Kapitel 8: Hamburger
Eine leichte Brise umspielt Shinsous Gesicht, als er neben dem offenen Fenster in seinem Zimmer sitzt und den Stift gekonnt über das Grafiktablett führt. Auf dem Bildschirm vor ihm ist die Zeichnung eines humanoiden Katers mit blonden Fell und schwarzem Blitzmuster zu sehen. Blitze umgeben das Wesen, das im strömenden Regen vor einem Felsen steht. Nach Monaten hat der Manga, an dem der Violetthaarige tagtäglich zeichnet, einen Punkt erreicht, an dem der neue Charakter endlich seinen ersten Auftritt haben kann. Shinsou musste all seine Willenskraft aufbringen, um die schon lange fertigen Charaktermodelle noch nicht auf seinem Instagram Account zu posten, damit der Effekt des plötzlichen Auftauchens von Chargebolt, dem Gott der Elektrizität, nicht versaut wird.
Erst als ein lautes Magenknurren zu hören ist, realisiert Shinsou, wie lange er eigentlich schon an seinem Schreibtisch sitzt. Heute Nacht hat er kaum schlafen können, weil sein Gehirn nur so gesprudelt hat vor Inspiration. Gegen 2:00 Uhr hat er es dann nicht mehr ausgehalten und ist endlich aufgestanden, um den Motivationsschub vollkommen auszukosten. Mittlerweile ist es aber schon Mittag und, abgesehen von einer Packung Chips und ein paar Schokoriegeln, hat der Violetthaarige nichts gegessen.
Widerwillig lässt er den Stift los, um sich kurz zu strecken, bevor er dann das Zimmer verlässt. Auf der Treppe nimmt er schon den wohlbekannten Duft von Ramen wahr. Shinsou hat stark im Verdacht, dass sein Paps gerade mit dem Kochen fertig geworden ist. Dieser Verdacht bestätigt sich dann auch, als er in den großen Raum tritt, in dem sich der Esstisch, das dunkelblaue Sofa, der Flachbildschirm und weitere Wohnzimmer-typische Möbel befinden. Dort findet er seinen blonden Vater mit Geschirr in den Hand, das er vorsichtig auf die Tischplatte stellt.
Ein Blick nach rechts verrät Shinsou, dass seine kleine Schwester auf dem Sofa liegt und Animal Crossing spielt. Da Sonntag ist, hat sie sich nicht darum bemüht, etwas schickes anzuziehen, weshalb sie in einer Jogginghose und einem viel zu großen T-Shirt den A-Knopf einige Male hintereinander drückt, um das Gespräch mit einem ihrer Inselbewohner zu einem schnellen Ende zu bringen. Als sie sich kurz umdreht, um ihrem Bruder eine Begrüßung zuzurufen, bemerkt er, dass der Grinsekatze-Aufdruck des T-Shirts ihm sehr bekannt vorkommt. "Ey! Du warst schon wieder an meinem Kleiderschrank, Eri!"
Das weißhaarige Mädchen dreht sich erneut um, diesmal mit einem fiesen Grinsen im Gesicht. "Nope! Das ist noch Ausbeute vom letzten Mal, als ich heimlich in deinem Zimmer war." "Das macht es nicht besser." Der Violetthaarige seufzt in dem Wissen, dass er diese Diskussion nicht weiter ausführen sollte. Er bekommt sein T-Shirt sowieso nicht zurück.
Daraufhin setzt er sich auf seinen Platz am Esstisch. Vor ihm stehen drei Schüsseln, sowie die dazugehörigen Essstäbchen. Heute sind es also nur er, seine Schwester und Paps. Normalerweise würde auch Aizawa mit der Familie essen, aber der immerzu müde Mann befindet sich momentan auf dem Weg zu dem Sportinternat, in dem er arbeitet. Dort unterrichtet er nämlich Volleyball, was schwer zu glauben ist, wenn man bedenkt, wie ungesund sich Aizawa ernährt und wie er schlichtweg keinen Schlafrhythmus hat. Schließlich sieht Shinsou seinen Dad regelmäßig irgendwo auf dem Boden schlafen, eingelullt in seinem gelben Schlafsack, während ein halbleerer Quetschbeutel aus seinem Mund hängt.
Aber wer will Aizawa schon verübeln, dass er sich im Internat den Hintern abschuftet, nur um dann übermüdet mitten in der Sporthalle einzupennen? Wahrscheinlich nur Onkel Oboro, der das Volleyballteam gemeinsam mit ihm anleitet. Shinsou selbst sieht zwar Oboro nur an Geburtstagen, aber er bekommt jedes Mal mit, wie der Blauhaarige seinen alten Kindheitsfreund eine Standpauke hält. Letztlich endet das meistens darin, dass Paps so tut, als könne er nichts für Dads Absurditäten und die Drei sich betrinken.
"Itadakimasu!" Eri ist die Erste, die sich über das Essen hermacht. Daher ist sie auch die Erste, die nach ein paar Mal kauen und runterschlucken den Mund wieder leer genug hat, um ein Gespräch anzufangen. Die Gespräche beim Esstisch werden generell meistens von ihr oder Paps getragen. Die zwei Introvertierten in der Familie halten sich meistens raus, in der Hoffnung, dass niemandem auffällt, dass sie nicht richtig zugehört haben. Doch Heute ist es für Shinsou schwierig, das startende Gespräch auszublenden, denn der erste gesprochene Satz richtet sich direkt an ihn. "Nii-chan, sag mal... Wann bringst du deinen festen Freund endlich mit? Ich will ihn kennenlernen."
Shinsou verschluckt sich an einer Nudel. Hustend schnappt er sich ein Glas mit Wasser und trinkt dieses hastig leer. Eri zieht eine Augenbraue hoch, während Shinsous Vater ihm einen verwirrten Blick zuwirft. Der Violetthaarige räuspert sich, bevor er schließlich mit hochrotem Gesicht sagt: "Er ist nicht mein fester Freund."
Eri sieht in so an, als sei sie keineswegs überzeugt, während Paps gerade erst begriffen hat, worum es eigentlich geht. "Redet ihr über den blonden Jungen aus dem Cat Café? Sein Name ist Kaminari, nicht wahr? Shota hat von ihm erzählt. Es freut ihn sehr, dass du mehr aus dir herauskommst." Paps grinst. "Kaminari scheint ein guter Kerl zu sein. Ich möchte ihn auch kennenlernen." Daraufhin fährt er nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über seinen kleinen Schnurrbart. "Hm... Am Freitag könntest du doch Kaminari zum Abendessen einladen. Da gehe ich sowieso nach der Arbeit einkaufen. Also kann ich ja etwas Besonderes besorgen. Was haltet ihr von Hamburgern?" Eri wirft freudig die Arme in die Luft und nickt zustimmend.
Shinsou seufzt nur. Sobald sich Paps und Eri etwas in den Kopf gesetzt haben, hat Shinsou kein Mitspracherecht mehr. Also lässt er es einfach zu, dass die beiden über das restliche Mittagessen hinweg sich aufgeregt darüber unterhalten, welche Zutaten für die Hamburger benötigt werden. Shinsou beteiligt sich nicht an der Konversation. Er denkt lieber darüber nach, warum es ihn nicht wirklich stört, dass seine Familie Kaminari kennenlernen wollen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass er seit dem letzten Jahr der Highschool niemanden mehr mit nach Hause gebracht hat.
Ein paar Tage nach seinem Gespräch mit Eri und seinem Paps öffnet Shinsou die Eingangstüre zum Cat Café Bakugou. Es ist Donnerstag, was bedeutet, dass Kaminari Heute seine lange Schicht hat. Der Blonde ist auch das Erste, was in Shinsous Blickfeld kommt, als er das Gebäude betritt. Der Mitarbeiter rennt mit purer Angst im Gesicht vor Bakugou weg, der von einer mörderischen Atmosphäre umgeben ist. "Wie kannst du es wagen, meine beste Kaffeemaschine zu schrotten, Scheißgesicht?!" Kaminari gibt als Antwort nur einen kläglichen Laut von sich. Sein Gesicht hellt sich erst ein wenig auf, als er bemerkt, dass Shinsou auf seinem Fluchtweg liegt. "Shinsou! Du musst mir helfen! Bitte! Ich bin zu cool, um zu sterben!" Bevor der Violetthaarige irgendwas erwidern kann, springt der Blonde ihn an. Instinktiv fängt Shinsou ihn auf.
Da Shinsou den anderen Mann im Brautstil hält, die eine Hand unter den Kniekehlen und die andere am Rücken, sind die beiden sich sehr Nahe. Kaminari hat sogar seine Arme um Shinsous Hals geschlungen, was den Abstand zwischen den Köpfen der beiden nur noch mehr verringert. Von dieser Position aus kann Shinsou die schwarzen Flecken in Kaminaris goldener Iris sehen. Die wunderschönen Augen sehen leicht geschockt ebenfalls in Shinsous violettfarbigen. Röte macht sich in Kaminaris Gesicht breit, als er seinen Blick für ein paar Sekunden ein Stückchen nach unten gleiten lässt, bevor er wieder in die violetten Augen blickt. Shinsou hat diese kleine Bewegung sehr deutlich gesehen und sofort erkannt, was sie zu bedeuten hat. Auch er lässt seine Augen für ein paar Sekunden auf Kaminaris Lippen blicken. Der Blonde trägt Lipgloss. Der leichte Schimmer auf den weichen Lippen lädt geradezu dazu ein, von ihm zu kosten. Ob es wohl in Ordnung ist, die Distanz zwischen den beiden zu überbrücken und die Wärme des jeweils anderen auf der eigenen Haut zu spüren?
Shinsou schluckt. Die Frage soll wohl vorerst unbeantwortet bleiben, denn Bakugous lauter Ausruf nach dem Tod von Kaminari Denki lässt die beiden realisieren, in welcher Situation sie sich eigentlich gerade befinden. Peinlich berührt wenden sie ihre Blicke voneinander ab.
Der aggressive Blonde bleibt vor den beiden Männern stehen. Wut spiegelt sich in seinen feurig roten Augen wieder. "Oi, Augenringe! Lass Scheißgesicht runter oder du bist auch tot." Shinsou ist nicht wirklich beeindruckt von Bakugous Auftreten. "Wegen einer Kaffeemaschine? Wirklich?" Bakugou ballt seine Hände zu Fäusten. "Huh?! Willst du als Erster verrecken?!" Shinsou sieht ihn ernst an. "Bakugou." Er starrt zurück. "Shinsou." Letztlich ist es Kaminari der die Spannung ein wenig bricht. "Ihr kennt euch?! Also ich mein, jeder kennt Bakugou. Aber woher kennt Bakugou deinen Namen, Shinsou?!" Kaminari sieht regelrecht geschockt aus.
Bakugou wird kreidebleich, als er realisiert, was gerade eben passiert ist. Bis jetzt hat er erfolgreich unter Verschluss gehalten, dass er und Shinsou sich kennen. Grund dafür ist, dass die beiden sich auf der Hello Kitty Parade in Tokyo kennenlernten, nachdem Shinsou seinen Zeichenblock dort verloren hatte. Bakugou und Todoroki haben diesen gefunden und an den Violetthaarigen zurückgegeben. Aus Respekt vor den guten Zeichnungen hat sich Bakugou Shinsous Namen gemerkt. Vor seinen Mitarbeitern scheint er jedoch nicht gerne zuzugeben, dass er eine Vorliebe für süße Hello Kitty Bilder hat.
Ein fieses Grinsen schleicht sich auf Shinsous Lippen. "Ja, wie war das nochmal, Bakugou? Unter welchen Umständen haben wir uns kennengelernt?" Bakugou zischt: "Halt die Klappe, Augenringe!" Shinsou hält selbstbewusst den Augenkontakt, um zu verdeutlichen, dass er hier die Oberhand hat. Schließlich gibt der aggressive Blonde nach. Er blickt die anderen beiden nochmals scharf an, bevor er sich umdreht und Schimpfwörter murmelnd davonstapft.
Kaminari atmet erleichtert aus. "Keine Ahnung, wie du das gemacht hast, aber ich bin echt erleichtert." Er sieht den Violetthaarigen für ein paar Sekunden an, bevor er mit dem Kopf ein wenig nach vorne rückt, um einen sanften Kuss auf Shinsous Wange zu platzieren. "Danke, Shinsou."
Erst nachdem Shinsou den Blonden wieder vorsichtig zurück auf den Boden gelassen hat und dieser wieder zurück an die Arbeit ist, realisiert der Violetthaarige, was gerade eben eigentlich passiert ist. Ungläubig fasst er sich mit der Hand an die Wange.
Fuck. Eigentlich wollte Shinsou den Blonden noch fragen, ob er am Freitag Hamburger essen möchte. Aber jetzt schlägt sein Herz so schnell und sein Gesicht ist so rot, dass er es der Nervosität wegen doch lieber lässt. Er wird ihn später einfach über Whatsapp fragen.
Yup. Er wird ihn fragen und sie werden sich treffen, bei Shinsou Zuhause, nicht umgeben von Gästen, die einem komische Blicke zuwerfen könnten, falls man sich im Eingangsbereich küssen würde.
Shinsou atmet nochmal tief durch. Alles wird cool. Sie werden nur zusammen Hamburger essen.
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Autor: Ahhhhh ich liebe es über Küsse zu schreiben >w<
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