f i f t e e n (pt 2)

Eingehüllt in ein unangenehmes Gefühl, hörte er es knistern. Ähnlich wie zusammengeknülltes Papier sich anhörte. Es war kein richtiger Ton, eher ein beständiges Rauschen im Hintergrund, was ihm manchmal lauter und manchmal leiser vorkam.

Er blinzelte mit seinen Augen und sie standen vor ihm. Eine lange Reihe Männer. Bis zum Ende der von Ruinen gesäumten Straße schienen sie zu stehen und ihre durchsichtigen Schatten jagten ihm Angst ein. Wie aus dem Nichts waren sie erschienen. Geformt aus dem aufwirbelnden Staub auf der vertrockneten Straße.

Er riss seinen Blick wieder von dem scheinbar endlosen Weg und richtete ihn auf die Gesichter der Menschen vor ihm. Sie existierten, aber sie lebten nicht. Nichts in ihren Augen deutete darauf hin, dass sie waren. Die Stille kribbelte auf seiner Haut und war so komisch, dass man sie fast vernehmen konnte. Er wünschte sich einfach nur, dass sie aufhörte. Doch eine Sekunde später bereute er diese törichte Vorstellung. Alle Münder der Toten öffneten sich schlagartig und sie fingen an zu sprechen. Manche flüsterten verstört, andere redeten ganz normal und andere schrien ihn so aggressiv an, dass sein Herz Sprünge machte.

Er konzentrierte sich auf den Inhalt ihrer Sätze und musste erschrocken feststellen, dass all diese Menschen etwas mit ihm zu tun hatte. Von allen Seiten vernahm er dieselben Sätze: „Du bist Schuld. Du hast mich umgebracht. Deinetwegen bin ich hier." Immer lauter wurden die Stimmen, immer anklagender und verletzter. Bis zum unerträglichen steigerten sie sich, bis er schließlich zu Boden fiel, die Augen schloss und sich die Hände auf die Ohren presste. Sein Kopf war überanstrengt und seine Konzentration war längst vergangen. Er konnte sich einfach nicht erklären was er hier machte. War er im Himmel? Wenn diese Menschen vor ihm wirklich tot waren, musste er es nicht auch sein? Seine Erinnerungen waren verwischt und er konnte nicht zwischen den wahren und falschen unterscheiden.

Plötzlich änderte es sich etwas. Kein Laut war mehr zu hören. In dem Augenblick, in dem er seine Augen öffnete, spürte er etwas kaltes, nasses an seinen Knien, mit denen er auf dem eigentlich trockenen Boden kniete. Seine Augen erblickten rotes, dickflüssiges Blut, was sich um ihn herum verteilte und sich immer weiter ausbreitete.

Sein Blick wanderte nach oben und er konnte im letzten Augenblick erkennen, wie die verblutenden Männer vor ihm zu Boden fielen. Der Aufschlag verursachte ein Platschen, dass in der gesamten Straße ertönte. Langsam erhob er sich und blickte auf sie hinab. Sie hatten Recht gehabt, mit dem was sie gesagt hatten. Langsam wischte er seine Blutverschmierten Hände an seiner Hose ab und drehte sich genauso langsam um. Ohne eine Regung im Gesicht setzte er sich in Bewegung, so weit möglich weg von dem, was er grade gesehen hatte. Am Ende der Straße drehte er sich noch einmal um. Der lange Weg war trocken wie eh und je. Kein Mensch lag mehr dort, kein Tröpfchen Blut war mehr zu sehen.

„Sir? Sir, sie müssen hier verschwinden! Sie sind hier nicht sicher. Niemand ist das." Irgendwo erschallte eine Stimme. Von wo sie kam, über, neben oder unter ihm wusste er nicht. Sie schien überall zu sein, in allem und doch wieder nicht greifbar. Er war sich sicher, dass sie keinem Erwachsenem und keinem der verschwundenen Toten gehörte. Konnte man Stimmen hören, wenn man tot war? Er wusste es nicht, aber er hatte sie gehört. Verwirrt blickte er sich um. Wie am Anfang des Angriffs. Da hatte er auch nach etwas gesucht, das er nicht finden konnte. Er merkte, wie die Erinnerungen langsam wieder kehrten. Er atmete tief ein.

Der komische Mann vor ihm bewegte sich etwas. Wer war er wohl? Er vermutete, ein Soldat aus dem Westen. Möglicherweise Amerika. Der Mann atmete schneller. Er wich einen Schritt zurück und sah dabei zu, wie der Mann nach Luft schnappend hoch fuhr und sich orientierungslos umsah. Gespannt wartete er auf eine Reaktion des Verletzten. Dieser fokussierte erst einmal die Umgebung und schien ihn langsam zu erkennen.

„Wer bist du?" Misstrauen lag in seiner keuchenden Stimme. Er hatte wirklich einen Amerikanischen Akzent, den man dem Englisch sehr gut anhören konnte. „Mein Name ist nicht wichtig. Du bist hier nichts sicher. Wir müssen hier weg." Sein eigenes Englisch war nicht wirklich gut, doch er war sich sicher, dass die paar Brocken, die er mal gelernt hatte, gut verständlich waren. Der Mann reagierte und seine Stimme war etwas ruhiger geworden. „Das weiß ich schon." Danach meinte er etwas, das er nicht verstehen konnte. Sehr wahrscheinlich nichts von belangen.

Er näherte sich dem Mann etwas und deutete auf sein Bein. „Wir können dir helfen! Wir können nicht länger hier bleiben." Erneut konnte er Misstrauen in dem Blick des Mannes erkennen. „Wer seit ihr?" Er reagierte einfach nicht und packte ihn einfach am Arm, um ihn hochzuziehen. Es war riskant und töricht von ihm, einem fremden Mann zu helfen. Doch er hatte keine Waffe mehr. Davon hatte er sich längst überzeugt.

Der Verletzte stützte sich auf seiner Schulter ab und er bemerkte, dass dieser noch sehr wackelig auf den Beinen war. „Wir müssen uns beeilen. Unser Versteck ist nicht weit entfernt." Seine Stimme ging stoßweise, denn der Mann war schwerer als erwartet.

„Mein Name ist Daniel." Der Fremde reichte ihm die Hand und er schüttelte sie unbeholfen. „Wie alt bist du, Junge?", setzte er direkt wieder an und humpelte neben ihm her.

„Ich bin 11. In ein paar Monaten werde ich 12." Er lächelte stolz und Daniel nickte nur.

„Wir versuchen, den im Krieg verletzten Menschen zu helfen. Hauptsächlich welche aus unserem Land, doch auch du bist ein Freund. Alle Feinde des IS sind unsere Freunde." Er blickte zu dem Mann und hoffte, dass er es verstanden hatte.

Erneut nickte dieser und antwortete nachdenklich: „Das ist sehr ehrenhaft von euch. Doch auch sehr gefährlich. Ich danke dir für deine Hilfe." Zum ersten mal lächelte der Fremde. Er zuckte nur mit den Schultern. Es war keine Frage für ihn, anderen zu helfen. Die Stimme des Mannes ertönte noch einmal. „Es ist nicht selbstverständlich und sehr selbstlos von euch. Ich glaube, du hast grade meine komplette Meinung von euch umgeworfen." Der Junge hatte kein Wort verstanden, doch als der Mann lachte, tat er es ihm gleich. Er war glücklich, wenn andere es waren.



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