Ohne Zuhause
Singend und tanzend läuft sie auf dem schmalen Weg, der vor ihr liegt. Ihre Haare sind schwarz, wie die Nacht in ihrer dunkelsten Stunde und in ihren Augen sieht man all die Gefühle, die nur in Kinderaugen so deutlich sein können. Sie trägt ein gelbes Kleid, das sich mit ein paar Flecken versehen um ihre Beine schmiegt und sich bei jedem Schritt wie fließendes Wasser mit ihr mit bewegt. Mit ihren kleinen Händen malt sie winzige Figuren in die Luft. Sie ist barfuß. Die vom Staub grauen Schuhe hat sie an den Gürtel gebunden, den sie um ihren Bauch trägt. Die Sonne, die gerade am Horizont versinkt, wirft vor ihr einen langen Schatten. Er ist so groß, dass sie sich wundert, warum sie so riesig ist. Ihr Lachen hallt durch die Luft, als sie sich darüber amüsiert, dass ihr dunkles Spiegelbild alles tut, was sie macht. Sie versucht ihn zu fangen und auf ihn zu springen, doch er scheint ihr immer so weit voraus zu sein. Es sind die Momente, in denen sie sich wie ein Kind benehmen kann, das so alt ist wie sie, wenn sie am glücklichsten ist. Sie stellt sich dann vor, dass sie so frei ist, wie Vögel im Wind. Immer und immer wieder fragt sie sich, ob sie auch einmal so hoch und so weit auf den warmen Luftströmen dahin segeln kann, wie es die Zugvögel tun, die über aller Köpfe nach Süden ziehen. Ihre Gedanken, ihr Gesang, ihre Kleidung, ihre Spiele. Alles an ihr ist ganz normal. Sie ist ein kleines Mädchen, das die Welt noch nicht kennt. Es gibt nur einen Unterschied. Ihre Haut ist viel viel dunkler, als die normaler Kinder und sie hat kein Zuhause. Wo sie geboren wurde, herrscht Krieg und jeden Tag hatte sie Angst zu sterben. Ihre Mutter ist mit ihr fortgelaufen. Einen sicheren Ort wollen sie finden. Ein neues Zuhause, doch sie wird es niemals finden. Egal, wo sie hinkommt, starrt man sie an. Die Blicke sind ihr unangenehm. Sie fühlt sich immer, als hätte sie etwas im Gesicht. Worte können viel bewegen, aber es können auch so leere Versprechen sein. Jeder würde sie aufnehmen und ihr ein Bett oder etwas zu Essen anbieten, doch niemals würde sie dort Zuhause sein. Immer wird sie eine Fremde bleiben und dort, wo sie es nicht ist, kann sie nicht mehr zurück. Sie hat schon Mütter gesehen, die ihre Kinder so schnell es ging von der Schaukel gehoben haben, wenn sie sich daneben auf die Rutsche gesetzt hatte. Sie ist nicht normal. Sie könnte gefährlich sein. Sie ist nicht wie andere. Sie gehört hier nicht her.
Überlegen wir jemals, was normal ist? Gibt es eine Definition für 'normal' bei Menschen? Wer hat festgelegt, dass die Hautfarbe normal ist, wenn sie weiß ist? Warum nicht schwarz? Warum? Welchen Grund gibt es dafür? Wieso sind Menschen aus anderen Kulturen so sehr anderes als wir es sind? Sie ist nur ein kleines Mädchen. Kein Terrorist oder ein Tier mit einer ansteckenden Krankheit. Sie ist ein Mensch. Ein kleiner Mensch, der kennenlernen muss, dass andere sich für besser halten und dass dieses Denken die Welt regiert und nicht das Herz und die Menschlichkeit in jedem. In Zeiten des Krieges zeigen alle ein so großes Herz und nehmen Flüchtlinge auf, aber sie behandeln sie nicht, wie ihresgleichen. Immer werden sie den Stempel 'anders' auf ihrer Stirn haben, denn sie gehören nicht dazu. Sie kommen schließlich von woanders. Dabei spielt es doch keine Rolle, von wo ein Mensch kommt. Jeder hat ein Herz und es ist auch jeder fähig es zu nutzen. Alle sind gleich. Jede atmet, jeder lacht, jeder weint. Warum gibt es dann einen Unterschied? Wären wir alle blind - wie würde dann die Welt sein? Würde es anders sein? Würden wir keinen Menschen als normal und den einen anderen als nicht normal sehen?
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