Dancing with a stranger
Inspiration: soweit ich mich erinnere, irgendwas auf Instagram🤔
(Falls sich jemand wundert, warum denn hier was neues kommt, wo ich doch so inaktiv bin:
Habe mich entschieden, in diesem Short Story Buch mal ab und zu was zu veröffentlichen und wenigstens so von mir hören zu lassen. Leider hab ich nicht so viele Short Storys in petto, wird also sehr selten was kommen, aber wenigstens kann ich so noch bisschen aktiv sein. Besser als nichts, denke ich.
Was mit meinen offenen Geschichten passiert, das muss ich noch entscheiden)
Viel Spaß beim Lesen, hoffe, diese Short Story gefällt euch, mir liegt sie iwi voll am Herzen😊
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Für einen Moment blieb ich hoch oben über den Ballsaal auf der Empore stehen und ließ den Blick über das bunte Treiben unter mir schweifen. Frauen mit Kleider in den verschiedensten Farben wirbelten umher, manche extravagant, andere schlicht, aber alle wunderschön. Die Männer in den gut sitzenden Wamsen und Hosen, die ihnen wie angegossen passten, führten die Frauen im Tanz, ihr Blick wanderte nicht einmal von der Schönheit in ihren Armen.
Ein sehnsuchtsvoller Stich ließ mein Herz schmerzen. Ich wollte das auch. Nur einmal in meinem Leben. Nur für einen Tanz. Ich wollte so tun als ob.
So tun, als ob mein Gegenüber sich für mich interessierte. So tun, als ob er den Blick nicht von mir abwenden könnte. So tun, als ob er mich liebte.
Und heute war die letzte Gelegenheit dafür.
Denn morgen wäre ich eine verheiratete Frau. Gefangen in einer arrangierten Ehe, das einzige Zeichen meiner Knechtschaft der goldene Ring an meinem Finger.
Ich hatte mein ganzes bisheriges Leben in einem goldenen Käfig verbracht, mit Regeln, die mir die Luft aus der Brust pressten wie ein zu enges Korsett.
Nur einmal wollte ich leben. Nur dieses eine Mal, bevor es für immer zu spät war.
Ich stieß mich vom Geländer ab, glättete mit leicht zittrigen Fingern mein rubinrotes Kleid, das sich wie eine zweite Haut an meinen Oberkörper schmiegte, um dann in fließenden Wellen an mir herabzufallen. Passende rote Spitzenhandschuhe bedeckten meine Unter- und Oberarme und somit die goldenen Tätowierungen, die zu auffällig waren, um sie offen zu zeigen. Das Dekolleté war leicht ausgeschnitten, schwarze Blumenmuster rankten sich an das Mieder und der fließende Stoff unterhalb meiner Taille war mit Rubinen verziert, die im goldenen Licht der Kerzenleuchter funkelten. Das braune Haar hatte ich hochgesteckt, klimpernde rote Ohrringe in der Form von Blutstropfen hingen von meinen Ohren, meine Lippen in demselben Blutrot wie mein Kleid angemalt, ein wunderschöner Kontrast zu meiner dunklen Haut. Meine kohlschwarz gefärbten Wimpern hoben meine dunklen Augen noch hervor.
Ich log nicht, wenn ich sagte, dass ich eine Augenweide war. Das war keine Arroganz. Es war ein Fakt.
Und ich hatte vor, diesen Fakt heute Nacht einzusetzen, um zu bekommen, wonach ich mich so sehr sehnte.
Oder zumindest, um die Illusion davon zu bekommen...
Ich schob den Gedanken weg. Es war nicht leicht, aber ich hatte akzeptiert, dass ich nie die Liebe finden würde. Nicht in diesem Leben. Nicht in einer arrangierten Ehe. Aber das Opfer war es wert. Denn nur so konnte ich mein Königreich vor dem Verfall retten.
Mit entschlossenen Schritten glitt ich auf die Treppe zu. Eine Hand auf das Geländer gelegt, ließ ich meinen Blick noch ein letztes Mal über die bunte Gesellschaft gleiten. Ein tiefer Atemzug. Und dann stieg ich die Treppe nach unten.
Als würden mich die Musiker selbst begrüßen wollen, setzte in diesem Moment das Orchester zu einem neuen Lied an, der Kontrabass spielte den tiefen Rhythmus, bald gesellten sich der Violinen melancholische Stimmen dazu. Die Melodie selbst erinnerte mich an mein Leben:
Eine Abfolge trauriger Momente, Melancholie in meinem Herzen, das mit der Zeit nur noch schwerer wurde. Bis eine weitere Violine hinzu kam und dem Lied eine hoffnungsvolle Note gab. Eine Hoffnung, die meiner jetzigen ähnelte.
Unten bei der Treppe angekommen sah ich mich um, entschied mich dann, zu einer der Säulen gegenüber der Treppe zu gehen und von dort den Tänzern ein wenig zuzusehen.
Auf dem Weg dorthin nahm ich ein Glas blutroten Weines von einem der Kellner und im Schatten der Säule angekommen lehnte ich mich leicht an sie, nippte an meinem Wein, während ich den schwungvollen Bewegungen der Tänzer zusah.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich plötzlich eine tiefe Stimme neben mir hörte. Überrascht zuckte ich zusammen, war zu sehr in dem Schauspiel vor mir versunken gewesen, um den Mann neben mir wahrzunehmen.
Ich blickte auf in stahlgraue Augen, dunkles kurzes Haar, und ein sonnengebräuntes Gesicht. Gekleidet in schwarze Hosen und ein schwarzes Wams mit blutroten Stickereien sah der Mann vor mir sehr attraktiv aus. Erst dann verstand ich, was er da mit ausdrucksstarker Stimme sagte - nein, zitierte.
Der Atem blieb mir im Hals stecken.
„Blut färbt das Gefieder rot
So viel Blut - das ist nicht gut.
Es naht der dunkle Tod.
Doch der Kolibri schlägt weiter heftig mit den Flügeln
Er kann seine wilde Natur nicht zügeln
Kämpft weiter verzweifelt für die Freiheit seiner Schwingen
Zwängt sich durch den goldenen Käfig
Zwischen scharfe Dornen hindurch
Es bringt ihn langsam um - Blut färbt sein Gefieder rot
Doch zu stark und mächtig ist sein Drang zu singen
Er befreit sich, steigt auf in die weiten Lüfte
Singt sein wildes, wunderschönes Lied
Atmet ein der Freiheit süßen Düfte
Endlich dem leblosen Käfig entflieht
Doch Tod klebt tiefrot in seinen einst wunderschönen Flügeln
Schwach schlägt sein Herz, zu groß ist der Wunden Schmerz
Und mit verzweifelt schlagenden Schwingen stürzt der Kolibri nach unten zu den sanften Hügeln
Erbarmungslos lässt die einst freundliche Sonne glänzen sein Gefieder blutrot
Nah ist der ewige schreckliche Tod
Doch die Freiheit ist dem wilden Kolibri selbst sein Leben wert
Und so wird er für immer als blutroter Kolibri geehrt."
Fassungslos starrte ich den jungen Mann vor mir an. Zu lange. Zerknirscht senkte er den Kopf und meinte:
„Entschuldigt bitte. Euer Kleid...es hat mich an dieses Gedicht erinnert. Ich wollte Euch damit nicht beleidigen..."
Seine Worte holten mich aus meiner seltsamen Trance und ich schüttelte den Kopf. Ein leises Lachen entschlüpfte mir.
„Jemanden mit einem Gedicht von Alastir Poetix beleidigen? Das ist nicht möglich."
Sein Kopf zuckte hoch und ein überraschtes Funkeln war in seinen grauen Augen zu sehen.
„Ihr kennt seine Werke?"
Ich schmunzelte.
„Seine Werke kennen? Ich liebe sie."
Das war mir herausgerutscht. Leicht biss ich mir auf die Unterlippe. Verstohlen sah ich mich um und beugte mich dann verschwörerisch ein Stück zu dem Mann vor. Flüsternd meinte ich:
„Auch wenn ich das nicht so leicht zugeben sollte. Laut meiner Mutter gehört es sich für eine Lady nicht, solch tragisch wilde Werke zu lesen, geschweige denn zu lieben."
Er lachte leise und der tiefe Klang gefiel mir. Es gefiel mir, ihn zum Lachen gebracht zu haben. Weckte den seltsamen Drang in mir, es nochmal tun zu wollen.
Er war einer der wenigen, der wegen etwas lachte, das ich gesagt hatte.
Noch immer mit einem erheiterten Schmunzeln auf den anziehenden Lippen meinte er gedehnt:
„Ich nehme an, Eure Mutter würde es bevorzugen, wenn Ihr Nähen oder Stricken liebt?"
Gespielt überrascht wich ich zurück, legte mir um des Effektes willen eine Hand auf die Brust und blickte ihn aus großen Augen an.
„Mein Herr, aber woher kennt Ihr meine Mutter?"
Das brachte ihn wieder zum Lachen. Und Freude stieg in mir bei dem Klang auf. Ich mochte es, ihn zum Lachen zu bringen. Ein Grinsen zupfte an meinen Mundwinkeln. Doch gleichzeitig wurde mein Herz ein wenig schwer. Was hatte ich all die Jahre lang verpasst, in denen kaum jemand über meine Worte gelacht hatte?
Wütend schob ich den Gedanken fort. Heute war ich nicht die Prinzessin eines verrottenden Königreichs. Heute war ich nicht das Mädchen mit der furchteinflößenden Gabe. Heute war ich jemand anderes. Eine junge Frau, die um des Spaßes willen einen Ball aufsuchte.
Ich würde mir diesen letzten Abend in glückseliger Freiheit nicht verderben lassen.
Das Lachen des anziehenden Fremden war verebbt und schmunzelnd blickte er auf mich hinab. Er war groß, eineinhalb Köpfe größer als ich. Unter seiner dicht anliegenden Kleidung ließ sich ein muskulöser Körper erahnen, den ich nur bewundern konnte. Bestimmt war er ein Lord, der täglich hart trainierte. Bei dem Gedanken, ihn mal mit einem Schwert kämpfen zu sehen, flatterte etwas aufgeregt in meinem Magen.
Vielleicht hatten die Diener im Palast recht und ich war ein komisches Mädchen, aber ich liebte es, Schwertkämpfe zu sehen. Natürlich nur, wenn sie nicht mit dem Tod endeten. Aber die kraftvollen Bewegungen, die Finten, das Ducken und Vorpreschen...in meinen Augen glich ein Kampf einem wunderschönen Tanz. Nur fehlte die Musik und das Ziel war ein gänzlich anderes.
„Sagt...", der Fremde blickte mich mit einem sanften Lächeln an, das seine grauen Augen viel freundlicher erscheinen ließ.
„Wollt Ihr tanzen?"
Überrascht blinzelte ich. Ich war es nicht gewohnt, dass man mir diese Frage stellte. Dass man mir überhaupt irgendwelche Fragen stellte.
Doch ich fasste mich schnell, lächelte ihn an und meinte mit einem Zwinkern:
„Ich dachte schon, Ihr fragt nie."
Er grinste. Mit flinken Fingern klaubte er mir mein Weinglas aus der Hand, stellte es ohne hinzusehen auf das Tablett eines vorbei gehenden Kellners und im nächsten Moment lag seine warme Hand auf meinem Rücken. Die ungewohnte Berührung ließ mich zusammenzucken. Seine Hand schien sich geradezu durch den dünnen Stoff meines Kleides zu brennen. Auf ungewohnte und doch seltsam aufregende und angenehme Weise. Verstohlen warf ich ihm einen Blick zu. Hatte er meine unübliche Reaktion auf seine Berührung bemerkt? Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken. Stattdessen führte er mich mit sanftem Druck auf die Tanzfläche.
Unser Timing war perfekt, denn die Aufstellung zum nächsten Lied begann, alle Männer in einer Reihe gegenüber von ihren Tanzpartnerinnen. Als die warme Hand des hübschen Fremden meinen Rücken verließ und er zu seinem Platz ging, ertappte ich mich dabei, wie ich seine Berührung bereits vermisste.
Ich runzelte die Stirn.
Hatte mein Mangel an menschlichen Interaktionen denn solche sehnsuchtsvollen Auswirkungen?
Ich hatte nicht wirklich die Zeit, weiter darüber nachzudenken oder mir Sorgen darüber zu machen, denn schon begann das Orchester wieder zu spielen.
Simultan bewegten wir uns aufeinander zu, den Arm gehoben legten wir unsere offenen Handflächen aufeinander, eine Grenze und gleichzeitig eine Verbindung zwischen uns, während wir umeinander herum gingen.
„Wie ist Euer Name? Ihr habt euch noch gar nicht richtig vorgestellt."
Mein Tanzpartner lächelte leicht.
„Ratet."
Ich hob nur eine Augenbraue. Wie sollte ich bitteschön seinen Namen erraten? Ich drehte mich um die eigene Achse und wir hielten uns an der anderen Hand, als er meinte:
„Ich gebe euch ein paar Anhaltspunkte...mal sehen, ob Ihr ihn erraten könnt."
Hm...er machte es spannend. Frech grinste ich ihn an.
„Und was bekomme ich, wenn ich des Rätsels Lösung herausfinde?"
Er schnalzte mit der Zunge. Gespielt tadelnd machte er kopfschüttelnd:
„Ts ts ts...so fordernd."
Aber in seinem Blick brannte silbernes Feuer.
„Was wünscht Ihr euch denn, Mylady?"
„Hmmmm....", machte ich, während ich eine Show daraus machte, ihn ganz genau zu mustern. Von seinem kantigen Gesicht, der geraden Nase, und den vollen Lippen über die breiten Schultern und die starke Brust hinunter zu seinem flachen Bauch und den muskulösen Beinen. Lächelnd blickte ich langsam wieder zu ihm hoch.
„Was habt Ihr denn zu bieten, mein Herr?"
Überraschung flackerte in seinem Blick auf, doch keine Sekunde später schenkte er mir ein anzügliches Lächeln.
„Mehr als genug, meine schöne Lady."
Er hatte meine Andeutung verstanden und war sehr gewillt. Ich lächelte. Der Abend entwickelte sich hervorragend.
Vielleicht war mein Vorhaben schäbig, aber konnte man mich wirklich verurteilen? Ich würde den Rest meines Lebens mit einem skrupellosen Krieger verbringen, würde ihm Erben gebären. Ich wollte wenigstens eine schöne Erinnerung, an die ich mich festhalten konnte, während mein Zukünftiger mir Kinder in den Schoß zwang. Galle stieg in mir bei dem Gedanken hoch. Schnell schob ich die Zukunft wieder aus meinem Kopf. Heute Abend würde ich in der Gegenwart leben.
Das Lied änderte sich und es kam die Stelle, wo wir uns im Tanz näher kamen. Seine Hände glitten zu meinem Rücken, brannten sich warm durch den dünnen Stoff. Ich verschränkte meine Hände in seinem Nacken und unter halb gesenkten Lidern murmelte ich:
„Das klingt doch sehr gut. Dann lasst das Rätsel hören, Mylord."
Er lächelte.
„Poetix hat ein Gedicht darüber geschrieben..."
Ich hob die Augenbrauen, als er nicht weiter sprach.
„Poetix ist sehr alt geworden. Er hat über 170 Gedichte geschrieben. Da müsst Ihr schon etwas genauer werden, mein Lord."
Er senkte die Augen und ein leises Lächeln umspielte seine vollen Lippen.
„Es ist ein trauriges, tragisches Gedicht..."
Ich verdrehte die Augen.
„Das schränkt es nicht ein, Mylord. Ich bekomme den Eindruck, Ihr seid auf dem Gebiet der Rätsel nicht sehr bewandert."
Nun wandelte sich sein Lächeln zu einem Schmunzeln.
„Nun, ich kann nicht von mir behaupten, dass ich sehr oft Rätsel von mir gebe."
„Wenn das gerade eben ein Beispiel Eurer Rätselbegabung war, ist das meiner Meinung auch besser so. Ich hoffe, Orakel ist nicht Euer Berufswunsch", neckte ich ihn.
Ein amüsiertes Schnauben entkam ihm.
"Nicht wirklich. Aber gut. Dann will ich es anders versuchen."
Tief sah er mir in die Augen und gespannt wartete ich ab.
„Es geht in dem Gedicht um einen kleinen Jungen."
Poetix hatte Namensbedeutungen geliebt, denn er hatte mehrere Gedichte über Personen geschrieben, die für ihn wohl einen inspirierenden Namen hatten. Das schränkte es also auch nicht enorm ein. Er machte es mir wirklich nicht leicht.
„Der Junge befindet sich im Wald und wie gesagt ist es ein trauriges Gedicht..."
Plötzlich machte es Klick in meinem Kopf. Ich musste nicht mehr hören. Ich wusste ganz genau, welches Gedicht er meinte.
Leise zitierte ich es aus meiner Erinnerung:
„Ein einsamer Junge, allein im Wald
Verzweifelt heult der Wind, stumm und leise weint der Himmel
Aber dem Jungen ist nicht kalt...
Tiefe Trauer hat sich in ihm ausgebreitet wie langsam tötender Schimmel.
Hat ihn taub gemacht gegen Mutter Naturs Kinder.
Ziellos wandert der Junge umher
All die hübschen Blumen, all die zarten Schmetterlinge...
All der Schönheit Krumen, all die Pfifferlinge...
Er sieht sie nicht mehr.
Für ihn ist alles nur noch ein graues Meer.
Abgestumpft hat ihn die Trauer gegen Mutter Natur schönes Antlitz
Nichts beeindruckt oder erschüttert ihn, nicht mal ein gleißender Blitz.
Ziellos und allein wandert er weiter im nun heftigen Gewitter
Heimatlos, ohne Ziel, und mit tiefer Trauer, so bitter
Seine Eltern verstehen ihn nicht,
Freunde hat er nicht,
Selbst die Tiere meiden seinen Pfad
Einem schrecklich einsamen Tode er naht.
Diesen armen Jungen die Traurigkeit fand
Allein und heimatlos vor ihrer Höhle im Wald
Ganz so, als hätte das Schicksal selbst ihn zu ihr gesandt.
Als ihr eignes Kind Tristan hat sie ihn benannt."
Ich hatte ins Leere gestarrt, als ich das Gedicht zitierte, doch jetzt sah ich wieder zu dem Lord - Tristan - auf.
Emotionen schwirrten in diesen grauen Augen, ich meinte leise Bewunderung, Sanftheit und etwas Dunkles darin zu erkennen.
„Ein schöner Name", hauchte ich. „Tragisch ja, aber auch stark."
Seine eine Augenbraue hob sich.
„Was an dem Gedicht macht denn bitte einen starken Eindruck auf Euch?"
„Er hat nicht aufgegeben."
Etwas änderte sich in seinem Blick, aber ich konnte nicht genau bestimmen, was. Allerdings lag sein ganzer Fokus auf mir. Als gäbe es all die anderen Tänzer um uns herum gar nicht. Seine Füße fanden wie von selbst die Tanzschritte und ich folgte ihm, wie gefangen in seinem Bann.
Es machte mir nichts aus. Im Gegenteil.
„Diese tiefe Trauer in seinem Herzen...andere wären daran zugrunde gegangen. Aber nicht er. Andere hätten nicht den Mut gefasst, den Tatsachen ins Auge zu sehen und woanders ihre Rettung zu suchen. Ziellos ja, aber frei. Eingenommen von seiner Trauer, aber nicht kontrolliert."
Schweigend starrte er mich an, während das Orchester die letzten Töne erklingen ließ. Er war stehen geblieben und sah mich nur an, ohne ein Wort zu sagen.
Aber das brauchte er auch gar nicht. In diesen grauen Augen stürmte ein stummer Sturm. Und der sagte genug.
„Ihr müsste nichts darauf antworten. Ich..."
Doch er unterbrach mich:
„Es ist nicht gerecht, zu was Euch Eure Mutter zwingen will. Ihr habt mehr verdient als das. Ihr seid mehr als eine bloße Lady."
Da lag eine tiefe Ernsthaftigkeit in seiner Stimme, eine Eindringlichkeit, als wolle er unbedingt, dass ich verstand. Und kaum merklich war da auch ein trauriger, resignierter Ton...denn er wusste genauso gut wie ich, dass ich noch so viel sein konnte, ich würde nie die Möglichkeit haben, es auch zu leben.
Ein trauriges Lächeln kroch auf meine Züge.
„Sind wir nicht alle mehr, als wir zu sein scheinen? Aber die Gesellschaft steckt uns in Schubladen, beschränkt unsere persönliche freie Entfaltung. Und wir haben keine andere Wahl, als uns dem zu beugen."
„Nein. Nein, die haben wir nicht", murmelte er wie zu sich selbst.
„Nun, der Tanz ist vorbei und ich habe das Rätsel gelöst", sagte ich wieder munter, um die trübe Stimmung zu vertreiben, die uns überkommen hatte. Sofort schien er aus seinen eigenen Gedanken zu erwachen und zwinkernd meinte ich:
„Ich warte auf meine Belohnung, Mylord."
Seine Mundwinkel hoben sich leicht.
„Und wie jeder gute Gentleman weiß ich, dass man eine Lady nicht lange warten lässt."
Mein Lächeln wuchs. Im nächsten Moment hatte er sich von mir gelöst und legte seine Hand an meinen Rücken.
„Ich kenne da einen Ort...", murmelte er an meinem Ohr. Ein Schauder durchlief mich bei dem warmen Atem, der meine Haut streifte.
„Ich hoffe, er ist nicht weit entfernt", raunte ich zurück.
„Keine Sorge, Mylady", ich hörte das Lächeln in seiner Stimme, als wir uns durch die Menge schlängelten.
„Ich bin genauso ungeduldig wie Ihr."
Innerlich lächelte ich erfreut. So etwas wünschte ich mir. Und heute Nacht würde ich es das erste und letzte Mal bekommen. Ich würde diese Erinnerung wahren wie mein bestgehüteter Schatz.
Auf den Weg zu der Terrassentür schnappte sich Tristan noch zwei Gläser von einem Kellner und reichte mir eins.
„Für später. Schließlich müssen wir auf diesen Abend anstoßen."
Lächelnd nahm ich das Glas entgegen und im nächsten Moment schritten wir auf den weitläufigen Balkon.
Fackeln malten einen kleinen Lichtkreis und erhellten den Marmorboden und die in Blumenkübeln gepflanzten Blumen auf dem Balkon. Aber alles jenseits des Geländers lag in nachtschwarzen Schatten. Der Prinz führte mich die Treppen in die Dunkelheit hinunter und ein aufgeregtes Flattern machte sich in meinem Magen breit.
Vielleicht hätte ich Angst haben sollen. Ein Fremder führte mich weg von der Gesellschaft in die dunkle Nacht. Ich hätte zumindest misstrauisch sein sollen.
Aber ich hatte mich schon in ganz anderen Situationen bewährt. Und wenn alles vollkommen aus dem Ruder lief, besaß ich immer noch meine Geheimwaffe.
Ich hatte keine Angst. Und so ließ ich mich von Tristan weit ins Dunkle führen, hinter dichte Büsche.
Dort blieb er stehen.
„Lasst uns anstoßen", murmelte er und reichte mir ein Glas. Lächelnd nahm ich es entgegen.
„Auf uns und diese einzigartige Nacht", flüsterte ich.
„Auf uns", antwortete er und exte seinen Wein.
Ich wollte es ihm gerade gleichtun, als auf einmal all meine Alarmglocken schrillten. Instinkt ließ meine Hand in der Luft erstarren. Ich sah auf die rote Flüssigkeit in dem Weinglas hinunter. So rot wie Blut.
Tief atmete ich ein. Der satte Weintraubengeruch erreichte mich, doch das war nicht alles. Dank meiner Gabe konnte ich noch etwas anderes erkennen.
Etwas, das in Wein nicht hinein gehörte.
„Alles in Ordnung?", fragte mich Tristan mit besorgt klingender Stimme.
Ich sah zu ihm auf. In der Dunkelheit konnte ich anfangs nur schwach seine Umrisse ausmachen, doch einen Moment später schärften sich meine Augen. Graue Augen sahen mich besorgt - oder doch eher wachsam? - an. Er hatten ein so attraktives Gesicht. Wir hatten uns gleich so gut verstanden.
Aber heutzutage konnte man niemandem mehr trauen.
Träge schwenkte ich den Wein in dem Glas. Und so leicht wie ein Vorhang schwang sich eine unsichtbare Maske über mich. Die Fassade, die ich im Angesicht meiner Gegner und Feinde an ihren Platz rückte.
„Alles bestens." Ein beruhigendes Lächeln formte sich auf meinen Lippen.
„Ich hatte mich gerade nur gefragt, warum mich ein Fremder vergiften will."
Er erstarrte. Sein grauer Blick bohrte sich ertappt in meinen. Aber er schaute nicht weg. Versuchte nicht, es zu leugnen oder sich gar zu rechtfertigen. Er stand zu seiner Tat.
Unter anderen Umständen hätte mich das vielleicht beeindruckt.
„Sagt mir...Tristan...wer hat euch hierfür bezahlt? Hat man Euch wenigstens den Grund genannt? Die Risiken, die Ihr damit eingeht?"
Ich schnaubte leise.
„Ich glaube nicht. Vermutlich wisst Ihr nicht einmal, wer ich bin."
„Ich bin mir nur zu gut bewusst, wer Ihr seid, Anisa Amaira Zaina Pugnor."
Seine Stimme war ruhig und fest. Keine Angst lag in seinen Worten. Und genau das war der Moment, in dem mir bewusst wurde, dass er kein normaler Attentäter war.
Leicht legte ich den Kopf schief und musterte ihn genau. So wie er mich betrachtete...dieses Selbstbewusstsein...diese Ruhe...
Nur wenige wussten, wie ich aussah. Wer ich war. Aber überall gab es Spione. Und meine Feinde ließen sich an einer Hand abzählen.
Entweder kam er aus dem Magier-Königreich. Oder aus dem meines Zukünftigen.
Ich wusste über beide zu wenig, um genau sagen zu können, wer hier vor mir stand.
Gerade wollte ich ihn direkt fragen, als ich einen Luftzug hinter mir spürte. Blitzschnell wandte ich mich um und schüttete meinen Wein in das Gesicht meines Angreifers. Überrumpelt stolperte der zurück, eine Hand im Gesicht. Aber er war nicht der einzige Angreifer. Das Glas warf ich mit Wucht dem Mann an den Kopf, der aus dem Gebüsch zu meiner Seite hervor stürzte.
Er wich aus, kommentierte meinen Wurf lediglich mit einem Knurren und stürzte sich auf mich. Hart fiel ich auf den Rücken, die Luft wurde aus meiner Lunge gepresst. Aber genau für sowas hatte ich mein Leben lang trainiert. Ich stach dem Mann mit den Fingern in die Augen. Unterdrückt heulte er auf. Seine Hände flogen instinktiv zu seinen Augen. Dieser kleine Moment der Ablenkung reichte mir.
Ich drehte uns um, riss ihm den Dolch aus der Gürtelschnalle und hielt ihn an seine Kehle. Nicht nur er erstarrte. Sondern auch der andere Angreifer und die beiden Männer, die aus den Schatten aufgetaucht waren, bereit einzugreifen.
Selbst der Prinz stand unnatürlich still. Ich ließ meinen Blick über die fünf Männer schweifen, musterte sie genau. Schlichte schwarze Kleidung, die es ihnen erlaubte, mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Schwer bewaffnet. Trainiert. Und dann war da noch Tristan...
Plötzlich wurde mir alles klar.
„Ah, die berühmt-berüchtigten Schatten."
Ich wandte mich Tristan zu.
„Dann müsst Ihr der Prinz sein. Mein Zukünftiger."
Ich schmunzelte.
„Wie nett, dass Ihr Euch noch vor unserer Hochzeit vorstellt."
Seine Augen verengten sich leicht.
„Diese Vorstellung sollte nicht so lange dauern."
Ich lachte leise.
„Das ist ja hervorragend gelaufen, oh böser böser Prinz", höhnte ich.
Seine Züge verhärteten sich. Doch er erwiderte nichts darauf, sondern befahl ruhig:
„Lasst meinen Schatten los."
Ich lächelte kalt.
„Sonst was?!"
Seine Augen verdunkelten sich und er öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, als ihn ein Rascheln unterbrach. Ich erstarrte. Im nächsten Moment erklang eine zögerliche Stimme:
„Hallo? Ist da jemand?"
Ich wollte den armen Mann warnen, doch noch bevor ich ihm etwas zurufen konnte, bog er um den dicht bewachsenen Busch. Seine Augen weiteten sich, als er die Szene vor ihm in sich aufnahm.
„Was zum..."
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. In weniger als einer Sekunde stand der Prinz vor ihm und schnitt ihm in einer einzigen kräftigen Bewegung die Kehle durch. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, ließ aber nicht in meiner Wachsamkeit nach. Starr und mit zusammengepressten Lippen beobachtete ich, wie der Mann ein blutiges Gurgeln ausstieß und zu Boden fiel. In wenigen Sekunden löste ohrenbetäubende Stille die Todesgeräusche des unschuldigen Mannes ab.
Ich starrte die Leiche an.
Der Prinz hatte ohne zu zögern seine Kehle durchgeschnitten. Hatte einen Unschuldigen getötet. Nur weil dieser etwas gesehen hatte, was er nicht sehen sollte. Hatte ihn so mühelos und ohne schlechtes Gewissen umgebracht, wie er mich hatte umbringen wollen.
Das ist mein zukünftiger Mann, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Mein Magen verkrampfte sich.
„Soll ich Euch einen Eimer bringen, Prinzessin?"
Ich erstarrte. Seine Stimme mochte für manche fürsorglich und besorgt klingen, aber ich erkannte den leisen Hohn und die eisige Kälte darin. Langsam hob ich den Blick und sah ihm direkt in diese eiskalten grauen Augen.
„Nein, danke, Eure Hoheit. Eure Art ist zwar tatsächlich unbeschreiblich ekelerregend, aber ich hatte schon immer eine stabilen Magen, ob es sich um abscheuliche Prinzen oder Leichen handelt, ganz gleich. Dennoch weiß ich Eure Besorgnis natürlich sehr zu schätzen."
Der letzte Satz troff nur so vor zuckersüßem Sarkasmus.
Die Sache war nur die...obwohl ich eine immense Abneigung gegenüber diesem Mann verspürte, war ich nicht wütend auf ihn, weil er mich hatte umbringen wollen. Um ehrlich zu sein hätte ich nichts besseres von meinem zukünftigen Ehemann erwartet.
Aber dass er einen Unschuldigen getötet und mir meine letzte Nacht als unverheiratete Lady und somit eine letzte glückliche Erinnerung ruiniert hatte? Das machte mich rasend. Dem toten Mann konnte ich nicht mehr helfen. Aber ich weigerte mich vehement, den Abend so enden zu lassen und jetzt schon zurück nach Hause zu gehen.
Bei meiner Aussage war der arrogante Blick aus seinem Gesicht verschwunden und er sah mich mit einem Ausdruck an...den ich nicht ganz deuten konnte. Aber das wollte ich auch gar nicht. Ich hatte genug von ihm.
„Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt, ich habe Besseres zu tun, als meine Zeit in einer Gesellschaft zu verbringen, die ich in Zukunft sowieso zur Genüge genießen darf."
Ich wandte mich ohne ein weiteres Wort von ihm ab, nickte seinen Kumpanen zu.
„Meine Herren."
In einer fließenden Bewegung stand ich auf, ging ein paar Schritte rückwärts, ohne die Schatten und ihren Prinzen aus dem Blick zu lassen.
Sie rührten sich nicht von der Stelle.
Ich sah den Prinzen an. Schenkte ihm ein letztes kaltes Lächeln.
„Wir sehen uns morgen bei der Hochzeit, mein Liebling."
Und dann drehte ich mich auf dem Absatz um und ging zurück zum Ballsaal.
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