Dort, wo alles begann

Intermedium – Tag 714


„Gute Nacht, Mum."

„Willst du wirklich jetzt schon schlafen gehen?"

„Natürlich. Ich muss."

„Du... Du gehst wieder zu ihm, oder?"

„Warum sollte ich nicht?"

„Na, weil es gefährlich ist! Ich hab gesehen, was dort passiert. Hast du eine Ahnung, wie viele Sorgen ich mir mache, nur weil du ins Bett gehst?!"

„Ich hätte es dir nicht erzählen sollen."

„Doch! Doch, und dafür bin ich dir auch dankbar. Es... erklärt Vieles, aber es ändert nichts daran, dass ich Angst um dich habe."

„Ich kann nichts dran ändern. Selbst wenn ich wollte. Wie oft sollen wir noch darüber reden? Ich muss jetzt wirklich los."

„Ja, ich weiß. Es ist nur... Pass bitte auf dich auf. Ich hab dich lieb."

„Ich hab dich auch lieb, Mum."



Kapitel 46 – Dort, wo alles begann


Levi schritt über eine Wurzel und half seinem Pferd, das er an den Zügeln führte, dasselbe zu tun, während er versuchte, einen vielleicht letzten Moment des Friedens zu finden. Die Nacht war dunkel, da Neumond war; ihre Lampen dienten als einzige Lichtquelle. Die Stille des Waldes ummantelte sie, man konnte nur das Schnaufen der Soldaten und Pferde hören, ab und zu Mal ein gemurmeltes Gespräch. In ihrem Plan befanden sie sich bereits soweit, dass sie nicht mehr ritten, sondern zu Fuß unterwegs waren und ihre Reittiere mit sich führten.

Für wie viele dies wohl die letzte Nacht war?

Levis Ruhe wurde gestört, als er hinter sich eilige Schritte und gehetzte Entschuldigungen wahrnahm. Noch bevor Hanji bei ihm ankam, wusste er, dass sie es war. Eigentlich befand sich ihre Position weiter hinten in der Formation, aber anscheinend wollte sie mit ihm sprechen. „Was willst du?", fragte Levi zur Begrüßung, ohne sie einmal anzuschauen. „Du solltest doch eigentlich bei meiner Einheit sein."

„Die zehn Minuten kommen sie auch alleine klar", hatte Hanji entschieden. „Ist Motte da? Ich wollte mal einen ihrer Berichte hören."

„Hast sie gerade verpasst", erwiderte Levi nüchtern. „Sie kommt frühstens in einer halben Stunde wieder. Vermutlich aber länger, Shiganshina ist nicht mehr weit."

Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie enttäuscht die Schultern hängen ließ. „Oh, ach so."

„Du verpasst eh nicht viel", ergänzte er noch. „Es passiert sowieso nichts." Vor ihm liefen zig Gestalten in grünen Umhängen und Kapuzen und nochmal so vielen Pferden und trotzdem wusste Levi, welcher Rücken mit den Flügeln der Freiheit zu Erwin gehörte. „Ich weiß gar nicht, warum er sie das machen lässt. Schon die ganze Nacht fliegt sie hin und her, nur um zu berichten, dass allerhöchstens ruhende Titanen in Sicht sind." Für die Inaktivität dieser Biester sorgte die Neumondnacht. „Die Mission hat noch nicht einmal richtig angefangen und sie ist schon erschöpft."

„Na ja, das ist doch ihre Aufgabe, oder nicht?" Levi konnte Hanjis Unschuldsmiene förmlich sehen. „Vor allem, wenn wir jetzt schon so nah an Shiganshina sind." Tatsächlich lag nur noch der bewaldete Berg, den sie soeben erklommen, zwischen ihnen und dem Außenbezirk, in dem vor fünf Jahren das Fiasko begonnen hatte. „Wer weiß, vielleicht schafft sie es doch noch kurzfristig ein Gespräch von Reiner und Bertholdt zu belauschen."

„Ich bezweifle es", gestand Levi offenkundig.

In den letzten zwei Monaten hatte Motte nämlich nicht nur Training mit ihm, Experimente mit Hanji oder Waisenhausarbeit mit Eren und den anderen auf dem Programm stehen gehabt. Ein- bis zweimal die Woche hatte sie auf Erwins Befehl hin nach Shiganshina fliegen müssen – Levi hatte diese Tage gehasst – in der Hoffnung, etwas herausfinden zu können. Es hatte fast einen Monat gedauert, bis sie den Außenbezirk überhaupt einmal gefunden hatte. Sobald sie den Weg einigermaßen wusste, hatte sie auch ein bisschen Zeit gehabt, um sich umzuschauen: Sie hatte berichtet, dass sie das Lager des Feindes entdeckt hatte, denn anscheinend war auf Mauer Maria ein Zelt mit einer Feuerstelle aufgeschlagen. Die fraglichen Personen hatte sie nur zweimal tatsächlich gesehen. Einmal hatten der gepanzerte Riese und der Tiertitan miteinander trainiert, während Bertholdt zugeschaut hatte und einmal hatten sie ihr Abendessen zubereitet. Der Mensch hinter dem haarigen Riesen war anscheinend ein blonder, bärtiger Mann, der auf den Namen Zeke hörte. Leider hatten sie an beiden Tagen keine Strategien besprochen, obwohl Motte mehrere Stunden abgewartet hatte.

Abgesehen davon, dass sie nun theoretisch alleine nach Shiganshina finden würde, hatten ihre Ausflüge ihnen folgende Informationen geliefert: Reiner, Bertholdt und dieser Affe, Zeke, warteten in Shiganshina auf sie und sie hatten sich vorbereitet.

„Man darf ja noch hoffen", seufzte Hanji für Levis Geschmack zu gelassen.

Für einen kurzen Moment herrschte Stille und er wurde sich bewusst, dass ihr offensichtlich noch etwas anderes auf dem Herzen lag. Und tatsächlich schnitt sie nach wenigen Minuten ein anderes Thema an: „Levi, ich weiß, dass du dir Sorgen machst."

„Wir treffen auf den Feind", schnauzte er zurück. „Natürlich mach ich mir Sorgen! Du bist krank, wenn du mir sagst, dass du's nicht tust."

„Du weißt, dass ich von Motte rede", meinte Hanji geduldig.

Levi schnalzte verärgert mit der Zunge. „Und du weißt, was ich davon halte." Bis heute hatte es keiner geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass Motte für diese Expedition geeignet war; nicht, dass es irgendjemand großartig versucht hätte, denn Erwins Wort war Befehl. Dennoch hatte es Levi nicht auf sich sitzen lassen können und er hatte seine Missgunst nicht versteckt. Hanji gegenüber, Erwin gegenüber, aber auch Motte gegenüber. Aus irgendeinem Grund schien er der einzige zu sein, der nicht vergessen hatte, dass das Mädchen nie eine anständige Ausbildung erhalten hatte. Himmel, sie besuchte diese Welt seit gerademal vier Monaten.

„Ich weiß", erwiderte Hanji ruhig.

Sein Gemüt wurde gereizter. „Was willst du dann? Wieso redest du wieder davon?"

Die nächsten Worte schien sie mit großer Sorgfalt zu wählen. Für einen Augenblick war sie anscheinend sehr damit beschäftigt, der Unebenheit des Bodens gerecht zu werden. „Levi, du bist ein sehr loyaler Soldat, der stets seine Befehle ausführt. Gerade bei dieser Mission ist das äußerst wichtig."

Seine Geduld gelang an seine Grenzen: „Hanji, wenn du was zu sagen hast, dann sag's!"

„Ich wollte wissen, ob sich was daran geändert hat."

„Wieso zur Hölle sollte...?!"

„Wirst du", fiel sie ihm ins Wort, ehe er seine Frage beenden konnte, „in der Lage sein, deine Befehle zu befolgen, auch wenn sie sich damit widersprechen, Mottes Wohlbehalten zu garantieren?" Sofort klappte Levis Mund zu. „Wenn, rein hypothetisch, eine Situation aufkommt, in der du dich zwischen Motte und der Mission entscheiden musst, was würdest du wählen?"

Die Frage machte ihn wütend. „Soweit wird es nicht kommen", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Aber wenn doch?!", hakte Hanji nach.

Levi schwieg lange. Es fand es eine Frechheit, dermaßen angezweifelt zu werden. Er hasste es, mit theoretischen Konstrukten konfrontiert zu werden, und weigerte sich deshalb auch, zu antworten. „Geh zu meiner Einheit zurück, Hanji, oder ich petz Erwin, dass du deinen Posten verlassen hast."

„Würdest du sowieso nicht tun", wusste sie seufzend, ließ sich jedoch schon zurückfallen. „Keine Antwort ist auch eine Antwort, weißt du, Levi?", rief sie ihm noch hinterher.

Er verzog sein Gesicht, was sie nicht mehr sehen konnte. Denn die Wahrheit war, dass er keine Antwort wusste.


Sie hatten beinahe den Fuß des Berges erreicht, als die Nervensäge zurückkam. Levi beobachtete, wie sie neben Erwin schwebte und ihm berichtete. Obwohl der Kommandant sie nicht sehen konnte, nutzte sie umfangreiche Gestiken. Das war einfach ihre Art zu reden. Im Gegensatz dazu schienen Erwins Worte kurz und knapp zu sein.

Einen Moment später flog sie zu ihm über die Köpfe der Soldaten hinweg. „Wie sieht's aus?", fragte er nach.

Etwas hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Weiß nicht genau", gestand sie. „Ich hab Reiner, Bertholdt und Zeke belauschen können, aber sie haben sich nur gegenseitig aufgepäppelt. Du weißt schon, die ganze Zeit sowas gesagt wie Wir müssen diese Schlacht gewinnen, unsere Zukunft hängt davon ab und sowas. Als sie dann mitbekommen haben, dass wir auf dem Weg zu ihnen sind, sind sie sofort aufgebrochen. Ich weiß nicht genau, wo sie sich versteckt halten, aber sie sind alle drei an verschiedenen Orten..."

„Warte", bremste Levi sie, ehe sie weiterreden konnte. „Wie haben sie von uns mitbekommen?"

Auf einmal wurden ihre Augen groß, als ob ihr gerade etwas eingefallen wäre. „Es ist noch ein Titanenwandler bei ihnen", erklärte sie aufgeregt. „Keine Ahnung, wie der Mensch ausschaut, aber der Riese ist vielleicht hässlich! Er ist echt klein und läuft auf allen vieren, etwa so..." In der Luft begab sie sich in eine Position, als würde auf Händen und Füßen krabbeln. Dann flog sie wieder aufrecht neben ihm. „Und sein Gesicht ist so groß und... lang. Er trägt Zeug auf dem Rücken, Kisten und so."

„Hat er Ausschau gehalten?", bohrte Levi nach.

Motte zuckte wieder mit den Schultern. „Ich schätze schon. Ich hab Erwin von ihm erzählt. Er hat gemeint, dass er der Beschreibung nach wahrscheinlich weniger am Kampf teilnehmen wird."

Levi grunzte missbilligend. „Es gefällt mir nicht, dass sie wissen, dass wir kommen. Sobald wir den Wald verlassen, reiten wir. Aber es wird noch mindestens fünf Minuten dauern, bis wir dort sind. Das ist genug Zeit für sie, sich vorzubereiten." Kurz blickte er Motte von der Seite an. „Was sind deine aktuellen Befehle?"

„Ich soll erstmal bei dir bleiben."

Das hob seine Laune wieder ein Stück.

„Aber Erwin hat vor, nach den dreien suchen zu lassen, sobald wir in Shiganshina sind", setzte sie fort, ohne seine Stimmung wahrzunehmen. „Ich soll mich dann vermutlich dem Suchtrupp anschließen."

Für einen Augenblick dachte er über ihre Worte nach. Sie wusste, dass sie sich nicht manifestieren durfte; nicht weil es Erwins Befehl war, sondern Levis Wunsch. Deswegen sollte eine Suchaktion sie auch nicht in Gefahr bringen. „In Ordnung", meinte er schließlich.

Die Sonne ging auf. Vor ihnen lichteten sich bereits die Bäume.

Der Tag begann.


Eigentlich wäre Armin Teil von Erens Eskorte gewesen, während er die zwei Löcher bei Shiganshina schloss, aber es hatte kurzfristig eine Planänderung gegeben. Während seine Freunde und Hanjis Einheit seinen Kindheitsfreund begleiteten, hatte Erwin ihm befohlen, hier zu bleiben. Gerade befanden sie sich auf Mauer Maria, direkt über dem inneren Tor von Shiganshina. Armin hatte nur einen kurzen, wehmütigen Blick auf seine Heimat werfen können, ehe sie dazu angehalten wurden, nicht stehen zu bleiben; Zeit war schließlich ihre wichtigste Waffe.

Aber es war erstaunlich: Sie waren auf keinen einzigen Riesen getroffen und von seiner Position aus konnte Armin keine entdecken. Das gleiche galt für den Feind. Als gäbe es gar keine Bedrohung. Nein, nicht erstaunlich, musste Armin sich gedanklich korrigieren. Unheimlich.

Jeder handelte unglaublich schnell. In der Ferne sah er, wie die vermummten Soldaten, die seine Freunde waren, beinahe schon das äußere Tor erreicht hatten, um es als erstes zu versiegeln, während weitere Soldaten in der Nähe des inneren Tors herumwuselten. Die letztere Gruppe führte entweder die Pferde oder hielt Ausschau nach Gefahr. Und alle trugen sie ihre dunkelgrünen Mäntel mit den Kapuzen, um es ihrem Feind möglichst schwer zu machen, Eren zu identifizieren.

„Arlert", begann Erwin, seine Stimme strotzte wie immer vor Autorität. „Nach Mottes letztem Bericht gibt es eine kleine Planänderung."

„Hallo, Armin!", ertönte Mottes fröhliche Stimme links vom Kommandanten. Armin zuckte kurz zusammen. Er hatte erwartet, dass sie bei Kapitän Levi sein würde. Anscheinend war sie Teil der Planänderung.

Armin lächelte leicht und versuchte, die Stelle zu fokussieren, von der er ihre Stimme gehört hatte. „Hallo."

„Wie du vermutlich schon bemerkt hast, lässt sich der Feind nicht finden. Der erhoffte Überraschungsangriff hat leider nicht funktioniert. Sie haben genug Zeit gehabt, um sich vorzubereiten", erklärte Erwin knapp.

„Was? Wie?", erwiderte er erschrocken. „Hatten sie jemanden, der Ausschau gehalten hat?" Erwin bejahte, woraufhin Armins nächster Gedanke einfach aus ihm herausplatzte: „Das heißt, neben Reiner, Bertholdt und diesem Zeke gibt es noch jemanden? Nein, eigentlich müssen wir davon ausgehen, dass es hier nur so von Feinden wimmelt."

„Hab nur vier gesehen", teilte Motte ihnen schnell mit.

In der Ferne erschien ein gelber Blitz, direkt am äußeren Tor. Das musste Eren sein.

„Das wichtigste ist erstmal, den Feind zu lokalisieren. Motte hat berichtet, sie zuletzt hier gesehen zu haben", stellte Erwin klar. „Arlert, mit deinem Grips sind schon mehrmals Leben gerettet worden. In Zeiten wie diesen sind wir auf Leute wie dich angewiesen."

„Was?", merkte er überrascht auf.

Mit einer energischen Armbewegung befahl Erwin den Soldaten in unmittelbarer Nähe, zu ihnen zu kommen. „Nimm so viele Soldaten wie nötig und Motte gleich dazu. Finde heraus, ob sich der Feind in der Nähe des inneren Tors versteckt oder nicht."

Keine Minute später hatten sich ein Dutzend Soldaten um sie versammelt. „Für den Moment obliegt ihr dem Kommando von Armin Arlert", teilte Erwin ihnen mit. „Setzt eure Suche fort."

„Verstanden!", kam es vielstimmig zurück.

„Wir haben die Mauern gründlich inspiziert, haben aber niemanden gefunden!", wurde ihm laut berichtet. „Arlert, wie lautet dein Befehl?"

Armin ging das zu plötzlich. Er sollte jetzt diese Soldaten befehligen? Er?! Obwohl der Kommandant der Aufklärungslegion direkt neben ihm stand?! Er blickte in die Gesichter der Soldaten, die genauso angespannt guckten, wie er sich fühlte. Entgegen ihrer Erwartungen war der Feind nicht zu entdecken und jetzt musste er sich was einfallen lassen?!

Er fühlte sich heillos überfordert und dennoch formte sich in seinem Kopf eine Idee. „Teilt euch in zwei Gruppen auf und untersucht beide Seiten der Mauern! Durchsucht alle Gebäude in der Nähe des inneren Tores! Meldet euch mit einem Tonsignal, wenn ihr was gefunden habt!" Auf einmal stockte Armin, wurde sich seiner gebieterischen Worte bewusst. „Ähm... bitte?", setzte er noch nervös hinten dran.

„Verstanden!", gehorchten die Soldaten sofort und teilten sich auf.

„Motte, du kommst mit mir!", entschied er und hoffte einfach, dass sie ihm folgte, ehe er sich selbst auf der Seite des Außenbezirks Shiganshina heruntergleiten ließ.

Sobald seine Füße den Boden berührten, vernahm er Mottes Stimme: „Ich schau mich in den Häusern in der Nähe um. In Ordnung?"

Er nickte beiläufig und dachte nach. Ob sie sich wirklich in den Häusern verstecken? Zwar boten sie einen guten Schutz, allerdings sah man nur sehr wenig von hier unten aus. Für Armin machte es eigentlich wenig Sinn, aber er hatte keine bessere Idee.

Seine Augen suchten die Gegend ab, bis sie auf einmal an etwas hängen blieben. Einige Meter von ihm entfernt hoben sich kleinere, dunkle Umrisse aus dem grünen Gras hervor. „Motte, komm mal her!", rief er nach dem Mädchen, während er dorthin eilte. „Was ist?", hörte er sie fragen, als er gerade in die Hocke ging, um die Gegenstände zu betrachten.

Es waren die Überbleibsel einer Feuerstelle sowie eine Kanne und drei Tassen aus Metall. Es schien, als wäre alles achtlos von der Mauer gekickt worden. Armin hob zwei Tassen an und stellte fest, dass sie kalt waren. „Die liegen schon länger hier, mindestens zehn Minuten", murmelte er eher zu sich als zu Motte.

„Die habe ich vorhin noch oben auf der Mauer gesehen", teilte sie ihm mit. „Sie haben es benutzt, bis dieser Vierbeiner-Titan ihnen gesagt hat, dass wir unterwegs sind."

Die Tassen waren leer, aber Armin sah ein paar Tropfen eines dunklen Getränks am Boden. Instinktiv dachte er an schwarzen Tee, allerdings war diese Flüssigkeit dicker. Er roch daran und war überrascht. Es war sehr angenehm, irgendwie herb. „Was ist das?"

„Lass mich mal", verlangte Motte und er hielt die Tassen von sich, sodass sie selbst dran riechen konnte. Im nächsten Moment erkannte sie verwundert: „Das ist Kaffee!"

„Was ist das?"

„Ein Getränk", erklärte ihre körperlose Stimme, „das aus Bohnen hergestellt wird, die's hier gar nicht gibt. Die kann's gar nicht geben. Das Klima passt dafür nicht."

Armin blinzelte verwundert in die Tassen. „Aber bei Reiner und Bertholdt schon? Wo kommen sie her?"

„Ich weiß nicht, ob's die Bohnen wirklich dort gibt, wo sie herkommen", dachte sie nach. „Irgendwie... schauen sie nicht so aus. In meiner Welt sind die Orte, wo sowas wachsen kann, tausende von Kilometer entfernt. Glaub ich zumindest. Es muss von sehr weit her geliefert werden." Nach einer kurzen Pause setzte sie noch hinzu: „Wie groß ist bitte die Welt hinter den Mauern? Wirklich so groß wie unsere?" Armin meinte Bestürztheit in ihrer Stimme herauszuhören, aber er ging nicht weiter darauf ein.

Dafür hatten sie gar keine Zeit. „Komm", meinte er und ließ die Tassen wieder fallen. „Wir müssen uns beeilen."


Zeit verging und sie fanden niemanden. Armin hing mit seinem 3D-Manöver an der Mauer und bekam allmählich Panik. Eren und die anderen waren gleich bei ihnen, um das innere Tor zu schließen und sie hatten einfach keinerlei Anhaltspunkte zu den Aufenthaltsorten von Reiner oder Bertholdt.

Was soll ich nur tun?, schoss Armin verzweifelt durch den Kopf, während er beobachtete, wie die kleinen Punkte, die Eren, Mikasa und die anderen waren, immer näher kamen. Warum haben sie sich nicht gezeigt, als wir das erste Loch verschlossen haben? Wo haben sie sich bloß versteckt? Wenn wir jetzt versagen, ist alles vorbei! Wir hatten schon immer einen Nachteil, weil wir einfach weniger wissen. Über alles!

„Armin, es tut mir wirklich leid!", unterbrach Mottes Stimme auf einmal seine Gedanken. „Ich geb echt mein Bestes, aber ich kann sie nicht finden. Ich hab sogar drüben auf der anderen Seite geschaut. Keiner hat was." Auch wenn er sie gerade nicht sehen konnte, kannte er ihren Tonfall und sah bildlich vor sich, wie ihre Mundwinkel herabhingen und ihre Augen ein kleines bisschen größer waren als sonst.

„Du bist rübergegangen? Hat das nicht zu lange gedauert?" Armin wusste, dass Motte sehr schnell fliegen konnte, sogar schneller als sie, wenn sie ihr 3D-Manöver benutzten, jedoch sollte es auch für sie Zeit in Anspruch nehmen, einmal über die Mauer hinweg zu fliegen. Und diese Zeit hatten sie nun einmal nicht.

„Nö, wieso?", erwiderte sie verdutzt. „Ich flieg durch die Mauern. Sie sind nicht so massiv, dass sie mich großartig ausbremsen." Ihre Stimme wurde ein wenig heller, fröhlicher. „Im Gegenteil: Die Mauern sind sogar einfacher zu durchqueren als Menschen."

Armins Augen weiteten sich, als bei ihm der Groschen fiel.

„Immerhin..."

„... bestehen sie aus Riesen", unterbrach er sie und blickte die Mauer entlang nach oben. Zu gut konnte er sich daran erinnern, als im Distrikt Stohess das Gesicht eines Titans hinter der zerstörten Mauer hervorgelugt hatte.

Die Mauern waren stellenweise hohl.

Sofort griff er seine Signalpistole und schoss. Ein schallender Ton hallte durch die gesamte Szene.

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