Levi und das Geistermädchen
Kapitel 3 – Levi und das Geistermädchen
„Was redest du da?", fragte Levi, der immer noch misstrauisch gegenüber dem Mädchen war. Aber es war durchaus verständlich. Ein junges Mädchen, das schwebte und der Uniform nach noch ein Rekrut war, war herbeigeflogen, besaß offensichtlich keinerlei Materie, wurde von niemandem außer ihm gesehen und wollte ihm weißmachen, dass die gesamte Legion sofort zurück nach Trost sollte, weil angeblich der Kolossale Titan wiederaufgetaucht war. „Warum sollte ich dir glauben?"
Das Mädchen schien schier baff. Verständnislos blinzelte sie ihn an. „Du misstraust mir? Ist das dein Ernst?" Nervös fuhr sie durch ihren Pony. Anscheinend hatte sie damit nicht gerechnet. „Aber... du musst! Ich meine, es sterben gerade Menschen dort!"
„Kannst du das beweisen?", wollte er wissen.
„Nein!", rief sie laut und geradeheraus. „Aber du musst mir trotzdem glauben! Ich bin ein Mensch. Ich will doch auch, dass die Menschheit..." Es wurde fast zu einem Schreien. Diese Hysterie kam ihm etwas plötzlich.
„Du", unterbrach er sie, „wirkst auf mich, als wärst du eher ein Geist als ein Mensch." Daraufhin wusste sie nichts mehr zu erwidern. In ihrem Kopf schienen sämtliche Zahnräder zu drehen. Er redete einfach weiter: „Mir ist es sehr wohl wichtig, dass die Menschheit überlebt, aber nehmen wir mal an, du lügst. Ich würde alle dazu bringen, zurückzukehren, nur um festzustellen, dass alles so wie immer ist. Und dann bin ich derjenige, der reingelegt wurde und, was viel wichtiger ist, der, der eine Expedition versaut hat."
„Was bringt es mir dich bloßzustellen?!", fragte sie laut. Sie wurde zusehends angespannter. Ihre Stimme wurde lauter und schriller. Immer schneller strich sie sich durch den Pony. „Du musst mir glauben! Ich..."
„Wieso?", kam es ruhig von Levi zurück. „Ich weiß von dir weder wie du heißt noch wer du bist. Ich weiß nicht, was du bist." Plötzlich hob er seine Klinge in der rechten Hand und fuhr einmal seitlich durch ihren Körper durch. Ihr passierte nichts. „Du hast nicht mal einen Körper."
Sie betastete ihren Bauch, die Stelle, durch die die Klinge gefahren war. „Kannst du das lassen? Das ist nicht gerade angenehm!"
„Beantworte meine Fragen", verlangte er. Soweit er das sehen konnte, schwitzte und zitterte sie vor Anspannung. Immer wieder wollte sie ansetzen, doch sie ließ es sein, da sie offensichtlich nicht die richtigen Worte fand oder sich verhaspelte. Nervös fummelte sie an den Enden ihrer Ärmel rum. Sie blickte in alle mögliche Richtung, als würden dort Notausgänge sein, durch die sie fliehen konnte. Es war als würde etwas in ihr drinstecken, was unbedingt raus musste, und das würde es früher oder später tun. „Na?", ergänzte er provozierend.
„So kenn ich dich gar nicht!", schrie sie plötzlich. „Seit wann interessierst du dich mehr für ein Mädchen, das halt mal schwebt, als für die Menschheit?!" Sie gestikulierte wild mit ihren Armen herum und lief sogar ein wenig rot an. Er meinte zu sehen, wie sie sich langsam vor Zorn in die Luft erhob. „Hast du mich eigentlich verstanden?! Das-Tor-von-Trost-ist-zerstört-worden!" Diesen Satz sagte sie, ohne einmal Luft zu holen. „Kapiert?! Kolossaler Titan. Krach. Bumm! Kaputt! Steck dir deine Fragen sonst wo hin! Du steigerst dich da viel zu sehr rein!"
Er runzelte ganz leicht die blasse Stirn. „Wer steigert sich in was rein?" Er glättete seine Haut wieder und blickte sie direkt an. „Und zu deiner Information, du kennst mich gar nicht. Andernfalls wüsste ich das."
„Verdammt, Levi!!", rief sie plötzlich so laut wie noch nie in den letzten Minuten. Sie schoss auf ihn zu, packte ihn vorne am Kragen und zog ihn ein wenig zu sich. Ihr Gesicht war eine Handbreit von seinem entfernt und trotzdem schrie sie ihn an als wäre er fünfzig Meter entfernt. „Dort sterben Menschen!"
„Lass mich los!" Jetzt wurde auch er ein wenig laut. Seine Klingen steckte er in die Halterungen an seiner Hüfte zurück. Dann packte er sie schnell an den Handgelenken und versuchte sie wegzuschieben, doch sie ließ nicht locker. „Es ist mir egal, ob ich mich irgendwo reinsteigere!"
Er packte noch fester zu. Dabei fiel ihm etwas auf. „Lass mich los!", wiederholte er scharf. Schnell huschten seine Augen von ihren Händen an seinem Kragen, den Arm entlang, bis zu ihrem Gesicht. Dort bemerkte er etwas. Für einen ganz kurzen Moment sah er, wie in ihrem Gesicht die Wut verschwand und durch Schmerz ersetzt wurde. Doch es war nur für den Bruchteil einer Sekunde.
„Ich hab halt noch nie Menschen sterben sehen! Und vor allem nicht auf solche Weise...!", endete sie und ließ ihn endlich los. Sie schwebte schwer keuchend ein wenig zurück und hielt erst ihr eines, dann ihr anderes Handgelenk. Levi rückte seinen Kragen zurecht und empfand gleichzeitig ein kleinwenig Schuld wegen der Handgelenke. Aber nur ganz wenig.
„Du hast mich greifen können", stellte er nach einer Pause, in der man nur das Keuchen des Mädchens hörte, ruhig klar. Sie hatte angefangen, ihre eine Hand probehalber zu schütteln, um zu gucken, ob alles noch funktionierte, doch auf einmal hielt sie inne und betrachtete verwundert ihre Handgelenke. „Stimmt. Und du mich auch."
„Deine Hände", teilte er ihr mit, „wirkten so klar." Sie blinzelte ihn verwundert an und er ergänzte: „Davor hab ich es nicht bemerkt, aber dein ganzer Körper ist ein wenig..." Er musterte sie nochmal kurz, um das richtige Wort zu finden. „... durchscheinend. Aber als du mich gerade gepackt hast, sahen deine Hände so fest aus. So, wie sie aussehen sollten." Erstaunt betrachtete sie ihre Hände.
„Das ist mir schon mal passiert", hörte er sie leise murmeln. „Mit meiner Stimme..." Sein Blick ruhte auf ihr. Er wartete. Sie schaute zu ihm. „Vor ein paar Stunden in Trost. Ich wollte unbedingt mit jemand sprechen und anfangs hat es nicht geklappt, doch nach einer Weile, nachdem ich gedacht hatte, dass er mich auf jeden Fall hören muss, tat er das auch..." Sie knetete ihre Unterlippe und blickte nachdenklich aufs Dach.
Levi dachte nach. Nachdem er einen Entschluss gefasst hatte, entwich ihm ein leises Seufzen. „Gut, für den Anfang reicht es mir, wenn du mir beweist, dass du auf meiner Seite bist."
Sie blickte zu ihm auf. Hoffnung schimmerte in ihren Augen auf. „Meinst du das ernst?" Er nickte leicht. Sie machte eine Siegerpose und grinste dabei triumphierend. „Yes!" Dabei zog sie das S ziemlich lang.
Der Kapitän musste sich eingestehen, dass er die Sinneswandel dieser Person anstrengend fand. „Was ist jetzt?", fragte er nach und zog seine Klingen. In diesem Gebiet war es ihm lieber, sie bereit zu halten. Dem Mädchen schien einzufallen, weswegen sie sich so freute, und ließ sofort ihre Haltung fallen. „Ähm... Ja... Genau...", meinte sie und blickte sich um. Zeitgleich stieg sie ein wenig höher. Sie hielt Ausschau. Anscheinend hatte sie keine Ahnung, was als Beweis dienen könnte. Er ließ sie nicht aus den Augen, auch als er den Kopf in den Nacken legen musste.
Dann, circa fünfzehn Meter über Levi, schien sie etwas zu entdecken. „Dahinten! Einer deiner Männer wird von einem Riesen gegriffen!" Der Schwarzhaarige schaltete augenblicklich auf Kampfmodus. „Wo?" Er sah, wie sie nach Süd-Westen deutete. „Dort!"
Er flitzte sofort los. Aus dem Augenwinkel sah er, dass das Mädchen ihm hinterherflog... Flog..., schoss es ihm durch den Kopf. Er richtete seine Augen wieder auf den Weg vor ihm. Darüber würde er sich später Gedanken machen.
„Danach" Das Mädchen sprach während ihres Weges mit ihm „wirst du übrigens noch zwei Riesen erledigen, Petra kümmert sich um den Soldaten da..." Mit einer Kopfbewegung zu dem Riesen und dem Soldaten, die sie ansteuerten, deutete sich nach vorne und wirkte auf einmal geschockt. „... der gerade in den Mund genommen wurde..." Sie wurde blass. Levi beobachtete ihre weiteren Reaktionen. Das Mädchen war in Gedanken versunken. Doch plötzlich schüttelte sie den Kopf und holte sich ins Hier und Jetzt zurück. „Äh... Ja... Und zwei deiner Männer werden einen weiteren Riesen töten."
Levi ließ sich einfach weiter durch die Straßen gleiten, ohne ein Wort zu sagen. Über Petra selber hätte sie sich vorher informieren können... Die Sache mit den Riesen wartete er mal ab. Wenn sich dies alles bewahrheiten würde...
Sie waren bereits dem Soldaten und dem Riesen ziemlich nahe. Der Kapitän packte seine Griffe mit den Klingen fester und knirschte mit den Zähnen. Der Unterkörper des Mannes steckte im Mund des Riesens, während dieser spielerisch darauf herumkaute. Doch der Soldat hatte noch nicht aufgegeben, er nahm seine abgebrochene Klinge sicher in die Hand und rammte es in die Wange des Riesens. Sofort hörte der auf zu kauen und schielte runter zum Mann in seinem Mund. Er wirkte ganz und gar nicht erfreut. Einen Moment später biss er fester als vorher zu und der Soldat schrie schmerzvoll auf. Begleitet wurde das von einem hässlichen Knacken und nicht wenig Blut.
Levi bemerkte, wie das Mädchen etwas zurückfiel, ihr schreckerfüllter Blick war auf den Soldaten gerichtet. Der Kapitän selbst dagegen verspürte bloß Wut. Er war nun nahe genug. Schnell schoss er einen Haken am Nacken des Riesens vorbei, der sich in den Glockenturm, der sich dahinter befand, bohrte. Dann fuhr der Schwarzhaarige seine Drahtseile wieder ein, sodass er an seinem Ziel vorbeikam. Schnell und sauber schnitt er Fleisch aus dem Nacken. Dem Riesen, der nun zu Boden sank, glitt der Mann aus dem Mund.
Levi landete währenddessen auf einem Dach. Er blickte sich um. Zu seiner Rechten befand sich ein weiterer Riese, zu seiner Linken zwei.
„Kapitän!" Petra tauchte auf und landete vor ihm. „Ich habe die Verstärkung versammelt!" Während sie das sagte, landeten hinter ihr Eldo und Günther.
Levi reagierte schnell: „Petra, schau du nach dem Soldaten da unten." Er wandte sich an die zwei Männer hinter ihr. „Ihr zwei kümmert euch um die rechte Seite." Er hielt seine Klingen sicher in seinen Händen. „Ich mache die linke Seite sauber."
„Kapitän!", rief die rothaarige Frau noch, doch der Angesprochene hang sich bereits von einem Dach zum anderen. Seine Augen waren auf die Riesen vor ihm gerichtet. Zwei waren es. Und zwei seiner Männer machten einen anderen fertig. Auch sorgte sich Petra um den verwundeten Soldaten.
„Ich hab's dir gesagt, nicht wahr?" Wie aufs Stichwort erschien das Mädchen neben ihm und flog parallel zu ihm.
Da hatte sie Recht, das musste er sich eingestehen. Nun, immerhin war er es gewesen, der die Befehle erteilt hatte, aber in diesem Moment war es ihm am Richtigsten erschienen. „Wir reden später", meinte er also bloß. Zeitgleich landete er auf dem Dach, hinter dem die Riesen sich befanden. Levi schonte seine Ausrüstung und lief nun gemächlich auf sie zu. In seinen Händen hielt er sicher seine Klingen. Gleichzeitig wandten die Riesen sich ihm zu. Sie waren nicht gerade die hübschesten. Der Mund des einen war beispielsweise sperrangelweit offen. „Ihr habt alle so interessante Gesichter", kam es gelangweilt von Levi.
Doch er war nicht der Einzige. Das Mädchen hatte den Satz in genau dem gleichen Moment gesagt. Aus dem Augenwinkel schielte er sie missbilligend an. Sie hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt und ein besserwisserisches Grinsen auf die Lippen gelegt. Nervensäge, dachte Levi sich bloß.
Er richtete seine Konzentration wieder vollends auf die Missgestalten vor ihm. Sein linker Haken wurde abgefeuert und bohrte sich in das Gebäude hinter seinem ersten Opfer, er selber sprang rechts vom Dach. Das Drahtseil schnürte dem ersten Riesen die Kehle zu, während Levi sich gut zwanzig Meter schräg hinter dessen Nacken befand und seine Klingen bereithielt. Dann benutzte er seine Methode, die ihm seinen Erfolg verschafft hatte. Er drehte sich schnell um sich selbst und bewegte sich so auf den Riesen zu. Nicht mal eine Sekunde später flog das Nackenstück durch die Luft und sein Besitzer fiel zu Boden.
Kurz hatten seine Füße Kontakt mit einem Vorsprung eines niedrigen Turmes, dann sprang Levi schon wieder weiter. Seinen Haken hatte er bereits wieder eingeholt. Er war in der Luft direkt vor dem nächsten Riesen und holte mit beiden Armen aus. Dann löste er die Klingen von seinen Griffen und warf sie mit einem Laut, der Anstrengung und Wut widerspiegelte, in die Augen des Monsters. Sogleich hielt es sich diese und schrie schmervoll auf. Levi landete auf dem kahlen Kopf und sprach ganz ruhig mit ihm: „Halte still. Sonst kann ich dir..." Er hielt seine Griffe an die Behälter mit Reserve-Klingen, befestigte neue dran und zog sie schließlich. „... keinen sauberen Schnitt durch das Fleisch verpassen." Mit diesen Worten sprang er wieder in die Luft und drehte sich abermals wie ein Kreisel. Der Schnitt war schnell und präzise. Der Schwarzhaarige musste sich eingestehen, dass er es genoss Riesen umzubringen. Er hasste sie einfach und fand es bloß befreiend, wenn seine Klingen sich in ihr Fleisch bohrten.
Levi zog sich wieder auf ein Dach und betrachtete den Griff in seiner linken Hand. Dieser und seine Hand waren voller Riesenblut. „Tss!", schnaubte er. „Es ist ganz schmutzig geworden." Er holte ein Tuch hervor und wischte alles sauber.
„Wow!", kam es beeindruckt von dem Mädchen. Sie schwebte gerade über die nun dampfenden Riesen auf Höhe der Dächer auf Levi zu, ihr Blick galt den Besiegten. „Das live zu sehen ist viel besser!" Er ignorierte sie einfach und ließ die Frage in seinem Kopf sich nicht einmal formen. Davon gab es inzwischen zu viele.
Das Mädchen schwebte inzwischen neben ihm und sah, wie er putzte. „Mann!", kam es von ihr. Sie stemmte die Hände in die Hüften und guckte auf das Tuch und den Griff. „Ich kapier dich da wirklich nicht! Das Blut eines Riesens verdampft doch sowieso früher oder später."
Er war fertig. „Ist doch gut", meinte er und stopfte sein Tuch zurück in eine Tasche seiner Uniform. „Dann bleibt das Tuch sauber." Er steckte seine Klingen zurück in die Halterungen und sprang zum nächsten Dach.
„He!", machte das Mädchen und flog ihm hinterher. „Offensichtlich wird Anschauen während eines Gesprächs überbewertet." Er lief ungerührt weiter über die Dächer in die Richtung, in der sich der Soldat und Petra befanden. „Ich hab gesagt, dass wir später reden", kam es von ihm.
„Das hast du vorhin gesagt und im Vergleich zu vorhin ist jetzt später", machte sie ihn darauf aufmerksam.
„Später", meinte er bloß. Er schaute sie immer noch nicht an. Sie flog neben ihm her, hatte sich zu ihm gedreht, sodass sie sich seitwärts fortbewegte. Ihre Arme waren wieder vor der Brust verschränkt. „Und wann ist später?", quengelte sie.
Sie waren am Dach bei dem besiegten Riesen und dem Soldaten angekommen. Petra war bei ihm und versuchte die Blutung zu stoppen. „Nerv nicht", wollte Levi und ließ sich vom Dach gleiten. Zurück ließ er ein Mädchen, das erst beleidigt war, dann schmollte und schließlich doch folgte.
Aufgrund seines gemächlichen Schrittes war es nicht schwer für sie, ihn einzuholen. Doch sie hielt sich schräg über-hinter ihm. „Ähm...", meinte sie etwas bedrückt. „Ich will dich nicht deprimieren oder so, aber... der Soldat... wird das nicht überleben."
Levi sagte nichts, änderte nichts an seinem Gang oder zeigte keine auffälligen Anzeichen dafür, dass er diesen Satz zur Kenntnis genommen hatte. Doch das hatte er durchaus. Was das Mädchen aber auch nicht sehen konnte, war, dass sich sein Gesicht ein kleinwenig verhärtete.
Er kam beim Soldaten und Petra an, das Mädchen flog irgendwo in der Luft herum. Der Soldat lag rücklings auf dem Boden und war voller Blut. Petra kniete neben ihm und presste ein Tuch auf die Wunde am Bauch, wo der Riese ihn gebissen hatte. Allerdings wirkte sie verzweifelt.
„Kapitän", sprach sie Levi an, als sie ihn sah. „Ich kann die Blutung nicht stoppen!" Er ließ seinen Blick von der Wunde bis zum blutverschmierten Gesicht des Mannes wandern.
„Kapi...tän", keuchte der verletzte Soldat. Levi kam näher und kniete sich hin: „Was?" Er wartete ab und schaute zu, wie der Mann keuchte. Jeder könnte sehen, dass er seine letzten Atemzüge tat. Das Mädchen hatte also vermutlich wieder Recht.
Sie flog übrigens immer noch hinter ihnen in luftiger Höhe herum und hatte angefangen, irgendwelche Lieder in einer Sprache zu singen, die Levi noch nie gehört hatte: „... I can walk 500 miles. And I can walk 500 miles..." Das, so fand er, war nun wirklich der unpassendste Moment, um zu singen.
Doch das nahm er nur am Rande seines Bewusstseins wahr. Er konzentrierte sich auf den Soldaten vor ihm. „War ich...", keuchte der gerade mit letzter Kraft, „... für die Menschheit... nützlich? Oder..." Schwer hob er seine Hand an, an der Blut klebte. „... werde ich... nutzlos sterben?" Tränen bildeten sich in den Augen des Mannes.
Kurz reagierte Levi nicht. Dann hob er ebenfalls seine Hand und griff die blutige des Soldaten. „Du warst gut", sagte er schlicht. „Und du wirst noch mehr tun. Dein Geist wird bei mir bleiben und mir Stärke geben!"
„... You spin me right round, baby, right round like a record, baby, right round, round, round..."
Entschlossen blickte Levi dem Soldaten in die Augen. Seine Stimme nahm an Lautstärke zu. „Ich schwöre dir, ich werde die Titanen auslöschen!" Seine Hand und die der Soldaten griffen brüderlich ineinander. Blut des Anderen floss Levis Daumen entlang, doch er machte keine Anstalten, von wegen Sauberkeit oder dergleichen. Nicht hier, nicht jetzt.
„Kapitän, er ist weg...", teilte Petra ihm bedrückt mit.
Im Gesicht des Schwarzhaarigen war etwas wie Trauer zu erkennen. Er wandte sich an die Frau. „Hat er alles gehört?" Er sah, dass Tränen über ihr Gesicht liefen.
„Ich bin mir sicher, er", meinte sie, „hat das alles gehört. Er ruht jetzt so friedlich."
Levi blickte in das Gesicht des Toten und schloss anschließend die Augen. „Gut, dann..." Er richtete sich auf.
„... It's a beautiful day and I can't stop myself from smiling..."
Jetzt reichte es ihm. Er drehte sich zu dem Mädchen mit einem bösen Blick um, doch als er sie sah, hielt er inne. Sie war weiter weg als erwartet, fast schon auf der Höhe der Dächer. Und sie wirkte nervös. Sie hatte die ganze Zeit, den toten Soldaten im Blick und schien für nichts Anderes Augen zu haben. Zudem war ihre Stimme etwas... angespannt. Sie schien den Tränen nahe zu sein.
Sie hatte gesagt, dass sie bis heute Menschen noch nie hatte sterben sehen. Sie hatte anscheinend nicht gelogen. Es machte sie richtig fertig. Das erste Mal sah Levi diese Nervensäge anders. In diesem Moment wirkte sie wie ein schutzloses Mädchen, das mit solchen Grausamkeiten des Lebens nicht fertig wurde.
„Levi!" Das Geräusch von Pferdehufen auf Stein drang in seine Ohren. Er drehte sich um und sah Erwin und einige seiner Männer auf Pferden. „Wir gehen zurück!", teilte der Kommandant seinem Stellvertreter mit.
„Zurück?", fragte Levi scharf nach. „Wir haben unser Limit noch nicht erreicht!" Er guckte finsterer. „Willst du sagen, dass meine Männer umsonst gestorben sind?"
„Die Titanen haben alle begonnen, sich nach Norden in Richtung Stadt zu bewegen", berichtete Erwin. Petra holte entsetzt Luft und Levi ließ etwas von sich hören, dass wie ein kurzes Knurren klang. „Ha!", machte das fremde Mädchen. Sie hatte sich, nachdem der Schock über den Tod des Soldaten überwunden war, sich zu der Gruppe gesellt, die die Nervensäge ganz offensichtlich – und zu deren Glück, fand Levi – tatsächlich nicht sehen konnte und bei der sie nun circa eineinhalb Meter über dem Boden schwebte, und blickte triumphierend auf Levi hinab. „Ich hab's dir gesagt! Aber der tolle Herr Kapitän wollte ja nicht hören." Trotzig verschränkte sie die Arme vor der Brust. Levi presste die Zähne zusammen. Das lag allerdings nicht an der Nervensäge, sondern an der Tatsache, dass die Riesen sich zur Mauer Rose bewegten.
Erwin drehte seinen Kopf Richtung Norden, dort, wo Trost lag. „Es ist wie vor fünf Jahren. Etwas ist in dieser Stadt geschehen. Sie sind vermutlich schon durch die Mauer gebrochen."
„Ja, das sind sie!" Das Mädchen nickte eifrig in die Runde. „Schon lange!" Keiner hörte oder sah sie bis auf den schwarzhaarigen Kapitän. „Und ihr hättet auch schon lange dort sein können!" Dabei warf sie Levi einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Halt deine Klappe, Nervensäge!", meinte er in seiner normalen Lautstärke, aber dennoch mit Schärfe, zu ihr. Alle Soldaten drehten sich zu ihm um. „Levi?", kam es fragend von Erwin. Der hatte sich aber schon umgedreht und lief die Straße entlang. „Kommt, wir müssen zurück." Er war es nicht gewohnt, so im Ungewissen zu sein.
Der Rest der Gruppe schaute ihm etwas verdattert nach. „Levi?", wiederholte der Kommandant nochmal leise.
Das Mädchen unterdessen flog hinter dem Schwarzhaarigen her und schüttelte sich in der Luft förmlich vor Lachen: „Hast du ihre Gesichter gesehen? Das war göttlich!" Er schwang sich inzwischen auf die Dächer und sagte gar nichts. Er schaute sie nicht einmal an, doch sie störte das anscheinend nicht. „Aber du hast es gehört!", meinte sie nun triumphierend.
Der Haken seiner Ausrüstung bohrte sich in den nächsten Stein. Sie waren fast da, waren nicht weit von den Pferden weg gewesen.
„Ich hab dir gesagt, dass die Mauer eingerissen wurde!" Belehrend hob sie ihren Zeigefinger. Sie flog wieder seitwärts mit dem Blick zu ihm. Er hörte, wie ihm einige Soldaten folgten, allerdings lagen die einige Meter zurück. „Hör in Zukunft auf mich! Ich hab bewiesen, dass ich auf deiner Seite stehe. Hätte ich dir nichts von dem Soldaten gesagt, wäre er gefressen worden."
„Er ist trotzdem gestorben", erinnerte Levi sie kurz angebunden. Sie waren da. Er landete.
„Aber nicht auf diese schreckliche Art und Weise", ergänzte sie. „Ohne mich wäre er nun im Magen dieses... Dings. Glaub mir, ich stehe auf eurer Seite!"
Er machte alles für den Abmarsch bereit. In der Zwischenzeit landeten auch nach und nach Soldaten, die sich sofort um ihre eigenen Pferde kümmerten.
„Du weißt, dass ich nützlich sein könnte", redete sie weiter. „Ich weiß einige wichtige Dinge, nicht wahr?" Sie grinste ihn an. „Dazu hast du bestimmt auch ein paar Fragen." Sie seufzte und fuhr sich durch den Pony. Sie benahm sich wie eine berühmte Persönlichkeit, der die ganze Fragerei allmählich stressig wurde.
Doch er wollte tatsächlich einige Antworten haben.
„Aber du willst ja nicht mit mir reden", erinnerte sie sich und schien wieder zu schmollen. „Erst später..."
Er bestieg sein Pferd...
„Wann ist später?"
... und setzte sich hin. „Jetzt."
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