April

Genre: sollte eigentlich Humor werden (geworden ist es ... irgendwas anderes... Undefinierbares)

Vorkommen sollten: Jelly Beans

~ ~ ~

Plötzlich bunt – die Mischung macht's

„Schluck!" Nicks Gesicht verschwimmt vor meinen Augen, so nah hat er sich in meine Richtung gebeugt. Ich würge den Inhalt hinunter und strecke ihm die Zunge entgegen. „Leer!" Ein triumphierendes Grinsen auf meinem Gesicht.

„Du bist dran!" Ich greife zur Flasche, lasse sie mit Schwung über den Boden kreisen. Sie kullert über den nackten Parkettboden des Wohnzimmers von Nicks Eltern. Den weißen Hochflorteppich haben wir vorsorglich weggeräumt.

Der Flaschenhals wird langsamer, taumelt aus, bleibt schließlich stehen.

„Rot", ruf der blonde Junge, schnappt sich die entsprechenden Jelly Bohnen und grinst. „Easy, rot ist Erdbeere, Kirsch und roter Apfel." Die ovalen Süßigkeiten verschwinden in seinem Mund. Er leckt sich über die Lippen. „Und jetzt küss mich, Baby." Ich verdrehe angewidert die Augen.

„Vergiss es, Süßer. Erst das Spiel, dann das Vergnügen." Er stöhnt entnervt. Aber es war seine Idee. Ich trinke keinen Alkohol, also musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Er greift zur Flasche. Gelb.

Ich wühle in der Packung nach einer leuchtend gelben Bohne, einer braun gelb schattierten, die schon auf den ersten Blick ekelhaft aussieht und bugsiere sie mit spitzen Fingern auf meiner Zunge. Meine Augen verengen sich vor Abneigung, ich will nicht, aber ich muss.

„Das auch noch!" Nick fischt nach einem matt gelben Jelly Bean und streckt es mir entgegen. Ich schnappe danach wie ein Hund nach seinem Leckerli. Wenn es das nur wäre.

Die Pampe schmeckt furchtbar, fruchtig süß, nach Ananas oder Mango, dann buttrig, bitter. Ich kann die Sorten nicht auseinanderhalten. Bei jeder Runde muss ich mehr würgen.

Aber ich darf diese Wette nicht verlieren.

Beherzt greife ich nach der Flasche und stoße sie an. Sie zeigt auf die grüne Karte.

Nick angelt drei verschieden grüne Bohnen aus dem Behälter, lässt sie in seinem Mund verschwinden, kaut kurz und schluckt. Cool lächelt er mir zu. „Na Süße, willst du jetzt endlich aufgeben? Wegen mir können wir noch ewig so weitermachen."

Ich zucke die Schultern. „Flaschendrehen war die Abmachung. Haben wir erfüllt."

„Wir sollen uns die Augen verbinden", liest er von dem Zettel. Er steht auf, kramt eine Weile in einem Schrank im Flur und kommt schließlich mit einem gemusterten Schal zurück.

„Du zuerst oder ich?" Ich überlege kurz, eigentlich würde ich ihm gerne den Vortritt lassen, aber Ladies first und ihm macht es so oder so nichts aus, diese quietschbunten Süßigkeiten zu futtern, als wäre es Popcorn. Also bringe ich es am besten schnell hinter mich.

„Ich", sage ich und drehe ihm meinen Rücken zu. Er bindet mir den Schal vor die Augen, nicht ohne dabei unnötigerweise durch meine Haare zu fahren. Lackaffe!

Dann spüre ich seinen Atem an meinem Hals. „Und jetzt grinsen!" Seine Wange presst sich an meine. Etwas klickt. Sein Handy. Er hat das geforderte Selfie gemacht.

„Perfekt! Obwohl es schade ist, dass man deine blauen Augen jetzt nicht sehen kann. Und jetzt Mund auf, wir sollen uns gegenseitig füttern. Wer zuerst fünf Sorten erraten hat, gewinnt."

Ich folge seiner Anweisung widerwillig. Natürlich wäre er nicht Nick, wenn er nicht die ekeligste Geschmacksrichtung herausgesucht hätte.

„Bäh, faule Eier. Trinken!" Er reicht mir die Flasche und ich kippe den Inhalt hinunter, bis der Geschmack verschwunden ist, wenigstens halbwegs. Er lacht. „Verdammt, das war zu einfach." Yes, Nummer eins!

„Und jetzt Mund auf." Dieses Mal schmeckt es... interessant, aber leider undefinierbar. Mir fällt keine Sache ein, die so schmeckt und ich passe.

Etwa hundert Bohnen später lande ich meinen fünften Glückstreffer. Eigentlich kann ich längst aufgeben. „Wie viele Versuche waren das jetzt?", frage ich. Leider habe ich vergessen mitzuzählen, so fixiert war ich darauf, nicht auf den blank polierten Parkettboden zu kotzen.

„Ähm, viele." Wie es scheint hat auch Nick vergessen zu zählen. Soll mir recht sein.

„Küssen?", fragt er und nestelt an dem Tuch. Ich stoße ihn weg. „Lass das!"

„Das heißt wohl nein?"

„Natürlich heißt das nein. Kein Küssen." Er wedelt mit dem Papier vor meinem Gesicht. „Aber hier steht es." Er zeigt auf die Zeile. „Ein Kuss-Selfie."

„Ich werde Natalie umbringen!", fluche ich und er lacht.

„Komm, bringen wir es hinter uns!"

„Nein, ich bin noch nicht soweit. Was müssen wir noch tun?"

Er liest. Dann bildet sich eine Falte auf seiner Stirn. Er stöhnt. „Nicht auch noch das."

„Was?" Ich rutsche neben ihn. Werfe einen Blick auf die handgeschriebenen Anweisungen.

Er zeigt auf eine weitere Aufgabe. Die vorletzte. „Hast du Schminkzeug dabei? Ich würde ungerne das von meiner Mutter benutzen. Sie bringt mich um."

„Okay?!", sage ich. So eine Challenge kann sich nur Natalie ausdenken. „Dann fange ich bei dir an." Er setzt sich im Schneidersitz vor mich. Ich krame in meiner Handtasche. Viel habe ich nicht dabei, aber eine kleine Ausrüstung für den Notfall und Herrenbesuch ist ein Notfall. Da weiß man nie, was man braucht.

„Schließ die Augen", befehle ich ihm und er folgt. Mit den Fingern tupfe ich ihm vorsichtig Lidschatten auf. Hellblau, passend zu meinen Augen. Irgendwie witzig, anschließend müssen seine Augenbrauen daran glauben. Er hat schöne, für einen Jungen. Jetzt sind sie nachgezogen und ausgemalt. Ich grinse breit. Dann die Foundation, Puder, Rouge für die Wangen. Er lässt es willig über sich ergehen. Fast wirkt es, als würde er meine Berührungen genießen. Ich kann das Kichern kaum mehr unterdrücken.

„So schlimm?", fragt er schließlich.

„Nein. Ja!" Ein erneuter Lachanfall. Er hat rote Wangen und blau schattierte Augen. Der sonst so coole Nick sieht mit einem Mal ganz anders aus.

„Ich will es gar nicht sehen. Mach weiter", fordert er mich auf.

Mit Lipgloss beträufelten Fingern streiche ich über seine Lippen. Sie sind weich und wohlgeformt. Ich kriege mich kaum mehr ein vor Lachen und natürlich geht etwas daneben. „Ups." Immerhin könnte es mich schlimmer erwischen. Vermutlich ist es gar nicht so schlimm, ihn küssen zu müssen.

Mit einem Taschentuch wische ich ihm den Unfall vom Kinn. Er hält still.

„Jetzt noch der Lidstrich, Mascara und deine Haare." Prüfend schaue ich ihn an.

„Augen auf und blick nach oben." Treudoof lässt er sich die Augen nachfahren und die Wimpern tuschen. „Jetzt nach unten." Natürlich verwackelt mir die schwarze Linie. Sein Make-Up ist too much. Er sieht aus wie ein Clown, aber Natalie wollte es ja so.

„Dein Gesicht ist fertig", pruste ich unter Gelächter hervor. Er lacht erleichtert. „Was für eine Tortur! Meine Freundin braucht sich nie schminken. Also wenn ich mal eine habe."

Ich kichere. „Jetzt deine Haare."

Mit Haarspray und Bürste falle ich über seine kurzen Locken her. Viel kann man da nicht machen. Ein wenig auftoupieren und ins Gesicht stylen. Schnell passiert. Stolz begutachte ich mein Endergebnis. Nicht ohne erneut lachen zu müssen. Er sieht so anders aus.

„Meine Klamotten werden dir nicht passen und ich habe nichts mit außer dem." Ich zeige auf mein pinkfarbenes Sommerkleid.

Er überlegt kurz. „Bin gleich wieder da." Nach einer Weile kommt er zurück und mir klappt die Kinnlade herunter. Er trägt einen blauen Seidenkimono. Unter dem wadenlangen Rock ragen seine unrasierten Beine hervor, aber das will ich ihm jetzt nicht auch noch antun. Er tänzelt auf mich zu und ich liege kringelnd auf dem Boden.

„Na? Bin ich nicht sexy?", haucht er und jetzt gibt es für mich kein Halten mehr. Er tanzt um den Wohnzimmertisch in einer Art, die er wohl für verführerisch hält, die aber höchst ungelenk aussieht.

„Wahnsinnig sexy", stoße ich unter einem Lachanfall hervor. Er wirft mir ein Bündel vor die Füße. „Und jetzt du. Zieh dich aus!" Er grinst breit.

Ich greife nach den Klamotten. Anzugshose und Sakko, sogar eine lilafarbene Krawatte.

Er dreht sich um, noch immer vor sich hin tänzelnd. „Ich werde auch nicht schauen."

„Wehe!", drohe ich und schlüpfe aus meinem Kleid und schnell in den Sakko. Der Stoff schmiegt sich kalt an meine Haut. Ich trage nur meinen weißen BH darunter. Wenn beide Knöpfe zu sind, ist mein Dekolleté wenigstens weitgehend bedeckt. Das dunkelblaue Teil schlackert um meinen Bauch, viel zu weit. Auch die Anzugshose. Ich muss die Hosenbeine ein paar Mal umschlagen.

„Bist du soweit?"

„Gleich." Ich binde meine Haare zu einem strengen Knoten nach hinten.

„Fast fertig. Du kannst dich umdrehen", erwidere ich mit extra tiefer Stimme. Er lacht. „Mein Herr", flötet er in den höchsten Tönen und wir verfallen beide in Gekicher. Ich strecke ihm den Arm entgegen und er hakt sich unter.

„Werte Dame, könnten sie mir mit der Krawatte behilflich sein?", frage ich unschuldig. Er lässt mich los und greift nach dem lilafarbenen Ungetüm. „Aber sehr gerne doch." Galant legt er es mir um den Hals, ich spüre seinen Atem im Gesicht. Ich schnuppere. „Eindeutig Jellybean Kirschgeschmack."

„Stimmt, erwischt, ich habe genascht!" Mit geschickten Fingern knotet er vor meinem Hals herum und natürlich rutscht sein Blick dabei eine Etage tiefer. Er stößt einen Pfiff aus. „Sorry. Ich wollte nicht gucken, aber wow. Selbst in meinem Anzug bist du sexy."

Ich grinse. Einem bis zum Umfallen geschminkten Typen kann ich nicht böse sein.

„So fertig." Er tritt einen Schritt zurück, beäugt sein Ergebnis. Seine Stirn legt sich in Falten. „Nein, noch nicht ganz. Kann ich noch mal diesen schwarzen Stift haben, mit dem du mir fast die Augen ausgestochen hast?"

Ich reiche ihm den Kajal, der noch auf dem Wohnzimmertisch bei den anderen Utensilien liegt. Er tritt auf mich zu, fast mir unters Kinn und hebt mein Gesicht.

„Still halten, jetzt bist du dran." Die Spitze des Stifts fährt über meine Oberlippe und bis zu den Wangen. Einmal auf jeder Seite. „Jawohl! Jetzt bist du ein richtiger Gentlemen." Er lacht. Ich halte gespielt die Hände vors Gesicht. „Ich will es gar nicht sehen."

„Dann mach am besten die Augen zu, wenn ich dich jetzt küsse."

Mein Körper ist von so viel Endorphinen durchflutet, dass ich tatsächlich die Augen schließe. Dann spüre ich seine Lippen auf meiner Wange. Klick!

Verwundert öffne ich die Augen. „Glaubst du, ich falle einfach so über dich her und küss dich auf den Mund?" Ein schelmisches Grinsen auf dem Lipgloss verschmierten Mund.

„Hätte mich jetzt nicht gewundert", gestehe ich.

„Vorher will ich schon dein OK hören. Also darf ich? Nur für dieses blöde Foto?"

„Na gut." Ich drehe mich zu ihm. Schließe die Augen. Seine vollen Lippen legen sich auf meine. Dieses Mal errate ich den Geschmack sofort. Wassermelone. Er fummelt am Handy herum. Klick.

Ein prüfender Blick. „Etwas verwackelt."

„Dann nochmal." Er schaut mich aus großen, schwarz umrandeten und blau schimmernden Augen an. „Dein Ernst?" Ich nicke. Lässt er sich nicht zweimal sagen.

Erneut seine warmen Lippen auf meinen. Fast bin ich versucht, auf ihnen herum zu lutschen. Klick.

„Besser. Willst du es wirklich nicht sehen?" Ich schüttle den Kopf. „Wir wären wirklich ein hübsches Paar", meint er. „Ich würde auch den weiblichen Part spielen und du dürftest mit mir machen, was du willst." Er klimpert mit den Wimpern. „Ein verlockendes Angebot. Ich würde dich jeden Tag zurecht machen und in hübsche Kleider stecken." Ich halte inne und tue so, als müsste ich überlegen. „Aber nein, danke." Er zieht eine Schnute. „Wirklich nicht?" Jetzt wackelt er mit dem Kopf und fährt sich durch die Haare. Den Hundeblick aus seinen blauen Augen hat er perfektioniert.

„Treib es nicht zu bunt", drohe ich und falle ihm lachend in die Arme.

„Nein", sagt er, „würde ich nie. Aber es ist wie mit den Jellys, die Mischung macht's - und wir wären wirklich die perfekte Kombination."

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