Vincent schlägt zurück
Vincent schlägt zurück
Evelyn PoV
Erschüttert stand ich da und sah zu Vincent, der mich eindringlich musterte. Ich konnte nicht sagen, ob Hass und Wut oder aber Erleichterung und Triumph in seinem Blick überwogen, aber darüber konnte ich auch nicht nachdenken. Denn ich war viel zu schockiert darüber, dass er so urplötzlich vor mir stand.
,,Wie hast du mich gefunden?", brachte ich hervor und ein böses Lächeln schlich sich auf sein Gesicht.
,,Hast du ernsthaft geglaubt, du könntest mich reinlegen und mir entkommen? Deinen gut durchdachten Plan in allen Ehren, aber...selbst nach deinem Tod habe ich deine kleine Bande von Freunden noch beschatten lassen. Und vor einigen Wochen hat die gute Alicia doch tatsächlich einen Hinweis darauf gefunden, dass du noch am Leben bist. Da war ich...unglaublich erleichtert! Eigentlich wollte ich mich dann sofort auf die Suche nach dir machen, aber ich wusste, dass Sherlock Holmes nach dir suchen würde. Also habe ich mich zurückgelehnt und dabei zugesehen, wie er deine Spuren verfolgt und dich schließlich in Paris aufgespürt hat. Und ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis er dich nach London zurückbringen würde und hier stehen wir nun."
Ich wagte es nicht mich zu rühren und überlegte fieberhaft, wie ich die Situation entschärfen konnte. Aber ich sah keinerlei Möglichkeit, Vincent jetzt zu entkommen, denn er hatte den Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt und ich konnte weder fliehen, noch ihn überwältigen. Ich saß eindeutig in der Falle!
,,Was hast du jetzt vor?", fragte ich vorsichtig nach und sein Blick verfinsterte sich etwas.
,,Nun...du hast deinen Tod bloß vorgetäuscht und somit unser Spiel betrogen, Schwesterherz...das wird wohl oder übel Konsequenzen mit sich ziehen. Aber keine Sorge...ich werde deine Freunde schnell und schmerzlos erledigen und dann...steht uns niemand mehr im Wege."
,,Das lasse ich nicht zu!", widersprach ich und Vincent lachte auf.
,,Nur wirst du es kaum verhindern können. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie ich deinetwegen gelitten habe? Welche Schmerzen du mir mit deinem Verhalten bereitet hast?"
Ungläubigkeit spiegelte sich in meinem Blick wieder. Drehte Vincent jetzt vollkommen durch? Er tat ja gerade so, als wäre er das Opfer und ich hätte ihn durch die Hölle gehen lassen. Dabei war es ja wohl eher umgekehrt.
,,Und hast du eine Ahnung, was meine Freunde und ich deinetwegen durchgemacht haben?", sagte ich vorwurfsvoll, doch er brachte mir nur Gehässigkeit entgegen.
,,Mir kommen die Tränen. Dieser Vorwurf ist genauso lachhaft, wie euer Versuch mich reinzulegen."
Er ging ein paar Schritte auf mich zu und ich sah, wie er sich dadurch von der Tür entfernte. Das wollte ich nutzen und ich begann ganz langsam, mich in diese Richtung zu begeben, um mich an ihm vorbei zu stehlen. Doch daraus wurde nichts, denn Vincent war mir, wie jedes Mal, einen Schritt voraus.
,,Wie erbärmlich seid ihr eigentlich?", zischte er, ehe er mich am linken Arm packte, zurück zerrte und geradewegs auf das Sofa warf. ,,Netter Versuch, Clarissa...aber du wirst mir doch nicht entkommen. Ganz egal, was du auch tust...ich werde dir immer einen Schritt voraus sein."
Ich sah ihn entsetzt an und nun konnte ich die Wut in seinem Blick sehen. Vincent kochte förmlich und es war unklar, wie weit er jetzt gehen würde, denn ihm schien nun jedes Mittel recht zu sein. Aber ich wollte mich nicht länger von ihm einschüchtern lassen, weshalb ich aufstand und mich vor ihn stellte, während ich ihn selbst wütend anblickte.
,,Begreif es endlich...es ist vorbei! Ich will, dass du aus meinem Leben verschwindest und zwar für immer. Es wird Zeit, dass du das einsiehst."
,,Darüber reden wir später! Komm jetzt!", forderte er mich auf und sofort war ich misstrauisch.
,,Wohin?"
,,Das erfährst du früh genug."
,,Mit dir gehe ich nirgendwo hin.", zischte ich.
Doch wenn ich dachte, dass Vincent sich so einfach geschlagen gab, dann lag ich eindeutig falsch. Denn seine rechte Hand wanderte nun zu seinem Rücken und plötzlich zog er eine Waffe hervor, die er auf mich richtete. Schockiert wich ich ein paar Schritte zurück und er sah mich eiskalt an.
,,Ich werde dich nicht nochmal bitten! Los jetzt!"
Er deutete vielsagend auf die Tür und ich gab mich geschlagen. Ich hatte keine Wahl und war ihm restlos ausgeliefert. Angespannt ging ich nun auf die Tür zu und Vincent folgte mir- immer noch die Waffe auf mich gerichtet.
,,Und versuch nicht, mich nochmal reinzulegen. Wir wissen beide, wohin das führen würde."
Wir gingen durch das Treppenhaus und als wir den Fuß der Treppe erreicht hatten, fiel mein Blick auf Mrs. Hudson, die reglos am Boden lag. Meine Fassung entgleiste mir und ich wollte zu ihr, doch Vincent hielt mich zurück.
,,Mrs. Hudson!", brachte ich panisch hervor, aber Vincent stöhnte nur genervt auf.
,,Clarissa, sie ist nicht tot, sondern ruht sich nur ein bisschen aus. Komm jetzt! Ich will von hier verschwinden, ehe dein Gesindel von Freunden hier aufkreuzt.", zischte er und zerrte mich aus dem Haus.
Ich hatte keine andere Wahl, als Vincent zu begleiten und dieser ließ mich nun ins Auto einsteigen, ehe er losfuhr. Er fuhr raus aus der Innenstadt und als wir London verlassen hatten, fuhr er in ein abgelegenes Waldstück. Dort hielt er vor einer Jagdhütte und zwang mich auszusteigen, ehe er auf die Hütte deutete.
,,Rein da!"
Widerstrebend kam ich seiner Aufforderung nach und betrat die Hütte, als das Handy von Vincent klingelte und er sofort abnahm. Ohne Zweifel musste es Einer seiner Lakaien sein, denn er knurrte Befehle in sein Handy.
,,Sobald der Jet gestartet ist und London erreicht hat, gibst du mir Bescheid und beeile dich gefälligst. Ich will England so schnell wie möglich hinter mir gelassen haben."
Schließlich legte er wieder auf und ich drehte mich zu ihm um, nachdem ich einen ersten Blick auf die Jagdhütte geworfen hatte, aus der bedauerlicherweise kein anderer Weg hinaus führte.
,,Was hast du vor?", wollte ich wissen, aber Vincent richtete die Waffe weiter auf mich und deutete kurzer Hand auf einen Stuhl am Esstisch.
,,Setz dich hin!"
Langsam ging ich zu dem Stuhl und setzte mich. Vincent steckte sein Handy in die Tasche und ließ mich keine Sekunde aus den Augen, während ich ihn angespannt musterte.
,,Und was jetzt?"
,,Warten wir, bis der Jet gelandet ist und danach machen wir beide einen kleinen Ausflug. Je eher wir diese öde Stadt verlassen, desto besser.", erwiderte er und ich starrte ihn ungläubig an.
,,Und was dann? Willst du mich bis in alle Ewigkeiten einsperren?"
,,Das wird nicht nötig sein. Früher oder später wirst du die Wahrheit erkennen und aus freien Stücken bei mir bleiben. Wir beide...wir sind einfach füreinander geschaffen. Wir gehören zusammen, Clarissa!"
Er konnte doch unmöglich glauben, dass er mit diesem Wahnsinn durchkam. Was ging nur in seinem Kopf vor, dass seine Besessenheit so die Überhand ergriff? Ihm musste doch klar sein, dass Bruder und Schwester nicht auf diese Art und Weise zusammen sein konnten.
,,Das stimmt nicht und das weißt du auch. Wo willst du überhaupt hin?", wollte ich wissen und er lächelte.
,,Keine Sorge, ich habe mir etwas ganz Besonderes ausgedacht. Eine traumhafte Insel im Südpazifik...wunderschön und ganz für uns allein."
,,Eine einsame Insel? Bist du jetzt völlig verrückt geworden?", entgegnete ich, woraufhin er nur wieder lächelte und mich vielsagend ansah.
,,Du wirst es lieben! Kristallklares Wasser, weiße Strände...Palmen...Sonnenschein."
Er sprach, als wäre diese Insel das Urlaubsparadies schlechthin, aber ich wollte um keinen Preis der Welt zu diesem Ort. Er würde nur ein neues Gefängnis für mich sein und soweit wollte ich es auf keinen Fall kommen lassen.
,,Vincent, bitte...sei vernünftig! Sie alle werden nach mir suchen und früher oder später werden sie mich finden. Und wenn sie es nicht hier tun, dann im Ausland. Gib auf, bevor es zu spät ist. Du kannst mich nicht ewig vor ihnen verstecken.", versuchte ich ihm ins Gewissen zu reden, aber natürlich stieß ich wieder nur auf taube Ohren.
,,Engel, du solltest mich besser kennen. Sobald wir in Sicherheit sind, werde ich dafür sorgen, dass wir beide ungestört sind."
,,Was willst du tun? Alle Menschen umbringen, die uns suchen?", brachte ich hervor, doch Vincent schien keinerlei Bedenken zu haben und sah mich nur gelassen an.
,,Sie können uns gerne suchen, aber wer sollte uns schon finden? Außer mir, weiß niemand, wo unsere Insel liegt."
Fassungslosigkeit zeichnete sich auf meinem Gesicht ab und mir entwich jegliche Gesichtsfarbe. Ich hatte nun regelrecht Panik vor Vincent, der offenbar vor nichts zurückschreckte, um mich aus dem Land zu schaffen. Und ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was mich erwarten würde, sollten wir diese Insel wirklich erreichen.
,,Du bist wahnsinnig!", platzte es aus mir heraus und er hob eine Augenbraue.
,,Weil ich dich liebe?"
,,Weil du den Verstand verloren hast. Du darfst mich nicht auf diese Weise lieben, das ist krank.", fuhr ich ihn an, aber Vincent schienen meine Worte gar nicht zu interessieren.
,,Nein! Das ist Liebe, Engel. Tiefe...aufrichtige und bedingungslose Liebe. Und die kann nichts und niemand zerstören. Und wenn du erstmal genug Zeit zum Nachdenken hattest, dann wirst auch du mich lieben. Du wirst schon sehen.", sagte er und ich wich mit jedem seiner Worte ein Stück mehr vor ihm zurück, bis meine nächsten Worte aus mir herausplatzten.
,,Ich liebe Sherlock! Nicht dich!", fuhr ich ihn an und die Verzweiflung trieb mir bereits Tränen in die Augen. ,,Dich könnte ich niemals auf diese Art und Weise lieben...oder gar in einer anderen. Ich hasse dich!"
Für einen kurzen Moment sah Vincent mich schockiert an, denn er hatte offenbar nicht erwartet, dass ich so unbeherrscht sein konnte. Aber allein der Gedanke, mit ihm alleine irgendwo hinzugehen, wo uns wahrscheinlich wirklich niemand finden würde, versetzte mich dermaßen in Panik, dass ich meine Beherrschung gänzlich vergaß.
Doch so schnell, wie Vincent der Schock ins Gesicht geschrieben stand, verschwand er auch wieder und nun spürte ich förmlich, wie sich die Wut in ihm zusammenstaute.
,,Sherlock Holmes...ich hätte ihn umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber nochmal kommt er mir nicht in die Quere...das garantiere ich dir.", zischte er und ich spürte, wie meine Verzweiflung langsam aber sicher drohte, mich innerlich zu zerreißen.
,,Vincent, ich flehe dich an...lass mich gehen. Und ich verspreche dir, ich gehe nicht zur Polizei. Du kannst einfach verschwinden und irgendwo ein neues Leben anfangen.", sagte ich und auf einmal verschwand die Wut aus dem Gesicht von Vincent.
Stattdessen wanderte sein Blick nun aus dem Fenster und es schien fast so, als käme für einen kurzen Moment seine menschliche Seite zum Vorschein, die er damals als Kind gehabt hatte. Oder zumindest das, was davon übrig war.
,,Wie könnte ich ohne dich ein neues Leben führen? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr ich dich liebe? Wie viel du mir bedeutest?", sagte er und sah wieder zu mir. ,,Schon damals, als wir Kinder waren...da hast du mich von Anfang an verzaubert. Du warst witzig...fröhlich...hast immer nur das Gute in allem und jedem gesehen...und du warst so voller Lebensfreude, dass es mich schon geradezu überwältigt hat. Und je älter wir wurden...desto mehr konnte ich es fühlen. Ich wusste irgendwann, dass ich dich mehr liebe, als alles andere. Mit dir hatte alles einen Sinn...mit dir...wusste ich, dass das Leben lebenswert war."
Ungläubig sah ich ihn an. Vincent schien die Worte, die er aussprach wirklich ernst zu meinen. Und ich konnte nicht verhindern, dass mir daraufhin sogar Tränen über die Wangen liefen.
Vincent liebte mich und das wahrhaftig! Es änderte zwar nichts daran, dass seine Liebe krank und falsch war, doch es war keineswegs zu bestreiten. Aber genau das ließ mich noch weniger verstehen, warum er all die Dinge getan hatte, die er getan hatte.
,,Warum versuchst du dann, mir wehzutun?", brachte ich hervor und nun sah er mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
,,Aber, Engel...ich könnte dir doch niemals wehtun."
,,Wie nennst du das hier dann? Alles, was du in der Vergangenheit getan hast, hat mir weh getan, Vincent. Du hast meine Freunde bedroht...mein Leben zerstört und mich dazu gezwungen, eine neue Identität anzunehmen und aus meiner Heimat zu fliehen. Du hast William getötet...Tante Maggie...unsere Eltern! Wegen dir ist unsere ganze Familie tot!", erwiderte ich und er sah mich zuversichtlich an.
,,Wir beide gründen eine neue Familie. Wenn du erstmal eingesehen hast, dass uns nichts und niemand voneinander trennen kann...dann wird alles gut. Du brauchst nur ein bisschen Zeit.", sagte er und nun sah ich ihn schon fast flehentlich an.
,,Bitte begreif es endlich, Vincent! Wir können nicht zusammen sein...wir DÜRFEN nicht zusammen sein."
Ich versuchte verzweifelt, ihm das klar zu machen. Aber entweder konnte er es nicht oder er wollte es einfach nicht verstehen. Er war so besessen von dem Gedanken, wir beide würden zusammengehören, dass er alles andere ausblendete und besitzergreifend wurde.
,,Wir sind so eng miteinander verbunden...es ist unser Schicksal zusammen zu sein, Clarissa.", sagte er und ich stand endgültig am Rande der Verzweiflung.
,,Bitte...lass mich gehen, Vincent!"
,,Das kann ich nicht.", widersprach er und dann sah er mich auf einmal zuversichtlich an. ,,Aber ich mache dir einen Vorschlag. Du wirst freiwillig mit mir kommen und im Gegenzug werde ich dir etwas versprechen.", sagte er und ich sah ihn misstrauisch an.
,,Was willst du mir versprechen? Das Paradies auf Erden? Die Hölle trifft es eher."
,,Nein! Wenn du mit mir kommst und nicht länger versuchst vor mir zu fliehen, dann werden deine Freunde leben.", sagte er und ich starrte ihn fassungslos an, ehe er mich entschlossen ansah. ,,Du willst sie doch retten und ich gebe dir die Chance dazu. Wähle mich, Clarissa und ich werde sie verschonen."
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