Das einzig gewisse in dieser zerbrechenden Welt.
Plötzlich öffnete sich der Himmel und Stille fiel auf ihn hinab, ganz unerwartet. So war es immer. Wurde der Angriff abgezogen ging es ganz schnell und die Grausamkeiten waren vergessen, die Vögel begannen langsam wieder zu singen.
Er konnte sich fast nicht mehr an die früheren Zeiten erinnern. An die Zeiten der Ebbe. Jetzt war Flut.
Das Feld grenzte an den tiefschwarzen Fluss, hinter dem unruhigen Wasser erahnte man die Wipfel des Waldes. Die Vögel kreisten über den Spitzen der alten Eichen und Fichten, denn jetzt war es ruhig. Ein Moment Ruhe.
Langsam setzte er sich in Bewegung, beinahe unfähig, die steifen Beine zu heben. Die Kälte fraß sich viel zu schnell vom Boden aus über seine Füße und Beine in seinen Körper. Allgegenwärtig war dieser Frost. Außen und innen verspürte er ihn. Aber er war ein Fels und er würde nicht am Winter zerspringen. Er wusste, wie man Eis und Schnee bekämpfte.
Auf seinem Weg zum Wald horchte er immer wieder auf. Die Welt sprach zu ihm - jetzt im Frieden konnte er ihre Stimme endlich wieder vernehmen – als er seine Spuren auf ihr hinterließ.
Vergänglich, ebenso wie er und seine Form. Diese Veränderungen schmerzten ihn und am Liebsten hätte er sich dort auf diesem Feld in die glitzernden Eiskristalle gesetzt und seine Fußspuren beobachtet, eine beinah perfekte Linie von der Stadt bis zum Fluss. Doch er hatte keine Wahl. In dieser Welt hatte niemand eine Wahl. Es war Flut.
Der Mann auf dem Stein am Ufer des Flusses blickte auf, als er um die Ecke trat. Er richtete seinen Blick auf den Mann, der dort so selbstverständlich saß als gehöre ihm dieser Bereich des Baches. Als habe er auf ihn gewartet.
„Still ist es geworden, nicht?", meinte er mit einer merkwürdig stillen, brüchigen Stimme. Am Ende des Satzes hob er nicht, wie erwartet, die Stimme, fast so als wendete er sich nicht anden Eindringling sondern spreche zu sich selbst. Es war keine Frage.
Er setzte sich neben den Mann und beobachtete die Spuren im Schnee. Doch obwohl er sich genau das vor ein paar endlosen Minuten gewünscht hatte, setzte die Befriedigung doch nicht ein.
So sagte er: „Ich bin ein Fels. Ein Fels in der Brandung."
Der Mann sah auf und antwortete mit starren Augen: „Das sehe ich". Er lachte und knetete seine Hände, ganz knapp zwischen Unruhe und tiefster Entspannung. „Du musst weiter. Man sieht es dir an, kann dich lesen wie ein Buch.".
Er nickte nur, mehr Antwort musste er nicht geben und mehr Antwort hatte der Mann auch nicht erwartet. Also trat erneut Stille ein am Fluss beim Wald. Nach einer Weile fing es an zu schneien und der Himmel gab einen lauten Seufzer von sich. Es schien, als habe er eine zu lange Zeit die Luft angehalten. Die Erlösung, die Ruhe nach dem Sturm, der ewigen Anspannung.
Zaghaft richtete er sich auf, bis er nach dieser wahrlich kurzen Pause erneut auf seinen Füßen stand und blickte zurück. Die Fußspuren waren verschwunden. Schnee war Leben. Schnee war Vergänglichkeit. Etwas kälter und etwas schöner als Wasser und doch lagen beide so nah beieinander.
„Sieh nur! Jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück.", stellte der alte Mann fest und deutete danach in Richtung Wald. „Das ist der einzige Pfad, den du noch gehen kannst."
Er folgte seinem Blick. „Ja, im Krieg hat niemand eine Wahl.", antwortete er und schritt langsam auf den Fluss zu. Flut, dachte er. Flut.
Hinter ihm hörte er, wie der alte Mann eine zarte Melodie anstimmte und sein Pfeifen verfolgte ihn auf seiner Reise. Und im Stillen dankte er dem Mann, denn er allein hatte ihm gezeigt, dass es unsinnig war, ständig gegen die Flut anzukämpfen. Zurückzukehren in die unvertraute Heimat, die düstersten Stunden seiner Erinnerungen.
Und der letzte Satz des Mannes am Fluss. „Nach vorne musst du blicken, mein Junge. Denn es wird eine Zukunft geben!"
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