Nur über meine Leiche

Nur über meine Leiche

Wie von der Tarantel gestochen, setzte ich Liam nach, der gerade unser Revier verließ und die Treppe nach unten eilte. Schnell holte ich ihn ein und stellte mich ihm in den Weg, während ich ihn völlig entgeistert ansah.

,,Liam, warte!"

,,Worauf? Du glaubst mir doch eh nicht.", meinte er und ich verpasste ihm einen dumpfen Schlag gegen die rechte Schulter, woraufhin er sich die Stelle rieb und mich vorwurfsvoll ansah. ,,AU!"

,,Du kannst nicht einfach behaupten, du würdest wissen, wer unser Opfer ist und dann aus dem Revier stürmen. Das ist unprofessionell!", wies ich ihn zurecht und er warf mir einen ungläubigen Blick zu.

,,Ach, und seinen einzigen Zeugen zu schlagen ist professionell?"

,,Das war kein Schlag, sondern ein Buffen!", korrigierte ich ihn und er seufzte.

,,Von mir aus!"

,,Also, wer ist unser Opfer?"

Erwartungsvoll sah ich Liam an und stand ihm immer noch im Weg. Jetzt wollte ich auch wissen, wer die arme Leiche in dem Chemikalienbad war und vor allem, woher zum Teufel Liam ihre Identität kannte. Zuerst zögerte er noch, doch dann sah er sich prüfend um und brach endlich wieder sein Schweigen.

,,Na, schön! Euer Opfer heißt Alison Montgomery! Sie war Journalistin und wenn du mich fragst, nahm ihre letzte Reportage kein besonders gutes Ende...wie ihr alle ja gesehen habt.", sagte er und ich starrte ihn perplex an.

,,Und wer hat sie umgebracht?"

,,Woher soll ich das wissen?", brachte Liam hervor und ich stemmte die Hände in die Hüften.

,,Du hast gesagt, du kannst beim Fall helfen."

,,Ja und das habe ich jetzt bereits. Ich habe gesagt, dass ich weiß, wer euer Opfer ist und du hast jetzt einen Namen. Aber wer sie ins Jenseits befördert hat, das müsst ihr schon selbst rausfinden. Da bin ich der falsche Ansprechpartner."

Ich schüttelte den Kopf und wusste gar nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Es war schon chaotisch genug, dass Liam und ich uns nach so langer Zeit wieder gegenüber standen und, dass er nun auch noch unser Opfer kannte, das war einfach zu verwirrend.

,,Woher kennst du ihre Identität?", wollte ich wissen und auf einmal beugte sich Liam zu mir vor und sah mich geheimnisvoll an.

,,Du bist doch eine schlaue Polizistin, Evelyn! Finde es heraus!"

                             ***

Und ich nahm mir seine Aufforderung zu Herzen! Nachdem Liam mich schließlich vor dem Revier stehen gelassen hatte und gegangen war, hatte ich mich auf dem Revier abgemeldet und befand mich nun in einem Taxi. Und dieses brachte mich auf direktem Wege in die Baker Street.

Als ich ausstieg und den Fahrer bezahlte, verweilte ich noch einen kurzen Augenblick und fragte mich, ob ich nicht doch besser zum Scotland Yard zurückkehren sollte, aber ich wollte diesen Fall unbedingt so schnell wie möglich lösen. Und wenn ich schnell sein wollte, dann brauchte ich nun einmal das intelligenteste Genie von ganz London.

,,Oh...hallo, Evelyn. Wie schön Sie wiederzusehen.", begrüßte mich Mrs. Hudson, nachdem sie mir die Tür geöffnet hatte.

,,Hallo, Mrs. Hudson!"

,,Sherlock ist oben!", beantwortete die Frau meine unausgesprochene Frage und ich schmunzelte.

,,Danke!"

Dann ging ich die Treppen hoch und merkte, wie Mrs. Hudson mir folgte. Ohne Zweifel war diese Frau neugierig und auch, wenn sie natürlich immer wieder betonte, dass sie keineswegs die Haushälterin von John und Sherlock war...so schien sie eben genau diese Tatsache hin und wieder zu vergessen.

Ich betrat das Wohnzimmer, wo John am Schreibtisch saß und irgendwas zu schreiben schien. Als er mich bemerkte, sah er auf und lächelte freundlich zu mir rüber.

,,Hey, Evelyn!"

,,Hi, John!", erwiderte ich und wollte gerade weitersprechen, als mit einem Mal Sherlock aus der Küche kam...mit Schweißbrenner bewaffnet und großer Schutzbrille im Gesicht.

,,Sie sind zu spät!", warf er mir vor und ich sah ihn perplex an.

,,Wie bitte?"

,,Zu spät...Sie sind zu spät! John hat Ihnen doch gesagt, dass wir über die ersten Ergebnisse des Falls reden müssen.", sagte Sherlock und John runzelte die Stirn.

,,Ähm...Sie wollten es Evelyn sagen!"

,,Nein! Ich sagte Ihnen doch, dass Sie das übernehmen müssen, denn ich musste ja nachdenken.", widersprach Sherlock und John sah ihn verdutzt an.

,,Wann haben Sie mir das bitte gesagt?"

,,Vor zwei Stunden, als wir darüber sprachen.", erklärte er und John warf seinem Mitbewohner daraufhin einen entgeisterten Blick zu.

,,Aber Sherlock, da hatte ich doch einen Notfall mit einem Patienten. Ich war gar nicht zu Hause."

,,Oh...ich dachte, Sie wären hier gewesen."

Sherlock schien überrascht zu sein und John schüttelte fassungslos den Kopf, während ich zwischen den beiden verwirrt hin und her sah. Ihre Konversation war mehr als irritierend und ich hakte nach.

,,Moment mal...Sie haben einfach weitergeredet, obwohl John nicht hier war?", sagte ich verblüfft und Sherlock zuckte bloß mit den Schultern.

,,Was kann ich dafür, wenn er nicht zuhört?"

Mein Blick wanderte zu John und ich starrte ihn gänzlich verwirrt an. Doch John winkte nur ab und es schien offenbar nicht das erste Mal zu sein, dass Sherlock mit John geredet hatte, obwohl jener gar nicht im Haus gewesen war. Und dabei hatte ich doch angenommen, nichts könnte Sherlocks Intelligenz übertreffen. Tja, einen Makel schien sogar Sherlock Holmes zu haben.

,,Also, um auf den Fall zurück zu kommen...", setzte Sherlock an und schaute vielsagend in die Runde. ,,Ich kenne den Namen unseres Opfers. Es ist..."

,,Alison Montgomery!", vollendete ich den Satz, ehe Sherlock überhaupt zu Ende reden konnte und der sah mich nun verblüfft an.

,,Richtig!"

,,Woher konnten Sie das wissen, Evelyn?", meldete sich John zu Wort, der ebenfalls etwas dumm aus der Wäsche schaute.

,,Liam!", erwiderte ich und seufzte ein wenig. ,,Er war bei mir auf dem Revier und hat mir erzählt, dass er die Identität des Opfers kannte. Aber woher, das wollte er mir nicht sagen. Er hat mir nur noch verraten, dass Alison Montgomery wohl Journalistin war. Aber im Bezug auf ihren Tod hatte er bedauerlicherweise keine Information."

Ich schob die Hände in die Hosentaschen meiner dunklen Jeans und John staunte nicht schlecht über die Neuigkeiten. Sherlock hingegen, schien sich mal wieder in seinem sogenannten Gedächtnispalast zu befinden, denn er machte einen äußerst nachdenklichen Gesichtsausdruck, während er langsam auf und ab ging.

Weil er dafür eine gefühlte Ewigkeit brauchte, ließ ich mich irgendwann auf das Sofa nieder und John widmete sich wieder seinem Laptop. Und gerade, als ich meine Konzentration wieder auf den Fall gelenkt hatte, schien Sherlock aus seinem Gedächtnispalast zurückzukehren, denn er brach das Schweigen und erschreckte John und mich damit mal wieder förmlich zu Tode.

,,Natürlich, das ist es!"

,,Was ist was?", entgegnete ich, nachdem ich mich vom Schock erholt hatte.

,,Unser Opfer war also Journalistin...das erklärt auch, warum sie auf solch außergewöhnliche, aber auch beeindruckende Weise ermordet wurde."

,,Sie finden den Tod in einem Chemikalienbad beeindruckend?"

Ich starrte Sherlock fassungslos an und bemerkte nur am Rande, wie John seinen Blick gen Himmel richtete. Zwar fragte ich mich noch immer, wie um alles in der Welt er mit Sherlock unter einem Dach leben konnte, doch nachfragen tat ich nicht mehr. Sherlock fuhr zu mir herum und anstatt auf meine Frage zu antworten, deutete mit dem rechten Zeigefinger auf mich.

,,Sie! Mitkommen!", sagte er und bevor ich auch nur die geringste Chance für einen Widerspruch hatte, war er Richtung Flur verschwunden.

Völlig perplex sah ich ihm nach, bevor mein Blick zu John wanderte. Dieser hatte sein Gesicht hinter der rechten Hand verborgen und schüttelte immer noch den Kopf. Ich stand auf und sah irritiert auf John, der einen ebenso ungläubigen Blick wie ich aufgesetzt hatte. Doch im Gegensatz zu mir, schien er solche Situationen schon öfter erlebt zu haben.

,,Sollte ich jetzt wirklich...", setzte ich an und John nickte zustimmend.

,,Ja, Sie sollten!"

,,Verstehe!", erwiderte ich, als Sherlock auch schon im Türrahmen erschien- mit Mantel und Schal gewappnet.

,,Kommen Sie, Evelyn! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit und Mörder warten für gewöhnlich nicht."

Er eilte nun zum Treppenhaus und ich folgte ihm, während ich John beiläufig zum Abschied winkte. Als Sherlock und ich das Haus verlassen hatten, hielt er bereits ein Taxi an und nachdem wir eingestiegen waren, sah ich ihn fragend an.

,,Und wohin fahren wir?"

,,Lassen Sie sich überraschen, Miss Headley!", war alles, was Sherlock darauf erwiderte.

                              ***

Die Antwort meiner Frage entpuppte sich als die Arbeitsstelle von Alison Montgomery. Obwohl es mich schon brennend interessierte, woher zum Geier Sherlock schon wieder wusste, dass unser Opfer hier gearbeitet hatte, fragte ich nicht nach. Denn ich hatte mir mittlerweile angewöhnt, sämtliche Dinge im Bezug von Sherlock einfach hinzunehmen.
Und nun knüpften Sherlock und ich uns die Chefin der verstorbenen Alison vor, die von der Todesnachricht ihrer Mitarbeiterin zwar betroffen, aber auch nicht sonderlich überrascht wirkte.

,,Tragisch die Sache mit Alison, aber es musste ja soweit kommen. Ich hatte schon befürchtet, dass ihr Ehrgeiz und ihre Vorgehensweise sie noch eines Tages umbringen würden.", äußerte Claire Davies und ich staunte nicht schlecht über diese Aussage.

,,Was meinen Sie genau damit?"

,,Ach, wissen Sie...Alison war eine unglaubliche Journalistin! Sie war selbstbewusst, zielstrebig und unglaublich dickköpfig. Niemals hat sie aufgegeben, bis sie bei ihren Stories die Wahrheit ans Licht gebracht hat. Ich habe sie ehrlich gesagt für diesen Einsatz stets bewundert, aber es hat mir auch zu denken gegeben. Denn, sagen wir so...Alison hat sich auch gerne mit Fällen beschäftigt, die eine Nummer zu groß für den Journalismus waren.", erklärte die Chefredakteurin und ich runzelte die Stirn.

,,Sie wollen also damit sagen, dass Alison sich mit ihren Recherchen für einige Fälle in Gefahr gebracht hat?"

,,Bedauerlicherweise! Ich habe ja schon oft versucht, ihr das Risiko bewusst zu machen, aber wie gesagt...sie war ein ziemlicher Sturkopf. Ich frage mich nur, in was sie dieses Mal wieder rein geraten ist. Oh, der arme Joshua! Was wird er nur dazu sagen?"

Claire wirkte nun ziemlich erschüttert und ich horchte auf. Aber noch ehe ich die Frage stellen konnte, nahm Sherlock mir das ab, der offenbar trotz Deduktion dem Gespräch gefolgt war.

,,Wer ist Joshua?"

,,Der Bruder von Alison! Die beiden haben ihre Eltern letztes Jahr bei einem Autounfall verloren und seitdem alles, was von ihrer Familie übrig geblieben sind. Sie hatten ein sehr enges Verhältnis und waren geradezu unzertrennlich!", erwiderte Claire und ich nahm mir meinen Notizblock zur Hand, auf dem ich den Namen von Joshua notierte, ehe ich Claire wieder ansah.

,,Wissen Sie zufällig, wo wir Joshua finden können?", wollte ich wissen und sie nickte.

,,Ja! Er arbeitet als Fotograf hier ganz in der Nähe. Ich gebe Ihnen die Adresse!"

Ich nickte und während Claire um ihren Schreibtisch ging, um eine Schublade zu öffnen, wandte ich mich unauffällig an Sherlock, der ja bekanntlich ein besseres Gespür für unauffällige Details hatte, als jeder andere.

,,Was denken Sie?"

,,Wir sollten mit dem Bruder sprechen, aber unsere Konzentration auf die Fälle von unserem Opfer konzentrieren. Ich vermute dort einen entscheidenden Hinweis auf ihren Tod."

Das genügte mir als Antwort und in dem Moment reichte mir Claire Davies eine Visitenkarte, die ich entgegennahm. Als Sherlock schon Richtung Bürotür ging, wandte ich mich noch einmal an die Chefredakteurin und musterte sie nachdenklich.

,,Miss Davies, wissen Sie zufällig, an was für einem Fall Alison zuletzt gearbeitet hat?", wollte ich wissen, doch sie schüttelte den Kopf.

,,Nein, tut mir leid. Darüber hat sie kaum ein Wort verloren. Ich kenne nur den Titel, den sie als Überschrift für ihre Story nehmen wollte."

,,Und wie lautet der?", wollte ich wissen, woraufhin Claires Blick ein wenig deprimiert wirkte.

,,Nur über meine Leiche!"

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