Mensch, Evelyn...ärgere dich nicht!

Mensch, Evelyn...ärgere dich nicht!

,,Ziemlich zutreffend der Titel, finden Sie nicht auch?", äußerte ich Sherlock gegenüber, als wir das Gebäude verließen und der zog sich seine Handschuhe über.

,,Viele Dinge sind in der Regel zutreffend, Miss Headley! Die meisten Menschen vermögen nur nicht, sie immer gleich zu erkennen."

,,Und Sie schon?", sagte ich, woraufhin Sherlock nickte.

,,So ist es! Ich sehe die Dinge klarer als die anderen. Deshalb kenne ich die Antwort für gewöhnlich schneller, als es die anderen tun."

Sherlock schmückte sich mal wieder selbst mit Lorbeeren, aber ich konnte ihm in dieser Hinsicht ja nicht einmal widersprechen. Er war ja ungelogen ein Genie schlechthin und so langsam konnte ich auch verstehen, weshalb Lestrade ihn immer wieder zu Rate zog. Ich tat es ja mittlerweile selbst.

,,Aber nicht immer ist alles zutreffend, Sherlock. Ich meine, manchmal sind die Dinge vielleicht allem Anschein nach offenkundig, aber die Lösung ist nicht immer logisch.", meinte ich, woraufhin Sherlock stehen blieb und mir einen vielsagenden Blick zuwarf.

,,Evelyn, wenn man alle logischen Lösungen eines Problems eliminiert, dann ist die unlogische obwohl unmöglich unweigerlich richtig."

Na, super! Sherlock legte mal wieder seine poetischen Mysterien an den Tag und richtete in Anbetracht dessen meinen Blick gen Himmel. Manchmal fand ich seine Aussagen ja äußerst interessant, aber manchmal strapazierte Sherlock mit ihnen auch nur meine Nerven und dieses Mal wurde ich von meinem klingelnden Handy erlöst, ehe wir dieses Thema noch vertiefen konnten.

,,Lestrade, was gibts?", fragte ich, nachdem ich den Namen meines Partners auf dem Display erkannt und abgenommen hatte.

,,Wo bist du gerade, Evelyn?"

,,In der Innenstadt mit Sherlock! Wir waren bei der Arbeitsstelle des Opfers und sind gerade auf dem Weg zu ihrem Bruder.", erklärte ich und hörte, wie Lestrade sich räusperte.

,,Gut! Wenn ihr damit durch seid, könntest du dann bitte ins Revier kommen? Ich habe den Bericht der Obduktion und möchte mit dir über die Ergebnisse sprechen. Denn die sind...äußerst interessant!"

,,Klar! Kein Problem!", sagte ich und Lestrade verabschiedete sich, ehe er schon auflegte.

Ich steckte mein Handy zurück in meine Jackentasche und Sherlock sah mich erwartungsvoll an, während er mich schweigend musterte. Und er musste seine Frage nicht aussprechen, denn ich setzte ihn bereits in Kenntnis.

,,Lestrade hat die Ergebnisse der Obduktion. Ich soll ins Revier kommen, wenn wir den Bruder befragt haben."

,,Die typische Vorgehensweise der Polizei!", meinte Sherlock nur und ich nickte.

,,Ganz recht, Mr. Holmes! Eine traditionelle und äußerst hilfreiche Methode. Wollen wir?"

Ohne auf seine Antwort zu warten, ging ich voraus und merkte, wie Sherlock mir folgte. Und während wir uns zu der Adresse begaben, fragte ich mich bereits, wie wir Joshua den tragischen Tod seiner Schwester beibringen sollten.

                              ***

,,Ali ist tot?"

Joshua Montgomery sah Sherlock und mich erschüttert an und während meine Begleitung schwieg, nickte ich nur und sah Joshua mitfühlend an.

,,Leider ja! Es tut mir sehr leid, Mr. Montgomery!"

Er wirkte mehr als bestürzt, denn er starrte niedergeschlagen zu Boden und wusste anscheinend gar nicht, wie er mit dieser Nachricht umgehen sollte. Und während ich Joshua so ansah, wurde ich selbst traurig. Denn ich kannte das Gefühl nur zu gut, wenn man niemanden aus der Familie mehr hatte. Das Gefühl, unendlich allein zu sein.
Doch ich musste hier professionell bleiben und deshalb gab ich Joshua einen Moment, ehe ich mich wieder ihn wandte. Und ich gab mir die größte Mühe mitfühlend und trotzdem ernst zu bleiben.

,,Joshua, Claire Davies sagte uns, Sie und Ihre Schwester haben ihre Eltern letztes Jahr bei einem Autounfall verloren. Wie war Ihr Verhältnis zu Alison?", wollte ich wissen und Joshua nickte gequält.

,,Ja, das stimmt. Ali und ich waren seitdem auf uns gestellt und mussten erstmal zurechtkommen. Es war nicht immer einfach, aber wir haben auf uns aufgepasst. Wir hatten schon immer ein ganz gutes Verhältnis, aber seit dem Tod unserer Eltern, hat es sich noch mehr verbessert. Was soll ich sagen...Ali und ich waren immer füreinander da."

Ich nickte und notierte seine Aussage. Nebenbei bemerkte ich, wie Sherlock sich unauffällig umsah und ganz offenbar wieder alle Details, die möglicherweise von Bedeutung sein könnten, abspeicherte. Ohnehin überließ er mir meistens das Reden und widmete sich eher der Suche nach Beweisen, die außer ihm wahrscheinlich niemand auf den ersten Blick erkennen konnte.

,,Ihre Schwester war ja Journalistin, Joshua. Hat Alison mit Ihnen je über ihre Arbeit oder ihre Nachforschungen gesprochen?"

,,Nein, eher nicht. Ali war in dieser Hinsicht eher zurückhaltend und hat sich darüber nie wirklich geäußert. Allerdings habe ich gemerkt, dass sie sich manchmal etwas zu sehr in die Arbeit gestürzt hat. Sie war immer ziemlich beschäftigt und wenn ich Fragen gestellt habe, dann hat sie immer gleich abgeblockt.", sagte Joshua und ich sah ihn nachdenklich an.

,,Hat sich Ihre Schwester in letzter Zeit irgendwie anders verhalten? Ich meine, gab es untypische Ereignisse oder ist Ihnen etwas an ihr aufgefallen?"

Joshua schwieg für einen Moment und ich nutzte das aus, um ihn unauffällig zu inspizieren. Er hatte dunkle Haare, war 19 Jahre alt und schien eher der ruhigere Typ zu sein. Natürlich konnte dies auch nur daran liegen, dass die Todesnachricht seiner Schwester ihn schwer getroffen hatte. Aber obwohl er in dieser Hinsicht ja ebenfalls gewissermaßen ein Opfer war, hatte ich das Gefühl, dass er uns etwas verschwieg und ich wollte wissen, was es war.

,,Naja, Ali war ja sehr ehrgeizig. Zumindest, was ihren Job anging. Damit habe ich mich auch abgefunden, aber in letzter Zeit schien sich das noch verstärkt zu haben. Sie schien...ja, regelrecht besessen zu sein.", antwortete er nun und ich hob eine Augenbraue.

,,Besessen? Könnte es dabei um ihren letzten Fall gegangen sein?"

,,Ich weiß es nicht! Kann gut möglich sein!", sagte er und als ich meine nächste Frage stellen wollte, riss Sherlock mich aus meiner Konzentration.

,,Evelyn, kommen Sie mit."

Er verschwand nach draußen und ich ordnete Joshua an, einen Moment zu warten. Dann folgte ich Sherlock nach draußen und dort wartete er, bis ich ihn erreicht hatte.

,,Was ist, Sherlock?", wollte ich wissen und ich sah ihn perplex an.

,,Beim Gespräch mit Joshua...was ist Ihnen da aufgefallen?"

,,Dass er sehr mitgenommen ist.", meinte ich und Sherlock schob die Hände in seine Manteltaschen.

,,Und was noch?"

,,Er scheint uns etwas zu verschweigen.", sagte ich und Sherlock nickte.

,,Ganz genau."

,,Und darum zitieren Sie mich hier raus? Um mir das zu sagen?", brachte ich hervor und Sherlock verdrehte die Augen.

,,Geduld ist eine Tugend, Evelyn. Brechen Sie diesen Vorsatz nicht."

,,Worauf wollen Sie raus?", hakte ich nach und Sherlock schmunzelte kaum merklich.

,,Warten Sie es ab!"

Zwar wusste ich nicht genau, was Sherlock mit diesem Handeln bezwecken wollte, doch ich kam seiner Aufforderung nach und wartete gemeinsam mit ihm draußen. Doch nach einer gefühlten Ewigkeit wurde mir die Warterei zu blöd und meine Geduld war gänzlich am Ende.

,,Mir reichts! Ich gehe jetzt wieder da rein.", sagte ich und wollte mich schon auf den Weg machen, als Sherlock meinen linken Arm ergriff und mich daran hinderte.

,,Warten Sie, Evelyn!"

,,Worauf? Sherlock, was soll das ganze Theater?", äußerte ich, als er mich auf einmal ernst ansah.

,,Vertrauen Sie mir?"

Diese Frage überraschte mich etwas, denn Sherlock klang ja fast so, als wäre diese Sache hier unglaublich ernst. Zwar fragte ich mich nach wie vor, was er hiermit bezwecken wollte, aber ich seufzte schließlich.

,,Das macht mich vielleicht verrückt, aber...ja! Ich vertraue Ihnen!"

,,Dann bleiben Sie hier!", ordnete Sherlock an und als ich nickte, ließ er meinen Arm schließlich los.

Für einen Moment sahen wir uns noch an, doch dann wandte ich den Blick von Sherlock ab und sah stattdessen gedankenverloren in die Ferne. Ich wusste nicht genau, was wir hier taten, aber ich hoffte, dass es uns im Fall weiterbrachte. Allerdings schien der Tag noch einige Überraschungen für uns bereitzuhalten, denn auf einmal erklang eine mir sehr bekannte Stimme.

,,Evelyn! Sherlock! Was geht ab?"

Ich richtete den Blick mal wieder gen Himmel und stöhnte innerlich auf, als Liam direkt auf uns zusteuerte. Was hatte ich dem Schicksal eigentlich getan, dass es diesen Kerl immer wieder zu mir führen musste? Ich war am Ende meiner Weisheit.

,,Na, neue Erkenntnisse im Fall Montgomery?", wollte er wissen und Sherlock sah ihn ausdruckslos an.

,,Wir arbeiten dran!"

,,Sehr gut! Was ist mit dir, Evelyn? Schönen Nachmittag gehabt?", meinte Liam nun grinsend an mich gewandt und ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

,,Bis ich dich gesehen habe, ja!"

Liam sah mich etwas perplex an und Sherlock konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Ich musste selbst ein wenig schmunzeln, aber das Ego von Liam hatte ich mit dieser Aussage noch lange nicht in die Flucht geschlagen.

,,Autsch! Dabei dachte ich, wir hätten unsere Differenzen nach unserer heutigen Konversation beseitigt.", sagte Liam und ich verschränkte die Arme vor der Brust.

,,Was willst du, Liam? Sag es, damit wir es hinter uns bringen können und dann verschwinde."

,,Es wird dich vielleicht überraschen, aber ich will euch immer noch helfen.", äußerte er und Sherlock hob eine Augenbraue.

,,Und wie gedenken ausgerechnet Sie uns zu helfen?"

,,Naja, ich habe Evelyn die Identität des Opfers verraten.", erwiderte Liam und Sherlock nickte.

,,Ja! Das sagte sie bereits. Aber das erklärt noch lange nicht, warum Sie uns auch jetzt weiterhelfen könnten."

,,Weil ich mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dass ihr bei Joshua an der falschen Adresse seid.", erklärte Liam und ich horchte auf.

,,Du kennst Joshua?"

,,Kennen ist übertrieben ausgedrückt! Ich bin ihm zwei Mal begegnet, aber er ist in diesem Fall nicht von Bedeutung.", sagte Liam, doch ich widersprach ihm.

,,Tja, da sind wir anderer Ansicht. Allem Anschein nach, scheint er etwas zu verheimlichen."

,,Was tut ihr dann hier draußen?", äußerte Liam und ich deutete vielsagend auf Sherlock.

,,Warten!"

,,Und worauf?"

,,Werden Sie schon sehen.", gab Sherlock zurück und Liam runzelte die Stirn.

,,Das verstehe ich nicht ganz."

,,Musst du auch nicht. Du könnest auch einfach gehen und uns unsere Arbeit machen lassen.", sagte ich und Liam grinste verschlagen.

,,Mensch, Evelyn...ärgere dich nicht! Ich dachte, du freust dich, mich zu sehen."

Ich sagte nichts und schloss nur für einen Moment die Augen, während ich innerlich bis 3 zählte. Denn ich widerstand dem großen Bedürfnis, Liam Eine zu verpassen und als ich die Augen wieder öffnete, sah Sherlock mich geradezu vorwurfsvoll an.

,,Was haben Sie nur an ihm gefunden? Sein Verstand gleicht der Größe einer Erbse."

,,Fragen Sie mich nicht, Sherlock. Bei solchen Sachen setzen gewisse Hormone den Verstand außer Gefecht und man ist vollkommen machtlos dagegen. Ich dachte, das wäre Ihnen bereits klar, wo Sie Gefühle für einen chemischen Defekt halten.", erwiderte ich.

,,Trotzdem hätte ich mich niemals auf so einen Trottel eingelassen.", sagte Sherlock und schenkte Liam einen missbilligenden Blick, während ich ihn für einen Moment sprachlos ansah.

,,Sie haben doch in Ihrem Leben sicher nicht eine einzige Beziehung gehabt. Wie können Sie das dann beurteilen?"

,,Für solch unbedeutende Dinge fehlt mir die Zeit, Miss Headley. Außerdem stehen die Chancen, dass eine Beziehung glücklich endet, in den meisten Fällen mehr als schlecht. Und selbst im anderen Fall, wäre es eine Verschwendung von Zeit, sich mit derartigen Angelegenheiten auseinanderzusetzen."

Ich sah Sherlock an und wusste nicht mehr, was ich darauf sagen sollte. Natürlich war mir klar, dass Sherlock so negativ über Beziehungen und Gefühle denken würde, aber ich hatte dennoch gehofft, dass er wenigstens einen Funken Menschlichkeit in sich hatte, was das anging. Denn nicht jeder war immerhin so versessen auf ein einsames Leben wie er.

,,Wow!", meldete sich Liam wieder zu Wort und schaute zwischen Sherlock und mir hin und her. ,,Ich wünschte, Shakespeare wäre noch am Leben und würde eure faszinierende Geschichte niederschreiben. Ihr würdet sogar Romeo und Julia Konkurrenz in Sachen Dramatik machen!"

,,Halt die Klappe, Liam!", brachten Sherlock und ich gleichzeitig hervor und sahen uns dann etwas verdutzt an, was Liam natürlich grinsen ließ.

,,Das wird ja immer besser. Ich gebe euch noch ein paar Wochen, dann seid ihr euch gegenseitig gänzlich verfallen."

Das war genug! Ich ging auf Liam los und wollte ihn für diese Aussage an den Kragen, allerdings wurde ich von Sherlock gepackt und er zog mich zurück. Wutentbrannt sah ich meinen Ex-Freund an und Sherlock hatte Mühe, mich zurückzuhalten.

,,Ich warne dich, Liam. Noch so ein Spruch und du kannst dein Testament in Auftrag geben."

,,Beruhigen Sie sich, Evelyn!", redete mir Sherlock ins Gewissen und ich funkelte ihn an.

,,Sicher! Sobald ich Liam einen Kopf kürzer gemacht habe, geht es mir sehr viel besser."

,,Das solltest du dir lieber für später aufheben. Oder willst du Joshua entkommen lassen?", sagte Liam mit einem Mal und deutete vielsagend auf das Fotostudio.

Meine Wut ließ augenblicklich nach, sodass Sherlock mich wieder freigab und wir fuhren herum. Tatsächlich stahl sich Joshua aus dem Studio und wollte anscheinend gerade das Weite suchen, als sein Blick auf uns fiel und ihm gänzliche Fassung entwich.

,,Joshua...stehen bleiben!", rief ich ihm zu und er rannte los.

Doch darauf war ich vorbereitet und ich jagte ihm bereits nach. Weit kam er nicht, denn ich holte ihn blitzschnell ein und warf mich auf ihn, sodass wir beide zu Boden gingen. Er stöhnte vor Schmerzen auf und ich zückte meine Handschellen. In dem Moment erreichten uns Sherlock und Liam, der anerkennend auf Joshua sah, der keinerlei Fluchtmöglichkeit mehr hatte.

,,Mensch, Evelyn...du bist umwerfend.", sagte Liam und ich sah ihn vielsagend an.

,,Danke, Liam!"

Dann zog ich Joshua auf die Beine und dieser schaute uns Drei etwas mürrisch an. Sherlock sah ihn nur ausdruckslos an und deutete dann schließlich auf mich.

,,Sergeant Headley hat sicher noch ein paar Fragen an Sie.", meinte er und ich nickte.

,,In der Tat! Und die beantworten Sie mir am besten auf dem Revier! "

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