Spurlos verschwunden

Spurlos verschwunden

Als ich am späten Abend nach Hause kam, schloss ich die Tür hinter mir und atmete erleichtert auf. Normalerweise verging die Zeit für gewöhnlich ja wie im Flug, aber der heutige Tag hatte sich hingezogen wie Kaugummi. Und dabei war die Stadtrundtour mit Maggie ja nicht einmal das Schlimmste gewesen.
Die Krönung hatte mich beim Abendessen im Restaurant erwartet. Zuerst hatte sie mich mit unzähligen Fragen bezüglich meines Lebens hier in London gelöchert und dann hatte sie mir doch allen Ernstes meine Zukunft prophezeit.

Zwei Stunden zuvor...

,,Evelyn, wenn ich es dir doch sage...die Karten haben es mir prophezeit: du bist in großer Gefahr!", sagte Maggie und ich verdrehte genervt die Augen.

,,Tante Maggie, du weißt doch, dass ich an diesen Unfug nicht glaube."

,,Das ist aber kein Unfug. Ich habe in die Karten gesehen und Dunkelheit gesehen...deinen Tod habe ich gesehen.", beharrte sie und ich warf ihr einen ungläubigen Blick zu.

,,Ja, das hat Annabelle mir damals schon von dir ausgerichtet. Allerdings hatte ich gehofft, dass du dir diesen Schwachsinn bis heute aus dem Kopf geschlagen hast."

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und nun war es meine Tante, die mich ungläubig betrachtete. Sie war unglaublich abergläubisch und wenn jemand ihre Prophezeiungen oder Tätigkeiten anzweifelte, dann wies sie denjenigen sofort zurecht. Aber ich hatte noch nie an diesen Quatsch von Wahrsagerei geglaubt und würde damit auch jetzt ganz bestimmt nicht anfangen.

,,Evelyn!", brachte Maggie hervor und beugte sich nun zu mir vor, um mich mit ihrem mystischen Blick anzusehen. ,,Das Böse lauert hier in dieser Stadt. Und es hat es auf dich abgesehen...auf euch alle."

,,Maggie, meine Freunde und ich klären Verbrechen auf und sperren Kriminelle in den Knast...natürlich hat es das Böse auf uns abgesehen. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn die Verbrecher uns stattdessen Blumensträuße als Dank für ihre Verhaftung überreichen würden.", entgegnete ich und nun schnaubte sie verächtlich.

,,Jaja...mach nur deine Scherze. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass es verschiedene Arten von Verbrechen gibt. Und ich hatte dich für klüger gehalten. Immerhin bist du nicht umsonst aus New York geflohen und hier hergekommen. Aber nun rennst du durch die Straßen von London und arbeitest mit diesem...verrückten Detektiv und seinem kleinen Doktorfreund zusammen. Deine Eltern wären schockiert darüber, wie leichtsinnig du geworden bist.", wies sie mich zurecht, aber nun verlor ich fast die Beherrschung und funkelte Maggie wütend an.

,,Lass meine Eltern aus dem Spiel!"

,,Alles, was sie je getan habengalt einzig und allein deinem Schutz. Sie sind sogar gestorben, um dich zu beschützen...also, bitte...überlege dir gut, was du tun willst, Evelyn. Es hat damals nicht aufgehört...heute...wird es das genauso wenig!"

Ich blinzelte und verscheuchte das Gespräch aus meinen Gedanken. Tante Maggie hatte mich mit ihren Worten zu Tode genervt, aber sie hatte mich auch zutiefst verunsichert. Aber ich wollte mich von ihr nicht verwirren lassen und beschloss, dass ich für diesen Tag genug hatte.
Müde schleppte ich mich in die Küche, wo ein Zettel von Ezra lag.

Evie,

ich musste überraschend eine Geschäftsreise für meinen Vater nach Venedig übernehmen. In zwei Tagen bin ich wieder zurück und freue mich schon jetzt auf unser Wiedersehen.
Ich liebe dich!

Ezra

Seufzend legte ich den Zettel beiseite und insgeheim war ich froh darüber, dass Ezra meine verrückte Tante somit nicht kennenlernen würde. Am Ende prophezeite sie ihm noch irgendwelche skurrilen Ereignisse, die sich möglicherweise in unserer Zukunft abspielen würden und das wollte ich ihm nun wirklich nicht zumuten. Mir reichte ja schon diese irre Vorahnung von meinem angeblichen Tod. Doch bisher hatte ich es immer geschafft, diesem zu entgehen...was sollte da dieses Mal anders sein?

Am nächsten Morgen riss mich mein Handy aus dem Schlaf und ich nahm völlig verschlafen ab, während ich mir meine wirren Haare aus dem Gesicht strich.

,,Hallo?", murmelte ich in mein Handy, als auch schon die Stimme meines Partners erklang.

,,Evelyn, du musst sofort kommen. Wir haben eine weitere Leiche gefunden und ich brauche dich hier."

,,Was? Wo denn?", brachte ich verwirrt hervor, aber Greg schien ziemlich im Stress zu sein.

,,Ich schicke dir unseren Standort. Beeil dich! Und bring deine Freundin Alicia mit. Sie könnte uns vielleicht wieder helfen."

Ohne auf meine Antwort zu warten, legte Greg auf und ich legte mein Handy seufzend zurück auf meinen Nachttisch. Für einen Moment starrte ich gedankenverloren an die Decke, aber dann gab ich nach und erhob mich aus dem Bett.
Es war gerade mal 6:30 Uhr und ich schleppte mich Richtung Wohnzimmer, um Alicia zu wecken. Die war nach dem Maskenball sicher mindestens genauso erschöpft wie ich nach meinem Tag mit Maggie, aber ich hoffte, dass Sherlock sie nicht zu sehr mit seinen Methoden überfordert hatte. Immerhin konnte er manchmal schon verrückt und anstrengend sein, aber ich war ja schon daran gewöhnt...im Gegensatz zu Alicia!

,,Hey, Alicia...du musst aufstehen. Wir haben eine neue Leiche und Greg hat...", setzte ich an, doch fand nur ein leeres Sofa vor und runzelte die Stirn. ,,deine Anwesenheit erbeten!"

Völlig perplex sah ich mich um und suchte die Räume nach Alicia ab, doch von ihr fehlte jede Spur. Wo zum Geier steckte sie denn nur? Dass sie gestern Abend noch nicht da gewesen war, als ich ankam, das hatte mich nicht verwundert, denn so ein Maskenball konnte ja mehrere Stunden in Anspruch nehmen...aber sie war offenbar noch überhaupt nicht hier gewesen und das irritierte mich schon etwas. Und ich fragte mich, ob das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen war.

Nachdem auch ein Anruf bei Alicia ohne Erfolg gewesen war, hatte ich mich ins Taxi gesetzt und befand mich nun auf dem Weg zum Tatort. Noch ein paar Mal versuchte ich, meine beste Freundin zu erreichen, aber ich gab mich schließlich mit der Theorie zufrieden, dass sie wohl einfach bei John oder in der Baker Street übernachtete. Allerdings hätte ich es schon besser gefunden, wenn sie mir wenigstens eine SMS geschickt hatte, nur um mir zu versichern, dass alles in Ordnung war. Aber so war Alicia eben...spontan und unvorhersehbar!

Als ich den Tatort erreichte, hetzten viele Polizisten durch den Park und ich zeigte meinen Ausweis vor, ehe ich unter dem Absperrband hindurchging und mich dem Ort des Geschehens näherte.
Ziemlich schnell konnte ich meinen Partner ausfindig machen, der wieder einmal ziemlich blass um die Nase war und keineswegs einen Blick Richtung Leiche riskierte, die unter dem weißen Tuch lag. Als er mich entdeckte, schien er unglaublich erleichtert zu sein und kam sofort auf mich zu marschiert.

,,Evelyn...da bist du ja. Gott sei Dank! Dieser Anblick ist einfach nur grausam.", sagte er und ich seufzte.

,,Wieder auf die gleiche Weise?"

,,Ja! Scheint so, als hätten wir es dieses Mal mit einem Serienmörder der abscheulichsten Art zu tun. Aber wenn die Leiche untersucht wurde, wissen wir mehr. Apropos...wo ist Alicia?", fragte er und sah sich suchend um, während ich mit den Schultern zuckte.

,,Tja...das wüsste ich gern. Sie ist gestern mit John und Sherlock zu diesem Maskenball gegangen, um einer Spur nachzugehen...aber offensichtlich hat sie den Weg in meine Wohnung nicht wiedergefunden."

,,Na, super! Kein Wunder, dass ich Sherlock und John nicht erreichen kann. Dabei hätte ich unseren Meisterdetektiv hier wirklich gebrauchen können.", schnaubte Greg und nun sah ich ihn überrascht an.

,,Sherlock und John auch? Ich dachte, nur Alicia wäre nicht zu erreichen und da habe ich vermutet, dass sie nur ihr Handy auf stumm geschaltet hat."

Die Tatsache, dass aber auch Sherlock und John nicht zu erreichen waren, beunruhigte mich schon etwas. Gut, ich hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, die beiden anzurufen, um mich zu vergewissern, dass Alicia auch wirklich bei ihnen war, aber ich wollte auch nicht paranoid klingen und die Drei daher lieber schlafen lassen. Obwohl Sherlock und Schlafen ja eigentlich nicht wirklich zusammenpasste.

,,Würdest du nachher vielleicht in die Baker Street fahren?", riss Greg mich aus den Gedanken und schien etwas genervt. ,,Ich könnte dieses Mal nämlich wirklich die Fähigkeiten von Einstein gebrauchen. Wenn wir diesen Killer fassen wollen, dann müssen wir es so schnell wie möglich tun. Bevor noch mehr Menschen so grausam zugerichtet werden."

Ich nickte und das schien Greg zu beruhigen. Dann eilte er zu einem Kollegen und ich sah zu der abgedeckten Leiche. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht und ich musste rausfinden, was es war.

Als ich die Baker Street erreichte, hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, dass ich meine Freunde jetzt so früh aus dem Schlaf reißen würde, aber mir war es ja auch nicht besser ergangen und Sherlock beorderte mich schließlich auch wann und wohin es ihm gefiel. Da würde er das dieses Mal eben auch mal verkraften müssen.
Da ich zum Glück mittlerweile einen Schlüssel von Mrs. Hudson bekommen hatte, brauchte ich diese nicht auch zu wecken und schlich mich leise durch das Treppenhaus. Wahrscheinlich machte ich mich auch ganz umsonst verrückt und Sherlock war inzwischen längst wieder oder noch immer auf den Beinen.

Leise öffnete ich die Wohnungstür und schloss sie wieder hinter mir. Mein erster Gang führte ins Wohnzimmer, doch dieses war verlassen und so begab ich mich seufzend zu dem Schlafzimmer von Sherlock. Ich klopfte an, doch als keine Antwort erklang, seufzte ich und öffnete die Tür kurzer Hand.

,,Okay, Einstein...raus aus den Federn. Greg und ich brauchen dich und zwar jetzt.", brachte ich hervor, aber als ich einen Blick auf das Bett warf, war dies ebenfalls unberührt.

Völlig perplex zog ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer von Sherlock. Doch nach nur zweimal Klingeln ging die Mailbox ran und ich legte auf.

,,Verdammt, Sherlock...wo steckst du nur?", murmelte ich zu mir selbst, ehe ich die Nummer von John wählte.

Aber auch da hatte ich keinen Erfolg und das Handy von Alicia war ebenfalls wieder eine Sackgasse. Ich ging noch einmal durch die Wohnung, um mich zu vergewissern, dass ich auch wirklich überall nachgesehen hatte, aber die Drei waren wie vom Erdboden verschluckt. Ich hielt inne und überlegte fieberhaft, wo sie sein konnten, als ich hinter mir auf einmal leise Schritte vernahm und herumfuhr.

Dort stand Mrs. Hudson und hatte eine Bratpfanne erhoben, vor der ich erschrocken zurückwich. Sie schrie ebenfalls erschrocken auf, aber dann hielt ich inne und meine linke Hand raste reflexartig zu meiner Brust, wo ich meinen schnellen Herzschlag spüren konnte.

,,Mrs. Hudson...Sie haben mich erschreckt!", brachte ich außer Atem hervor und sie sah mich vorwurfsvoll an.

,,Das Gleiche könnte ich Ihnen sagen, Evelyn. Ich dachte schon, Sie wären ein Einbrecher."

,,Nein...keineswegs.", sagte ich und hob abwehrend die Hände. ,,Sie können die Pfanne also wieder runternehmen."

Etwas perplex sah sie auf die Bratpfanne, die sie immer noch erhoben hatte und legte diese nun rasch beiseite. Sie trug einen hellen Pyjama und einen rosa Morgenmantel, während ihre Haare noch etwas zerzaust vom Schlafen waren. Ihr Blick war jedoch hellwach und nun sah sie mich besorgt an.

,,Was machen Sie denn so früh hier, Evelyn? Ist etwas geschehen?", fragte sie und ich nickte kaum merklich.

,,Das kann man wohl sagen. Sie wissen nicht zufällig, wo sich Sherlock, John und meine beste Freundin rumtreiben?"

,,Nein, leider nicht. Ich habe sie zuletzt gestern gesehen, als sie zu diesem Maskenball wollten. Aber wo wir gerade davon sprechen...Ihre Freundin ist ja sehr reizend und John scheint sie sehr zu mögen. Ach, die beiden wären auch wirklich ein schönes Paar. Ich meine, nach der Sache mit Mary, da würde es John sicher gut tun, wenn...", sagte sie verträumt, aber ich unterbrach sie.

,,Mrs. Hudson! Tut mir leid, aber ich habe jetzt überhaupt keinen Kopf für...derartige Spekulationen. Ich weiß nur, dass die beiden und Sherlock verschwunden sind und ich sie so schnell wie möglich finden muss."

Mrs. Hudson wirkte etwas überrumpelt über meinen plötzlichen Ausbruch, aber sie nickte zustimmend. Und ich zog wieder mein Handy aus der Tasche, ehe ich die Nummer von meinem Partner wählte, der zum Glück sofort ranging.

,,Hey, Greg! Ja, ich bins! Hör zu...ich bin gerade in der Baker Street. Ich glaube, wir haben ein Problem!"

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