20.Kapitel

Über ein halbes Jahr später saß Ruby Wuff wieder an einem Pool, diesmal auf der anderen Seite der Welt, und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

Nachdem sie James und Mrs Beaufork dabei geholfen hatte den Patriarch ihres Haushalts zu beseitigen, wussten diese nicht wie sie ihr danken sollten. Was nicht heißen soll, dass James nicht auch traurig gewesen wäre. Er bedauerte den Verlust seines Vaters, aber was sollte man machen wenn seine Mutter in der Küche aus Versehen Rattengift mit Mehl verwechselt und Kuchen für ihren Mann damit gebacken hatte? Genau das Rattengift was Ruby Wuff eigentlich zu ihrer Arbeit im Café hatte mitbringen wollen, zu der sie es aber nie geschafft hatte, weil sie vorher zur Beaufork'schen Villa gegangen war, um mit James Beauforks Eltern über seine Verlobung zu reden.

Ruby fächelte sich mit einem Fächer Luft zu.

Ach, es war wirklich ein tragischer Unfall gewesen. Besonders als Mrs Beaufork ihrem Mann dabei helfen wollte die Treppe herunter zu gehen, aber dabei leider auf einem Spitzenunterhöschen ausrutschte, das eine Prostituierte letzte Nacht dort vergessen hatte. Mrs Beaufork konnte sich grade noch am Geländer festhalten, aber der arme Mr Beaufork, dem vom Rattengift ganz schwindelig und unwohl geworden war, stürzte die gesamte Treppe herunter und war sofort tot. Sein Kopf war leider sehr hart auf dem Marmorboden gelandet. Irgendjemand hatte in einem Anfall von Putzwahn wohl den Tigerteppich beiseite geräumt.

Ruby seufzte und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. Nachdem James nach Hause gekommen war, hatten sie ihm alles erzählt. Er hatte sehr viel auf einmal gefühlt: Trauer, Wut, Erleichterung. Dann hatten er und seine Mutter Ruby gefragt was sie ihr als Dankeschön für ihre Hilfe anbieten konnten. Auf einmal war Ruby beinahe schüchtern gewesen. Sie hatte die Augen niedergeschlagen und etwas von einem Ferienhaus gemurmelt. Ob die Familie Beaufork wohl eins hatte?

Sie hatten zwei, wie sich herausstellte. Eins in Italien, eins in Südamerika. Letzteres hatten sie nur zu gerne Rubys Familie überlassen, unter der Bedingung, dass sie zumindestens einmal alle zusammen dort Urlaub machten. Sie hatten das Haus sogar noch mit Rampen und Fahrstühlen versehen und für Rubys Vater barrierefrei machen lassen. Jetzt, wo alle Umbauten beendet waren, es Sommer war und Ruby ihre Zusage für Oxford hatte, lag einem ausgedehnten gemeinsamen Urlaub der zwei Familien nichts mehr im Wege.

Ruby drehte den Kopf und blinzelte Richtung Terasse auf der ihr Vater und ihre Mutter verliebt beieinander saßen und sich über ein paar Muscheln beugten, die sie am Strand gesammelt hatten. Der Strand lag nur 30 Meter weiter. Es war ein Privatstrand, natürlich. Die Bluse von Rubys Mutter, die Embra genäht hatte, wehte im leichten Sommerwind.

Ruby winkte dem Butler. ,,Noch einen Aperol Spritz, bitte."

,,Sehr wohl, die Dame." Er verbeugte sich und eilte zur Küche.

Ruby lehnte sich zurück. So ließ es sich leben.

Alistair und Kieran waren auf einer ganztägigen Bootstour um Wale zu beobachten und würden erst spät abends zurück sein. Ruby war gespannt darauf was sie wohl berichten würden, aber gönnte ihnen auch die gemeinsame Zeit der Zweisamkeit. Dann würden sie vielleicht endlich mal lernen in Gegenwart von anderen Leuten die Finger voneinander zu lassen! Das war nämlich nicht zum Aushalten mit denen! Sie und James waren nicht halb so schlimm. Apropos James...

Ein paar starke Arme schlangen sich von hinten um sie. Ruby grinste. ,,Na, Beaufork, wie ist der neue Fitnessraum so?"

,,Ausgezeichnet." Er küsste sie. ,,Aber die kalte Dusche danach hat mir am besten gefallen. Wie kannst du bei der Hitze bloß so lange in der Sonne sitzen?"

Sie zuckte mit den Schultern. ,,Was soll ich sagen, ich bin halt auf den Geschmack gekommen. Außerdem bin ich ja nicht so blond wie du."
Ruby kuschelte sich an James und drückte ihm einen Kuss auf die, mit leichten Bartstoppeln bedeckte Wange. Er küsste sie zurück. Es war jetzt sechs Monate her, dass er sie gebeten hatte seine Freundin zu werden. An Silvester war das gewesen. Ruby hatte ja gesagt, Lin hatte laut gejubelt und Kieran war in Ohnmacht gefallen.

Lin hatte Ruby letztes Jahr eine Zeit lang links liegen lassen um mit cooleren, reichen Leuten abzuhängen, aber irgendwann war sie reumütig zurückgekehrt. Sie hatte entgültig realisiert, dass wahre Freundschaft nicht Geld und Status war, und außerdem gehörte Ruby ja jetzt zu den coolen und reichen. Kieran übrigens auch.

Nachdem Alistair Kieran wochenlang mit allen Mitteln der Kunst umworben hatte, war dem schließlich klar geworden, dass eine Beziehung mit jemandem der einen ebenfalls liebte, eigentlich was ganz Schönes war. Diese Erkenntnis und Alistairs Zuneigung hatten ihm über Ruby Wuff hinweg geholfen. Letzte Woche waren Alistair und Kieran offiziell zusammengekommen und keiner der beiden könnte glücklicher sein. Sie passten wunderbar zueinander: Alistair mit seiner wagemutigen, etwas intensiven Art und der sanfte, ein wenig schüchternde Kieran, der mit so viel Bewunderung lieben konnte.

,,Jetzt sind hier abgesehen von mir nur noch Paare auf dem Trip!" Hatte Müdia gemurmelt, als Alistair und Kieran die frohe Nachricht offiziell gemacht hatten.

,,Hä, und was bin ich dann? Eine Fliege an der Wand?" Hatte Rubys Schwester Embra entgegnet. Sie hatten alle gelacht.

Die beiden Mädchen waren im Laufe des Urlaubs gute Freundinnen geworden. Jetzt grade saßen sie zusammen am Strand und beugten sich kichernd über die neuesten Chats von Müdia und Mr. Sudden.

Mrs Beaufork schüttelte regelmäßig den Kopf darüber, aber ließ ihre Tochter gewähren. Schließlich war das Schuljahr ja bald vorbei und Müdia würde als Kopf der Beaufork Firma alle Hände voll zu tun haben. Da sollte sie jetzt ruhig noch so viel Spaß haben wie möglich.

Mrs Beaufork hatte übrigens auch viel Spaß. Mit dem Chaffeur, der statt einer Gehaltserhöhung gleich einen Anteil an dem gesamten Vermögen der Beauforks erhielt, indem er Mrs Beauforks fester Freund wurde. Ihre Kinder hatten sich damit abgefunden. Schließlich waren sie ja auch bald aus dem Haus, denn im Oktober würde es für Ruby, Müdia und James in Oxford losgehen. Mal sehen ob Ruby auch dort ihren Platz als Jahrgangsbeste aufrecht erhalten konnte. Wenn nicht war das in Ordnung.

Ruby lehnte ihren Kopf auf James' Schulter und blinzelte in die langsam untergehende Sonne. Der Butler brachte ihr ihren eiskalten Aperol Spritz. Das Meer rauschte nur dreißig Meter weiter. Ruby Wuff lächelte. Sie hatten noch einen ganzen Sommer hier vor sich. Und dann noch ein ganzes Leben.

Besser konnte man sich auf dem Gipfel des Mount Everest auch nicht fühlen.

...

ENDE

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