Wahrheit oder Pflicht

Wahrheit oder Pflicht?

,,Was verschweigen Sie uns?"

Mittlerweile befand ich mich wieder auf dem Revier und nun nahm ich Joshua ins Kreuzverhör. Sherlock war in die Baker Street zurückgekehrt und wollte mit John nach Hinweisen in Bezug auf Joshuas Geheimnis suchen. Mir sollte es recht sein, denn ich konnte ihnen mit dem Verhör von Joshua immerhin etwas Zeit verschaffen.

Doch Joshua war leider alles andere, als ein redseliger Mensch- sehr zu meinem Leidwesen! Aber ich hatte schon schweigsamere Verbrecher zum Reden gebracht. Warum sollte mir das bei Joshua nicht auch gelingen?

,,Joshua!", begann ich und setzte mich auf den Stuhl, ehe ich mich vorbeugte und ihn eindringlich ansah. ,,Ihre Schwester ist tot! Sie wurde ermordet und wenn Sie irgendwas wissen, was uns weiterbringen kann, dann müssen Sie mir das sagen. Oder wollen Sie, dass der Mörder ungeschoren davonkommt?"

Ich warf ihm ernste Blicke zu und konnte ihm ansehen, dass er ehrlich unter dem Tod seiner Schwester litt. Allerdings schien nicht nur das ihn zu quälen, denn irgendwas sagte mir, dass es eine Sache gab, die ihm noch zu schaffen machte. Aber ganz offensichtlich wollte er nicht reden.

Ich wollte gerade schon fortfahren, als auf einmal die Tür geöffnet wurde und Greg mit einem Mal seinen Kopf in den Verhörraum steckte.

,,Evelyn, kommst du bitte mal?", fragte er und ich nickte.

,,Sicher!"

Ich ließ Joshua allein und so, wie der drauf war, würde er garantiert keine Flucht riskieren. Und ohnehin hatte Greg einen Kollegen vor der Tür postiert und somit würde Joshua ganz sicher bleiben wo er war.
Als ich den Raum verlassen hatte, schloss ich die Tür hinter mir und folgte Greg, der geradewegs in sein Büro ging. Dort angekommen, verschloss er die Tür hinter uns und sah mich erwartungsvoll an.

,,Und, wie läufts?"

,,Tja, er ist leider alles andere als gesprächig. Ich kriege einfach nichts aus ihm raus. Da würde mir eine Wand schon eher antworten.", erklärte ich und Greg schob seine Hände in die Hosentaschen.

,,Glaubst du, er hat etwas mit dem Mord an seiner Schwester zu tun?"

,,Nein, das denke ich nicht. Er war ehrlich schockiert, als ich ihm von Alisons Tod berichtet habe. Er hatte keine Ahnung. Allerdings besteht ziemlich große Sicherheit, dass er uns etwas verheimlicht und ich habe das Gefühl, dass es leider nichts Gutes ist."

,,Was schlägst du jetzt vor? Ohne handfeste Beweise müssen wir ihn wieder gehen lassen. Wir können ihn hier nicht ewig festhalten.", erwiderte Greg und ich seufzte.

,,Das ist mir klar! Ich frage mich nur, was so schlimm ist, dass er es uns nicht sagen kann."

Ich lehnte mich gegen die Wand und starrte nachdenklich vor mich hin. Joshua war ziemlich verschlossen und nicht gerade der Typ Mensch, der wild drauf losredete. Aber er hatte ein Geheimnis und ich musste es herausfinden, wenn ich diesen Fall lösen wollte.

,,Haben sich Sherlock und John schon gemeldet?", wollte Greg auf einmal wissen, doch ich schüttelte den Kopf.

,,Noch nicht! Aber ich bin sicher, sie rufen an, sobald sie etwas gefunden haben."

,,Falls sie etwas finden."

Greg schien skeptisch zu sein und sah offenbar nicht sonderlich viel Hoffnung darin, dass Sherlock und John bei ihrer Suche nach Hinweisen erfolgreich sein würden. Aber ich blieb optimistisch, denn mein Optimismus war im Moment alles was ich hatte und es war immerhin besser als nichts. Und was konnten wir schon großartig verlieren?

,,Wir müssen einfach nur noch etwas Zeit schinden.", äußerte ich und Greg seufzte, während er sich mit der linken Hand durch die grauen Haare fuhr.

,,Dann lass dir besser was Gutes einfallen, Evelyn. Denn wenn wir nicht bald etwas Handfestes gegen Joshua in der Hand haben...dann werden wir ihn gehen lassen müssen."

Mit diesen Worten wandte sich Greg ab und verließ sein Büro, während ich deprimiert zurückblieb. Seine Worte gefielen mir nicht, aber Greg hatte Recht, denn ohne Beweise mussten wir Joshua wirklich gehen lassen.
Plötzlich schneite Liam ins Büro und sah perplex Greg nach, der in eine Richtung verschwand, ehe Liam sich an mich wandte.

,,Was ist deinem Partner denn über die Leber gelaufen?", wollte er wissen und ich seufzte.

,,Wir haben keine handfesten Beweise gegen Joshua und reden tut er auch nicht."

,,Ihr wollt ihn doch jetzt aber nicht freilassen, oder?"

Liam sah mich entrüstet an und ich zuckte mit den Schultern. Dieser Teil gefiel mir in meinem Beruf überhaupt nicht. Diejenigen gehen zu lassen, von denen ich mit Sicherheit wusste, dass sie etwas zu verbergen hatten und die dann ungeschoren davonkamen. Aber gegen das Gesetz kam nun einmal niemand von uns an.

,,Bedauerlicherweise doch!"

,,Aber, Evelyn! Du hast selbst gesagt, dass dieser Typ euch etwas verschweigt.", platzte es aus Liam heraus und ich sah ihn vielsagend an.

,,Was willst du denn von mir hören, Liam? Dass ich ihn gerne wieder laufen lasse? Sei versichert, ich will ihn genauso festnageln wie du, aber solange wir nichts gegen ihn in der Hand haben, interessiert das den Richter und die Staatsanwaltschaft nicht. Die handeln nur, wenn sie Beweise haben und die haben wir nicht."

,,Dann müssen wir welche finden!", meinte Liam und ich lehnte mich gegen den Schreibtisch von Greg.

,,Klar, kein Problem! Sag Bescheid, wenn dir zufällig welche über den Weg gelaufen sind."

Liam verdrehte die Augen, angesichts meines Sarkasmus, aber ändern konnte das die Tatsachen auch nicht. Und so sehr ich mir auch das Gegenteil wünschte...wir konnten Joshua nichts nachweisen.

Ich zückte kurzer Hand mein Handy und warf einen prüfenden Blick auf das Display. Doch weder eine Nachricht, noch ein Anruf in Abwesenheit wies es vor und ich steckte es zurück. Ich strich mir meine Haare zurück und Liam schaute wissend drein.

,,Keine Nachricht?"

,,Nein! Offenbar haben sie noch nichts gefunden.", sagte ich und entfernte mich wieder vom Schreibtisch.

Gerade wollte ich schon das Büro von Greg verlassen und zu Joshua in den Verhörraum zurückkehren, als Liam mich zurückhielt und eindringlich ansah.

,,Evelyn, warte! Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest."

Seufzend hielt ich inne und fragte mich, was zum Geier Liam nun schon wieder vorzubringen hatte. So langsam wünschte ich ihn wirklich zum Teufel, denn er ging mir einfach nur auf die Nerven.

,,Was ist denn noch, Liam? Hast du heute nicht schon genug gesagt?", meinte ich, doch er sah mich ernst an.

,,Glaub mir, das willst du hören!"

Zwar bezweifelte ich stark, dass mein Ex-Freund mit dieser Aussage Recht hatte, aber ich gab mich geschlagen. Deshalb schloss ich die Tür, drehte mich zu Liam um und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich ihn erwartungsvoll musterte.

,,Dann schieß los. Ich bin ganz Ohr."

Liam wirkte mit einem Mal ziemlich angespannt und ich hatte das urplötzliche Gefühl, dass seine folgenden Worte vielleicht wirklich von Bedeutung sein könnten. Denn er schien regelrecht mit sich zu hadern, ob er sie mir sagen sollte oder nicht.

,,Vorher musst du wissen, Evelyn...ich wollte dir das nicht vorenthalten. Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, weil ich nicht wusste, wie ich es dir sagen soll."

,,Was musst du mir sagen?", fragte ich und Liam wandte sich von mir ab, ehe er auf und ab ging.

,,Ich...ich weiß vielleicht, wer Alison getötet hat!"

Nun erstarrte ich und sah Liam völlig perplex an. Meine Arme sanken aus der Verschränkung und ich konnte nicht glauben, was ich da hörte, als ich mich aus der Starre befreite.

,,Was?"

,,Ich weiß, ich hätte dir schon früher von meinem Verdacht erzählen sollen, aber ich wusste einfach nicht wie. Und ich war der Meinung, dass du mir sowieso nicht glauben würdest, also..."

,,Liam!", unterbrach ich ihn und warf ihm ernste Blicke zu. ,,WER hat Alison umgebracht? Sag es mir!"

Einen Moment schwieg Liam noch und ich spürte, wie er sich immer mehr verkrampfte. Seine angespannte Körperhaltung beunruhigte mich zutiefst und, dass Liam nicht mit der Sprache rausrückte, machte mich fast wahnsinnig. Aber endlich gab er nach und brach sein eisernes Schweigen.

,,Leonardo Cortes!", war seine Antwort und nun sah ich ihn gänzlich verwirrt an.

,,Leonardo Cortes? Wer ist das?"

,,Der Sohn eines spanischen Drogendealers!", erklärte Liam und nun fiel ich aus allen Wolken.

,,WAS?"

Entgeistert starrte ich meinen Ex an und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. So langsam nahm der Fall eine ganz schön harte Wendung, denn mit Drogendealern hätte ich nun wahrlich nicht gerechnet. Aber es sollte noch schlimmer kommen, denn Liam fuhr bereits fort, ehe ich weitere Fragen stellen konnte.

,,Sein Vater, Alejandro Cortes, gehört zu den größten Drogenbossen der Welt und er hat seinem Sohn einen äußerst wichtigen Auftrag hier in London erteilt. Ich weiß zwar nicht, worum es da geht, aber wenn es gelingt, dann greift Alejandro nicht nur auf England über, sondern womöglich auf die ganze Welt."

Die Worte von Liam schockierten mich und brachten mich fast gänzlich aus der Fassung. Solche Drogenhandel bedeuteten überhaupt nichts Gutes und, dass unser Opfer womöglich zwischen die Fronten geraten war, das erschütterte mich. Aber es gab noch eine Frage, die sich in den Vordergrund stellte.

,,Moment mal, Liam! Bist du etwa deswegen hier in London? Weil du diesem Leonardo Cortes auf der Spur bist?", wollte ich wissen und Liam wirkte nun völlig aufgelöst.

,,Nein! Das heißt...ja.", setzte er an und ich sah ihn energisch an.

,,Was denn nun?"

,,Nun, es ist so...Alison und ich...wir kannten uns. Wir haben..."

,,Oh, Gott! Bitte sprich nicht weiter. Ich kann es mir denken.", äußerte ich, doch Liam hob abwehrend die Hände.

,,Nein! Nicht das, was du denkst! Ich war letztes Jahr schon einmal hier, weil ich einer Theorie nachgehen wollte und da habe ich Alison kennengelernt und sie hat mir geholfen. Als Dankeschön habe ich ihr versprochen, dass ich ihr helfen würde, wenn sie je meine Hilfe brauchte. Und vor einigen Tagen rief sie an und sagte, sie wäre der Familie Cortes auf der Spur. Ich bin natürlich sofort hergeflogen, aber leider kam ich zu spät. Als ich nach Alison gesucht habe, da habt ihr gerade ihre Leiche gefunden."

Liam sah zu Boden und war sichtlich niedergeschlagen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen und musste seine Neuigkeiten erstmal verarbeiten. Doch dann kehrte meine Entschlossenheit zurück und fasste einen radikalen Entschluss.

,,Also, gut! Du sagst, Leonardo Cortes steckt dahinter...schön! Dann werden wir ihm mal einen Besuch abstatten."

Ich wandte mich ab und schnellte auf die Bürotür zu, doch da packte Liam meinen rechten Arm und hielt mich zurück, weswegen ich ihn perplex ansah.

,,Was soll das, Liam? Lass mich los!"

,,Evelyn, du darfst nicht nach Leonardo suchen. Das wäre Selbstmord.", entgegnete er.

,,Wieso? Weil er ein Drogendealer ist? Von denen habe ich schon mehr hinter Gitter gebracht. Mit solchen Typen werde ich schon fertig."

,,Aber nicht mit ihm! Der Typ ist wie eine Raubkatze. Der pirscht sich an seine Beute an und ehe man sich versieht, ist man tot. Und wenn man ihm ins Handwerk pfuscht oder er auch nur den Hauch einer Bedrohung vermutet, tötet er Leute, die Einem wichtig sind. Ich flehe dich an, Evie...bitte geh nicht!"

Liam sah mich bittend an und ich sah ihn fassungslos an. Es war das erste Mal seit damals, dass er meinen Spitznamen ausgesprochen hatte und das zeigte mir, wie ernst die Lage war. Sonst war Liam eigentlich unerschrocken und setzte alles daran, um den Schuldigen ihre gerechte Strafe zu erteilen, aber dieses Mal schien alles anders zu sein. Denn dieses Mal, schien selbst Liam dies als eine zu große Herausforderung zu sehen. Aber auch, wenn ich Liam glaubte...ich konnte nicht tatenlos rumsitzen, während ein Mörder frei herumlief.

,,Und was sollen wir dann deiner Meinung nach tun? Rumsitzen, bis er noch jemanden umbringt? Und wen wird es dann treffen? Dich? Joshua? Ich kann ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen. Ich muss ihn finden und ihn zur Rechenschaft ziehen.", sagte ich und Liam ließ meinen Arm los.

,,Dann wird er jeden in deinem Umfeld töten. Die schrecken vor nichts zurück und er wird erst Ruhe geben, wenn er sein Ziel erreicht hat."

Liam sah mich verzweifelt an und ich wollte etwas erwidern, als mein Handy klingelte. Ich schüttelte noch den Kopf, ehe ich auf das Display sah und eine unbekannte Nummer erkannte. Verwirrt runzelte ich die Stirn, ehe ich abnahm und mich irritiert meldete.

,,Evelyn Headley!"

,,Oh, Evelyn...ein Glück, dass ich Sie erreiche!", ertönte mit einem Mal die Stimme von Sherlocks Vermieterin, was mich noch mehr verwirrte.

,,Mrs. Hudson?", fragte ich und erneut ertönte ihre Stimme.

,,Evelyn, Sie müssen sofort herkommen. Es ist was Schreckliches passiert!"

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