Von ganzem Herzen

Von ganzem Herzen

Als ich ein paar Stunden später bei Greg im Büro eintraf, legte der gerade den Telefonhörer weg und ich redete gar nicht lange um den heißen Brei herum, sondern kam gleich zur Sache.

,,Und?"

,,Nichts! Ich habe sämtliche Orte absuchen lassen, aber von den Dreien fehlt jede Spur.", berichtete Greg und ich fluchte vor mich hin.

,,Verdammt! Ich war auch schon bei John zu Hause, aber da ist auch niemand. Und es sah auch nicht so aus, als wäre da seit gestern jemand gewesen. Sogar seine Nachbarn habe ich befragt, aber niemand hat ihn seit gestern Mittag gesehen."

,,Beruhige dich, Evelyn. Wir werden sie schon finden. Es ist immerhin nicht das erste Mal, dass Sherlock Holmes und Dr. Watson urplötzlich verschwinden.", versuchte Greg mich zu beruhigen, aber der Schuss ging nach hinten los.

,,Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass sie entführt worden sind."

,,Jetzt denk doch nicht wieder gleich an das Schlimmste. Ich habe so viele Kollegen darauf angesetzt, wie ich konnte und gerade nehmen sie sich Sherlock Holmes Obdachlosennetzwerk vor. Von denen weiß bestimmt jemand etwas.", sagte Greg und nahm wieder den klingelnden Telefonhörer ab. ,,Lestrade!"

Mein Partner schien wieder eine schlechte Nachricht zu erhalten, denn er fuhr sich durch seine grauen Haare und sah verzweifelt zu mir. Doch ich wandte mich ab und hörte nur noch, wie er irgendwas in den Hörer murmelte. Ich verließ das Büro und lehnte mich dann gegen die geschlossene Tür, während meine Gedanken nur um meine Freunde kreisten, die immer noch spurlos verschwunden waren. Dann vibrierte jedoch mein Handy und ich sah auf den Display, woraufhin ich sofort abnahm.

,,Mycroft...endlich! Ich dachte schon, du rufst gar nicht zurück.", sagte ich und die kühle Stimme von Sherlocks Bruder erklang am anderen Ende der Leitung.

,,Deine Nachricht hat etwas Zeit in Anspruch genommen. Es ist immerhin nicht ganz einfach, eine ganze Stadt nach drei Personen abzusuchen."

,,Beklagen kannst du dich später. Sag mir lieber, ob du was rausgefunden hast.",entgegnete ich, aber Mycroft musste mich ebenfalls enttäuschen.

,,Es tut mir leid, Evelyn...aber ganz offenbar scheinen mein Bruder und seine beiden Gefährten wie vom Erdboden verschluckt zu sein."

Für einen Moment war ich wie erstarrt und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mycroft war geradewegs meine letzte Hoffnung gewesen, aber nicht einmal er schien zu wissen, wo sich die Drei befanden und das brachte mich an den Rand der Verzweiflung.

,,Das darf doch wohl nicht wahr sein.", platzte es aus mir heraus und ich hatte Mühe, meine Fassung zu wahren. ,,Mycroft, du bist die Augen und Ohren dieser Stadt...die Regierung in Person...jedes Mal bist du über alles und jeden bestens informiert, aber du schaffst es nicht, deinen Bruder, John und Alicia aufzuspüren?", fauchte ich in die Leitung, aber das beeindruckte Mycroft nicht.

,,Auch meine Möglichkeiten haben Grenzen, Evelyn. Es tut mir leid, aber mehr kann ich im Augenblick nicht ausrichten. Ich melde mich, sollte es Neuigkeiten geben."

Daraufhin legte er auf und ich starrte sprachlos auf mein Handy, ehe ich mit der rechten Faust gegen die Wand schlug. Ich unterdrückte den Impuls, in Tränen auszubrechen und sank auf die Knie. Dass nicht einmal Mycroft mich weiterbringen konnte, machte mich fast wahnsinnig und ich hatte immer mehr das Gefühl, dass das Verschwinden meiner Freunde keineswegs von harmloser Natur war.
Der Eingang einer Nachricht auf meinem Handy riss mich aus der Verzweiflung und ich warf einen Blick darauf. Sie stammte von meiner Tante und ich stöhnte innerlich auf, als sie mich darin bat, zu ihr ins Hotel zu kommen, weil sie mir etwas Wichtiges zu sagen hatte.

,,Auch das noch...das hat mir gerade noch gefehlt.", murmelte ich, ehe ich mich aufrappelte und einen kurzen Blick durch das Fenster zu Greg warf.

Er war mitten in einem Telefonat und schien ziemlich gereizt zu sein, weshalb ich nicht mehr zu ihm ging. Stattdessen erbarmte ich mich, steckte mein Handy in die Jackentasche und begab mich schließlich auf den Weg zu dem Hotel, in dem Tante Maggie sich befand.

Da meine Tante in ihrer Nachricht jedoch nicht so freundlich gewesen war, mir ihre Zimmernummer mitzuteilen, fragte ich an der Rezeption nach und diese teilten sie mir ohne große Fragen zu stellen mit.
Als ich im Aufzug stand zerbrach ich mir den Kopf darüber, was Maggie so Wichtiges mit mir zu bereden hatte. Es konnte ja nur wieder irgendwelche Voodoo-Flüche oder irrsinnige Prophezeiungen beinhalten und ich bereute schon ein wenig, dass ich überhaupt hergekommen war. Aber ich hatte gelernt, dass solche Nachrichten besser nicht ignoriert werden sollten und früher oder später hätte meine Tante garantiert eine Gelegenheit gefunden, um mir ihr Anliegen mitzuteilen. Da wollte ich es lieber sofort hinter mich bringen.

Auf den Weg zu ihrem Zimmer wagte ich noch einen Versuch, Sherlock zu erreichen, aber dieser schlug natürlich ebenfalls fehl. Meine Verzweiflung begann sich langsam in Wut zu verwandelt und ich knurrte regelrecht, als ich eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterließ.

,,Sherlock, wo seid ihr? Ich versuche seit Stunden euch zu erreichen. Ruf mich zurück!"

Ich legte auf und erreichte endlich das Zimmer meiner Tante. Für einen kurzen Moment haderte ich noch, aber dann seufzte ich und klopfte schließlich an die Tür.

,,Okay, Maggie...da bin ich. Lass mich rein und teile mir deine Botschaft mit, damit wir es hinter uns bringen."<, sagte ich und wartete.

Doch einige Minuten verstrichen und niemand öffnete die Tür, was mich irritierte, aber auch etwas nervte. So langsam wurde ich allmählich wirklich sauer, denn Maggie hatte mich schließlich nicht ohne Grund hierherbestellt. Und, dass sie mir jetzt nicht einmal die Tür öffnete, das reizte mich ungemein.

,,Maggie...was soll der Unsinn?", fluchte ich, doch da bemerkte ich, dass die Tür überhaupt nicht geschlossen, sondern nur angelehnt war.

Verdutzt sah ich auf die Tür und spürte, wie sich ein Gefühl der Beunruhigung zu mir durchkämpfte. Irgendwas stimmte hier nicht und es konnte nichts Gutes bedeuten.
Langsam öffnete ich die Tür und betrat das Zimmer meiner Tante, allerdings mit langsamen Schritten und aufmerksamen Blick. Das Zimmer entpuppte sich als Suite und ich ging durch das Wohnzimmer, während ich mich unsicher umsah und mein Herz mir fast bis zum Hals schlug.

,,Tante Maggie?", rief ich aus, doch ich bekam keine Antwort.

Es herrschte eine entsetzliche Stille und ich fragte mich, ob ich nicht lieber umkehren sollte. Aber mein Instinkt führte mich weiter und als ich um die Ecke in das Schlafzimmer bog, bereute ich bereits, mich auf ihn verlassen zu haben.

Alles in mir gefror zu Eis und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz stehen blieb, als sich mir ein grausamer Anblick bot. Vor dem Bett lag, in einer riesigen Blutlache und vollkommen regungslos: meine Tante Maggie.
Ich war zutiefst erschüttert...meine Gesichtszüge entgleisten mir völlig und ich sank vor Schreck und Entsetzen auf den Boden. Mein Atem geriet ins Schwanken und ich hatte das Gefühl, als hätte man mir soeben die Luft abgeschnürt.

,,N...Nein...", brachte ich nur über meine Lippen und zitterte am ganzen Körper.

Ich konnte nicht einmal ansatzweise realisieren, was ich hier direkt vor mir sah und ich spürte nur, wie sämtliche Fassung in mir zusammenbrach und mich dies in den Grundmauern erschütterte.
Tante Maggie war tot! Und als mein Blick auf ihre Brust fiel, erstarrte ich noch mehr, wenn dies überhaupt möglich war. Denn in ihrem Brustkorb klaffte ein Loch, woraus immer noch das Blut lief. Es bestand kein Zweifel daran...Tante Maggie war auf brutale Weise ermordet worden!

Ich stand vollkommen neben mir und war wie benebelt, während die Polizisten alles absperrten und ich im Flur auf einem Stuhl saß. Man hatte mir ein paar Fragen gestellt, aber ich war nicht im Stande sie zu beantworten und ich hatte sie auch nur am Rande wahrgenommen.
Es war, als befände ich mich in einer Art Zeitschleife und sah nur alles an mir vorbei ziehen, während ich in diesem einen schrecklichen Moment gefangen war. Und es gab keine Möglichkeit...keinen Ausweg, um diesem zu entkommen.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, dass Greg nun aus dem Hotelzimmer kam und sich auf den Stuhl neben mich setzte. Er sah mich mitfühlend an und schien nicht so genau zu wissen, was er sagen sollte, denn er schwieg für einige Minuten. Aber dann legte er mir zögerlich eine Hand auf die Schulter und ohne ihn anzusehen wusste ich, dass er genauso schockiert war wie ich.

,,Evelyn...es...es tut mir so leid.", brachte er hervor, doch ich rührte mich nicht, was meinen Partner zu verunsichern schien. ,,Ich wünschte, du hättest das nicht sehen müssen. Wenn es irgendwas gibt, was ich für dich tun kann..."

Ich stand noch immer vollkommen unter Schock, aber ich schaffte es immerhin, wortlos den Kopf zu schütteln. Greg warf mir immer noch mitfühlende und auch besorgte Blicke zu, als er zurück ins Zimmer gerufen wurde.

,,Ich bin gleich wieder da.", sagte er zu mir und ging dann schließlich zurück zum Tatort.

Tatort! So etwas war doch normalerweise Routine für mich...Alltag! Es war immerhin nicht der erste Mord, bei dem ich so einen grauenvollen Anblick hatte ertragen müssen. Aber das hier war anderses betraf mich selbst. Denn, so verrückt und nervig Tante Maggie manchmal auch gewesen war...sie war immer noch meine Tante gewesen.

,,Oh, Gott...Annabelle...", brachte ich leise zu mir selbst hervor, während langsam aber sicher wenigstens ein Teil meiner Fassung zu mir zurückkehrte.

Ich musste Annabelle anrufen, denn meine Cousine hatte ja noch gar keine Ahnung. Dabei musste sie doch wissen, dass ihre Mutter nicht nach Hause zurückkehren würde. Aber ich war wie gelähmt und schaffte es einfach nicht, mein Handy aus der Tasche zu holen.

,,Entschuldigen Sie...Miss Headley?", erklang auf einmal eine Stimme und ich sah auf, als eine Dame der Rezeption mir ein Paket hinhielt. ,,Das hier wurde gerade für Sie abgegeben."

,,Was ist das?", fragte ich, als ich es entgegennahm, aber sie zuckte nur mit den Schultern.

,,Ich weiß es nicht! Es kam per Kurier und ist ohne Absender."

Mehr Infos bekam ich nicht, denn sie drehte sich um und verschwand. Ich warf einen Blick auf das Paket, wo ein Zettel mit meinem Namen drauf klebte. Irritiert zog ich ihn ab und faltete ihn auseinander, als ich ein paar einzelne Worte darauf fand.

Verwahre es gut...es kommt von Herzen!

Verdutzt runzelte ich die Stirn, denn aus den Worten wurde ich nicht schlau. Ich steckte den Zettel instinktiv in meine Jackentasche und öffnete schließlich das Paket, während ich mich fragte, wer mir ein Paket schickte und dann auch noch in dem Hotel, wo gerade meine Tante ermordet worden war.
Doch als ich das Paket geöffnet hatte und einen Blick hineinwarf, erstarrte ich erneut und geriet ins Schwanken, während mir die Luft zum Atmen für einen Moment entsagte und ich das Gefühl hatte, dass ich jeden Augenblick zusammenbrechen würde.
Die Nachricht des mysteriösen Zettels traf es so ziemlich genau, denn der Inhalt des Paketes war ein blutiges einzelnes menschliches Herz. Und ohne es zu untersuchen ahnte ich bereits, dass es das Herz meiner Tante war.

Ich war nicht im Stande mich zu bewegen und ließ das Paket erschüttert fallen. In dem Moment kehrte gerade Greg zu mir zurück und eilte sofort zu mir, als er meinen Zustand bemerkte.

,,Evelyn, was ist denn los? Was ist passiert?", fragte er, doch ich konnte nicht antworten.

Mein Partner sah nun auf das Paket und warf selbst einen Blick hinein, woraufhin ihm alle Gesichtszüge entgleisten und er den Blick abwandte, ehe er nach Fassung rang.

,,Großer Gott!", brachte er nur hervor, ehe er nach den Kollegen rief. ,,Jake, schaff das hier weg! Das muss in die Pathologie und zwar sofort."

Sofort kam der Kollege von der Spurensicherung und nahm das Paket an sich. Er wirkte ebenfalls ziemlich entsetzt, sagte aber nichts, sondern befolgte nur die Anordnung von Greg. Dieser schien den ersten Schock nun überwunden zu haben, denn er erhob sich und warf mit einem Mal einen energischen Blick zu mir.

,,Okay, das reicht jetzt. Evelyn, ich stelle dich unter Polizeischutz, bevor dir auch noch was passiert."

Mit diesen Worten wandte er sich ab und sein Handy wanderte zum Ohr. Doch genau in dem Moment realisierte ich, was alles passiert war und wie ein Schlag fügten sich die Puzzleteile bei mir zusammen.
Erneut erlitt ich einen inneren Schock, als mir eine schreckliche Tatsache bewusst wurde, aber ich sprang dennoch auf und rannte förmlich Richtung Ausgang. Zwar bekam ich noch mit, wie Greg meinen Namen rief, aber ich ignorierte es und rannte die Treppen nach unten, bis raus aus dem Hotel, ehe ich mir ein Taxi rief.

Ich musste weg! Weg von hier und weg von dieser Stadt. Alicia hatte Recht gehabt, denn England schien keineswegs mehr sicher für mich zu sein. Und deshalb beschloss ich, sofort meine Flucht vorzubereiten. Doch bevor ich England verlassen konnte, hatte ich noch etwas zu erledigen. Denn ich konnte nicht gehen, ehe meine Freunde nicht wieder aufgetaucht waren. Mir war klar...ich konnte erst verschwinden, wenn ich Sherlock, John und Alicia gefunden hatte!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top