Traumlos

Sebastian Moran: Kriegsveteran, Scharfschütze, berüchtigter Tiegerjäger und - ein Versager. Jedenfalls fühlte es sich so an, wie er am Thresen einer stinkenden Kneipe in London saß und einen Kurzen nach dem Anderen herunter kippte. Eigentlich hatte er bereits geschlafen, aber kaum hatte er die Augen geschlossen, waren sie wieder da - die Bilder aus dem Krieg: schmerzverzerrte Gesichter; abgetrennte Gliedmaßen; Stimmen, die um Hilfe flehten und er selbst wie gelähmt, gefangen in seinem Unvermögen zu helfen.

Er betrank sich oft in letzter Zeit. Aber wohin, wenn nicht in die angenehme Gleichgültigkeit, die ihm der Alkohol verschaffte, sollte er sich flüchten? Den Halt in seinem Leben hatte er schon vor langer Zeit verloren - Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, welche Gestalt er gehabt hatte - aber bis vor kurzem konnte er sich wenigstens in seiner Aufgabe finden. In seiner Treue gegenüber seinem Land. Doch dies war jetzt vorbei und er musste ein neues Lebensziel für sich finden, doch er wusste einfach nicht, wo er damit anfangen sollte. Er wusste allerdings, dass er die Eintönigkeit eines gewöhnlich Jobs nicht lange ertragen würde, aber was blieb ihm anderes übrig, als einen Versuch zu wagen?

Er klopfte mit seinem leeren Glas auf dir Theke um zu zeigen, dass man ihm nachschenken sollte, als die Tür des Schankraumes sich noch einmal Öffnete. Sebastian war zu betrunken, um echtes Interesse zu zeigen, er starrte einfach wieder auf die raue Oberfläche der Theke, die dringend eine Politur benötigt hätte, bis er die Nähe eines anderen Körpers spürte und sich ein Mann - etwa in seinem Alter - neben ihn stellte. Er setzte sich nicht auf einen der Barhocker, bestellte nur einen Martini und blieb neben Sebastian stehen. Der Scharfschütze drehte den Kopf um ihn anzusehen. Dass der Fremde sich mit ihm unterhalten wollte war offensichtlich - knapp 10 freie Barhocker säumten die Theke.

Der Fremde war für dieses Etablissement definitiv zu gut gekleidet. Er trug einen Anzug dem man ansehen konnte, dass er mehr kostete, als Sebastians Wohnung im Monat.

"Guten Abend.", sagte der Mann, während er sich mit einem etwas angeekelten Blick umsah. Vermutlich war das Arschloch besseres gewohnt. Sebastian antwortete ihm nicht, schaute ihn nur an.

"Sie sind Sebastian Moran?" Jetzt wurde selbiger hellhörig. Wenn jemand seinen Namen kannte, der ihn um diese Uhrzeit aufsuchte, war das mehr als merkwürdig. Der Ex-Soldat fragte das erste was ihm in den Sinn kam.

"Was wollen sie?" Doch der Kleinere antwortete nicht oder jedenfalls nicht auf seine Frage.

"Sie sind arbeitslos?"

"Warum wollen sie das wissen?"

"Weill ich ihre Dienste beanspruchen möchte. Jedenfalls wenn ich sie für passend befinde. Dies ist in gewisser Weise ihr Vorstellungsgespräch."

Seine Dienste? Was meinte der Kerl damit? Sebastian hatte weder ein Studium, noch eine vernünftige Ausbildung absolviert.

"Meine Dienste?", fragte sein vom Alkohol getrübter Verstand, was ihn am meisten beschäftigte.

"Ich hörte, sie seien ein begnadeter Schütze."

Sebastian hatte gehofft, in London einen Job zu finden, der seine Talente beanspruchte. Talente, die hier jedoch niemand zu schätzen schien. Dass töten von Menschen als Beruf. - Sobald es nicht im Auftrag des Landes geschah, war jeder dagegen. Jetzt stand ein Mann vor ihm, der ihm ein Jobangebot machte, über das sich Sebastian unter normalen Umständen mehr als nur ein bisschen gefreut hätte, aber er traute dem Anzugträger nicht. Was hatte dieser Mann vor? Sebastian vermutete, dass er ein privates Regiment zusammenstellte um es an das Verteidigungsministerium zu verkaufen, aber sicher war er sich nicht.

"Wo haben sie das gehört?", fragte Sebastian mit einem spöttischen Unterton, den er sich weder verkneifen konnte, noch wollte. Zuerst dachte er, Zorn im Gesicht seines Gegenübers zu erkennen, aber dann breitete sich ein Grinsen auf den feinen Zügen des Mannes aus. Jetzt traute Sebastian ihm noch weniger.

"Mr Moran, ich freue mich, ihnen mitteilen zu können, dass sie als Anwärter auf den Job, den ich ihnen anbiete keine Konkurrenten haben."

"Sie haben mir nicht gesagt, um was für einen Job es sich handelt."

"Das werden sie noch früh genug erfahren, mein Bester. Aber glauben sie mir:" Und er legte eine blasse Hand auf Sebastians Schulter und zog ihn zu sich herunter, um ihm den Rest des Satzes ins Ohr hauchen zu können. "...sie wollen ihn."

Noch bevor Sebastian sich wieder zur Gänze aufrichten konnte, spürte er einen kühlen Luftzug im Rücken und vernahm das klappen der Tür. Einen Moment noch saß er da und starrte die gegenüber liegende Wand an. Dann ergriff er sein Glas und kippte dessen Inhalt in einem Zug herunter. Er klopfte wieder auf die Theke. "Noch einen!"

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