3

Wärme bannt sich einen Weg durch meinen gefrorenen Körper. Langsam taut mein Körper wieder auf und ich bewege meine Füße. Meine Augen öffnen sich träge, obwohl meine Augenlieder heftig dagegen protestieren und am liebsten wieder zugefallen wären, um mich zum Schlafen zu zwingen. Vor meinen Augen entdecke ich tanzende Flammen, die mit ihren Zungen nach Sauerstoff lechzen. Auf einmal bekomme ich Angst.

Feuer!

Gerade als ich versuchen will instinktiv aufzustehen und davonzurennen, bemerke ich, dass ich in lauter Decken gewickelt auf einer Matratze auf dem Boden liege. Um mich herum liegen ein paar Kissen, die in schwarz-weiß karierten oder roten Kissenbezügen stecken. Die Decke, die einmal um mich geschlungen ist, ist dick und hält mich schön warm. Mein Blick schweift durch das Zimmer, in dem ich liege, und es sieht richtig gemütlich aus. Die Angst von eben ist wie weggeblasen, weil ein anderes Gefühl sich den Platz nimmt. Das Zimmer ist zwar größtenteils schwarz und grau eingerichtet, aber die braunen Akzente geben dem Raum Wärme. Der Boden besteht aus dunkelbraunen Parkett und die Regale haben einen ähnlichen Ton.

Ich hätte mich gerne noch genauer umgesehen, aber als ich hinter mich schaue, erblicke ich einen Kerl, der gerade das Zimmer betritt. Seine verwuschelten Haare haben ein dunkles Braun wie der Parkettboden und sein markantes Kiefer passt einfach perfekt zu seinem Gesicht. Seine hellgrauen Augen stechen sofort heraus und schauen direkt in meine Augen. Ich kann seinen Blick nicht genau deuten, aber ihn scheint es irgendwie zu interessieren, wer ich bin.

Fast hätte ich es glatt vergessen. Vielleicht ist er einer dieser Typen, die mich entführt haben. Schnell befreie ich mich aus der Decke, unter der ich mich eigentlich für den Rest des Lebens verkrochen hätte. Verängstigt gehe ich rückwärts, bis mich die Wand im Rücken aufhält und ich gegen meinen Willen hier festsitze.

Der Kerl ist einen Kopf größer als ich, was mich schon ein wenig einschüchtert, wenn man bedenkt, was bisher so passiert ist. Der Unbekannte steckt seine Hände in die Taschen seiner schwarzen Reißverschlussjacke und seufzt kurz. Für einen Moment lässt er seine Augen über meinen Körper wandern, wodurch die Röte mir ohne eine Sekunde zu zögern ins Gesicht schießt. Das ist mir gerade echt unangenehm. Ich fühle mich klein und auf einmal strahlt das Zimmer nicht mehr diese wohlige Wärme aus, die mich hier empfangen hat.

Eine blonde Haarsträhne fällt mir ins Gesicht. Automatisch streiche ich sie hinter mein Ohr. Ein unbehagliches Gefühl macht sich in mir breit und ich verschränke meine Arme schützend vor der Brust. Könnte er nicht irgendetwas sagen? Es wäre mir lieber, wenn er mit mir reden würde statt mich bloß anzustarren. Als ich zu ihm aufschaue, erkenne ich Mitleid und Sorge.

»Komm mit. Wir müssen dir erst mal etwas zum Anziehen finden. « Seine Stimme ich schön tief und freundlich. Ich schaue auf meine Kleidung und bemerke, dass ich immer noch meine Schlafsachen trage. Bei diesen vielen neuen Eindrücken habe ich ganz vergessen, dass ich hier nur gelandet bin, weil ich entführt, geflohen und schließlich im Schnee eingeschlafen bin.

Der Unbekannte wartet geduldig darauf, dass ich einen Schritt in seine Richtung mache und ihm folge. Zögernd und mit gekreuzten Armen vor der Brust folge ich ihm in ein Schlafzimmer, das vermutlich ihm gehört. Ein Schreibtisch steht neben einem großen Schrank aus dunklem Holz. Das Bett, das den größten Teil des Zimmers einnimmt, ist riesig im Gegensatz zu dem, das ich im Forschungszentrum habe.

Das Forschungszentrum...

Wie es wohl Blake und Dr. Millers geht? Was sie wohl gerade alles unternehmen, um mich zu finden.

»Hier.« Unterbricht mich die Stimme des Fremden. »Du kannst einen Hoodie von mir anziehen und eine Jogginghose. Die Sachen könnten dir vielleicht ein bisschen zu groß sein, aber das passt bestimmt fürs erste. « Er reicht mir eine schwarze Jogginghose, einen mir viel zu großen dunkelroten Hoodie und flauschige Socken. Ich vermisse meine coolen flauschigen Socken mit den unterschiedlichen Mustern. Die sind aber auch nicht schlecht, weil da Rentiere abgebildet sind.

»Du kannst auch duschen gehen, wenn du willst. Und wenn du dich umgezogen hast, kommst du bitte wieder zurück in das Wohnzimmer. Okay?« Wohnzimmer heißt also der Raum, in dem ich aufgewacht bin. Er wartet ruhig auf meine Antwort und drängt mich nicht etwas zu sagen. Leider kann ich nichts außer einem Nicken zu Stande bringen.

»Okay. Solange mache ich uns etwas Schnelles zu essen. « Mit diesen Worten schaut er mich ein letztes Mal an, bevor er das Schlafzimmer verlässt.

Ich gehe zu der Tür, auf die er gedeutet hat und betrete ein kleines, aber trotzdem sehr geräumiges Badezimmer. Die Kleidung lege ich auf den geschlossenen Klodeckel. Ich schäle mich aus meinen Klamotten und steige in die Badewanne, die auch gleichzeitig eine Dusche ist. Den hellblauen Duschvorhang mit weißen Streifen ziehe ich zu, damit der Fußboden nicht unnötig nass wird. Als ich das warme Wasser auf mich niederprasselt, breitet sich ein wohliger Schauer auf meinem Körper aus. Für einen Moment scheinen meine ganzen Sorgen und Ängste mit dem Wasser im Abfluss zu verschwinden.

Nachdem ich mich geduscht habe, ziehe ich mir die frische Kleidung an, die einen sehr angenehmen herben Geruch hat. Der Hoodie ist mir eindeutig zu groß, aber super weich und kuschelig. Bei der Jogginghose muss ich an den Schnüren ziehen und sie zusammenknoten, damit mir die Hose nicht von meinen schmalen Hüften rutsch.

Ich wische mit der rechten Hand über den beschlagenen Spiegel. Der Anblick erfreut mich jetzt nicht wirklich, weil ich aussehe wie ein Panda. Nichts gegen Pandas. Pandas sehen super süß aus. Was soll's, dann sehe ich eben so aus. Ich bin froh, dass ich überhaupt noch lebe und nicht tot begraben unter einer Schneeschicht liege. Ich lebe, weil mich ein Fremder gerettet hat. Und genau dieser Fremde wartet jetzt in diesem Wohnzimmer auf mich. Was soll ich denn bloß machen? Er wird bestimmt fragen, was passiert ist und wer ich bin. Wie soll ich ihm das alles erklären? Vor allem wo soll ich als nächstes hin? Ich weiß nicht, wo ich mich befinde und wie ich zurück zu Blake komme. Was ist, wenn mich diese Irren suchen? Es sind viel zu viele Fragen, die ich nicht beantworten kann. Ganz ruhig bleiben. Mir wird schon etwas einfallen.

»Ist alles gut bei dir? « Ich bin schon wieder so tief in Gedanken versunken.

Langsam öffne ich die Badezimmertür und direkt vor mir steht der Unbekannte. Einen Moment lang sagt niemand von uns etwas.

»Ich habe Tee gemacht und Schinkensandwiches. « Einer seiner Mundwinkel hebt sich ein wenig und seine Augen strahlen Wärme aus.

»Klingt gut. Danke. « Ich erwidere sein leichtes Lächeln und wir machen uns auf den Weg ins Wohnzimmer.

Im Wohnzimmer setze ich mich auf die schwarze Couch, auf der die Kissen liegen, die davor auf dem Boden gelegen haben. Die Matratze ist spurlos verschwunden und es sieht so aus, als wäre hier nie etwas gewesen. Auf dem kleinen Tisch vor der Couch entdecke ich wie dunkelrote Tassen mit weißen Schneeflocken drauf. Daneben steht ein Teller mit Sandwiches, die meinen Magen grummeln lassen.

»Fühl dich wie zu Hause. Ich bin übrigens Will«, stellt er sich vor und lässt sich neben mich auf die Couch fallen.

»Ich bin Lia. « Will muss nicht unbedingt meinen ganzen Namen erfahren. Ich persönlich mag den Namen Liora eher weniger. Er klingt so protzig und viel zu ernst. Mein Spitzname ist dafür locker und nicht so aufgesetzt.

Ich greife nach einem Schinkensandwich und beiße erst mal ordentlich rein. Das schmeckt so gut. Noch nie in meinem Leben habe ich ein so leckeres Sandwich gegessen.

»Die schmecken echt klasse«, sage ich mit vollem Mund.

»Danke. « Ich schaue zu Will, der mich fragend ansieht. »Warum warst du nachts in der Eiseskälte und dazu auch noch im Pyjama draußen? Ist irgendetwas passiert? Sollte ich mir Sorgen darüber machen, wen ich hier eigentlich ins Haus gelassen habe? «

Früher oder später hätte er mich das sowieso gefragt, aber das macht es mir gerade nicht leichter. Ich kann ihm schlecht die Wahrheit sagen. Wir kennen uns gerade mal eine Stunde, wenn nicht sogar weniger.

»Will...Ich bin dir sehr dankbar, dass du mein Leben gerettet hast und für die köstlichen Sandwiches, aber ich muss gehen. « Das gehört auf jeden Fall auf die Liste der miserabelsten Sätze, die ich je benutzt habe, um eine Antwort auf die Frage zu umgehen. Ich könnte mich dafür echt selber schlagen.

Wills Augen verengen sich zu Schlitzen und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine Falte. Er bleibt stumm und regungslos sitzen. Erst als ich mich von der Couch erhebe, greift er nach meiner Hand. Mein Herz setzt einen Schlag aus. Das kommt jetzt unerwartet. Ich drehe mich zu ihm und sehe wie verwirrt er ist. Bei seinem eingehenden Blick wird mir trotz der warmen Kleidung ganz kalt.

»Warum? «, fragt er mich verständnislos. »Warum tust du das? «

Ich bin verwirrt. Mir fehlen gerade echt die Worte. Mein Gehirn kommt gerade nicht hinterher. Wills Griff um meine Hand wird stärker und sein intensiver Blick lässt nicht von mir los. Wir schauen uns wortlos an, bis sich plötzlich ein unbeschreibliches Gefühl in mir ausbreitet.

Was passiert hier?

Mir kommt alles so fürchterlich bekannt vor, aber ich weiß nicht genau was es ist. Höllische Schmerzen überkommen mich und ich entreiße mich aus Wills Griff. Seine Mundwinkel zucken ein wenig, was mich wieder einmal sprachlos macht. Er amüsiert sich, während er mich in die Irre führt und mir weh tut. Wer und was ist er?

»Fass mich nie wieder an«, fauche ich und berühre mein Handgelenk.

»Hatte ich auch nicht vor, Kätzchen. « Ein dickes Grinsen macht sich in seinem Gesicht breit, was mich wahnsinnig macht.

»Nenn mich nicht so! «, protestiere ich, was Will bloß zum Lachen bringt. »Ich gehe jetzt! « Mit diesen Worte drehe ich mich um ohne Will eines weiteren Blickes zu würdigen.

»Dann gehe doch. Erwarte nur nicht von mir, dass ich dir hinterher laufen werde, um dich ein weiteres Mal vor dem erfrieren zu retten. « Seiner Stimme kann ich entnehmen, dass er wieder todesernst. Dieser Kerl kann mich mal. Zuerst ist er nett und dann ist er das größte Arschloch, das die Welt je gesehen hat.

»Als ob ich irgendetwas von dir erwarte. Träum weiter du arroganter Arsch«, fauche ich ihn wieder an und öffne die Eingangstür. Kalter Wind weht mir entgegen, was mich jedoch nicht von meinem Plan abbringt.

»Mach ich, Kätzchen. « Ich schaue ihn ein letztes Mal und er wendet sich genau in dem Moment grinsend von mir ab. »Vergiss nicht die Tür hinter dir zu schließen. «

Wütend knalle ich die Tür hinter mir zu und begebe mich wieder zurück in den Wald aus dem ich gekommen bin.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top