Prügel

Kapitel 9 – Prügel


Wieder ging ein Raunen durch die Menge, nur dieses Mal war es lauter und ängstlicher.

Eren starrte auf die Person, die ihm seit sechs Jahren so vertraut war. Er wirkte total entgeistert. Er hatte keine Ahnung mehr davon. Über sich selbst war er entsetzt, dass er versucht hatte, Mikasa zu töten.

„Aber davor hat er mir auch zweimal das Leben gerettet", ergänzte sie auf einmal. „Das erste Mal, als ich einem Riesen zu Opfer fiel, bekämpfte er sie und beschütze mich. Und das zweite Mal, beschützte er Armin und mich vor den Kanonen. Ich bitte euch, diese Fakten auch zu beachten."

„Warte einen Moment", mischte Nile Dawk sich ein. „Ich denke, diese Aussage ist zu stark emotional beeinflusst, um sie vor Gericht zu akzeptieren. Mikasa Ackermann hat ihre Eltern verloren, als sie jung war, und wurde von Jägers Familie aufgenommen. Außerdem haben wir diesbezüglich einige Informationen ans Licht gebracht." Er hob sein Blatt und fasste dessen Inhalt zusammen. „Eren Jäger und Mikasa Ackermann waren damals neun Jahre alt. Sie haben drei Entführer ermordet." Die Menge schnappte entsetzt nach Luft. Nile fuhr fort: „Man mag es Selbstverteidigung nennen, aber dieser Mangel an Menschlichkeit in ihrer Tat lässt mich zweifeln. Können wir ihm wirklich das Schicksal der Menschheit anvertrauen?" Die Zuschauer murmelten. Man verstand nicht viel, aber wenn doch, waren es Aussagen gegen Eren.

Motte presste stinkwütend die Zähne zusammen. „Natürlich ist es grausam, was sie mit neun Jahren gemacht haben...!" Levi sagte besser mal nichts dazu. „Aber", fuhr sie mehr zu sich selbst gewandt fort, „nur Neugeborene haben eine strahlend weiße Weste. Kein einziger Mensch ist komplett unschuldig!" Es sah zwar nicht so aus, aber der Schwarzhaarige hatte ihr ganz genau zugehört.

Dem Händler, der die ganze Zeit schon gesprochen hatte, kam eine Vermutung. „Sie auch!", schrie er. Mit zittrigen Fingern deutete er auf Mikasa, die überrascht war. „Wie können wir sicher sein, dass sie ein Mensch ist?"

„Das stimmt!", stimmte ein anderer der Handelsgilde zu. „Wir sollten sie zur Sicherheit auch sezieren!" Die Schwarzhaarige war nun ernsthaft geschockt über die Dummheit dieser Leute.

Das war jetzt auch für Eren zu viel. „Warte! Vielleicht bin ich ein Monster, aber sie hat nichts damit zu tun! Gar nichts!", schrie er die Männer an, doch die ließen sich nicht beirren. „Als ob wir dir glauben würden!", gifteten sie zurück.

„Es ist eine Tatsache!"

„Du verteidigst sie? Sie muss eine von dir sein!"

Nein!!" Inzwischen brüllte der Junge mit Leibeskräften. Er war so in Rage, er wollte sich reflexartig aufrichten, doch die Handschellenvorrichtung hinderte ihn daran. Stattdessen verursachte Eren ein lautes Geräusch, das Geräusch, das zu hören war, wenn Metall gegen Metall krachte. Der gesamte Saal verstummte verschreckt.

Der Braunhaarige hatte seinen Kopf gesenkt, er keuchte: „Sie liegen falsch." Er hatte die Aufmerksamkeit aller. „Sie reimen sich Schwachsinn zu Ihren Gunsten zusammen!"

Nile war geschockt. „W...Was?!"

Eren hörte nicht auf. Er hatte jetzt schon damit angefangen, jetzt würde er es auch zu Ende bringen. Er hob den Kopf und blickte den Kommandanten der Militärpolizei vorwurfsvoll an: „Erstens, Sie haben noch nie einen Riesen gesehen! Also warum haben Sie solche Angst? Wenn die, die stark sind, nicht kämpfen, wer dann? Wenn Sie zu verängstigt sind, um für Ihr Leben zu kämpfen, hindern Sie mich nicht dran!" Er steigerte sich immer mehr rein. „Idioten! Seid einfach still..." Plötzlich bog er seinen Rücken durch und schrie zur Decke und darüber hinaus „... und lasst mich diese Bürde schultern!!"

Darauf folgte geschockte Stille im Saal.

Levi spürte plötzlich die fast schon vertraute warme Kälte am Rücken. „Geh schon!", meinte Motte leise und machte eine Bewegung, als würde sie ihn anschubsen wollen. „Ist ja gut!", raunte er ihr zurück und lief langsam und unauffällig Richtung Saalmitte.

„Anlegen!" Der Befehl kam von Nile Dawk und galt seinem Nebenmann. Erst war dieser überrascht, doch dann antwortete er mit einem hektischen „Jawohl!" Er griff nach dem Gewehr auf seinem Rücken und richtete den Lauf auf den Jungen. Geschockt riss Eren die Augen auf.

Doch auf einmal kam ein Stiefel angerauscht und traf den Jungen volle Kanne im Gesicht. Erens Kopf riss es zur Seite und ein blutiger Zahn flog auf den Boden.

„Das hab ich schon gegen den Bildschirm geschrien, als ich das das erste Mal gesehen habe, aber da konntest du mich nicht hören...", informierte Motte, die eineinhalb Meter hinter Levi über dem Boden schwebte, damit sie auch was von dem Jungen sehen konnte, den Schwarzhaarigen vor sich. „Meine Fresse, übertreib's nicht! Du hast Eren soeben einen Zahn ausgeschlagen! Aber so wie ich dich kenne, wirst du mich jetzt schön ignorieren und mit ungerührtem Blick mit dem geplanten Prügel fortfahren." Er konnte das Augenverdrehen fast heraushören. Exakt!, stimmte er ihr stumm zu und trat nun mit dem anderen Bein dem Jungen in den Magen. Der Junge spuckte bereits Blut.

Er konnte Levi nur verdutzt anblicken, da packte der Schwarzhaarige ihn schon an den Haaren und zog sein Gesicht näher, nur um sein Knie besser reinrammen zu können. Die Leute gegenüber der Aufklärungslegion waren geschockt.

Mikasa auch. Während man mit jedem Schlag – und es waren viele Schläge – ein würgendes Geräusch Seiten Erens vernahm, wollte das Mädchen mit wütender Miene losstürmen, doch Armin hielt sie zurück.

„Kannst du das bitte mal lassen?!" Die Nervensäge wurde immer lauter. „Er blutet doch schon aus Nase und Mund! Man könnte echt meinen, du wolltest ihn totprügeln!" Sie wurde ein wenig bleich, als Eren Blut spuckte. Ihr war, wenn auch nur ein wenig, schlecht. „Levi!", schrie sie nun fast. „Lass es! Die Typen haben's begriffen!"

Meinetwegen, dachte er sich genervt und trat vorerst ein letztes Mal zu. Erens blutiges Gesicht war auf den Boden gequetscht, Levis Stiefel lag auf seinem Hinterkopf und hielt ihn dort unten. „Es ist nur meine persönliche Meinung", sprach er zum Jungen, während er ihn von oben herab anschaute, „aber Schmerz ist das beste Werkzeug für Disziplin. Du musst nicht mit Worten belehrt werden, du brauchst Training. Du bist tief genug gesunken, um herumgestoßen zu werden." Dann trat und stampfte er wieder auf ihn ein. Abgesehen von dem dumpfen Geräusch seiner Tritte, dem Rasseln der Ketten, das dabei verursacht wurde, und den qualvollen Geräuschen Erens war es still im Saal. Zumindest für alle, außer Levi. Der hörte noch das wimmernde „Armer Eren!" von der Nervensäge hinter ihm.

Irgendwann mal hob Nile zittrig seine Hand. „Warte, Levi..." Der ließ den Jungen in Ruhe und wandte sich dem Kommandanten von der Unterbrechung genervt zu. „Was?"

„Er ist gefährlich", meinte dieser ernst. „Was ist, wenn er wütend und zum Riesen wird?" Eren unterdessen blickte unter Schmerzen zu Levi auf und diesen hasserfüllt an. Dafür erntete er einen weiteren Tritt in sein Gesicht. „Wovon redest du?", wollte der Kapitän gelangweilt wissen. Hinter ihm seufzte Motte: „Ich geb's auf!"

Levi bückte sich und zog Eren so an den Haaren hoch, dass die Seite der Militärpolizei sein blutiges Gesicht sehen konnte. Sein Blick verriet, dass der Riesenwandler bereits an der Schwelle der Bewusstlosigkeit stand. „Ich dachte, ihr wolltet ihn sezieren." Man meinte eine kleine Spur Spott aus den Worten des Schwarzhaarigen herauszuhören. Er ließ den Jungen wieder los und richtete sich auf. „Wie ich gehört habe, hat er zwanzig andere Riesen getötet, bevor ihn seine Kraft verlassen hat. Wenn er ein Feind wäre, würde er mehr Schaden verursachen als die Sache wert ist. Er kann sich nicht gegen mich stellen. Was ist mit euch?" Er blickte zu den Leuten, die Eren töten wollten. Sie allesamt waren verunsichert. „Alle, die ihn töten wollen, sollten das überdenken. Könnt ihr ihn wirklich töten?"

„Da lässt er den Badass raushängen!", kam es möchtegernmachomäßig von Motte. Von ihrer Übelkeit keine Spur mehr. Ignorieren, redete der Schwarzhaarige sich ein.

Erwin meldete sich: „Oberbefehlshaber, ich habe ein Anliegen." Der Richter wandte sich an den Blonden. „Was ist es?" Der Kommandant der Aufklärungslegion ließ seinen Arm wieder sinken. „Erens Riesenkräfte haben eine Vielzahl von Ungewissheiten. Es ist extrem gefährlich. Also warum unterstellen wir Eren nicht Kapitän Levis Kommando und schicken ihn auf eine Mission außerhalb der Mauern? Ob Eren seine Kräfte kontrollieren kann und ob er von Nutzen für die Menschheit ist, sollte anhand des Missionsresultats entschieden werden."

„Auf Eren Jäger aufpassen...", überlegte Zacklay und wandte sich an den schwarzhaarigen Mann unter ihm. „Tust du das, Levi?"

„Ich kann ihn definitiv töten", antwortete der sicher und drehte sich zum Richter hoch. „Das Problem ist, es wird alles oder nichts bedeuten."

„Du hast es wirklich übertrieben!" Die Nervensäge schwebte bei Eren, betrachtete diesen und schüttelte den Kopf, als wäre er ein hoffnungsloser Fall. „Schau dir diesen Blick an!" Sie schaute zu Levi und zeigte in die Reihen der Zeugen. „Mikasa würde dich am liebsten mit bloßen Händen zerfleischen!" Der Schwarzhaarige schaute aus dem Augenwinkel dorthin, wo sein weiblicher Schatten hindeutete, und sah tatsächlich diesen finsteren Blick der schwarzhaarigen Freundin des Jungen.

„Hm...", überlegte Zacklay kurz mit geschlossenen Augen. Nach einigen Momenten öffnete er sie wieder. „Ich habe meine Entscheidung getroffen."


„Das sieht übel aus", musste Hanji feststellen, die soeben Eren verarztete. „Es muss ganz schön hart gewesen sein."

„Ich hab dir gesagt, dass du maßlos übertrieben hast!", wütete Motte und wollte dem Schwarzhaarigen einen ordentlichen Klaps auf den Kopf verpassen, doch sie hatte – mal wieder – vergessen, dass sie keinen Körper besaß, und so sauste ihre Hand durch ihn hindurch. Sie fluchte und fuchtelte weiter herum. Levi hatte inzwischen gelernt, sich bei der Kälte nicht mehr zu erschrecken und ignorierte die Braunhaarige einfach.

Die vier und Erwin und Mike befanden sich in einem Zimmer im Gerichtsgebäude. Eren war dort nach dem Prozess hingebracht worden. Die vier Soldaten der Aufklärungslegion – und Motte – waren später zu ihm gestoßen. Durch das Fenster konnte man die Sonne untergehen sehen.

Eren saß auf einem Sofa, Hanji kniete vor ihm und pflegte die von Levi verursachten Wunden, Erwin stand beim leeren Schreibtisch, Mike am Fenster und Levi selbst mit Motte bei der Wand, an die er sich gelehnt hatte.

„Verzeihung deswegen", entschuldigte Erwin sich beim Jungen und lief zu ihm, „aber als Resultat haben wir dich für uns bekommen. Wir konnten unsere Trumpfkarte ausspielen. Dein Schmerz war unsere Mühe wert." Hanji machte ihm Platz, sodass der Kommandant vor dem Braunhaarigen in die Knie gehen konnte. Er lächelte freundlich und hielt ihm eine Hand hin. „Danke." Eren war erstaunt. „Eren, ich freue mich darauf, mit dir zu arbeiten", hieß der Blonde den Riesenwandler in der Aufklärungslegion willkommen.

Freudig wurde die Hand ergriffen. „Gleichfalls, Sir!"

Levi lief zu den beiden, hockte sich neben den Jungen auf das Sofa und ließ seinen Arm auf die Rückenlehne knallen. Motte sah so aus, als müsse sie sich ein Grinsen verkneifen. „Sag mal, Eren", sprach Levi mit ihm. „Ja?", antwortete der Angesprochene leicht verängstigt. Das schwebende Mädchen lachte inzwischen stumm, aber heftig und musste sich sogar den Bauch halten.

„Hasst du mich jetzt?", fragte der Kapitän aus reiner Neugierde. Er war auf die Antwort gespannt. „Nein", war sie. „Ich verstehe, dass es notwendig war."

„Gut, zu hören", fand der Schwarzhaarige.

„Du hättest dich etwas zurückhalten können", meinte Hanji vorwurfsvoll. Die Nervensäge hatte sich von ihrem Lachanfall erholt und stellte sich neben der Brillenträgerin auf. „Dankeschön! Genau das sag ich ihm schon die ganze Zeit!" Sie sprach mit der Frau, als ob sie sie hören würde. Tat sie natürlich nicht. „Du hast ihm einen Zahn ausgeschlagen." Die Einheitsführerin wickelte ein Tuch auf, in dessen Mitte Erens Zahn lag.

„Lass das", kam es angeekelt vom Schwarzhaarigen. „Das ist ekelhaft." Er wurde beflissen ignoriert. In einer Sache war er wahrhaftig für seine gesamte Umgebung nervend und das war sein Sauberkeitsfimmel.

„Das ist eine einfache Probe für mich", meinte Hanji ungerührt.

„Eren", wandte sich Levi an ihn. „Ich wette, du bist froh, dass du nicht von Freaks wie ihr sezierst wurdest, huh?"

„Setz mich nicht mit denen gleich", erwiderte sie gut gelaunt, aber bestimmt. „Ich würde Eren nicht töten." Sie wandte sich wieder dem Jungen zu. „Hey, kann ich in das Innere von deinem Mund sehen?" Erst zögerte er noch ein wenig, doch dann öffnete er brav den Mund.

Hanji merkte auf einmal überrascht auf. Erwin, Mike und Levi drehten sich abwartend zu ihr. „Der Zahn", musste sie fassungslos feststellen, „wächst bereits nach."

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