Suboptimal

Intermedium – Tag 272


„Hast du sie noch alle? Bitte, sag mir, dass du diesen Scheiß nicht ernst meinst!"

„Ich bin mindestens genauso wenig davon begeistert wie du, glaub mir. Aber ich denke, dass du zurzeit viele Dinge mit dir rumschleppst..."

„Da ist nichts, worüber man reden muss!"

„Doch, ich denke schon. Irgendetwas ist doch passiert... Seit dem Halbjahr sind es bestimmt schon fünf Verwarnungen! Vielleicht ist der Kampfsport doch nicht..."

„Verbiete mir nicht das Training, bitte! Ich brauche das!"

„Wenn du deswegen allerdings anfängst..."

„Das liegt nicht daran, das liegt an...!"

„An was?"

„Nichts, ist egal."

„Also doch mal zu Herr... Wie heißt er gleich?"

„Wenn ich dahin gehe, denken alle ich wäre... verrückt. Oder schwach. Oder dass ich einfach Aufmerksamkeit will. Er hat selber voll einen an der Klatsche! Neulich erst hat er... Jedenfalls wird mir das bestimmt nicht helfen!"

„Dann rede doch mit mir, du kannst mir wirklich alles sagen. Du glaubst gar nicht, wie hilfreich es sein kann, über etwas zu sprechen. Im Nachhinein geht's einem meistens viel besser! Wenn du es mir nicht sagen willst, ist es völlig in Ordnung, aber dann geh bitte zu jemand anderem."

„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es da nichts zu bereden gibt?!"

„Du kannst mir unmöglich weißmachen, dass du dein Verhalten in letzter Zeit als normal bezeichnen würdest, oder?"

„... In Ordnung, ich gehe mal zu ihm. Aber nur damit du aufhörst, mich zu nerven. Damit alle aufhören, mich zu nerven. Ich kann's echt nicht mehr hören!"



Kapitel 34 – Suboptimal


„Verstehe... Ein weiterer Reinfall also", fasste Erwin zusammen, nachdem er Levis mündlichen Bericht angehört und Hanjis schriftlichen Verlauf der Experimente überflogen hatte. Die Sonne war bereits untergegangen und er und der schwarzhaarige Kapitän befanden sich in Trost in Erwins Zimmer. Überall waren Bücher aufgestapelt, sogar auf dem Bett des Kommandanten. Levi war froh gewesen, noch auf einem Stuhl Platz zu finden.

Beide trugen sie Zivil, da sie sich offiziell von ihren jeweiligen Verletzungen erholten. Dass Levi eigentlich zusammen mit Hanji Erens Verhärtungsexperimente beaufsichtigte, hatten sie bis jetzt geheim halten können.

Über genau diese Experimente ging es gerade. Sie hatten vor einer Woche begonnen und es war keinerlei Fortschritt festzustellen. Verwandelte Eren sich mehrmals nacheinander, wurde sein Riese mit Mal zu Mal kleiner und instabiler und die Verwandlung wurde stets unvollständiger. Eine Verbesserung lag nicht in Sicht und ihnen rannte die Zeit davon.

„Wenn der Plan funktioniert hätte, hätten wir das Loch in Shiganshina in weniger als einem Tag schließen können", meinte Erwin und schaffte es, den Großteil seiner Enttäuschung zu verbergen.

Levi verstand ihn gut. Der Plan war strategisch klug: Anstatt dass sie tonnenweise Material zu besagtem Außenbezirk transportieren mussten, war Eren lediglich das Einzige, was sie zu eskortieren hatten. Aber anscheinend sollte es wohl doch nicht so sein.

„Das liegt daran, dass uns Informationen fehlen", legte Levi die Karten auf den Tisch. „Es würde vermutlich anders aussehen, wenn es ein Buch über die Verhärtungsfähigkeit geben würde. Aber wir haben Historia Reiss... Vielleicht lernen wir durch sie etwas über die Mauer?"

Erwin blickte aus dem Fenster. „Ich hab den ganzen Bericht über ihre Kindheit gelesen. Sie ist die uneheliche Tochter von Lord Reiss und es ist keineswegs eine glückliche Geschichte." Bei diesen Worten senkte sich seine Stimme kurz vor Betroffenheit. Da nur Levi anwesend war und es sich hierbei eher um ein Gespräch zwischen Freunden handelte, die sich auf den neusten Stand brachten, wusste er, dass es sich hierbei um ehrliches Mitleid handelte. „Dennoch ist das wahre Rätsel hier, warum ein einfacher Landesherr um das Geheimnis der Mauern Bescheid weiß."

Levi erwiderte nichts darauf. Er hatte auch keine Antwort. Es gab so vieles, das sie nicht wussten, und mit jedem Geheimnis, das sie lüfteten, taten sich nur noch mehr Fragen auf.

„Wie läuft es bei der anderen Versuchsreihe?", erkundigte Erwin sich. Levi merkte, dass er wohl versuchte, sich nicht um Erens Unfähigkeit, sich zu verhärten, zu ärgern.

„Ähnlich erfolgreich", teilte Levi nüchtern mit. „Die Nervensäge kapiert nur sehr langsam, wie wichtig es für sie ist, vorbereitet zu sein. Sie lernt nicht schnell, beklagt sich viel." Motte war für heute bereits aufgewacht, andernfalls hätte er jetzt reichlich Protest an den Kopf geworfen bekommen. „Aber sie überlegt sich, in ihrer Welt Unterricht in Kampfsport zu nehmen. Vielleicht bringt das etwas."

Erwin lächelte leicht. „Immerhin scheint sie einen eisernen Willen zu haben." Eine nette Umschreibung für ‚grenzlosen Dickkopf', befand Levi. „Hat Hanji schon etwas herausfinden können?", fragte Erwin nach.

„Nicht wirklich", gab Levi gleichgültig zu. „Motte kann in dieser Welt leben, aber nicht lange. Abgesehen davon, dass sie irgendwann mal natürlicherweise aufwacht, kann sie hier essen oder trinken, aber nur, wenn sie einen Körper hat. Es geht, aber sie bekommt Dünnschiss, und wenn sie zu lange manifestiert ist, Kopfschmerzen. Wenn sie trotzdem weitermacht, beginnt ihre Nase zu bluten und sie wird vermutlich ohnmächtig." Der letzte Teil blieb eine Vermutung, weil Levi es nicht so weit hatte kommen lassen. Manchmal vergaß Hanji in ihren Hochgefühlen der Experimente ihre Menschlichkeit und es blieb an allen anderen hängen, sie wieder zurückzuholen. Nach dem Manifestationszeit-Test hatte Levi darauf bestanden, dass Moblit, Hanjis Stellvertreter in ihrer Einheit, immer zu den Versuchen mit Motte mitging, um klarzustellen, dass das Vierauge die Nervensäge nicht über ihre Grenzen hinaustrieb. Moblit war so etwas wie Hanjis personifizierte Stimme der Vernunft.

Levi holte sich aus seinem kurzen Erinnerungstrip zurück und ergänzte: „Hanji hat es so formuliert: Ihr Körper weiß anscheinend, dass sie nicht hierher gehört, sie kommt aber trotzdem jede Nacht." Und das beschrieb den Charakter der Nervensäge eigentlich perfekt. „Wie sie es tut oder warum nur ich sie immer sehen und hören kann, ist weiterhin unklar. Da es keine anderen bekannten Fälle gibt, kann man auch niemanden nachfragen."

Erwin nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.


„Was?", fragte Levi für seine sonst ruhige Tonlage erstaunlich energisch. Es war später Nachmittag, das Gespräch mit Erwin in Trost war zwei Tage her, und er und seine Einheit waren versammelt worden, weil Hanji eine Nachricht zu überbringen hatte.

Sie blickte betroffen zu Boden und wiederholte ihre Worte von gerade. „Priester Nick... ist tot. Er ist umgebracht worden. Diesen Morgen. In den Barracken von Trost."

Daraufhin zuckten alle zusammen oder schnappten erstaunt nach Luft, manche mehr, manche weniger. Sogar Motte, die neben Levi etwa einen halben Meter über dem Boden schwebte, erschrak sich. Der Schwarzhaarige war der einzige, der sich nicht irritieren ließ und seinen Blick auf Hanji gerichtet hielt. Schnell dachte er nach. Sie hatten Nick bereits bezüglich der Mauer befragt. Vielleicht hatte jemand das gleiche Interesse, war nur etwas brutaler vorgegangen. Vielleicht wollte aber auch dieser Jemand genau das Gegenteil erzielen und dafür sorgen, dass Nick nichts mehr ausplaudern würde können. Schade, eigentlich, sie hatten den Priester immerhin ein wenig redseliger machen können. Möglicherweise wäre es ihnen sogar gelungen, nach und nach mehr zu erfahren. Sie waren sich ja nicht einmal sicher was genau Nick alles gewusst hatte...

Auf einmal wurde es in Levis Kopf plötzlich ganz ruhig. Wo zuvor noch ein heftiges Chaos gestürmt hatte, war jetzt eine stille Leere, in der ein einziger Gedanke übriggeblieben war. Dieser wuchs und wuchs und wuchs, bis Levi vollkommen davon eingenommen war. Es war ein verdammt unwichtiger Gedanke, doch momentan stresste er ihn irrsinnig. Es ging um eine Möglichkeit, weswegen Nick umgebracht worden war. Was er vor seinem Tod noch hätte erzählen können. In Levi krampfte sich alles zusammen.

Kurzerhand beschloss er das zu tun, was er immer tat, wenn er aufgebracht war: Er kochte Tee. Er sagte Hanji und den anderen, dass sie sich setzen sollten, während die Einheitsführerin erzählte, was geschehen war. Sie berichtete, wie sie und Moblit den offensichtlich gefolterten Nick gefunden hatten und zwei Soldaten der Ersten Zentralbrigade der Militärpolizei bereits vor Ort gewesen waren, wie Hanji sie indirekt befragt hatte, welche Schlussfolgerungen sie daraus zog. Levi hörte nur mit halbem Ohr zu. Er war froh, etwas zu tun zu haben, während seine Gedankensturm wieder nachlassen konnte. Als der Tee fertig war und er sich zu den anderen setzte, hatte er sich soweit wieder beruhigt, um diagnostizieren zu können, dass er vor wenigen Minuten vermutlich eine Art Panikattacke erlitten hatte. Sehr untypisch für ihn. Normalerweise ließ er sich nie leicht aus der Fassung bringen. Dennoch war es noch nicht vorbei. Seine innere Anspannung bestand, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Motte schwebte neben ihm.

„Ich dachte mir, dass die Kirche mit Nick reden wollte, da er immerhin mit der Aufklärungslegion kooperiert hatte. Deswegen habe ich seine Identität verschleiert und ihn dazu gebracht, in den Barracken zu bleiben, aber... dass sie Soldaten benutzen würden, um ihn zu töten..." Denn genau das war Hanjis Vermutung. Sie meinte, die zwei Soldaten der Zentralbrigade hatten Verletzungen an den Händen gehabt. Deswegen glaubte sie, dass diese beiden Nick gefoltert und umgebracht hatten. Bestürzt senkte sie ihren Blick. „Ich war zu leichtsinnig. Es ist meine Schuld."

Daraufhin herrschte betroffene Stille. Weder Levis Einheit noch Hanjis sprachen ein Wort. Sogar Motte hielt ausnahmsweise ihren Mund. Für Levi sollte es eigentlich ein Segen sein, doch momentan fand er die Ruhe kaum erträglich. Dieser Gedanke nagte immer noch an seinem Bewusstsein. Er wusste, wie irrational es war, davon so eingenommen zu sein, dass Nicks Tod viel größere Probleme bringen könnte, aber er konnte es einfach nicht abschalten.

Die linke Hand hatte er locker über die Stuhllehne gehängt, die rechte führte er nun in aller Gelassenheit, wie er es sonst auch tat, zu seiner Teetasse und hob sie an seine Lippen.

Armin schien ein schrecklicher Gedanke zu kommen. „Die Militärpolizei... Haben sie Nick etwa nur gefoltert, um herauszufinden, welche Informationen er uns gegeben hat?"

Gut möglich, dachte sich Levi. „Sehr wahrscheinlich", bekannte er und setzte seine Tasse wieder ab. „Aber es war die Zentralbrigade, was bedeutet, dass noch mehr dahintersteckt."

Deswegen war er so nervös. Was würde die Militärpolizei von Nick wollen? Vielleicht, vielleicht hatten sie möglicherweise Wind davon bekommen, dass sich ein sehr seltsames Mädchen in der Aufklärungslegion befand. Aber was hätte Nick schon großartig über Motte sagen können? Was könnte die Militärpolizei mit diesen Informationen anfangen? Wieso würden sie ausgerechnet zu einem Priester dafür gehen? Es machte wenig Sinn und trotzdem konnte Levi gerade an nichts anderes denken.

Er wandte sich an Hanji: „Wie viele Fingernägel sind Nick gezogen worden?"

Sie merkte überrascht auf.

„Du hast doch gesagt, dass du gesehen hast, dass ihm die Fingernägel gezogen worden sind", erinnerte Levi sie an die Berichtserstattung vor wenigen Momenten, während er den Tee gekocht hatte. Ungeduld machte sich in ihm breit und er meinte, versehentlich etwas davon durchsickern zu lassen. „Wie viele waren es?"

„Ich habe nur einen kurzen Blick auf ihn werfen können", gestand Hanji. „Aber soweit ich es sehen konnte, waren es alle Nägel."

Das war der Satz, den Levi gebraucht hatte. Mit einem Mal fiel seine Anspannung so plötzlich von ihm ab, wie sie gekommen war, während Erleichterung ihn durchflutete. Mit deutlich leichterem Herzen erklärte er: „Menschen, die plaudern, tun das schon nach nur einem Nagel. Tun sie's nicht, macht es auch keinen Unterschied, ob noch mehr gezogen werden."

„Auf welcher Tarantel bist du denn bis eben gesessen?", murmelte Motte ihm zu, auch wenn nur er sie hören konnte. Das überraschte ihn schon etwas. Ihm war klar, dass er sein Pokerface nahezu perfektioniert hatte und trotzdem war dem Mädchen aufgefallen, dass er bis vor wenigen Sekunden unruhig gewesen war. Tatsächlich fühlte er sich leicht ertappt und wandte sich ihr zu, ohne jedoch ihre Frage zu beantworten. Die anderen ignorierten sein Verhalten, sie hatten sich in der einen Woche mehr oder weniger daran gewöhnt, dass ihr Kapitän einen mehr oder weniger unsichtbaren Schatten in Begleitung hatte.

„Priester Nick...", setzte er fort. Nun, da er wieder klarer denken konnte, wurde ihm erst bewusst, was das bedeutete, und er richtete seinen nachdenklichen Blick wieder zu seinem Tee. „Ich dachte, er wäre ein Idiot, aber er hat sich nicht von seinem Glauben abgewandt, bis ganz zum Schluss."

Er merkte, wie Hanji begann zu zittern. Sie verspürte tiefste Schuld.

„In anderen Worten", meinte Levi ruhig – sowohl äußerlich als auch innerlich, „sie haben keine Ahnung, dass wir über die Reiss Familie Bescheid wissen. Trotzdem, jemand in der Regierung führt nichts Gutes im Schilde und ihr Augenmerk liegt jetzt auf uns."

Jemand betrat die Hütte. „Kapitän Levi!" Er merkte auf. Es war Nifa, sie stand unter Hanjis Kommando. Sie ging geradewegs auf ihn zu, wobei Motte ihr etwas ausweichen musste. Im Gegensatz zu Levi erschraken sich die anderen noch, wenn sie ihre brennende Kälte spürten. „Eine Nachricht von Kommandant Erwin." Nifa reichte ihm ein Blatt Papier. Levi las, während die junge Frau erklärte: „Ich bin zu ihm gegangen, um ihm von Priester Nick zu berichten, aber er hat mich mit dem hier weggeschickt."

Als er fertig war, verengten sich seine Augen. Die Anspannung kehrte zurück, aber sie war von anderer Natur. Diese hier war er gewohnt. „Alle raus! Wir brechen sofort auf!", befahl er und erhob sich sogleich. „Es darf nichts darauf hinweisen, dass wir hier gewesen sind."

Jeder merkte überrascht auf und Motte entwich ein leises „The fuck?"


Nicht mal eine Stunde später hatten sie zwischen sich und der Hütte mehrere hundert Meter gebracht. Sie befanden sich auf einer Erhöhung, weswegen sie gut sehen konnten, wie die Soldaten der Militärpolizei ihre kurze Bleibe stürmten und alles durchsuchten.

So schnell sie gekonnt hatten, hatten sie gepackt und alle Spuren verwischt. Nun trug jeder braune Mäntel über ihren Uniformen und war mit Rucksäcken und Gewehren ausgestattet. Nur Motte flog so umher, wie sie es immer tat. Als sie gefragt hatte, ob sie auch ein Gewehr bekam, hatte Levi sich gewundert, wie schlecht dieses Mädchen sich oder ihn manchmal einschätzen konnte. Durch seine Maske blicken können und trotzdem fragen, ob er ihr eine Waffe gab. War hoffentlich als Scherz gemeint. Allerdings hatte er es nicht lustig gefunden und sie nicht gelacht.

„Das war knapp", kommentierte Connie ihre Flucht. „Wenn wir nicht rechtzeitig entkommen wären, was wäre dann mit uns passiert?" Er und Armin blickten auf die Soldaten der Militärpolizei hinab, die im Licht der fast untergegangenen Sonne wie Ameisen umherwuselten. Lästige Insekten, schnaubte Levi innerlich.

„Aber warum?", fragte Armin sich. „Was würde Kommandant Erwin...?"

„Von der Regierung kamen neue Befehle", erklärte Levi, was Erwin ihm in der Nachricht geschrieben hatte. „Alle Aktivitäten der Aufklärungslegion außerhalb der Mauern sind eingestellt worden. Sie wollen, dass wir ihnen Eren und Historia ausliefern." Überrascht merkten alle Anwesenden auf. Erens Augen weiteten sich.

„Da ist noch etwas", meldete Nifa sich. „Kurz nachdem er mir die Nachricht gegeben hat, hat die Militärpolizei ihn mitgenommen."

„Sie behandeln ihn ja wie einen Verbrecher!", protestierte Hanji heftig.

„Sie arbeiten nicht mehr im Schatten", stellte Levi klar. „Jeder soll es mitkriegen."

Hanji knirschte mit den Zähnen. „So weit zu gehen, nur um die Geheimnisse der Mauern zu schützen... Und warum wollen sie Eren und Historia? Nicht, um sie zu töten, aber vielleicht, um sie sich eigen zu machen?", grübelte sie.

„Wer weiß?" Levi spuckte diese Worte schon fast aus. Diese Überlegungen widerten ihn an. „Was klar ist, ist, dass sie hinter den beiden her sind. Hier herumzulungern ist gefährlich..."

„Äh, ich glaub, mein Wecker klingelt gleich", warf Motte plötzlich erstaunlich schüchtern ein. Sie wusste, dass die Situation sehr angespannt war. „Wo werde ich dann morgen auftauchen?"

Levi wandte sich ihr zu und entschied: „Wir bringen Eren und Historia nach Trost." Diese Worte lösten Überraschung in allen aus. Sogar Motte fragte nach: „Willst du sie nicht lieber irgendwo verstecken, wo nicht so viele Menschen sind?" Nahezu gleichzeitig gab Moblit zu bedenken: „Warum? Dort ist Nick umgebracht worden." Die Nervensäge deutete nickend auf ihn: „Genau das meine i-..." Sie verschwand vor Levis Augen, ohne heute eine Antwort zu bekommen.

Er seufzte leise. Dann durfte er morgen alles nochmal wiedergeben. „Es ist schlimmer, sich zur inneren Mauer zu begeben", erklärte er den anderen und fand diesen Tatbestand eigentlich schon zu offensichtlich, um ihn näher erläutern zu müssen. „Bei dem Tumult in Trost sollte es einfach sein, hineinzugelangen. Und falls es nötig sein sollte, können wir in der Stadt die hier benutzen." Er schob seinen Umhang beiseite und präsentierte allen die Ausrüstung des 3D-Manövers, das sie sich trotz aller Eile noch angelegt hatten.

„Das stimmt", gestand Armin ein.

„Außerdem", setzte Levi fort, „befinden wir uns in einer schwierigen Lage, solange wir den Feind nicht kennen. Wir müssen herausfinden, wer dahintersteckt. Hanji, leih mir ein paar aus deiner Einheit."

„Natürlich!", stimmte sie sofort zu, auch wenn sie etwas überfordert schien. Jedoch brauchte sie nur wenige Augenblicke, um ihre Gedanken zu sortieren. „In Ordnung, ich folge Erwin." Sie wandte sich an ihre Leute. „Moblit geht mit mir, der Rest von euch mit Levi."

„Verstanden!", gehorchten sie mit fester Stimme.

Hanji wollte gerade ihr gesatteltes Pferd besteigen, als Eren sie noch zurückhielt. Er hielt ihr einen Zettel hin. „Das hier ist ein Gespräch zwischen Ymir und Bertholdt, an das ich mich vorhin erinnert habe. Das war, als ich entführt worden bin."

Hanji steckte es ein. „Gut. Ich schaue es mir später an." Dann ritten sie und Moblit davon.


„Wie wir müssen rausfinden, wer unser Feind ist?", wiederholte Motte Levis Worte überrascht. „Ich dachte, die Militärpolizei ist unser Feind. Beziehungsweise diese Zentral-Brigitte oder so."

Levi, seine Einheit und Hanjis Leute waren gerade erst durch das Tor von Trost gekommen. Letztere Gruppe hatte sich bereits aufgeteilt und ihre Positionen auf den Dächern eingenommen. Levi und seine Einheit befanden sich jetzt mitten unter den Einwohnern des Außenbezirks, es herrschte geschäftiges Treiben, doch er konnte nicht riskieren, dass ihn doch jemand belauschte, weswegen er versuchte, so wenig wie möglich zu reden und dabei seine Stimme gedämpft zu halten.

Selbstverständlich musste er die Nervensäge darüber informieren, was beschlossen worden war, nachdem sie am gestrigen Abend verschwunden war. Jedoch hatte ihr letzter Satz ihn etwas aus dem Konzept gebracht. „Es heißt Zentralbrigade", korrigierte er sie mit raunender Stimme. Er konnte nicht verhindern, dass sich Verwunderung in seinen Ton mischte. „Die innerste Brigade der Militärpolizei sozusagen."

„Ah, okay, verstehe!" Sie nickte ausgiebig.

Levi runzelte die Stirn. „Du weißt nicht, was eine Brigade ist?"

Ihr Nicken ging fließend in ein Kopfschütteln über. „Nö, keinen Schimmer!" Sie zuckte mit den Schultern. „Militär ist eigentlich nicht so meine Welt."

Er seufzte. „Jetzt aber schon. Eine Brigade ist einfach eine militärische Einheit", erklärte er ihr, während sie sich durch die Straßen bewegten und jeder auf der Hut blieb. Na ja, bis auf die Nervensäge. Er wollte seinen Statusbericht so kurz wie möglich halten, damit er sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren konnte.

„Okay, dann ist eben diese Zentral-bri-ga-de unser Feind", schloss sie und sprach das neu erlernte Wort besonders langsam aus, damit sie es sich einprägen konnte. „Und was genau willst du jetzt wissen?"

Wer die Brigade ausmacht!", zischte er ungeduldig. Ihm wäre es lieber, wenn er sich nicht auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren müsste. „Ich brauche ein Gesicht und einen Namen, dann können wir uns besser wappnen, weil wir dann wissen, mit wem genau wir es zu tun haben."

Motte legte verwirrt den Kopf schief. „Aber vielleicht kennst du die Person doch gar nicht."

„Darum geht es doch nicht...!", fauchte er leise.

„Kapitän, Sie sollten etwas leiser sein", riet Mikasa hinter ihm höflich.

Er kniff einen Moment angestrengt die Augen zusammen, um sich zu beruhigen. Diese fliegende Nervensäge! Außerdem kannte er womöglich die Person, die hinter alldem steckte. Er hatte da eine Vermutung...

„Okay, okay." Die Nervensäge hob beschwichtigend die Hände. Anscheinend hatte sie begriffen, dass sie mal wieder Levis Geduld reizte. „Du willst also rausfinden, wie der Dude heißt, der die Hütte gestern gestürmt hat. Verstanden. Und weil die hinter Eren und Historia her sind, haben sich Jean und Armin jetzt als Köder verkleidet." Mit diesen Worten drehte sie sich um, sodass sie rückwärts flog, und betrachtete die beiden Jungs in ihrer Verkleidung, die hinter Levi liefen. „Was man nicht alles für seine Aufgabe tut...", kommentierte sie das Aussehen der beiden. Sie hatte die Arme verschränkt und den Kopf schief gelegt und schien nachzudenken. „Und Eren und Historia sind eigentlich ganz woanders... In irgendeiner der vielen Kutsche hier in der Stadt, richtig?", erinnerte sie sich an einzelne Gesprächsfetzen in den letzten Stunden.

„Richtig", bestätigte Levi leise. „Und jetzt lass mich arbeiten. Du sagst Bescheid, sobald du irgendetwas Verdächtiges siehst, aber bleib in der Nähe!"

Mit hervorgestreckter Brust schloss sie in der Luft die Haken zusammen und legte ihre zusammengepressten Finger an ihre Stirn. Sie hatte Levi mal erzählt, dass so ein Salut in ihrer Welt aussah. „Aye, aye, Käpt'n!" Dann schoss sie nach oben und blickte sich um. Levi war gerade dabei, sich erleichtert zu fühlen, als sie wieder herunterkam und nervös mit ihren Ärmeln spielte. „Ähm, Levi? Woher weiß ich, dass etwas verdächtig ist?"

Er holte tief Luft, zählte in seinem Kopf bis Fünf und antwortete dann so ruhig, wie es ihm möglich war: „Intuition." Motte schien nicht ganz überzeugt, nickte aber. Sie flog nicht so hoch wie zuvor, blieb aber oberhalb ihrer kleinen Gruppe, um einen besseren Überblick zu gewinnen.

Levi war so schon angespannt genug, da half ihm die Nervensäge auch nicht viel. Endlich konnte er seine vollste Konzentration wieder auf die Mission lenken. Ohne sich umzudrehen, meinte er zu seiner restlichen Einheit: „Versucht nicht so eng beieinander zu laufen, wir stechen sonst heraus."

„Ihr seid die einzigen mit langen, dunklen Umhängen und schweren Rucksäcken hier. Ihr stecht so oder so heraus", bekannte Motte mit nüchterner Stimme, ohne ihn einmal anzusehen. Diesen Punkt musste Levi ihr lassen.

Nach kurzer Zeit schien sie sich ablenken zu lassen, denn Levi bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sie tiefer schwebte. Sie beugte sich nach vorne, sodass ihre Füße letztendlich höher schwebten als ihr Kopf und fragte in die Runde: „Was hängen hier eigentlich für Flaggen?" In der ganzen Stadt hingen Girlanden, deren Flaggen in den Farben Gelb, Rot, Blau und Grün leuchteten. Viele Menschen tummelten sich auf den Straßen, redeten und lachten.

Motte hatte ihre Stimme manifestiert, sodass sie alle gehört hatten. Nur Connie erschrak sich kaum merklich. „Das ist die Flagge der königlichen Familie", erklärte dieser sogleich, er hatte sich schnell wieder erholt. „Aber warum sie hier hängen, weiß ich auch nicht."

„Heute ist wohl der Jahrestag der Krönung!", vermutete Sasha. „Einmal im Jahr verteilen sie eine Ladung von Rationen."

„Ah!", machte Motte erkennend.

Sie liefen über einem Platz, auf dem eine Bühne aufgebaut war, und kamen zum Halt. Zwei Soldaten der Militärpolizei standen auf dem erhöhten Holzboden und waren für alle gut sichtbar. Eine Menschenmenge hatte sich vor ihnen versammelt. „Wir beginnen jetzt mit der Verteilung!", rief einer der beiden aus. „König Fritz hat von den Schwierigkeiten des Bezirks Trost gehört und spendet einen Teil der königlichen Reserven. Es gibt genug für alle."

Ein andächtiges Raunen ging durch die Menge. Die Leute waren dankbar.

„Was für ein großzügiger König!", staunte Sascha.

„Irgendwie traue ich dem nicht", meinte Motte skeptisch und beäugte die Bühne.

„Wieso?", erwiderte Sasha überrascht. „Er gibt schließlich Essen aus."

„Er hat so viel, dass er nicht weiß, was er damit anstellen soll", erläuterte Levi knapp. „Menschen sind schwach, vor allem, wenn sie mit Essen gelockt werden." Mit diesen Worten ging er weiter, die anderen folgten ihm.

Eine Weile liefen sie durch Trost. Die Nervensäge hatte Levi bereits von vier Menschen berichtet, die sie etwas zu lange angestarrt hatten, aber es war nichts passiert. Um ihre Worte von vorhin zu wiederholen, waren sie letztendlich eine Gruppe in langen Umhängen und Rucksäcken, sie konnten nicht umhin, wohl doch etwas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Plötzlich blieb er stehen. Hatte er nicht gerade etwas gehört? Etwas gespürt? Er konzentrierte sich. Motte, die zurzeit etwas höher flog, meinte konzentriert: „Ich glaube, ich höre etwas..."

Levi war sich sicher: Der Boden bebte leicht. Blitzschnell drehte er sich um. „Achtung! Hinter uns!"

Mit rasender Geschwindigkeit preschte eine Kutsche vorbei, der sie gerade noch aus dem Weg gehen konnten; während Levi und seine Einheit an den Straßenrand gedrängt wurden, sauste Motte überrascht noch einige Meter höher. Levi konnte zwei Männer neben dem Kutscher ausmachen. Der eine griff den vermeintlichen Eren, der andere ‚Historia'. Dann raste die Kutsche auch schon davon. Den Köder hatten sie also geschluckt.

„Armi-...", begann Sasha, besann sich jedoch eines Besseren. „Ich meine, Eren und Historia! Sie sind uns schon wieder weggeschnappt worden!" Alles verlief nach Plan. Sie ließen der Kutsche fünf Sekunden Vorsprung, dann verfolgten sie sie.

Die Kutsche führte die kleine Gruppe zu einem Lagerhaus, in das Jean und Armin grob hineingeschubst wurden. Die Entführer folgten ihnen und schlossen die große Tür hinter sich. Mit ihrer 3D-Ausrüstung positionierten sich Connie und Sasha auf den Dächern um das Lagerhaus herum und blieben so in Sichtweite, während Levi, Mikasa und Motte direkt auf dem Dach besagten Gebäudes hockten.

Der Kapitän blickte die beiden Mädchen vor sich an und rang kurz mit sich selbst, während er die Situation abschätzte. Eigentlich würde er lieber Mikasa zum Spähen schicken, doch Motte musste es lernen. Genau für so etwas war sie in seiner Einheit. Das sollte sie wohl doch hinbekommen. Sie war schließlich gar nicht so unüberlegt, wie er manchmal den Eindruck hatte. Er sprach folgende Worte nur mit schwerer Zunge aus: „Nervensäge, schau nach, wie Lage drinnen ausschaut."

Motte blinzelte erst langsam, dann weiteten sich ihre funkelnden Augen. „Was? Meinst du das ernst?", fragte sie lang gezogen und voller Begeisterung. Levi bereute seine Entscheidung jetzt schon. Zumindest fast.

„Ja", erwiderte er widerspenstig. „Du sollst nichts weiter tun, als zu berichten, was los. Wo sind Armin und Jean? Wo die Entführer? Wie viele Entführer sind da? Haben sie Waffen bei sich? So etwas. Du schaust nach und kommst dann sofort wieder her und berichtest. Verstanden?"

Die Nervensäge nickte überschwänglich. „Verstanden!" Ohne dass Levi sich nochmal umentscheiden konnte, flog sie kurz in die Höhe, um Schwung zu holen, und sauste anschließend durch das Dach ins Lagerhaus.

„Oh je", rutschte es ihm leise heraus. Ob das wirklich eine kluge Entscheidung gewesen war? Levi war viel nervöser als er bei einem simplen Lagecheck sein sollte. Wieder mal so untypisch. Vielleicht wurde er krank oder so. Auch wenn er schon sehr, sehr lange nicht mehr krank gewesen war.

„Motte ist nicht dumm", meinte Mikasa auf einmal, die Levi anscheinend beobachtet hatte. „Sie gibt sich große Mühe in allem, was sie tun will." Das war's schon, mehr sagte sie nicht. Er wusste um den Wahrheitsgehalt dieser Worte, ihm war es bereits mehrmals klar geworden, jedoch tendierte er dazu, es ab und zu wieder zu vergessen.

„Ich weiß", gab Levi zu. Er musste mehr Vertrauen in Mottes Fähigkeiten setzen.

Sie erschien wieder. Zuerst wuchs ihr Kopf aus dem Dach, dann der Rest ihres Körpers. „Nur eine Wache da. Wenn wir nicht schnell machen, werden sie bald Armins Verkleidung durchschauen", berichtete sie, für alle Anwesenden hörbar. Ihr Körper blieb jedoch entmanifestiert, weswegen nur Levi ihre geröteten Wangen und den seltsamen Blick in ihren Augen erkennen konnte. „Er tut mir verdammt leid...", fügte sie noch bedeutungsvoll hinzu. Levi erkannte, dass es Ekel war, der sich in ihren Augen zeigte.

„Verstehe", meinte er. Eine vermeintlich weibliche Geisel und sie konnten ihre Hände nicht bei sich lassen. Was war auch anderes zu erwarten von ein paar primitiven Entführern. Denn jemand anderes waren sie nicht, das war Levi inzwischen klar. Die Entführung war viel zu laut und offensichtlich gewesen, um direkt von der Zentralbrigade organisiert worden zu sein.

Mikasas Augen verrieten, dass auch sie Mitleid mit ihrem Kindheitsfreund empfand. Sie wandte sich an Levi. „Wie geht es Ihrem Bein? Irgendwie besser?"

Gedankenverloren strich er über das Knie seiner verletzten Gliedmaße. „Nicht schlecht. Ich kann mich ausreichend bewegen", antwortete er. Diese verdammte Verletzung, allmählich hatte er genug davon. „Viel wichtiger... Diese Entführer sind nur einfache Amateure. Warum würden sie auf solche Leute zurückgreifen?"

Ohne eine Antwort auf die Frage zu finden, erhob er sich. „Ihr könnt den Rest alleine erledigen", sprach er zu Mikasa. „Ich gehe zu Eren. Sobald ihr mit dem Abschaum fertig seid, kommt nach."

„Verstanden", gehorchte Mikasa.

Dann blickte er Motte an. „Du kommst mit mir." Sie nickte. Levi stellte sich an den Rand des Dachs und kam dort noch einmal zum Halt. „Mikasa, eine Sache noch...", fiel ihm ein. „Ich sage es dir, nur für den Fall. Sag's auch Armin und den anderen."

„Ganz schön mysteriös", kommentierte Motte neugierig.

„Wir werden demnächst nicht nur gegen Riesen kämpfen", sprach Levi einfach seine Nachricht aus. „Unsere Feinde sind jetzt auch Menschen."

Mikasa schwieg kurz einen Moment, dann erwiderte sie leise. „Verstanden."


Levi erblickte das Dach, auf dem Nifa Ausschau hielt. Sie und Abel überwachten versteckt die überdachte Kutsche, in der Eren und Historia wirklich saßen und die von Keiji gefahren wurde. Gerade kam sie durch eine Menschenmenge gezwungenermaßen zum Halt. Levi hörte von seiner erhöhten Position aus, wie Keiji die Leute anfuhr, dass sie sich weiterbewegen sollten.

Er landete neben Nifa, Motte flog direkt hinter ihm. „Kapitän!", grüßte die junge Frau.

„Und?", fragte er nach. Er ließ die Kutsche keinen Moment aus den Augen.

„Die Straße ist überfüllt, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Es ist nicht mehr weit bis zu Kommandant Pixis", erläuterte sie die Lage kurz.

„Ach, wir wollen zu Pixis?" Mottes Miene hellte sich auf. „Macht Sinn! Der Alte kann uns vielleicht helfen! Und er wird bestimmt Eren und Historia Unterschlupf gewähren!"

Levi seufzte innerlich auf und entschied sich dazu, die Nervensäge einfach zu ignorieren. Er würde mit ihr mal über ihre mangelnde Aufmerksamkeitsspanne während wichtiger Planbesprechungen reden müssen.

„Wie läuft es mit der Doppelgänger-Mission?", erfragte Nifa.

„Sie ist ein Erfolg", antwortete Levi so tonlos wie immer.

Sie blickte ihn verwundert an. „Und trotzdem schauen Sie nicht glücklich aus."

„Das tut er nie", warf Motte berechtigterweise ein. Hanjis Einheit hatte nicht so viel Kontakt mit der Nervensäge gehabt wie Levis und dennoch sah man Nifas unbewusste Überraschung beim Ertönen von Mottes Stimme nur für einen kurzen Moment in ihren Augen. Der Ausdruck wurde anschließend durch ein sanftes Lächeln ersetzt. Nifa zeigte Belustigung über Mottes Kommentar.

Aber es stimmte, Levi war nicht zufrieden. Die Militärpolizei steckte nicht dahinter. Sie waren viel zu arrogant, um auf einfache Entführer zurückzugreifen. Levis Blick verfinsterte sich, weil das seinen Verdacht nur bestätigte.

Unten auf der Straße löste sich die Menschenmenge etwas auf und die Kutsche kam langsam weiter.

„Was guckst du denn plötzlich so grimmig?", fragte Motte ihn unschuldig. Sie hatte ihn von der Seite beobachtet, während er nachgedacht hatte. Kurz schaute er sie an, dann verlor sich sein Blick wieder zu der Straße, auch wenn er sie momentan nicht wirklich sah. „Du hast doch gesagt, dass wir es demnächst mit Kenny zu tun haben werden...", begann er.

Nifa wandte sich ihm erstaunt zu. „Kenny? Der Massenmörder in der Hauptstadt? Der, der angeblich über hundert Soldaten der Militärpolizei die Kehle aufgeschlitzt haben soll?"

„Was zur Hölle?", entfuhr es Motte überrascht. „Das wusste ich gar nicht."

„Das ist nur eine städtische Legende von vor einigen Jahren", erklärte Nifa dem für sie unsichtbaren Mädchen. Sie blickte Levi eindringlich an. „Oder?"

„Es gibt ihn und die Geschichten stimmen auch", meinte er nüchtern. „Ich hab mit ihm für eine Weile zusammen gelebt, als ich noch ein Kind war."

„Was?", entfuhr es Motte mit großen Augen. Sie schwebte um ihn herum, sodass sie sein Gesicht besser sehen konnte. „Ist das wahr?" Seine Sicht auf die Straße war etwas eingeschränkt. Eigentlich sollte er sie anherrschen, dass sie ihm im Weg war, aber er hing seinen Gedanken zu sehr nach, um sich darüber zu ärgern.

Nifa lachte nervös auf. „Was? Warum sagen Sie so etwas? Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Scherze zu machen."

Motte studierte Levis Gesicht. „Das ist dein voller Ernst, oder?", stellte sie fest. Normalerweise konnte Levi nicht unterscheiden, ob sie ihre Stimme manifestiert hatte oder nicht, aber gerade eben wusste er, dass sie nur mit ihm sprach. Seine Augen zuckten zu ihr. Ihm war klar, dass sie keinen Schimmer über seine Vergangenheit hatte. Vor Äonen als Levi mit seiner vorherigen Einheit das alte Schloss geputzt hatte, in dem sie Eren überwachen und sich auf die Expedition vorbereiten sollten, bei der so vieles schiefgehen würde, hatte Motte ihn einmal bezüglich seiner Vergangenheit befragt. Damals war sie so schrill und überdreht gewesen... So wie heute auch noch. Aber Levi hatte sich an ihre Art gewöhnt und sie sich allmählich an diese Welt. Er sah in ihren Augen, dass sie gerne mehr erfahren würde, aber sie drängte nicht weiter.

Eigentlich hatte Levi seine Vergangenheit nie wieder erwähnen wollen, aber als sie ihm vor einigen Tagen gesagt hatte, dass Kenny wieder in seinem Leben auftauchen würde, war ihm klar geworden, dass dieses Kapitel wohl noch nicht abgeschlossen war. Das alles hier mit den amateurhaften Entführern, die wahrscheinlich als Ablenkung dienen sollten, war nicht das Werk der Militärpolizei. Es kannte dieses Schema... Es war ihm vor vielen Jahren beigebracht worden... Lenk sie ab, während du dein wahres Ziel in Ruhe verfolgen kannst. Lass es nicht aus den Augen! Erhöhte Positionen verschaffen dir einen besseren Überblick, Levi...

Mottes Blick huschte an ihm vorbei und auf einmal sah er Schrecken in ihrem Gesicht. „Da kommt jemand aufs Dach geklettert!"

Folgendes geschah innerhalb eines Wimpernschlags.

Natürlich! Levi fluchte innerlich mit sich selbst, als er sich an seine Nebenfrau wandte. „Nifa!", rief er ihr warnend zu. Aus seinem Augenwinkel sah er für den Bruchteil einer Sekunde den Mann, der an der unteren Kante des abgesenkten Daches hockte und in jeder Hand einen Revolver hielt, und wusste, dass er keine Zeit mehr hatte, zu reagieren.

Motte schoss durch Levi hindurch und manifestierte sich teilweise vor ihm, die Arme im verzweifelten Versuch ihn zu schützen ausgebreitet. Nahezu gleichzeitig hörte Levi die Schüsse.

Seine Augen weiteten sich, als Blut spritzte. Motte verschwand und nach einem sehr kurzen Blick zur Seite musste Levi feststellen, dass Nifas Kopf durchlöchert worden war. Er folgte seinem Instinkt und ging hinter einem Kamin in Deckung.

Entsetzt starrte er auf Nifas leblosen Körper. Erst jetzt hatte er genügend Zeit, um sich richtig klar zu machen, was in der letzten Sekunde geschehen war. Die Luft stank nach Blut und Schießpulver. In der Ferne hörte er den entgeisterten Schrei einer Frau.

Wie dumm von ihm! Er hatte geahnt, dass sein alter Lehrer hinter alldem steckte, dann kannte er natürlich auch seine Vorgehensweise am besten. Wegen seines Fehlers lag jetzt nur einem Meter neben ihm Nifas Leiche, wer wusste, wie es Abel und Keiji erging, was mit Eren und Historia war. Und Motte...

Verdammt! Er hatte Blut gesehen. Ob es nur von Nifa stammte? Was für eine hirnrissige Aktion des Mädchens! Motte war nach dem Schuss verschwunden. Das bedeutete, dass sie aufgewacht sein musste. Oder? Oder... „Scheiße!", entfuhr es Levi leise. Seine Stimme klang in seinen Ohren verdammt schwach und gleichzeitig verdammt wütend.

„Yo, Levi", erklang die vertraute Stimme des Mannes von der Dachkante. Er hörte, wie dieser gemächlich hochschritt. „Bist du schon gewachsen?", erkundigte er sich in gehässigem Plauderton. Lautes Scheppern ertönte, als der Mann seine Munition wechselte.

Levis Groll wuchs in seiner Brust. Die Flammen der Wut leckten an seinen Gliedern, während er diese Stimme hörte. Ausgerechnet dieser Mann stellte sich ihnen in den Weg, Hanjis Leute waren vermutlich alle tot, Eren und Historia und seine Einheit in Gefahr und Motte... war weg. Levi sah Rot.

Plötzlich schossen zwischen den Dächern in der Umgebung Menschen mit einer Art 3D-Ausrüstung in die Luft, die allesamt Levi fokussiert hatten. Sie hatten ihn eingekesselt. Er hörte, wie ein Haken in den Kamin, hinter dem er sich versteckte, gerammt wurde. Im nächsten Moment sauste der Mann, der Nifa getötet und auf Motte geschossen hatte, über ihn mit einem Jubelschrei hinweg.

Wie viele Jahre war es her, dass Levi dieses verhasste Gesicht gesehen hatte?

„Oh!", gab der Mann überrascht von sich. „Es sieht so aus, als hättest du dich kein Stück verändert!"

Levis Zorn pulsierte durch seine Adern, während er seine Klingen griff und seinen alten Lehrer anbrüllte: „Kenny!!"

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