Sherlock Holmes

Sherlock Holmes

,,Sie nennen mich einen Idioten?", fuhr Sherlock Holmes mich an, während er auf mich zukam und schien regelrecht beleidigt zu sein, doch ich sah ihn bloß desinteressiert an.

,,Hab ich jetzt etwa Ihre Gefühle verletzt? Tut mir wirklich leid!"

Zwar kannte ich diesen Sherlock Holmes gerade mal ein paar Minuten, aber bereits jetzt war mir klar, dass sein Ego offenbar sehr empfindlich war. Aber ich hatte schon früher mit arroganten Typen zu tun gehabt, ich würde auch mit einem Detektiv fertigwerden, der sich selbst für den Mittelpunkt des Universums hielt.

,,Gefühle sind ein chemischer Defekt, der auf der Verliererseite zu finden ist.", sagte er auf einmal und ich richtete den Blick gen Himmel.

,,Oh, wirklich? Vielen Dank auch, Einstein 2.0...hab ich mal wieder was gelernt!"

Für einen Moment starrte er mich nur an und sagte nichts, was mich selbst überraschte. Hatte es Sherlock Holmes jetzt etwa die Sprache verschlagen? Dann war meine Schlagfertigkeit besser, als ich es mir hätte erhoffen können. Jedoch viel zu schnell hatte sich Sherlock wieder gefangen und musterte mich mit einem Blick, von dem ich nicht genau sagen konnte, ob er mehr aus Skepsis, Misstrauen oder Neugierde bestand.

,,Jemand wie Sie ist mir noch nie begegnet.", meinte er und ich zuckte mit den Schultern.

,,Für alles gibt es ein erstes Mal, Mr. Holmes. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich habe einen Mord aufzuklären."

Ehe Sherlock Holmes mir ein weiteres Mal widersprechen konnte, wandte ich mich von ihm ab und ließ ihn stehen. In dem Moment kam auch Lestrade aus dem Gebäude und als er den Blick von Sherlock sah, schlich sich wieder ein Grinsen auf sein Gesicht.
Ich wartete am Wagen und als mein Partner ebenfalls ankam, schüttelte er lachend den Kopf und sah noch einmal zu Sherlock, der nun mit Dr. Watson sprach und sich wahrscheinlich tierisch über mich aufregte.

,,Respekt! Ich bin beeindruckt, Evelyn.", sagte Lestrade anerkennend und ich sah ihn nur irritiert an.

,,Weswegen?"

,,Nun, Sherlock Holmes sprachlos zu machen...das ist schon regelrecht ein Wunder.", meinte er und ich schnaubte verächtlich.

,,Warum? Weil er ein arroganter psychopatischer Vollidiot ist, der sich selbst für das achte Weltwunder hält? Im Umgang mit solchen Typen habe ich Erfahrung, da kann mich auch ein Detektiv aus London nicht mehr umhauen."

,,Nur, dass dies kein gewöhnlicher Detektiv ist. Wir sprechen hier von Sherlock Holmes und er ist für gewöhnlich die Schlagfertigkeit in Person. Darin hat ihn bisher noch niemand übertroffen.", entgegnete Lestrade und ich zuckte mit den Schultern.

,,Irgendjemand muss der Erste sein!"

Mein Partner konnte sich ein weiteres Grinsen nicht verkneifen und öffnete die Autotür, während er lachte.

,,Ich sehe schon...mit Ihnen werde ich mich gut verstehen, Evelyn. Und das nächste Mal warnen Sie mich bitte vor, dann nehme ich höchstpersönlich ein Video auf, wie Sie und Sherlock sich gegenseitig messen."

Er stieg ein und ich starrte für einen Moment perplex vor mich hin, ehe mein Blick noch einmal zu Sherlock Holmes wanderte. Der stand immer noch mit Dr. Watson vor dem Gebäude und sah zu mir herüber, wobei er mir einen ziemlich missbilligenden Blick zuwarf.
Daraufhin verdrehte ich bloß die Augen und stieg ebenfalls in den Wagen ein, als Greg auch schon losfuhr und wir uns vom Madame Tussauds entfernten. Und noch während wir zur Dienststelle zurückfuhren, musste ich immerzu an die erste Begegnung mit Sherlock Holmes denken. Denn auch, wenn er ein arroganter Mistkerl war...irgendwas an ihm faszinierte mich auch und ich fragte mich, was das war.

***

Am späten Nachmittag hatten wir schließlich mehr Informationen über unser Opfer und ich lehnte mich gegen die Wand, als Lestrade schließlich ein Foto von dem Opfer aufhängte und sowohl Donovan, als auch Anderson und mich vielsagend ansah.

,,Das Opfer heißt Richard Hopkins! Er ist 26 Jahre alt und er war laut unseren Informationen ein erfolgreicher Rechtsanwalt. Über die genaue Todesursache wird uns Molly Hooper noch unterrichten, aber währenddessen möchte ich, dass ihr alles über Richard Hopkins in Erfahrung bringt, was ihr finden könnt. Familie, Freunde, Feinde...alles, was ihr kriegen könnt. Also, an die Arbeit!"

Damit war die kurze Ansprache beendet und Lestrade verschwand Richtung Büro, während ich seufzend von der Wand abließ. Ich liebte meinen Job, aber die Büroarbeit und Recherche war immer das Nervigste.

,,Dann wollen wir mal.", gab Anderson von sich und klang ziemlich unmotiviert, während Donovan ihn überrascht ansah.

,,Seit wann fügst du dich denn bitte der Anweisung für Recherche?"

,,Naja, im Moment gibt es ja nichts anderes zu tun und solange wir nichts aus der Pathologie hören, aber eigentlich gibt es etwas viel Interessanteres.", raunte Anderson und nun schien Sergeant Donovan noch mehr irritiert zu sein.

,,Was kann es denn bitte Wichtigeres geben als den aktuellen Fall?"

,,Naja, unsere neue Kollegin hier...die hat Sherlock Holmes am Tatort ziemlich auflaufen lassen.", meinte Anderson und deutete vielsagend auf mich, woraufhin Donovan mich erstaunt musterte.

,,Wirklich?"

,,Ich hab ihn nicht direkt auflaufen lassen, aber ich habe ihn einen Idioten genannt...zumindest im Bezug auf Frauen und das scheint sein Ego etwas gekränkt zu haben.", erklärte ich und Donovan grinste nun, was bei ihr eher selten vorzukommen schien.

,,Kaum einen Tag hier und schon legt sie sich mit Sherlock Holmes an...dem größten Freak von allen. Das gefällt mir!"

,,Sie scheinen nicht viel von Sherlock Holmes zu halten, oder?", wollte ich wissen und Donovans Miene wurde wieder ziemlich grimmig.

,,Sagen wir einfach, dass er mir mit seiner Arroganz auf die Nerven geht. Und er mischt sich in Angelegenheiten ein, die ihn nichts angehen."

Ich wusste auch ohne nachzufragen, dass sie damit das Verhältnis zwischen sich und Anderson meinte, was Sherlock vorhin beiläufig erwähnt hatte. Kurz tauschten Donovan und Anderson einen Blick und der hatte plötzlich etwas an sich, was mich den dringenden Wunsch verspüren ließ, die Umlaufbahn der beiden schnellstens zu verlassen.

,,Ich...ich werde mich mal an die Recherchen schmeißen.", sagte ich beiläufig, doch das bekamen die beiden anscheinend nicht mit, da sie sich immer noch anstarrten.

Bevor ich möglicherweise noch unfreiwillig Zeugin eines Skandals zwischen zwei Kollegen wurde, begab ich mich auf den Weg zu einem Computer, als Lestrade auf einmal auf mich zukam und mich abfing.

,,Ah, Evelyn...könnten Sie mir einen Gefallen tun?"

,,Sicher, Lestrade! Worum geht es?", fragte ich und er reichte mir einen kleinen Zettel.

,,Molly Hooper hat soeben angerufen und mich informiert, dass die Obduktion des Opfers abgeschlossen ist und sie neue Informationen für uns hat. Könnten Sie zu ihr fahren und sich anhören, was sie zu sagen hat?"

,,Klar!"

Ich nahm den Zettel entgegen und sah auf die Adresse Barts Hospital, welche Greg mir aufgeschrieben hatte, ehe ich sie einsteckte und mich wieder an Greg wandte.

,,Soll ich Sie dann anrufen?"

,,Ja, das wäre gut. Ich werde inzwischen die Eltern des Opfers benachrichtigen. Wir konnten sie ausfindig machen.", erklärte Lestrade und ich nickte.

,,Okay. Dann mache ich mich besser gleich auf den Weg."

Ich wandte mich ab und wollte schon gehen, als mich Lestrade noch einmal aufhielt.

,,Ach, Evelyn!"

,,Ja?", sagte ich und blieb stehen, als Greg etwas vielsagend dreinschaute.

,,Es kann sein, dass Sie im Barts Hospital auch Sherlock Holmes antreffen. Zumindest ist er des Öfteren dort. Sollten Sie aufeinander treffen, dann..."

Lestrade sprach den Satz nicht zu Ende, aber sein Blick sprach Bände und ich verdrehte die Augen, während ich seufzte und abwehrend die Hände hob.

,,Keine Sorge, ich werde Ihren Meisterdetektiv schon nicht umbringen. Aber vielleicht könnten Sie ihm das nächste Mal nahelegen, dass er sich in seiner Wortwahl vorsehen sollte."

Greg nickte und damit war das Gespräch für mich erledigt, weswegen ich mich auf den Weg zum Ausgang begab. Natürlich hoffte ich eigentlich, dass ich Sherlock Holmes heute nicht noch einmal über den Weg lief, aber sollte es der Fall sein, dann dürfte es ja wieder sehr vielversprechend werden.

Ich eilte die Treppe draußen herunter und wollte mir gerade schon ein Taxi rufen, als ich plötzlich eine Stimme vernahm.

,,Miss Headley!"

Verwundert drehte ich mich um und entdeckte Dr. Watson...den Partner von Sherlock Holmes, der nun auf mich zugeeilt kam und die erhobene rechte Hand sinken ließ.

,,Dr. Watson! Was führt Sie denn hierher?", fragte ich, als jener schließlich vor mir zum Stehen kam und mir ein freundliches Lächeln entgegenbrachte.

,,Bitte, nennen Sie mich John!"

,,In Ordnung, John...dann bin ich Evelyn!", erwiderte ich und lächelte ebenfalls, als ich ihn erwartungsvoll ansah. ,,Also, was verschlägt Sie denn so spät noch zum Scotland Yard?"

,,Um ehrlich zu sein wollte ich zu Ihnen!"

,,Zu mir? Worum gehts?"

,,Naja, um ehrlich zu sein, wollte ich mich bei Ihnen entschuldigen.", sagte John und ich starrte ihn verblüfft an.

,,Wofür wollen Sie sich denn entschuldigen? Dafür gibt es doch gar keinen Grund."

,,Nicht, was mich betrifft...aber was das Verhalten von Sherlock angeht, das finde ich schon. Es tut mir leid, wie er mit Ihnen gesprochen hat. Das war nicht richtig."

Nun starrte ich John völlig perplex an, der sich hier gerade für das Verhalten seines arroganten Partners entschuldigte. Wie konnte so ein ungleiches Duo nur ein Ermittlerteam sein? Es war mir ein Rätsel, dass Dr. Watson es offenbar mit Sherlock Holmes aushielt und ich entschied mich gerade noch dagegen, John Watson zu fragen, wie wohl der Alltag mit Sherlock aussah. Sattdessen hob ich nur eine Augenbraue und sah John erstaunt an.

,,Sie müssen sich nicht bei mir für Sherlock Holmes entschuldigen, John. Ich meine, es ist eine nette Geste, aber ich werde deswegen schon nicht zusammenbrechen.", sagte ich und er musste ein wenig lachen.

,,So hätte ich Sie auch nicht eingeschätzt. Um ehrlich zu sein war ich verblüfft, dass Sie Sherlock gegenüber so gut kontern konnten. Das schaffen nur die Wenigsten."

,,Ja, das sagte Lestrade auch schon."

,,Aber wissen Sie...egal, wie arrogant Sherlock für Sie rüberkommen mag, er hat auch seine guten Seiten. Er zeigt sie zwar nur sehr selten, aber wenn man ihn länger kennt, dann versteht man, was ich meine."

John wirkte ziemlich überzeugend und ich versuchte mir vorzustellen, dass Sherlock Holmes auch so etwas wie Menschlichkeit besaß. Allerdings konnte ich das beim besten Willen nicht glauben und ich sah John nun etwas verwundert an.

,,Warum ist es Ihnen eigentlich so wichtig, was ich von Sherlock Holmes halte?", versuchte ich in Erfahrung zu bringen und für einen Moment wirkte John, als wäre er bei etwas ertappt worden, doch dann zuckte er mit den Schultern.

,,Ich finde nur, dass Sie wissen sollten, dass er auch anders sein kann."

,,Sie meinen anders, als ein irrer Psychopath?", entgegnete ich und wir beide grinsten, ehe ich auf die Uhr sah. ,,Oh, tut mir leid, John...aber ich muss los. Ich muss noch ins Barts Hospital zu Molly Hooper."

,,Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleite?", wollte John wissen und ich zuckte lässig mit den Schultern.

,,Von mir aus!"

Und da rief John auch schon ein Taxi, welches an den Straßenrand fuhr. Er stieg zuerst ein und ich folgte ihm, nachdem ich einen Moment lang irritiert dagestanden hatte. John schien ja ganz nett zu sein, aber er war ganz offensichtlich auch ein wenig verrückt. Und diese Tatsache machte ihn ohne Zweifel zum perfekten Kollegen bzw. Partner für einen Detektiv wie Sherlock Holmes.

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