Niederlage

Kapitel 18 – Niederlage


Levi war gerade dabei sein Gas und seine Klingen aufzustocken. Warum? Weil Erwin ihm das befohlen hatte. Warum hatte er es ihm befohlen? Der Schwarzhaarige seufzte. Wer wusste das schon... Eigentlich war keine Zeit dafür, er musste zu seiner Einheit zurück. Erwin hatte den Kampf gegen den Weiblichen auf- und die Anordnung zum Rückzug gegeben. Der Kapitän wusste nicht, warum er dann noch seine Vorräte aufstocken sollte, was er aber wusste, war, dass er Erwins Entscheidungen vertrauen konnte. Der Kommandant hatte seine Gründe.

Keiner hatte damit gerechnet, dass der Mensch, der im Riesen gesteckt hatte, bereit war, sich von Titanen auffressen zu lassen. Der ganze Aufwand... für nichts. Wenn sie mit leeren Händen zurückkehrten, wusste keiner, was mit ihnen, also der Aufklärungslegion, und Eren geschah. Vermutlich würde der König selbst Erens Exekution unterzeichnen. Levi seufzte abermals.

Trotzdem wollte er schnellstmöglich zu seinen Leuten zurück. Auch wenn Eren sich zwar entschieden hatte, der Einheit zu vertrauen, so war er doch von jähzorniger und aggressiver Natur. Außerdem... Jetzt, wo Levis Wutrausch allmählich abgeklungen war, fing er an, über die Worte der Nervensäge nachzudenken. Sie wusste, was passieren würde. Seine Leute waren möglicherweise tatsächlich in Gefahr. Verdammt! Warum kann sie nicht einfach Klartext reden?! Und vor allem, wo war sie gerade? Verschwunden. Wohin? Warum? Sie war ein dickköpfiges Mädchen. War sie... War sie wirklich auf eigene Faust losgezogen? Oder musste sie nur wieder pissen? Levi hoffte inständig, dass die zweite Theorie der Wahrheit entsprach. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was für ein Chaos sie anrichten könnte. In ihrem Zustand konnte sie eigentlich nicht viel anstellen, allerdings beherrschte sie momentan zwei der drei Manifestationszustände, das könnte übel werden. Das war das erste Mal, dass Levi bereute, mit ihr trainiert zu haben.

Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er erst im letzten Moment merkte, dass er eine bereits volle Flasche wieder auffüllen wollte. Mist, die macht mir das Leben nicht gerade leicht!

Er war fertig und setzte so schnell wie möglich alles ein, dann schwang er sich mit seiner Ausrüstung los. Hoffentlich würde er nicht zu spät sein.

Und tief in seinem Unterbewusstsein wusste er, dass seine Sorge nicht dem Chaos galt, das die Nervensäge verursachen könnte, sondern das, was das Chaos mit ihr machen könnte.

Dennoch war er gezwungen zu seinen Leuten zurückzukehren.


Leider Gottes traf nicht Levis zweite, sondern erste Vermutung zu. Motte Fabri flog mutterseelenallein durch den Wald der riesigen Bäume. Die Bäume waren wirklich gigantisch und das Geistermädchen wirklich klein. Sie schluckte schwer, während sie sich mit ängstlichem Blick umschaute. Für sowas war sie nicht gemacht; wenn sie Angst hatte, brauchte sie Gesellschaft, egal wen. „Sogar Reiner oder Bertholdt wären okay... Solange sie Menschen sind zumindest", murmelte sie leise zu sich selbst. Dann fluchte sie etwas lauter. „Verdammt! Wo sind die jetzt?! Ich will nicht zu spät sein...! Mann, wäre sie einfach von den Titanen mitgefressen worden, wäre alles viel leichter, aber sie musste es ja schaffen zu fliehen..."

Ihr Blick verriet eindeutig, dass sie sich Sorgen machte, doch mit einem Moment war Wut darin zu erkennen. „Daran ist nur Levi schuld! Hätte der Blödmann auf mich gehört, könnten wir jetzt zusammen die Einheit retten, aber nein... Nein, ich muss ja alles alleine machen!" Im Fliegen verschränkte sie trotzig die Arme vor der Brust und führte jetzt wirklich ein Selbstgespräch. Sie flog seitwärts und vertikal. „Kann der ja zusehen, was er macht! Das kommt davon, wenn man nicht auf mich hört. Ha! Der wird ein langes Gesicht machen, wenn ich ihm offenbare, dass seine Leute eigentlich abgekratzt wären!" Ein diabolisch-siegreiches Lächeln bereitete sich auf ihrem Gesicht aus, das aber nur ein paar Sekunden hielt und dann durch einen beleidigten Ausdruck ersetzt wurde. „Aber vermutlich wird Herr Emotionslos mir sowieso nicht glauben!"

Eine Weile verharrte sie in dieser Pose, doch plötzlich fiel ihr ganze Spannung. „Mensch, Motte, was laberst du da! Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um rumzuzicken." Sie drehte sich wieder nach vorne und flog horizontal nach vorne. Durch diese Position wurde sie schneller. In ihrem linken Augenwinkel sammelte sich eine Träne, die durch den Flugwind schnell wegetragen wurde. Im spärlichen Sonnenlicht, das durch die dichten Blätter fiel, glitzerte sie ein wenig.

Doch auf einmal stoppte sie. Ihr Blick wanderte nach oben über die Baumkronen hinaus. In ihren Augen spiegelte sich das grüne Rauchsignal, das senkrecht gen Himmel gefeuert wurde, gut. In ihrem Hirn ratterte es. Dieses Zeichen sagte ihr etwas, aber was...

Dann fiel es ihr ein.

Ihre Augen weiteten sich radikal. Aber ihr kam auch ein Geistesblitz. Vielleicht war dieses unheilverkündende Zeichen gar nicht so schlecht, vielleicht würde es sogar helfen. Schnell legte sie die Arme an ihrem Körper an und sauste nach oben. Die Bäume waren sogar noch riesiger als sie gedacht hatte, aber innerhalb weniger Sekunden strahlte ihr die Sonne ins Gesicht, da es keine Blätter mehr gab, die diese verdeckten.

Kurz hielt sie die Hand vor die Augen, da sie von dem plötzlichen Helligkeitswechsel geblendet wurde, doch dann riss sie sich zusammen und hielt die Augen offen. Einen Wimpernschlag später schon kam die Reaktion auf das grüne Rauchsignal. Ein zweites grünes Rauchsignal, gar nicht mal so weit vom Geistermädchen entfernt. Sie grinste stolz. „Motte Fabri, du bist ein Genie." Das war zwar totale Übertreibung, aber so war sie nun mal. Sofort sauste sie zu dem Ort, aus dem das zweite grüne Rauchsignal gekommen war.

„Mist!" Sie presste die Zähne zusammen, während sie sich wieder abwärts bewegte. „Ich weiß noch gar nicht, was ich machen will, wenn ich dort bin!" Im Fliegen überlegte sie fieberhaft. Es würde schwierig werden, wenn sie keiner sah oder hörte... Und sich manifestieren wäre auch blöd, da sie wusste, dass die Einheit die 3D-Ausrüstung benutzte. Wenn sie nicht fliegen konnte, war das also zwecklos. Na ja... Sie könnte sich eventuell auf dem Rücken von einem von ihnen sich einen Körper geben, aber der Schrecken wäre vermutlich zu groß... Motte musste losprusten, als sie sich Erens Gesicht vorstellte, wenn sie auf ihm erscheinen würde.

Aber Spaß beiseite, sie musste sich etwas überlegen.

Und die Einheit finden.

War das ein Stress!

Auf einmal hört sie einen ohrenbetäubenden Knall. Auch schlug ein grellgelber Blitz an einem Ort im Wald ein, der gar nicht so weit weg von Motte war, sie musste sich allerdings weiter links halten. „Shit!!", fluchte sie laut. „Verdammte Scheiße! Ich bin zu spät!!" Das änderte aber nichts an ihrer Fluggeschwindigkeit, im Gegenteil, sie wurde sogar ein wenig schneller.

Tränen sammelten sich und liefen über. Aufgrund der Geschwindigkeit liefen sie nicht wie sonst die Wangen hinunter, sondern waagrecht zu ihren Ohren. „Das heißt, dass Günther... tot ist", wurde ihr klar. Mit einem Mal wurden die Tränen mehr. Und das waren keine Ich bin über jede Kleinigkeit unzufrieden-Tränen, das waren ehrliche. Auch wenn sie ein Hang zum Jammern hatte und es nicht mochte, einen Fehler einzugestehen, so weinte sie selten. Weinen und auch Fehler waren eine Form von Schwäche und die zeigte sie überhaupt nicht gerne. Nicht, seitdem sie gemerkt hatte, dass man aufgrund ihrer Schwäche sie wegen ihres Namens geärgert hatte. Sowohl hier als auch in ihrer Welt versuchte sie, nicht zu schwächeln.

Aber hier waren die Riesen. Die Riesen, die Menschen fraßen, sie vernichten, sodass sie letztendlich alle ausgelöscht sein würden. Die Riesen, die auch sie, einen Menschen, fressen könnten. Die Riesen, die gar nicht mehr so unreal waren. Die Riesen, die sie vor Angst zittern ließen.

Geräusche des 3D-Manövers rissen sie aus ihren Gedanken. Sie merkte, dass sie lauter Tränenspuren an den Schläfen hatte. Sie wischte sie weg und ließ nicht zu, dass sie noch mehr weinte.

Nein, das waren wirklich Tränen der Trauer gewesen. Immerhin hatte sie einen Monat quasi mit Günther Schulz verbracht und ihn besser kennengelernt denn je. Da war es klar, dass sie bei seinem Tod so reagierte. Und er war ja nicht der einzige. Motte kannte Levis Einheit besser als jeder andere in ihrer Welt und auch wenn sie sie nicht kannten, so hatte sie sie doch liebgewonnen. Motte beschleunigte ein wenig mehr. Bisher hatte erst (schon) einer sein Leben gelassen, die Tode der anderen könnte man noch verhindern.

Auf einmal bremste sie. Widerstand fuhr durch ihren Körper. Durch ihren ganzen.

„Waah, was war das?!", kam es überrascht vom Widerstand. Es war Eren.

„Ich hab Eren gefunden!", jubelte Motte. „Oder er mich... Ist ja auch egal!"

„Diese Kälte..." Anscheinend kam dem Riesenjungen das Gefühl bekannt vor. Das Geistermädchen erinnerte sich an das erste Treffen mit ihm und ihr fiel es ebenfalls wieder ein. Doch jetzt gab es Wichtigeres. Der Junge benutzte das 3D-Manöver, also entfernte er sich immer weiter von Motte weg. Sie flog ihm deswegen nach. Allerdings war er alleine. Die restliche Einheit war nicht bei ihm. Das Mädchen drehte sich in die Richtung, aus der Eren gekommen war und sah viele Meter entfernt Petra, Eldo und Auruo gegen den Weiblichen Titanen kämpfen. „Verdammt!", fluchte sie und drehte sich wieder zu Eren. Der hatte inzwischen die plötzliche Kälte wieder vergessen und starrte wie gebannt auf den Kampf seiner Kameraden.

„Ähm...", fing sie an. „Äh, Eren? Kannst du mich hören?" Der Junge reagierte nicht. „Eren?!" Sie hob ihre Stimme etwas.

Es kam immer noch nichts.

„Eren!!"

Stille.

„Okay, schreien bringt auch nichts..." Das Mädchen konzentrierte und versuchte dann mit größter Anstrengung, mit dem Riesenjungen zu sprechen. „He, Eren! Du musst umkehren! Zu deiner Einheit! Sonst sterben sie! Alle! Hast du gehört, alle!" Das letzte Wort betonte sie besonders und zog auch noch die Vokale lang. Sie wartete nun auf eine Reaktion.

Eren blieb kurz so wie er war und drehte sich dann nach vorne und so auch quasi weg von dem Mädchen, da sie so geflogen war, dass Eren sie direkt hätte anblicken müssen. „Das ist jetzt doch nicht dein Ernst!", regte sie sich auf. Sie flog vor, direkt vor Eren und fing an ihren Weg rückwärts fortzuschreiten, damit sie, auch wenn er sie nicht hören konnte, von Angesicht zu Angesicht mit ihm reden konnte. „Jetzt hör mir mal zu, du musst zurück! Deine Kameraden sterben da gerade! Günther ist schon tot!" Ihre Stimme krächzte beim letzten Wort ganz plötzlich und sie musste schwer schlucken. Doch sie schüttelte den Kopf und riss sich zusammen. „Eren!" Der Junge schaute immer noch nach vorne und hatte ein leichtes, siegessicheres Lächeln auf den Lippen. „Eren!!" Er hörte sie immer noch nicht. Das machte sie verdammt wütend. Wozu das ganze Training mit Levi, wenn es doch nichts brachte?! „Eren!!"

Auf einmal schreckte der Junge auf und blickte sich erschrocken um. Motte ließ gar keine Überraschung zu, sie musste unbedingt loswerden, was sie schon die ganze Zeit sagen wollte. „Boah, das wird auch Zeit!"

„Wer ist da?", antwortete der Junge verwirrt und so auch ein wenig ängstlich.

„Schwer zu erklären. Einigen wir uns vorerst drauf, dass ich dein Gewissen bin", erwiderte Motte schnell. „Hör zu, du musst..."

„Mein Gewissen ist weiblich?", unterbrach er sie.

Halt die Klappe und hör zu!!", fuhr sie ihn an. Er zuckte kurz zusammen und nickte. Normalerweise wurde sie nie so schnell laut, doch die Situation stresste sie dermaßen, das konnte sie gar nicht ab. „Es ist wichtig! Deine Kameraden sind in Gefahr! Sie sind zwar die Eliteeinheit, aber trotzdem kämpfen sie gegen einen Riesen mit der Intelligenz eines Menschen, du musst ihnen helfen!"

„Aber...", setzte der Junge an, doch er wurde nicht gelassen. „Kein Aber du musst da hin! Überleg mal, was Levi vorhin zu dir gesagt hat: Nicht mal ich weiß es. Du kannst auf deine Stärke vertrauen oder auf die der Einheit, aber wie es am Ende ausschaut, weiß keiner. So ähnlich doch, nicht? Nimm dir diese Worte mal zu Herzen!"

Eren schien klar zu sein, was sie meinte. Erschrocken drehte er sich um. Er sah wie seine Kameraden kämpften, sie schienen die Oberhand zu haben. Der Junge wusste nicht recht.

Mann, überleg nicht!" Motte bekam sein Zögern mit. „Ich schwöre dir, wenn du nicht gleich eingreifst, sterben sie!!"

Das schien den Braunhaarigen endgültig wachzurütteln. „Sterben...? Wirklich?!" Er wartete gar keine Antwort ab, sondern schoss einen Haken des Manövers ab und bewegte sich zurück. Während er sie zurückbewegte, wollte er von Motte, die nun neben ihm flog und sehr zufrieden mit sich war, wissen: „Wer bist du eig-..." Doch er brach ab.

Mottes Zufriedenheit schwand mit einem Mal.

Sie beide sahen Eldo auf den Nacken des Riesens zu sausen, doch im letzten Moment bewegte der Weibliche sich und biss in Eldos Körper. Er wurde an der Hüfte halbiert. Eldos Blut spritzte herum.

Eren schrie entsetzt auf und benutzte noch etwas mehr Gas, damit er schneller wurde. Motte allerdings verlangsamte sich etwas. Eren düste an ihr vorbei. Ihre Augen waren weit aufgerissen und spiegelten Schrecken wider. Der Weibliche Titan spuckte nun Eldos Oberkörper achtlos auf den Boden.

Petra war entsetzt, sie konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Die drei hatten zuvor die Augen des Riesens verwundet, sodass er für mindestens eine Minute nichts sehen konnte, doch anscheinend... Anscheinend hatte der Titan es geschafft, das Heilungsverfahren auf nur eins zu konzentrieren, sodass es nicht mal dreißig Sekunden gedauert hatte. Die Rothaarige floh vor dem weiblichen Riesen, doch er joggte hinterher. Ein paar Sekunden später trat er Petra gegen einen Baum. Als er den Fuß entfernte, sah man deutlich, dass der Rücken der Rothaarigen durchgebrochen war. Ihr Kopf lag im Nacken, sodass schien als würde sie den Baum entlang hochschauen. Jeder wusste, dass sie tot war.

Eren ließ noch einen Schrei von sich hören, der fast ein Brüllen war.

Auruo war der einzige, der übrig blieb. Er griff den Nacken des Riesens an, doch er verhärtete diesen. Seine Klingen brachen daran ab. Wie in Trance schien er noch in der Luft zu verweilen und auf seine zerbrochenen Waffen zu schauen. Dann holte der Weibliche mit dem Bein aus und klatschte den Soldaten gegen einen Baum.

Sie waren tot. Alle tot. Die Spezialeinheit, auserwählt von Kapitän Levi, dem stärksten Soldaten der Menschheit, bestand nur noch aus dem Kapitän und Eren. Der Rest war weg. Für immer. Motte sah es ein, sie wusste, was das hieß. Hier gab es kein Zurückspulen und kein Zur vorherigen Episode... Das war die Gegenwart, die nicht umgeschrieben werden konnte.

Nur am Rande nahm sie wahr, dass Eren sich verwandelte, dass ein Kampf zwischen zwei Riesen ausbrach und dass sie sich entfernten. Das Geistermädchen schwebte ganz, ganz langsam zu der Stelle, wo Eldo, Petra und Auruo lagen. Günther war weit weg, die Einheit hatte sich weit von ihm entfernt, als sie den Titanen jagten.

Das Bild von den drei Leichen sollte das Geistermädchen nie mehr vergessen.


Levi hatte eine andere Richtung eingeschlagen als die, die er zuvor angesteuert hatte. Er hatte ein lautes Brüllen gehört. Es hatte ihn das Schlimmste ahnen lassen. Und er war sich sicher. Es war Erens Brüllen gewesen. Beziehungsweise, das des Titans, in den Eren sich verwandeln konnte. Der Schwarzhaarige musste sofort zu ihm, sollte er die Kontrolle verlieren, musste er das wieder geradebiegen.

Zudem blieb die Nervensäge weiterhin verschwunden. Levi nahm seine Klingen etwas fester in die Hand. Die ganze Expedition war das reinste Fiasko.

Es dauerte gar nicht lange, da entdeckte er in der Ferne etwas. Als er sich dem näherte, da es sowieso seinen Weg kreuzte, erkannte er es. Es war ein Mensch, ein Mann. Er hing kopfüber an seinen Seilen der 3D-Ausrüstung, der Kopf war seltsam abgeknickt. Das Genick war gebrochen.

Das war Günther.

Äußerlich passierte überhaupt nichts, wirklich gar nichts. Nur als der Kapitän an seinem ehemaligen Kameraden vorbeisauste und aus dem Augenwinkel ganz kurz, die vor Überraschung geweiteten Augen und den leicht geöffneten Mund sah, spürte er einen kleinen, leichten Stich im Herzen. Seit sechs Jahren übte er nun schon, keine positiven Gefühle gegenüber anderen Menschen zu entwickeln und hatte damit bis jetzt recht guten Erfolg. Doch die Menschen, mit denen er den letzten Monat verbracht hatte... Da war es schwerer. Wenn man einen Monat lang mit jemanden zusammenlebte, gewöhnte man sich einfach dran. Das galt für alle Personen, die diesen Monat tagtäglich im Schloss gewesen waren.

Der Schwarzhaarige hang sich weiter durch den Wald. Er verstand jetzt, weswegen er seine Vorräte aufgestockt haben sollte. Ein kleiner Teil von ihm wollte gar nicht mehr weiter gehen. Er hatte Günther gesehen, er wusste, was folgen würde.

Nur wenige Minuten später passierte er Auruo und Eldo. Beide hatten ihr Leben ausgehaucht. Schon wieder diese Minipickser in seiner Brust.

Petra entdeckte er als Letzte. Bei dem Baum, an dem sie lag, machte er kurz halt. Mit absolut gleichgültigem, ja sogar schon fast kaltem Gesicht blickte er auf sie herab. Der Stich dafür war deutlicher zu spüren als bei den anderen. Viel deutlicher.

„Levi..." Ah, da war sie ja... Die Nervensäge. Vorsichtig kam sie näher geschwebt. „Levi, ich hab... versucht..." Ihre Stimme brach ab. Sie wirkte ängstlich, verunsichert, reuevoll. Gut so.

Es brachte ja auch nichts Petra so anzugucken. Er würde ihre Stimme nicht mehr hören. Nie wieder.

Er schoss seinen Haken an den nächsten Baum und verfolgte Eren weiter. Dem Mädchen schenkte er keinen Blick.

„Bitte... Levi... Ich wollte es ja sagen... Ich..." Sie flog etwas schräg hinter ihm und schien den Tränen nahe. „Es tut mir leid... Ich wollte nur..."

Er benutzte ein bisschen mehr Gas als nötig, aber er flog nun schneller und so von ihr weg. Eine kleine aber deutliche Geste gegenüber dem nervenden Geistermädchen.

Sie verstand sie. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie nun heulte. Sollte sie doch.

Er wusste, dass das kindisch war, aber er konnte nicht anders. Er konnte jetzt nicht mit ihr reden. Außerdem gab es jetzt sowieso Wichtigeres zu erledigen.

Was das Mädchen betraf, hatte er nur einen Gedanken im Kopf: Sie wusste es.

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