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Meine Gedanken wollten einfach nicht aufhören zu kreisen. Ans Einschlafen war gar nicht zu denken. Und trotzdem versuchte ich mich seit Stunden abzulenken. Doch meine üblichen Methoden, das Lesen oder Hörspiele anhören, halfen diese Nacht nicht. Kein Wunder.

Ich setzte mich wieder auf und schlug die Decke weg. Es war ohnehin viel zu warm zum Schlafen. Heute waren es über 30 Grad gewesen und die Hitze schien immer noch in meinem Zimmer zu hängen. Es wollte sich einfach nicht abkühlen.

Stöhnend lief ich zum Fenster, schob meine Vorhänge zur Seite und riss das Fenster auf. Etwas abgekühlte Nachtluft strömte mir entgegen. Ich atmete tief durch und mein Puls beruhigte sich etwas. Der volle Mond schaute mir entgegen und beobachtete ruhig alle meiner Bewegungen. Auch die Sterne strahlten heute Nacht besonders hell. Ein wolkenloser Himmel.

Plötzlich hörte ich ein Rascheln und kurz darauf ein Miauen unter mir. Ich schaute die zwei Stockwerke hinunter und konnte schemenhaft die orangene Nachbars Katze erkennen.

„Hi Leo. Na, wie geht es dir heute Nacht?" Die geflüsterten Worte hallten trotzdem viel zu laut durch die friedliche Nacht. Der Kater hob den Kopf und ich konnte seine blitzenden Augen erkennen. Nach einer Weile, in der wir uns angestarrt hatten, drehte er sich um und sprang behände an dem Holzzaun hinauf. Ein letztes mal maunzte er und verschwand dann in der Dunkelheit auf der anderen Seite des Zaunes.

Seufzend schloss ich das Fenster wieder und schob die Vorhänge an ihren Platz. Jetzt sprach ich schon mit Katzen. Leo musste mich für völlig verrückt halten. Na ja, vielleicht war er auch alleine und hatte sich über die Gesellschaft gefreut.

Langsam setzte ich mich wieder aufs Bett und versuchte alle Gefühle auszuschalten. Auch meine Gedanken schob ich in den hintersten Teil meines Kopfes. Komischerweise funktionierte es dieses mal sogar. Ich legte mich wieder hin, nachdem ich mein Kissen ein letztes mal auf geschüttelt hatte und fiel einige Minuten danach endlich in einen traumlosen Schlaf.

Punkt 6:10 Uhr morgens ging mein Wecker und ich rieb genervt meine Augen. Es war einfach zu früh. Nachdem ich meine Vorhänge erneut geöffnet und nach Leo Ausschau gehalten hatte, bemerkte ich, dass außerdem zu schlechtes Wetter war. Kurz gesagt: ein schrecklicher Tag! Dazu kam noch, dass sie heute gehen würde. Und schon sah mein weiches Bett noch verlockender aus. Bevor ich mich doch wieder hinlegte, lief ich schnell ins Bad und gönnte mir eine kurze Dusche. Ich setzte mich wie jeden morgen an den Frühstückstisch und aß wie jeden morgen eine Schale Müsli. Doch mir war schlecht und nach einer Weile goss ich den Rest einfach in die Spüle.

Nach einer halben Stunde war ich fertig und fuhr mit dem Fahrrad zu meinen Freunden. Wie jeden Tag sah ich den alten Mann mit seinem Hund auf meinem Schulweg. Und wie jeden Tag stellte ich mein Fahrrad an der Schule ab. Doch etwas war anders.

Nicht wie jeden morgen ging ich an der Schule vorbei an den Treffpunkt, wo die anderen schon warteten. Nach ein paar Minuten war der große Bus schon da. Und sie kam heraus und nahm uns alle in den Arm. Sie weinte sogar, weil sie uns nicht erwartet hatte. Wir stiegen alle ein. Und dann fuhren wir wie nicht jeden morgen mit ihr.

Die Fahrt war schön, spaßiger als ich erwartet hatte. Doch als wir nach zwei Stunden Fahrt ankamen, waren wir nicht mehr so gut gelaunt. Wir trugen ihr Gepäck in das riesige Gebäude und suchten noch eine Weile das Gate, bis wir schließlich da waren. Wir hatten noch etwas Zeit. Also gingen wir rum und schauten uns die Sachen an. Ihr Flug wurde jedoch bald angezeigt. Ihre Familie war auch dort. Alle, die sie mochte, waren dort. Ihr riesiger Koffer war schon aufgegeben.

Und dann wurde es Zeit. Nicht wie jeden morgen umarmte sie zuerst uns. Und es waren wirklich nicht wenige Tränen, die flossen. Auch mich umarmte sie schließlich. Die Trauer war in allen Gesichtern gut zu erkennen. Am Ende umarmte sie ihre Familie. Ihre Eltern und ihre Schwester als letztes.

Früher hatten wir sie jeden einzelnen Tag gesehen. Wir hatten gelacht und noch mehr gelacht. Fast nie hatten wir mit ihr geweint oder getrauert. Doch heute war es soweit. Und einem wird oft erst am Ende klar, wenn man verlassen wird, wie unglaublich viel einem ein Mensch bedeuten kann.

Ein letztes mal sagten wir auf Wiedersehen und viel Glück. Dann ging sie. Und das letzte was ich dachte war: Bis in einem halben Jahr.

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Das hier war wohl eine meiner persönlichsten Kurzgeschichten. Ich habe ein paar Details geändert, doch es ist quasi genauso passiert.

Ich hasse, wie jeder Mensch, Abschiede und es war ein harter Tag. Auch wenn sich ein halbes Jahr wirklich nicht viel anhört, für uns ist es eben viel... Ich wollte euch teilhaben lassen und allen sagen, die schon mal verlassen worden sind, dass sie nicht alleine sind und Abschiede oftmals nicht für immer sind. :)

xx Carlotta

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