Wer Wind sät...

Wer Wind sät...

,,Wo fangen wir eigentlich mit unserer Suche an?", fragte Annabelle kurzer Hand, als wir die Straße überquerten und das Hotel somit hinter uns ließen.

,,Das ist leider die große Frage. Ich habe keine Ahnung, wer hinter alldem stecken könnte und auch nicht, wo wir den- oder diejenige finden können."

,,Das ist schlecht! Haben wir denn wenigstens irgendeinen Hinweis?", hakte sie nach und ich nickte.

,,Sherlock hat einen Drohbrief erhalten. Darin stand etwas von einer Abrechnung und die Drohung ,,Wer Wind sät, wird Sturm ernten!"

Annabelle hob eine Augenbraue und ich zuckte unschlüssig mit den Schultern. Dieses Sprichwort hatte ich mittlerweile schon so oft gehört, dass es nach all der Zeit irgendwann an mir vorbeigegangen war. Aber nun schien es wahrhaftig seiner Bedeutung gerecht zu werden, denn immerhin waren Sherlock und John spurlos verschwunden. Und je mehr Zeit verging, ohne dass wir ein Lebenszeichen von ihnen hatten, desto unruhiger wurde ich. Ihnen musste ohne Zweifel etwas passiert sein und wir mussten sie finden, bevor es zu spät war.

,,Könnte dieser Jim Moriarty dahinter stecken? Er ist doch dieser Erzfeind von Sherlock, oder?", sagte Annabelle, woraufhin ich jedoch den Kopf schüttelte.

,,Ja, aber er kann es unmöglich sein. Das hat John nämlich auch zuerst vermutet, aber Moriarty würde nicht so einen Brief schreiben. Im Gegenteil! Er würde mit einem großen Knall auf sich aufmerksam machen, damit auch der Letzte es mitbekommt. Dieser Kerl ist wahnsinnig und so geht er auch vor. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche."

Ich musste wieder daran denken, dass Moriarty John und mich als Schachfiguren gegen Sherlock hatte verwenden wollen. Zum Glück war die ganze Sache noch glimpflich ausgegangen, wobei es ziemlich knapp gewesen war. Annabelle schien zu merken, dass diese Sache mich immer noch verfolgte, denn sie warf mir einen unsicheren Blick zu und machte einen besorgten Eindruck.

,,Stimmt es, dass er John und dich entführt hat? Ich habe zwar davon gehört, aber ich wusste jetzt nicht, ob es die Wahrheit ist. Immerhin können die Medien ja viel erzählen."

,,Ja, das hat er. Und bevor du jetzt Details erwartest...ich möchte nicht darüber sprechen.", erwiderte ich und Annabelle nickte.

,,Das verstehe ich. Aber du sollst wissen...ich bin immer für dich, Evie.", versicherte sie mir und ich lächelte leicht.

,,Danke, Annabelle! Ich bin froh, dass du hier bist."

,,Das bin ich auch."

Unser ruhiger Moment wurde jäh durch das Klingeln meines Handys unterbrochen, weshalb ich zusammenzuckte. Warum musste ich mich eigentlich immer so erschrecken? Ich war doch sonst nicht so sensibel.
Schnell zog ich mein Handy aus der Jackentasche und ich erkannte die Nummer von niemand anderem als Mycroft, weshalb ich augenblicklich abnahm.

,,Mycroft! Bitte sagen Sie mir, dass Sie eine Spur haben.", rief ich ihm durch das Handy entgegen und tatsächlich erfüllte er mir meinen Wunsch.

,,In der Tat! Aber wir sollten darüber nicht am Telefon sprechen, Miss Headley. Kommen Sie zu meinem Anwesen und bringen Sie Ihre Cousine mit."

,,Und wie soll ich bitte zu Ihrem Anwesen kommen, wenn Sie mir bis jetzt nicht einmal die Adresse verraten haben?", entgegnete ich und Mycroft war mir mal wieder einen Schritt voraus.

,,Drehen Sie sich um, Miss Headley und steigen Sie ein. Wir sehen uns gleich."

Mycroft beendete das Gespräch und ich drehte mich langsam um, wo genau in diesem Augenblick ein schwarzer Wagen vorfuhr und direkt vor mir und Annabelle Halt machte. Während ich seufzte und die Augen verdrehte, betrachtete meine Cousine das Auto natürlich mit einem amüsanten Grinsen.

,,Also...eins muss man ihm ja lassen...Mycroft hat echt Stil!"

,,Wahrscheinlich seid ihr beide deshalb auch so unzertrennlich.", brummte ich und stieg in den Wagen ein, was Annabelle mir gleichtat.

                           ***

Zwar war ich ja schon mal im Anwesen von Mycroft gewesen, allerdings war es zu dem Zeitpunkt mitten in der Nacht gewesen und ohne Adresse hätte ich den Weg dahin niemals wiedergefunden.
Die Fahrt über schwiegen wir und meine Gedanken wanderten natürlich zu Sherlock und John. Wo waren sie nur und wer oder was steckte hinter ihrem Verschwinden? Das alles ließ mir keine Ruhe und ich hoffte, dass uns der Hinweis von Mycroft weiterhelfen würde.

Als wir das Anwesen von Mycroft erreichten, staunte ich nicht schlecht. Denn jetzt bei Tag, konnte ich es mal richtig in Augenschein nehmen und die Größe des Hauses war mir damals gar nicht aufgefallen. Es war ein gigantisches Haus und ein prächtiges noch dazu. Mycroft lebte allem Anschein nach wirklich wie Gott in Frankreich und nun wunderte mich noch weniger, dass er von Sherlock als Regierung in Person bezeichnet wurde.

,,Wow! Schicke Hütte.", meinte Annabelle und ich schmunzelte.

,,Tja, unsere Queen schwimmt halt im Luxus."

Annabelle grinste und wir betraten das Haus. Sofort wurden wir von einer Haushälterin empfangen, die uns geradewegs zu Mycroft führte. Dieser befand sich in einem abgelegenen Büro und wirkte gerade hochkonzentriert, als wir den Raum betraten und er den Kopf hob.

,,Ah, da seid ihr ja. Danke, Olivia! Sie können gehen.", wies Mycroft seine Haushälterin an und diese nickte, ehe sie die Tür schloss und wir Drei allein zurückblieben.

,,Also, Mycroft...was hast du für einen Hinweis?", warf Annabelle sogleich in den Raum und er warf ihr einen kurzen intensiven Blick zu, ehe er anscheinend wieder in die Realität zurückkehrte und uns andeutete, dass wir uns setzen sollten, was wir auch taten.

,,Ich muss zugeben, zuerst habe ich wirklich geglaubt, dass Sie anfangen, den Verstand zu verlieren, Miss Headley. Aber allem Anschein nach...hatten Sie Recht. Dr. Watson und mein Bruder scheinen tatsächlich in Schwierigkeiten zu stecken und das in ziemlich Großen.", erklärte er und sofort schrillten meine Alarmglocken.

,,Was ist los, Mycroft? Was haben Sie rausgefunden?"

Der Bruder von Sherlock wirkte sichtlich angespannt und dies beunruhigte mich noch mehr. Warum sagte er nicht einfach was los war? Er spannte uns ja regelrecht auf die Folter und das machte mich schon fast wahnsinnig, als er endlich sein Schweigen wieder brach.

,,Nun, ich war so frei und habe versucht, all diejenigen ausfindig zu machen, die meinem Bruder mit großer Wahrscheinlichkeit an den Kragen wollen. Allerdings sind nicht alle seine Gegenspieler so auffällig wie Jim Moriarty und daher schwer zu finden. Allerdings hat mich der Drohbrief auf eine Spur gebracht, die ich zuerst gar nicht bedacht hatte."

,,Was für eine Spur?", hakte Annabelle nach und Mycroft schob uns ein Foto rüber, auf dem eine Schulklasse zu sehen war.

,,Das ist das Abschlussfoto von Sherlocks Klasse. Es fiel mir per Zufall in die Hände."

,,Und was hat das mit unserem Problem zu tun, Mycroft?", fragte ich verwirrt, als er kurzer Hand auf einen jungen blonden Mann deutete, der auf dem Foto eher etwas abseits von der Klasse stand.

,,Das ist Bryan Winters! Er war ein ziemlicher Streber und soweit ich weiß, auch ziemlich intelligent. Allerdings war er auch der Außenseiter der Klasse. Ganz egal, was er auch getan hat, um Anerkennung zu bekommen...die anderen haben ihn ausgeschlossen. Sherlock hingegen...den haben sie geradezu vergöttert, was mir zwar ein absolutes Rätsel war, aber naja..Fakt ist: Bryan wollte um jeden Preis so sein wie mein ehrenwerter Bruder, ist aber gescheitert."

Annabelle und ich tauschten einen kurzen Blick. Die ganze Sache wurde ja immer kurioser. Allerdings war es nicht ungewöhnlich, dass sich möglicherweise ausgerechnet der Außenseiter von Sherlocks ehemaliger Klasse als potentieller Täter entpuppte, denn man rechnete so gut wie nie mit den Unscheinbaren als Schuldigen...was ein großer Fehler war.

,,Das klingt ja alles ziemlich dramatisch, aber warum sollte dieser Bryan Sherlock deshalb gleich entführen? Das ist doch nun schon wirklich etwas her und was macht dich so sicher, dass ausgerechnet er es ist?", hakte Annabelle nach und Mycroft faltete die Hände zusammen, während er uns vielsagend ansah.

,,Sherlock hat Bryan gewissermaßen herausgefordert. Mein Bruder hat ja die Angewohnheit, seine Fähigkeiten keineswegs zu verbergen und sie regelrecht auszuleben. Das hat er auch früher schon getan und es fand es anscheinend witzig, dass er beliebt war und Bryan nicht. Wisst ihr...Sherlock war ein ziemlich eigensinniger und arroganter Teenager und er liebte es, Spielchen zu spielen. Er hat sich somit die Zeit vertrieben, weil ihm die Schule zu langweilig war. Bryan fühlte sich dadurch allerdings hintergangen und sprach an der Abschlussfeier folgende Drohung aus: Wer Wind sät..."

,,...wird Sturm ernten!", vollendete ich das Sprichwort und Mycroft nickte zustimmend.

,,Ganz genau! Eine Drohung, die damals niemand ernst genommen hat. Doch nun...scheint er sie wahr gemacht zu haben."

Ich starrte Mycroft an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Diese ganze Sache klang unglaublich skurril und abgedreht, aber es machte dennoch Sinn. Dieser Bryan schien überhaupt nicht gut auf Sherlock zu sprechen zu sein und auch, wenn diese ganze Sache ja bereits Jahre zurücklag...er schien sehr nachtragend zu sein.

,,Okay...mal angenommen, dieser Bryan Winters steckt wirklich dahinter...warum hat er dann auch John entführt und nicht nur Sherlock? Immerhin gilt sein Hass doch ihm oder nicht?", meinte Annabelle und Mycroft verschränkte die Arme vor der Brust.

,,Bryan hatte schon damals einen Hang zum Wahnsinn. Ich habe nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können, allerdings weiß ich, dass er wohl schon damals besessen von dem Gedanken gewesen war, Sherlock eine Lektion zu erteilen. Seine Eltern ließen ihn einweisen, doch dies hat ihn nur aggressiver gemacht und naja...vor ein paar Tagen ist er aus der Anstalt ausgebrochen. Was auch immer er auch mit Sherlock vorhat...ich nehme an, Dr. Watson spielt dabei eine entscheidende Rolle...warum auch immer."

,,Dann müssen wir sie so schnell wie möglich finden. Haben Sie irgendeinen Hinweis, wo sie sich aufhalten könnten?", brachte ich hervor, doch Mycroft schüttelte den Kopf.

,,Leider nicht! Bryan mag vielleicht durchgeknallt sein, aber er ist auch schlau. Er weiß sicher, dass ich meine Augen und Ohren überall habe und daher auch die Betäubung auf der Feier. So waren wir alle außer Gefecht gesetzt und er konnte in Seelenruhe Sherlock und John verschleppen, da wir alle ja im Land der Träume schlummerten."

Diese Theorie ergab Sinn und ich war mittlerweile ebenfalls der Meinung, dass dieser Bryan unser Mann war. Allerdings beunruhigte es mich zutiefst, dass dieser Typ ganz offensichtlich einen an der Waffel hatte und somit nicht ganz zurechnungsfähig war. Das machte die ganze Sache nur ungemein kompliziert, aber meine Cousine schien bereits einen Schlachtplan entwickelt zu haben.

,,Gut! Ich schlage vor, du gräbst noch alles aus, was du über diesen Verrückten finden kannst und sobald du etwas findest, sagst du uns Bescheid. Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir arbeiten.", sagte Annabelle an Mycroft gewandt, ehe sie aufstand und mich ebenfalls hochzog, als Mycroft uns irritiert ansah.

,,Und was macht ihr?"

Ich wollte gerade antworten, doch meine Cousine kam mir bereits zuvor. Und ich beschloss, dass ich mich fügen würde. Denn, wie auch immer Annabelle vorgehen wollte...Hauptsache, es rettete Sherlock und John das Leben.

,,Wir werden die ganze Stadt absuchen, bis wir ihn gefunden haben. Und dann retten wir unser Ermittlerduo."

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