t h i r t e e n
Ein gewöhnlicher, langweiliger Tag mit vielen, vergeudeten Stunden. Ich spüre förmlich, wie die Zeit in Slowmotion an mir vorbei läuft und mir hämisch grinsend die Zunge raus streckt.
Kurz bevor ich ihr meinen Stinkefinger ins imaginäre Gesicht halten kann, unterbricht mich mein Physiklehrer, indem er mit einem langen Lineal auf sein Pult schlägt. „Herrschaften. Das hier nennt sich Oberstufe. Passen sie bitte besser auf!" Gelangweilt richte ich meinen Blick wieder nach vorne.
Er weiß doch sowieso, dass keiner hier den Kurs gerne gewählt hat. Was sollte ich denn machen? Statt Physik Informatik oder Chemie weiter wählen? Ganz sicher nicht. Er ist jedoch ein Mensch, den es nicht interessiert, ob jemand von seinem Gerede profitiert. Er zieht einfach sein Ding durch und versucht manchmal, uns mit Geschichten über Amerika und seine Taubenzucht zu unterhalten. Ich mag ihn. Aber Physik kann man einfach nicht mögen.
Deswegen sitze ich jetzt hier und frage mich, wie es nur so weit hatte kommen können. Ein klein bisschen theatralisch, das gebe ich zu.
„Frau Seuthe.", reißt er mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ich schaue zu ihm. Er hält das überdimensionale Lineal in seinen Händen.
„Hm?" Oh man, ich klinge noch gelangweilter, als ich mich fühle. Ich war von der festen Überzeugung gewesen, dass das an die Unmöglichkeit grenzt.
„Sie sehen doch dieses Zeitmaß in meinen Händen, oder?" Verwirrt schaue ich ihn an. „Ich würde es eher Lineal nennen, aber ja." Ungewollt muss ich grinsen. Dieser Mensch ist einfach zu strange.
„Na ja, es kommt auf die Perspektive an." Er weist mit seinen Fingern auf die 0 cm. „Das hier ist der Anfang eines Lebens." Mit der anderen Hand deutet er auf eine Zahl, die knapp vor dem Ende des Holzes liegt. Die 60 cm. „Und hier befinde ich mich grade." Die Klasse ist still und schaut ihn einfach nur an. Ich kann die Gesichter der anderen nicht wirklich deuten. Vermutlich sind sie genauso verwirrt wie ich.
Grinsend fügt er hinzu:"Verraten sie das aber niemandem." Er nimmt seine Hände von dem riesigen Ding und weist wieder auf die 0. „Sie sind doch alle um die 15 und 16 Jahre alt, nicht wahr?" Wir nicken nur. Er deutet mit seiner Hand auf die Zahlen zwischen unserem Alter. „Das ist die Zeitspanne, in der sie schon leben. Jetzt stellen sie sich mal vor, wie wenig sie erst gesehen und erlebt haben. Ihr ganzes Leben liegt noch vor ihnen." Schließlich haut er wieder mit dem Lineal auf sein Pult, fährt mit der langweiligen Erklärung einer Formel fort und reißt uns aus unserer komischen Trance.
Ich glaube, mein Physik Lehrer hat grade etwas philosophisches gesagt. Ich bin echt geschockt. Das ich das mal erleben darf.
Als die öde Stunde endlich vorbei ist, gehe ich nach draußen und hole tief Luft. Neun Stunden Schule an einem Freitag. Schlimmeres gibt es nicht! Der Wind schlägt mir direkt entgegen und ich sehe die braun-roten Blätter über den Boden tanzen. Der Herbst ist schon längst gekommen und bald ist auch er schon wieder vorbei. Eigentlich liebe ich ihn und den außergewöhnlichen Duft, wenn man das Haus verlässt.
Doch jetzt, heute, lässt er mich nur die rasende Zeit sehen, die Vergänglichkeit des Lebens und die Kälte, die sich unaufhaltsam durch alles hindurch frisst.
Ich löse das Schloss um mein Fahrrad, schwinge mich auf den Sattel und fahre los. Ich habe heute gesehen, wie viel meiner begrenzten Zeit schon gelebt ist. Und an meinem Lehrer konnte ich die Spuren von ihr noch deutlicher erkennen, als sonst. Doch das hier ist immer noch mein Leben. Ich kann meine Zeit so nutzen, wie ich es möchte.
Und ich lache denn ich verstehe, dass der Physik Unterricht vielleicht doch nicht ganz sinnlos ist.
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Nach einer wahren Begebenheit! :)
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