Gemeinsam

Kapitel 25 – Gemeinsam


Levi und die Nervensäge verließen die Kutsche. Man hörte bereits Schreie, viele Straßen entfernt.

Erwin stand schon draußen und war Nile Dawk, dem Kommandanten der Militärpolizei, zugewandt. Das letzte Mal, als der kleine Kapitän ihn gesehen hatte, war in Erens Gericht vor einem Monat gewesen. Der Kommandant der Aufklärungslegion trug bereits den grünen Umhang, auf dessen Rückseite das Zeichen seiner Militäreinheit. Er sprach mit ernster, autoritärer Stimme zu seinem Gegenüber mit dem grünen Einhorn, dessen Augen seine Angst vor der Unwissenheit und dunklen Vorahnung widerspiegelten: „Schick alle deine Soldaten los. Wir müssen davon ausgehen, dass ein Riese aufgetaucht ist."

„Was redest du da?", war die laute Reaktion Niles. Auch wenn er Panik hatte, versuchte er, die Kontrolle zu behalten. „Das hier ist die Mauer Sina, hast du das vergessen? Es ist unmöglich, dass ein Riese hier erscheint!"

Levi stand leicht versetzt hinter Erwin. Im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden – sogar der Nervensäge, die hinter ihm leicht auf und ab schwebte – trug er keine Soldatenuniform.

Hinter ihnen wurde eine Tür aufgeschlagen, gefolgt von einem „Hey! Warte!" eines Mitglieds der Militärpolizei. Erwin, Levi und Motte wandten sich um und sahen, wie der Junge Jean mit der Perücke aus seiner Kutsche gesprungen kam. In einer Hand hielt er den zusammengerafften Umhang der Aufklärungslegion. Der Soldat der Militärpolizei packte ihn an den Schultern: „Es ist dir nicht erlaubt, die Kutsche zu verlassen, Jäger!"

Gereizt griff sich der eigentlich Hellbraunhaarige an die falschen Haare und zog sie vom Kopf: „Ich hab keine Lust mehr, Doppelgänger zu spielen!" Erschrocken wich der andere Soldat zurück. „Nenn mich nie wieder so, Vollidiot!", rief Jean ihm über die Schulter zu, während er bereits zu Erwin joggte. „Kommandant!", meldete er sich bei ihm angekommen und stand stramm da. „Lassen Sie mich auch gehen!"

Der Blonde nickte. „Hol dir deine Ausrüstung bei der vierten Einheit ab."

„Verstanden, Sir!", erwiderte der Junge mit fester Stimme und warf sich seinen Umhang um die Schultern.

„Es ist gut motiviert zu sein", sprach Levi zu ihm, bevor er verschwand. „Aber vergiss nicht, auch dein eigenes Leben zu schützen."

Schnell wandte Jean sich dem Schwarzhaarigen zu. „Verstanden!", wiederholte er und ging dann schnellen Schrittes davon.

„Weise Worte, alter Mann", lobte die Nervensäge ihn mit ernstem Blick. Sie meinte es trotzdem als Scherz, das wusste er.

„Kommst du schon wieder damit an?", erwiderte er mit leiserer Stimme, dass nur sie ihn hören konnte. Dafür drehte und neigte er seinen Kopf leicht zu ihr.

Da runzelte sie ihre Stirn: „Schon wieder?", wiederholte sie. Offenkundig erinnerte sie sich nicht mehr daran, dass sie bereits so etwas Ähnliches zu ihm gesagt hatte.

„Vor ein paar Tagen im Wald der Riesigen Bäume", half er ihr auf die Sprünge.

Mit einem vor Konzentration verzerrten Gesicht überließ er die Nervensäge ihren Überlegungen und wandte sich wieder Nile und Erwin zu.

„Erwin", kam es vom Erstgenannten. „Was passiert hie-...?"

Er wurde unterbrochen, da ein Soldat der Aufklärungslegion sich hinter ihm vom Dach seilte und „Kommandant!" an Erwin gerichtet rief. „Hier!" Vor dem kleinen Grüppchen ging er in die Hocke und öffnete den Koffer, den er bei sich trug. Zu sehen waren Klingen mit dazugehörigen Griffen und Behältern und einem Gasantrieb, die sicher in einem Kissen gepolstert waren.

„Danke sehr", erwiderte der Blonde.

„Sir."

Eine halbe Minute später war Erwin komplett ausgestattet und bereit.

„Hey, Erwin!", startete Nile einen relativ schwachen Versuch des Protests, der überhört wurde.

„Jeder, der sich bewegen kann, folgt mir!", ließ der Blonde seine Stimme über den Schauplatz schallen. „Wir schließen uns der Einheit an, die den Weiblichen Titan fangen wird." Sein Blick streifte Levis. Er hatte etwas Wissendes in sich. Der Kapitän würde aufgrund seiner Verletzung am Bein, die ihn immer noch beim Laufen ziemlich humpeln ließ, nicht gehen. Aber es ging nicht nur darum. Es ging auch um die Nervensäge. Theoretisch gesehen könnte sie mitkommen, doch ihr fehlten das Training und die Erfahrung.

Levi ärgerte sich über sich selbst. Hätte er vor einer guten Woche im Kampf gegen den Weiblichen Titanen aufgepasst, würde er helfen können. Vielleicht dadurch sogar das Leben einiger Soldaten retten. Stattdessen stand er hier in Zivilkleidung und durfte zusehen. Zusehen und nichts machen. Er konnte es ganz und gar nicht leiden.

„Halt, Erwin!" Nile stellte sich ihm in den Weg. In seinen Händen hielt er sein Gewehr. Er blickte sehr verärgert. Im nächsten Moment legte er an und zielte direkt zwischen die Augen des Blonden. Diese Bewegung war der Befehl für die Soldaten der Militärpolizei, die sich hinter ihrem Kommandanten in einem Halbkreis um Erwin und Levi (und der Nervensäge) aufgestellt hatten; auch sie legten an und zielten auf den Vertreter der Aufklärungslegion. „Was du hier machst, ist eine offene Revolte gegen die Monarchie!", bellte ihr Anführer weiter.

„Soll ich ihm eins überbraten?", schlug die Nervensäge sich vor und flog hinter Erwins direkten Gegenüber. Sie fokussierte mit einem gemeinen Grinsen seinen Hinterkopf, während sie ihren rechten Ärmel hochraffte. Drohend schwang sie die dazugehörige Faust.

Sie wusste, dass Levi nicht darauf reagieren würde, was er auch nicht tat. Stattdessen sprach er mit seiner ruhigen Stimme mit dem Bedrohten: „Nile, ist dein Kopf genauso hohl wie dein Gewehrlauf? Du bist allem Anschein nach völlig blauäugig."

„Leg die Ausrüstung ab, Erwin!", wiederholte der Mann, lauter als zuvor. Er rückte das Gewehr in seinen verschwitzten Händen etwas besser in Position.

Eindringlich blickte der blonde Kommandant mit seinen blauen Augen in die seines Gegenübers. Er rührte sich kein Stück.

„Nur einen kleinen Patzer, nicht schlimm...", murmelte die Nervensäge vor sich hin und tat so, als würde sie prüfen, von welchem Winkel der Schlag am effektivsten sein könnte. Levi fragte sich, ob sie es wirklich zustande bringen könnte, Nile zu schlagen, sodass es ihm richtig wehtat.

Jedoch blieb das unbeantwortet, die Aufmerksamkeit aller wurde von etwas abgelenkt. Ein zweiter grell-gelber Blitz schlug in die Stadt ein. Wieder in der Nähe der Tunnel. Eren, wusste Levi.

„... gezögert..." Motte murmelte, aber dieses Mal unbewusst. Levi hörte es und drehte seinen Kopf zu ihr. Sie blickte wie alle anwesenden Soldaten der Militärpolizei zum hellen Licht. Erwin hielt seine Augen auf Nile gerichtet.

„Was denn jetzt?!", tobte der am Ende seiner Nerven.

Von der Ferne war lautes Rumpeln zu hören, Geschrei und Gebrüll. Allmählich zogen Rauchschwaden zwischen den Häusern hervor, aus dieser Richtung kamen auch die Geräusche. Levi und Erwin wussten, was dort vonstattenging. Nile offensichtlich nicht.

Er sah es erst ein, als zwei Soldaten der Militärpolizei auf ihn zugestürmt kamen. In ihren Augen spiegelte sich pure Angst wider: „Kommandant! Hier in Stohess... kämpfen zwei Riesen!!" Sie keuchten schwer, benötigten Luft.

Nile, der sein Gewehr immer noch auf Erwin gerichtet hielt, sich jedoch den Soldaten zugewandt hatte, ließ die Waffe unbewusst ein wenig sinken. „Was sagt ihr da?!"

Einer von beiden nickte: „Ja. Der Schaden ist unvorstellbar."

„Eine hohe Zahl von Verlusten Zivilisten und Soldaten betreffend wurde gemeldet", fügte der zweite hinzu."

Der Kommandant der Militärpolizei zitterte vor Wut. Mit einem Mal richtete er den Lauf seines Gewehres sowie seinen Blick wieder auf den Kommandanten der Aufklärungslegion. „Erwin!"

„Wuoh, jetzt aber mal sachte...", murmelte die Nervensäge und hob ihren Arm wieder etwas. „Ich bin jeder Zeit bereit, Levi. Du musst mir nur Bescheid geben."

Er verschränkte die Arme vor der Brust. Sollte es keine andere Wahl geben, würde der Schwarzhaarige darauf zurückkommen. So als allerletzte Alternative.

„Hast du das alles zu verschulden?!" Die vor Zorn gerufenen Worte Niles lenkte Levis Aufmerksamkeit wieder auf das Schauspiel vor seinen Augen.

Erwins Antwort war ruhig: „So ist es." Wieder das krachende Geräusch von Stein auf Stein und leise Schreie. „Alles wurde nur aufgrund meines Kommandos in Bewegung gesetzt." Weiterhin bewahrte er Ruhe und verlor nicht seine Fassung, seinen Ernst und seine Autorität; verlor nicht seine Würde. „Ich habe nicht vor, mich zu entschuldigen."

Eine Sache hatte es bewirkt, Nile ließ tatsächlich sein Gewehr sinken. „Manno!", schmollte das Geistermädchen daraufhin und schwebte zu Levi zurück. „Ich hätte ihn gerne eins auf den Deckel gegeben." Levi gab ihr mit einem Blick zu verstehen, dass sie ruhig sein sollte. Das hier war eine angespannte Situation. Ob sie das auch gesehen beziehungsweise begriffen hatte, war eine ganz andere Frage.

Der Kommandant der Militärpolizei schritt auf Erwin zu, der immer noch keine Miene verzog, auch nicht, als er vorne am Kragen gepackt wurde. „Du weißt sicherlich gut Bescheid, was dein Plan für Konsequenzen mit sich tragen wird! Wie..." Seine Stimme brach ab und der benötigte einen zweiten Anlauf. „Wie kannst du so etwas tun?!"

Eine Wolke zog an der Sonne vorbei und legte einen dunklen Schatten über die Stadt.

„Das dient dem Sieg der Menschheit", antwortete der blonde Kommandant trocken.

„Verarsch mich nicht!!", schrie sein Gegenüber. Mit einem Mal war das Gewehr wieder angelegt.

„Yey!", freute sich die Nervensäge und begab sich wieder in Position.

„Du bist ein Verräter!", wütete Nile weiter. „Wenn ich dich hier und jetzt erschießen würde, bezweifle ich, dass das den Oberen etwas ausmachen wird!"

Levi beobachtete Erwin aus dem Augenwinkel genau. Um ehrlich zu sein, war er sich nicht ganz sicher, wie das jetzt noch gut für ausgehen könnte. Na ja, im Notfall konnte die Nervensäge aushelfen... Möglicherweise... Hoffentlich... Vielleicht sollte er mit ihr mehr als nur Manifestation trainieren.

„Das macht mir nichts aus", erwiderte Erwin, die Ruhe selbst. „Jedoch werde ich alles in deine Hände legen müssen." Nile stutzte überrascht, doch der Blonde machte ungerührt weiter. „Lasse den Weiblichen Titanen nicht entkommen, was auch immer es kosten mag! Paul ist für die Truppenabteilung zuständig. Vyler kümmert sich um die Vorräte. Arbeite mit ihnen zusammen und treibe den Feind im Osten in die Enge..."

„Warte! Warte!", unterbrach Nile ihn vehement, aber auch ängstlich. „Du... Hast du... Glaubst du wirklich, dass das alles zum Wohle der Menschheit geschieht?"

„Ich bin überzeugt, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist", antwortete Erwin fest. Das ließ Nile angestrengt nachdenken. Er rückte sein Gewehr in eine bessere Position, woraufhin die Nervensäge sofort ausholte.

Doch dann ließ er ergeben seine Waffe sinken und befahl seinen Soldaten, es ihm gleichzutun.

Das schien sogar Erwin zu überraschen.

„Echt jetzt?", erwiderte die Nervensäge verwundert. Die Anspannung fiel von ihrem Körper und sie blinzelte verdutzt auf Niles Hinterkopf. „Nicht schlecht...!"

Jedoch hatte sie sich zu früh gefreut. „Nehmt ihn fest! Versammelt alle Truppen hier...!", befahl der Kommandant im nächsten Moment.

„Dann eben doch nicht!", freute sich die Nervensäge wieder.

„... und evakuiert die Bürger!"

Um Levis Erlaubnis abzuholen, blickte sie strahlend zu ihm, er aber schaute sie an und schüttelte sachte den Kopf. Solange Erwin nicht in Lebensgefahr war, war alles in Ordnung, da sollte Motte nicht noch unnötige Scherereien verursachen. Nile hatte sich sogar geschlagen gegeben.

„Rettungsoperationen haben höchste Priorität!", endete der Kommandant der Militärpolizei. Jetzt hatte sogar Motte begriffen, dass sie gewonnen hatten. Enttäuscht legte sie den Kopf zurück: „Was? Jetzt echt nicht?", stöhnte sie auf. Sie seufzte ergeben und schwebte murrend zu Levi zurück.

„Verstanden, Sir!", erwiderten die Soldaten unisono und schwärmten aus.

„Erwin", wandte Nile sich nochmal an ihn, „ich lasse die Vollstreckung deiner Exekution von einem Gericht entscheiden."

„Sobald das hier alles vorüber ist, sehr gerne", meinte Erwin höflich ließ sich von zwei Soldaten Handschellen anlegen.

Levi lief zu der Kutsche, in der sie bis vor einigen Minuten noch gefahren waren, doch Erwin brachte ihn zum Stillstand: „Levi, du bleibst hier. Du magst doch keine sinnlosen Tode, oder?"

„Ja, das stimmt", erwiderte der Schwarzhaarige angesäuert. „Unabhängig davon, ob es sich um meinen oder um den anderer handelt."

Dann gingen Nile und anderen Soldaten mit Erwin davon. Motte und Levi waren alleine mit den zwei Kutschen. Sie warteten, bis die anderen außer Hörweite waren. Anschließend machten sie sich an die Arbeit.

„Also, in welcher Kutsche war nochmal deine Ausrüstung?", fragte die Nervensäge und stemmte fachmännisch die Hände in die Hüften. „In unserer", seufzte er. „Alles andere wäre unsinnig gewesen."

Erwin und Levi hatten diesbezüglich nur ein paar Worte wechseln müssen. Für den schwarzhaarigen Kapitän war von Anfang an klar gewesen, dass er immer im Hintergrund in Bereitschaft stehen musste, Verletzung hin oder her. Die Nervensäge hatte das ebenfalls begriffen.

Also holten sie beide seine Ausrüstung aus der Kutsche. „Brauche ich die überhaupt?", erkundigte er sich. Sie dachte kurz nach: „Soweit ich weiß, ja. Aber eigentlich bist du fast gar nicht notwendig, wenn ich mal genauer darüber nachdenke." Erkenntnis flackerte in ihren Augen auf. „Ja! Eigentlich tauchst du nur aus dem Nichts auf und schwingst kurz deine Schwerter."

Levi runzelte die Stirn, während er sein Jackett ablegte und begann die Ledergürtel anzulegen: „Ach, und wofür?"

„Um Eren aus seinem Riesennacken zu schneiden", antwortete sie nüchtern. Dann hielt sie inne. „Oh je, stell dir mal vor, jemand würde diesen Satz ohne Kontext in eine Konversation einbringen." Im nächsten Moment fing sie an bei dieser Vorstellung zu lachen. Levi blieb stumm. So ein Kindskopf!, dachte er nicht böse bei sich. Mehr wurde für eine Weile nicht geredet, sodass der Lärm des Kampfes wieder deutlicher zu hören war. Levi merkte, dass Motte die ganze Sache mit ihrem Einfluss immer noch beschäftigte.

Zum Schluss warf er sich seinen Mantel mit den Flügeln der Freiheit über und wollte schon losgehen, doch er merkte, dass etwas nicht stimmte. Er hatte vergessen die Schnallen an seinem linken Bein zuzumachen. Um dies schnell zu erledigen, bückte er sich. Augenblicklich schoss ausgehend vom Knöchel ein scharfer Schmerz durch seinen Unterschenkel. Automatisch sog er scharf Luft ein und richtete sich wieder auf. Scheiße! Wie sehr er doch sein Handicap verfluchte.

„Warte, lass mich machen!", rief die Nervensäge eifrig, flog vor sein linkes Bein und manifestierte sich komplett im Schneidersitz. „Du weißt doch gar nicht, wie das geht", dachte Levi laut.

„Doch, glaub schon", erwiderte sie überzeugt und machte sich schon an der Schnalle zu schaffen. „Ich habe dir einen Monat zugesehen, wie du das tagtäglich anziehst. Außerdem..." Kurz streckte sie ein Bein aus und hielt es leicht erhöht, sodass er seinen Blick dorthin wandern ließ. „... trage ich selber sowas. Irgendwas wird schon hängengeblieben sein." Sie klappte ihr Bein wieder ein. Levi merkte, wie sie sich vor Anstrengung auf die Zunge biss. Die Ledergürtel waren anscheinend doch komplizierter, als sie gedacht hatte. Dennoch machte sie weiter. Und er ließ sie.

„Weißt du, eigentlich finde ich es gar nicht gut, dass du dein Bein belasten musst. So wird das nicht wieder gesund", zeterte sie rum, ohne ihren Blick von ihrer Arbeit zu wenden oder diese zu unterbrechen. „Je mehr du es überanstrengst, desto langsamer heilt es, desto länger dauert es, bis du wieder vollkommen funktionstüchtig bist, desto länger bist du schlecht gelaunt."

„Red' keinen Blödsinn, ich bin nicht schlecht gelaunt", meinte er daraufhin nur und wandte seinen Blick von ihr ab. Unbewusst hatte sich eine kleine Spur Trotz in seine Stimme gemischt, die Motte gehört hatte. Für einen Moment hielt sie inne und schaute mit einer hochgezogenen Augenbraue zu ihm auf. Dann machte sie weiter. Er wusste, dass sie recht hatte, doch er wusste auch, dass Erwin, der ja Mottes Ansicht teilte, ihn brauchte. Die Menschheit ging ganz klar vor, doch wenn er nur halben Einsatz zeigen konnte, brachte das auch nicht viel.

Levi seufzte leise auf. Er wollte das Thema wechseln. „Was du gesagt hast, vorhin in der Kutsche...", begann er und merkte sofort, dass ihre Bewegungen langsamer wurden. Das war ein Thema, über das sie nicht reden wollte. Ihre Sorgen kamen ihr lächerlich vor. „Das ist gut", setzte er fort, während sie so gut wie fertig war. „Du bist ein Teil dieser Welt und das hast du begriffen. Du beeinflusst sie wie jeder andere auch: Du vertrittst deine Meinung, du triffst Entscheidungen, du unterstützt das, was du für richtig hältst, du kämpfst ums Überleben." Plötzlich stockte sie.

Er schaute zu ihr, wollte wissen, was los war. Sie zitterte, hatte Angst. Wieder einmal musste Levi sich in Erinnerung rufen, wer Motte eigentlich war. Er war es gewohnt, solche Worte zu jungen Soldaten zu sprechen, die sich noch nicht bewusst waren, welche Verantwortung sie trugen. Aber Motte war anders. Sie war verwöhnt vom sicheren Leben, das sie gewohnt war. Das Leben aus einer Welt, die sich Levi immer noch nur schwer vorstellen konnte. Dennoch konnte er mehr Rücksicht als sonst bezüglich ihrer Ängste empfinden. Rein gar niemand wusste, wie es war, nicht nur zu einer, sondern zu zwei Welten zu gehören.

Motte sah ihn nicht an. Immer noch manifestiert im Schneidersitz sitzend blickte an seinem Bein vorbei ohne etwas Bestimmtes zu fokussieren. „Du", meinte sie leise, man könnte schon fast schüchtern meinen, „hilfst mir doch dabei... Oder? Ich meine, ein Teil dieser Welt zu sein..."

Nein, nicht schüchtern... Hilfesuchend.

Mit vor Überraschung leicht geöffneten Mund starrte Levi sie an. Nicht die Worte hatten ihn überwältigt, sondern das Gefühl, dass sie plötzlich in ihm ausgelöst hatten. Er wusste nicht, wie man das beschreiben konnte. Es war, als hätten sich Zuneigung und Beschützerinstinkt vermischt und etwas Neues geformt. Ihm war dieses Gefühl nicht unbekannt, jedoch hatte nicht damit gerechnet, es je wieder zu empfinden. Einige Sekunden blieb er ruhig, unschlüssig, was er denken sollte.

Ihm fiel auf, dass die Nervensäge, die ihn immer noch nicht anschaute, tatsächlich fertig war und alles richtig gemacht zu haben schien. Er gab ihr keine Antwort auf ihre Frage, er begann einfach loszulaufen. Beim Vorbeigehen jedoch legte er eine Hand auf ihren Kopf und wuschelte ihr kurz durch die struppigen Haare: „Komm jetzt. Wir müssen los."

Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie erst verdutzt aufblickte, dann aber seine Geste richtigerweise als Zustimmung auffasste. Strahlend entmanifestierte sie sich und schwebte ihm hinterher. „Sicher, dass ich dich nicht irgendwie stützen soll oder so?", bot sie sich fröhlich an. „Du humpelst ganz schön."

„Nicht nötig." Levi schoss einen der Hüfthaken ins nächstgelegene Haus und ließ sich hinterherziehen. Bevor er den Haken erreicht hatte, schoss er den nächsten ins nächste Haus und bewegte sich so vorwärts, während Motte grinsend neben ihm herflog. „Du bist nicht die einzige, die fliegen kann."

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