Kapitel 6: Chargebolt

"Das Wetter erinnert mich an den Tag, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind."

"An dem Tag hat es nicht geregnet."

Shinsou nickt, mehr zu sich selbst, als zu Kaminari. "Ich dachte mir schon, dass du mich erst später bemerkt hast."

Den Blick gen Himmel gerichtet, erinnert sich Shinsou an den Tag, an dem er Kaminari das erste Mal begegnet ist...


Keuchend rennt Shinsou die Straße hinunter. Starker Regen prasselt auf seine eh schon durchnässte Kapuzenjacke ein. An seinem grauen Shirt klebt das Blut eines Katers, welchen er zuvor von der Straße auflas. Shinsou hat mitangesehen, wie der Kater von einem Auto erfasst wurde.

Der Violetthaarige drückt das Fellknäuel näher an seine Brust, in der Hoffnung, ihm ein wenig mehr Wärme spenden zu können.

Noch bewegt sich der Kater.

Noch ist das leise Klagen zu hören.

Noch kann Shinsou ihn retten!

Der Violetthaarige muss nur einen Tierarzt oder sowas finden. Das ist jedoch leichter gesagt, als getan, denn es ist bereits spät am Abend und alle in Frage kommenden Geschäfte haben schon geschlossen. Wenn er doch wenigstens in einem Stadtteil wäre, den er kennt! Verdammt! Hastig blickt er von einem Gebäude zum nächsten. Irgendwo muss er doch den verletzten Kater versorgen können!

Abgelenkt von der nervenaufreibenden Suche, achtet Shinsou jedoch nicht auf seinen Weg und rutscht auf dem nassen Gehweg aus. Er gleitet ein Stückchen über das Wasser, bevor er, mit dem Gesicht voraus, auf dem Asphalt landet, die Arme immernoch schützend um den Kater gelegt. Dabei schürft er sich die Haut über seinem linken Auge auf. Shinsou zischt vor Schmerzen, zieht sich jedoch schnell die Kapuze tief ins Gesicht, damit zumindest der stürmische Regen nicht gegen die Wunde peitscht. Daraufhin öffnet er vorsichtig den Reißverschluss seiner Jacke um ein paar Zentimeter, damit er nach dem Kater sehen kann. Shinsou legt seine Hand vorsichtig auf das blonde Fell mit dem schwarzen Blitzmuster, um darüber zu streicheln. Zu seinem Glück reagiert der Kater, indem er sich näher an Shinsou presst. Der Violetthaarige atmet erleichtert aus,  bevor er sich die Zeit nimmt, um langsam wieder aufzustehen. Er nutzt den Moment der Ruhe, um sich die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite anzusehen. Dann endlich landet sein Blick auf den weiß-roten Buchstaben, die sich über dem großen Fenster befinden, auf dem lauter Katzenpfoten abgebildet sind: "Cat Café Bakugou"

Shinsou kann sein Glück kaum fassen, als er dort auch noch Licht brennen sieht! Schnellen Schrittes geht er auf das Gebäude zu. An der Türe steht zwar "geschlossen", aber im Inneren kann Shinsou jemanden sehen, der am Tresen sitzt und eine Zeitschrift liest. Besagte Person fällt erschrocken vom Stuhl, als Shinsou gegen die Eingangstüre klopft. Ein paar Sekunden später steht der blonde Mann wieder auf und öffnet die Türe. Auf seinem Namensschild steht "Kaminari" geschrieben. Bevor der offensichtlich verwirrte Kaminari fragen kann, was der Violetthaarige um diese Uhrzeit im Café will, streckt Shinsou ihm den verletzten Kater entgegen, den er zuvor kurzerhand aus der Jacke befreit hat. Der Gesichtsausdruck des Blonden wird schlagartig weich. Sorge spiegelt sich in seinem Blick wider, als er Shinsou vorsichtig den Kater abnimmt. Leise sagt er: "Du kannst dich hier irgendwo hinsetzen und warten. Ich brauch nicht lange." Daraufhin verschwindet er mit dem Fellknäuel.

Shinsou sieht noch dabei zu, wie die Tür zu den hinteren Zimmern ins Schloss fällt, bevor er erleichtert die Schultern sinken lässt. Daraufhin sieht er sich nach den Toiletten um. Schließlich sollte er die Wunde in seinem Gesicht reinigen, bevor sie sich entzündet. Als er die Tür zu den Toiletten findet, muss er jedoch relativ schnell feststellen, dass diese abgeschlossen ist. Fuck. Nach Ladenschluss war aber auch echt nichts anderes zu erwarten. Für die Mitarbeiter gibt es schließlich extra Klos.

Seufzend lässt sich Shinsou auf einem Holzstuhl nieder, der an einem kleinen Tisch steht. Dann lässt er seinen Blick über den Raum gleiten. Fast die komplette Möbelierung ist aus Holz. Die Farben sind größtenteils in Rot und Weiß gehalten. Die Sitzkissen in den Ecken geben dem Ganzen eine gemütliche Atmosphäre. Des Weiteren sind an den Wänden Klettermöglichkeiten für die Katzen und Kater, sowie Höhlen. Mit einem Lächeln im Gesicht malt sich Shinsou aus, wie es zu den Öffnungszeiten im Cat Café Bakugou aussehen könnte. Vor seinem inneren Auge sieht er lauter glückliche Gäste und viele süße Katzen und Kater durch die Gegend flitzen oder faul herumliegen.

Seine Gedanken wandern daraufhin zu Kaminari. Er kommt Shinsou symphatisch rüber. Obwohl der Blonde gähnte, bevor er dem Violetthaarigen die Tür öffnete, war er dann doch so voller Energie, als er sah, in welchem Zustand sich der Kater befand. Shinsou bewundert, wie sanft Kaminari den Kater anhob und wie zielstrebig er ihn nach Hinten brachte. Als wüsste er genau, was er tut. Natürlich war das irgendwie zu erwarten. Schließlich arbeitet Kaminari in einem Cat Café. Trotzdem hat Shinsou einfach ein gutes Gefühl bei der Sache, als würde er genau wissen, dass es sich gelohnt hat, auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf die Schnauze zu fliegen.

Bevor Shinsou seine Gedanken weiter ausführen kann, öffnet sich die Hintertüre wieder. Rasch steht der Violetthaarige auf. Die Wunde an seiner Stirn klebt höchstwahrscheinlich schon an der Kapuze fest und Shinsous nassen Klamotten schmiegen sich ekelhaft an seinen kalten Körper. Morgen wird er bestimmt eine Erkältung haben. Aber gerade im Moment ist ihm warm ums Herz. Kaminari hält nämlich lächelnd den Kater in einer weichen Decke. Seine goldenen Augen blicken liebevoll auf das blond-schwarze Wollknäuel in seinen Armen. Als Shinsou den beiden näherkommt, kann er sehen, dass die Verletzung versorgt wurde und der Kater nun entspannt da liegt. Der kleine Körper hebt und senkt sich in einem ruhigen und gleichmäßigen Rhythmus. Den Blick immernoch auf das Tier gerichtet, sagt Kaminari leise: "Keine Sorge. Wir hatten alles da, um ihn versorgen zu können. Unser Boss, dieser verrückte Kerl, hat darauf bestanden, dass in unserem Krankenzimmer selbst ein kleines Röntgengerät steht. Gefühlt haben wir eine ganze Praxis hier im Gebäude." Kaminari kichert.

"Willst du ihn streicheln?" Diese Frage richtet sich an Shinsou, der nun dankbar die Hand ausstreckt. Doch als er das weiche Fell berührt, bekommt er einen kleinen Stromschlag zugefügt. Er zieht erschrocken die Finger weg. Kaminari kichert wieder. "Das kleine Kerlchen scheint richtig aufgeladen zu sein. Es hat mich während der Behandlung auch ein paar Mal erwischt. Daher hab ich mir überlegt, ihn Chargebolt zu nennen." Shinsou nickt zustimmend. Der Name passt auch zu dem Blitzmuster im Fell. 

Als Kaminari sieht, wie Shinsous Finger dabei zögern, den Kater wieder zu berühren, schnappt er sich geschwind die Hand des Violetthaarigen und platziert sie auf dem warmen Körper. Nun liegt jeweils eine Hand der beiden Männer auf dem Kater. Als Kaminari dann vorsichtig durch das Fell streichelt, stimmt Shinsou bald darauf mit ein. Zuvor hatte er Angst, dass die Berührung eventuell unangenehm für den Kater sein könnte, aber er lag falsch. Denn Chargebolt scheint es richtig gut zu gehen. Er schnurrt sogar unter den sanften Streicheleinheiten der beiden Menschen. 

Diese Szene hält noch eine Weile an. Keiner sagt etwas. Nur das wohltuende Schnurren des Katers ist zu hören. Shinsou hat seinen Blick jedoch schon längst von dem Wollknäuel genommen. Seine violetten Augen kleben nämlich an dem sanften Lächeln des Blonden.


Shinsou weiß nicht mehr genau, was danach passiert ist. Er erinnert sich lediglich daran, wie sein Herz jedes mal einen Sprung gemacht hat, wenn seine und Kaminaris Finger sich berührten. Außerdem blieb ihm Chargebolts Schnurren im Gedächtnis. Es war ruhig und angenehm und gab Shinsou alle Zeit der Welt, um sich Kaminaris Gesichtszüge einzuprägen.

In der Nähe schlägt ein Blitz ein, wodurch der Violetthaarige wieder zu Sinnen kommt. Kaminari sieht ihn immernoch verwirrt von der Seite an. "Sag schon, wo wir uns vorher begegnet sein sollen! Ich bin mir so sicher, dass es an diesem sonnigen Nachmittag vor dem Café gewesen sein muss!"

Shinsou drückt Kaminaris Hand, die er immernoch hält, fester. Er ist sich unsicher darüber, was er dem Blonden sagen soll. Schließlich war seine erste Begegnung mit ihm etwas ganz Besonderes für den Violetthaarigen. Irgendwie hat er Angst davor, dass Kaminari diesen Moment, als die beiden den Kater streichelten, ganz anders empfunden hat, als Shinsou. Fuck. Wieso zieht sich sein Herz so zusammen, bei dem Gedanken daran, dass dem Blonden dieser besondere Abend eventuell nichts bedeutet oder er sich vielleicht sogar nicht mehr richtig daran erinnert? Plötzlich hat der Violetthaarige Angst davor, verletzt zu werden. Würde er sich besser fühlen, diese Erinnerungen alle für sich zu behalten?

Shinsou seufzt. Es würde sowieso nichts bringen, es Kaminari nicht zu sagen. Der Blonde würde keine Ruhe mehr geben, bis er die Wahrheit erfährt. Also atmet Shinsou einmal tief durch. "An dem Tag, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind, hat es in Strömen geregnet. Es war spät am Abend. Ich stand mit einem verletzten Kater vor dem Cat Café Bakugou. Du hast die Tür aufgemacht und dich sofort um den Kater gekümmert. Weil du während der Behandlung ein paar kleine Stromschläge abbekommen hast, gabst du ihm den Namen "Chargebolt". Erinnerst du dich?"

Kaminari antwortet nicht. Überrascht sieht Shinsou ihn an. Kaminaris Gesicht ist knallrot und er guckt auf den Boden. Er drückt Shinsous Hand ebenfalls fester, bevor er leise spricht: "Dieser Typ, der damals Chargebolt gebracht hat... das warst also... du."

Shinsou nickt, ebenfalls rot im Gesicht. Mit dieser Reaktion hat er echt nicht gerechnet. Plötzlich wird ihm ganz flau im Magen.

Fuck.

Kaminari ist echt bewundernswert.


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