Geister der Vergangenheit

Geister der Vergangenheit

Helden sterben...der Tod ist ewig! Und es gibt nichts, dass uns bleibt...außer der Hoffnung, dass die Zeit all unsere Wunden heilt. Denn Zeit verändert die Menschen. Sie verändert Gefühle, Situationen, Gedanken und sogar Träume. Was sie jedoch nicht ändern kann, sind die Momente und Erinnerungen, die man im Leben nie vergisst.

Sherlock Holmes war ein Held...noch mehr als das. Er war mein Held! Ich gebe zu, am Anfang hätte ich nie für möglich gehalten, dass ich einmal dieser Meinung sein würde. Als ich ihn kennenlernte, da war er für mich nichts weiter als ein arroganter Besserwisser...ein Psychopath, der vollkommen durchgeknallt war.

Aber Sherlock Holmes belehrte mich eines Besseren. Er war nicht nur sonderbar, verrückt und undurchschaubar...er war ein guter Mensch gewesen. Mehr noch...er war ein Freund gewesen.
Doch das Schicksal hatte ihn gezwungen einen Weg zu gehen, der mit einem freien Fall endete...einem freien Fall direkt in den sicheren Tod. Und noch heute vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht an Sherlock Holmes denken muss.

2 Jahre!

2 Jahre war es nun schon her, seit James Moriarty sein grausames Spiel vollendet und sich Sherlock vom Dach des Barts Hospitals in den Tod gestürzt hatte. Wir waren zu spät gekommen, um ihn retten zu können und seit jenem Tag war nichts mehr, wie es einmal gewesen war.

Wir alle gingen anders mit dem Tod von Sherlock um. Greg hatte es nach einem knappen Jahr mehr oder weniger akzeptiert und seit ans Licht gekommen war, dass James Moriarty natürlich wahrhaftig existiert und man Sherlock somit zu Unrecht als Lügner bezeichnet hatte, hatte mein Partner ihn vor allen anderen verteidigt, die etwas anderes behauptet hatten. Ich zum Teil glaubte ja, dass er Schuldgefühle hatte, aber ich sprach ihn nicht darauf an. Genau genommen, sprach ich mit niemandem darüber.

Für mich war der Selbstmord von Sherlock noch heute ein Schock und egal, wie viel Zeit auch verging...der Schmerz wurde nicht geringer. Er quälte mich jeden einzigen Tag und ich konnte nichts dagegen tun, als ihn zu ertragen. Also tat ich das, was ich am besten konnte: ich stürzte mich in die Arbeit!

Denn immerhin hatte ich Sherlock an seinem Grab versprochen, dass ich London beschützen würde und das Versprechen hielt ich ein. Auch, wenn das manchmal alles andere als einfach war.

Einen Lichtblick gab es in meinem Leben. Vor ungefähr einem Jahr hatte ich einen besonders heiklen Fall, bei dem der Sohn eines Millionärpaares entführt worden war und es war uns gelungen, ihn zu retten. Oder besser gesagt, mir war es gelungen und Ezra, niemand anders als der entführte Sohn, hatte sich unbedingt mit einem Essen dafür bedanken wollen. Tja, es war Einer dieser Tage gewesen, die wohl alles veränderten und seitdem waren Ezra und ich in einer Beziehung. Obwohl ich glaubte, dass es mit mir alles andere als einfach für ihn war.

Aber nicht nur ich hatte jemanden kennengelernt. John, für den der Tod von Sherlock mindestens genauso schlimm war wie für mich, hatte sich Hals über Kopf in Mary verliebt und für ihn war sie der Halt, den er brauchte und ich war froh, dass er jemanden gefunden hatte.
Und noch etwas hatten John und ich gemeinsam: unsere Art zu trauern! Wir sahen uns zwar hin und wieder, aber wir gingen uns die meiste Zeit aus dem Weg und versuchten, die Realität zu verdrängen. Die Baker Street hatten wir seit jenem Tag gemieden und ich brachte es einfach nicht über mich, dorthin zurückzukehren, wo mich alles an Sherlock erinnerte.

Zwar hatte ich noch Kontakt mit Mrs. Hudson, aber wenn wir uns trafen, dann taten wir dies stets an einem anderen Ort. Und bei all unseren Treffen sprachen wir kaum über Sherlock. Einfach aus dem Grund, weil wir seinen Tod bis heute nicht verwunden hatten.

Was Anderson und Donovan, die meiner Meinung nach mit dran Schuld dafür waren, dass Sherlock tot war, anging...sie hatte ich kaum noch zu Gesicht bekommen. Donovan arbeitete zwar noch bei uns, aber sie war von Greg einem anderen Team zugewiesen worden, da ich sie sonst wahrscheinlich aufgrund ihres bloßen Anblicks früher oder später eigenhändig erledigt hätte.

Anderson hingegen, hatte seinen Job kurz nach den Ereignissen an den Nagel gehängt und war jetzt der Kopf eines Fanclubs, der vollkommen besessen von dem Gedanken war, dass Sherlock seinen Tod bloß vorgetäuscht hätte und insgeheim irgendwo fernab am Leben war. Und am Anfang hatten wir es noch hingenommen, dass er solche fanatischen Theorien entwickelt hatte, weil er ohne jeglichen Zweifel Schuldgefühle hatte. Aber nach ein paar Monaten hatte er Greg und mich damit regelrecht in den Wahnsinn getrieben und bevor man ihn rausschmeißen konnte, hatte er aus freien Stücken gekündigt. Seitdem hatte ich Anderson nicht mehr gesehen und ich war froh darüber.

Sherlock war tot! Er hatte sich das Leben genommen, weil alle ihn für einen Schwindler gehalten und die Intrige, die Moriarty damals gesponnen hatte, geglaubt hatten. Außer John und mir natürlich, denn wir hatten bis heute keinen einzigen Tag daran gezweifelt, dass Sherlock ein ehrlicher Mensch gewesen war. Aber unsere Loyalität zu ihm und seine Rehabilitierung, die wenigstens seine Ehre gerettet hatte, brachten Sherlock nicht zurück. Nichts und niemand konnte das.

Sein Bruder Mycroft hatte sich seit jenem Tag zurückgezogen und durch John hatte ich erfahren, dass er Details über Sherlocks Leben an Moriarty verkauft hatte, um von ihm an Informationen bezüglich seiner Pläne zu kommen. Also war Mycroft ebenfalls zum Teil schuld daran, dass diese miese Ratte es geschafft hatte, Sherlock in den Tod zu treiben.
Seitdem war er ebenfalls für mich gestorben und ich hatte kein Wort mehr mit Mycroft gewechselt. Er hatte einmal versucht, sich bei mir zu entschuldigen, aber ich hatte ihm die Tür vor der Nase zugeknallt und ihm an den Kopf geworfen, dass ich ihn niemals wiedersehen wollte.

Seit diesem Zwischenfall hatte ich von Mycroft weder etwas gesehen noch gehört, was mir aber auch egal war. Ich wusste zwar, dass es die Ereignisse nicht änderte...aber es hielt dennoch die Geister der Vergangenheit in uns allen wach und was wir auch versuchten...sie würden uns wohl bis in alle Ewigkeit verfolgen.

                            ***

,,Verfluchtes Miststück!", zischte der Ex-Sträfling Darren Cooper, den ich gerade an den Dienstwagen beförderte und ihm Handschellen anlegte.

,,Ich sagte doch, dass ich dich finden werde. Das nächste Mal solltest du lieber gleich abhauen, anstatt erneut einen Überfall anzuzetteln. Obwohl...es wird kaum ein nächstes Mal geben, denn nochmal gelingt dir ein Ausbruch sicher nicht. Schafft ihn zurück ins Pentonville!"

Zwei Kollegen von mir packten Darren und verfrachteten ihn in den Wagen, ehe sie ihrer Pflicht nachkamen und ihn zurück ins Gefängnis brachten. Der Kerl war vor knapp einer Woche ausgebüchst und hatte heute versucht, die Bank zu überfallen. Allerdings war ich ihm bereits seit 3 Tagen auf den Fersen gewesen und hatte ihm heute einen gebührenden Empfand mit der Kavallerie bereitet, der für Darren nun wieder hinter Gittern endete.
Dies war zwar kein außergewöhnlicher Fall gewesen, aber ein Fall blieb ein Fall und ich hatte Greg geschworen, dass ich den Typen wieder einbuchten würde, was ich ja nun auch getan hatte. Und für mich war so etwas die beste Ablenkung, die es auf der ganzen Erde gab und deshalb nahm ich, was auch immer ich kriegen konnte.

,,Hey, Partner!", sagte ich, als mein Handy klingelte und schon erklang die Stimme von Greg, der natürlich bereits auf heißen Kohlen saß.

,,Und? Wie ist der Einsatz gelaufen?"

,,Fantastisch! Wir haben unseren Plan umgesetzt und Darren Cooper befindet sich bereits auf den Rückweg in seine wunderschöne Zelle. Er ist direkt in die Falle getappt!", berichtete ich und Greg klang ziemlich erleichtert.

,,Sehr gut! Das wird unseren Chef beruhigen. Bist du noch vor Ort?"

,,Ja! Wir müssen nur noch Ordnung schaffen und dann rücken wir ab.", sagte ich und mit einem Mal klang mein Partner irgendwie angespannt.

,,Hmm...okay. Bekommen die das ohne dich hin? Ich hatte gehofft, dass du zurück ins Scotland Yard kommen kannst. Wir müssen reden."

,,Okay...ist etwas passiert?", fragte ich sofort, aber er schien das nicht am Telefon besprechen zu wollen.

,,Das erkläre ich dir dann. Komm bitte einfach her."

,,Ich bin gleich da!", erwiderte ich und beendete unser Telefonat.

Die Aussage von Greg machte mich nachdenklich und ich fragte mich inständig, was er wohl mit mir zu bereden hatte. Es musste ja wichtig sein, wenn er es persönlich erledigen wollte und ich sollte ihn daher besser nicht warten lassen. Also verabschiedete ich mich von dem Einsatzkommando und begab mich auf direktem Wege zum Scotland Yard.

                           ***

Bei meiner Arbeitsstelle angekommen, begab ich mich natürlich sofort in das Büro von Greg und er schien bereits ungeduldig zu werden, denn als er mich sah, deutete er gleich auf den Platz vor seinem Schreibtisch.

,,Setz dich!"

Seine Stimmung überrumpelte mich etwas und ich fragte mich, ob ich möglicherweise irgendwas angestellt haben könnte, was mein Gedächtnis eventuelle verdrängt hatte. Aber mir fiel nichts ein und ich nahm zögerlich Platz, während ich Greg etwas verunsichert ansah.

,,Okay...was gibt's denn?", fragte ich und Greg seufzte ein wenig.

,,Hör zu, Evelyn...ich habe das jetzt wirklich lange mitgemacht und nichts gesagt, weil ich dir Zeit geben wollte, um das, was passiert ist...zu verarbeiten. Aber das geht jetzt schon zwei Jahre lang so und es wird nicht besser...ganz im Gegenteil! Ich hab das Gefühl, du gerätst vollkommen außer Kontrolle."

,,Was meinst du?", wollte ich wissen und er schaute mich vielsagend an.

,,Du drehst vollkommen durch. All die ganzen Fälle und das Arbeiten...fast rund um die Uhr. Das kann auf die Dauer unmöglich gut sein. Du verlierst noch den Verstand.", brachte er hervor und ich sah ihn ungläubig an.

,,Weil ich meinen Job mache?"

,,Evelyn, es gibt einen Unterschied zwischen seinen Job machen und wie eine Besessene Schwerverbrecher zu jagen. Seit zwei Jahren tust du nichts anderes mehr, als Kriminellen nachzujagen und sie hinter Gitter zu bringen. Du machst nie Pause, isolierst dich von deinen Mitmenschen und in letzter Zeit hast du ziemlich oft die Grenze der Toleranz überschritten. Das muss aufhören und zwar sofort."

Greg wirkte ziemlich angespannt und ich konnte kaum glauben, was er mir da an den Kopf warf. Gut, ich mochte es in letzter Zeit vielleicht etwas übertrieben haben, aber bei gnadenlosen Verbrechern musste ich auch eiskalt sein und durfte keine Scheu zeigen. Ich verstand nicht, weshalb mein Partner so einen Aufstand machte.

,,Soll ich etwa tatenlos rumsitzen, während in England die Welle der Schwerverbrechen immer weiter zunimmt?", raunte ich ihm entgegen und Greg sah mich nun schon fast flehend an.

,,Nein...natürlich nicht! Aber du sollst auch bedenken, dass du ein Mensch bist und keine Maschine. Ich mache mir Sorgen um dich."

,,Ich habe Sherlock versprochen, dass ich die Stadt beschützen werde und das werde ich auch tun.", rief ich ihm ins Gedächtnis, woraufhin er die Hände abwehrend erhob.

,,Und ich habe auch gar nicht vor, dir das zu verbieten. Aber du musst einen Gang zurückfahren, bevor du vollkommen die Kontrolle und dich selbst verlierst."

Mein Partner sah mich eindringlich an und ein Teil von mir verstand, weshalb er sich so aufregte. Er wollte mich anscheinend nur beschützen, aber das war jetzt wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Greg schien zu merken, dass mich sein Vortrag etwas aus dem Konzept brachte und er beugte sich ein wenig zu mir vor.

,,Evelyn, ich weiß...dass die letzten zwei Jahre nicht einfach waren. Das war es für keinen von uns und die ganze Sache nimmt dich noch mehr mit als uns...aber was geschehen ist, das ist geschehen. Wir können die Vergangenheit nicht ändern und ganz gleich, wie viele Verbrechen du auch aufklärst und wie viele Kriminelle du auch festnagelst...das wird ihn nicht wieder lebendig machen."

,,Ich weiß!", erwiderte ich und ich unterdrückte die Tränen, die sich drohten einen Weg zu bahnen, denn ich wollte jetzt nicht anfangen zu weinen.

,,Versprich mir bitte, dass du es in Zukunft etwas ruhiger angehen wirst.", bat mich Greg und ich nickte kaum merklich zur Einverständnis.

,,Ich verspreche es!"

,,Gut!"

Greg schien sich etwas zu entspannen und ich wollte ihm den Gefallen tun, mich etwas zurückzunehmen. Zwar würde es mir wahrscheinlich nicht leicht fallen, aber es war besser, als Greg weiter in den Wahnsinn zu treiben.

,,Hast du trotzdem einen neuen Fall für mich?", fragte ich nach, doch Greg schüttelte den Kopf.

,,Nein! Aber dafür etwas anderes."

,,Und was?"

,,Urlaub! Du wirst die nächsten Tage frei machen. Ich will dich hier nicht sehen.", entgegnete er und ich starrte Greg ungläubig an.

,,Was? Greg, das kann nicht dein Ernst sein."

,,Das ist mein voller Ernst. Es ist das Beste für dich, glaub mir. Ich werde mich in den nächsten Tagen um alles kümmern und du ruhst dich aus. Also, sieh zu, dass du hier raus kommst."

Gerade wollte ich zum Widerspruch ansetzen, aber Greg brachte mich mit einem einzigen Blick zum Schweigen. Das war wohl mein Stichwort und ich stand widerwillig auf. Es würde nichts bringen mit Greg zu diskutieren, denn er würde nicht nachgeben. Also ging ich zur Tür und wollte sie schon öffnen, als ich mich noch einmal zu meinem Partner umdrehte.

,,Greg...hört das eigentlich jemals auf?", brachte ich hervor und er schien zu ahnen, was ich meinte, woraufhin er mich mitfühlend ansah.

,,Nein! Aber es wird besser werden."

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