Falsches Spiel

Falsches Spiel

Ich musste schon zugeben, dass ich John in Sachen Fahrstil ganz eindeutig unterschätzt hatte. Wo er sonst so einen besonnenen und ruhigen Eindruck machte, so gab er nun Vollgas und brachte uns in gefühlter Lichtgeschwindigkeit aus der Stadt heraus. Und während wir uns im Auto befanden, spürte ich, wie meine Anspannung mit jedem weiteren Kilometer wuchs.
Wir waren auf der Flucht! Auf der Flucht vor der Polizei und vor dem Gesetz. Die ganze Situation war vollkommen außer Kontrolle geraten und ich hatte keine Ahnung, was uns als nächstes bevorstand. Greg war in Untersuchungshaft und nun wurde ich auch noch von meinen Kollegen gejagt.
Was wurde hier nur für ein Spiel gespielt? Es war ein Spiel...zweifellos! Die Frage war nur, wer hier im Hintergrund die Fäden zog und offenbar Greg und mich aus dem Weg räumen wollte.

,,Wohin jetzt?", unterbrach John das eisige Schweigen, welches im Auto herrschte und ich warf einen prüfenden Blick durch die Heckscheibe.

,,Anscheinend hast du sie abgehängt, John. Ich würde sagen, wir können dieser Hetzjagd vorerst ein Ende setzen."

,,Wo war es, Evelyn?", fragte Sherlock und ich runzelte irritiert die Stirn.

,,Wo war was?"

,,Der Mord! Ich muss es mir ansehen.", erwiderte er und ich sah ihn daraufhin entgeistert an.

,,Sie wollen zum Tatort? Aber da werden sie doch zuerst nach uns suchen."

,,Evelyn, wenn wir wissen wollen, was wirklich passiert ist, dann muss ich mir den Tatort ansehen. Also...wo müssen wir hin?"

Ich hatte ein ungutes Gefühl. Im Moment mochte uns die Polizei ja nicht mehr verfolgen, aber sie würde auch ganz sicher nicht locker lassen. Und zum Tatort zurückzukehren, war ja wohl das Riskanteste, was wir tun konnten. Aber Sherlock hatte leider Recht! Er würde sich den Tatort ansehen müssen, wenn er diesen Fall lösen wollte.

,,In der King Street! Haus Nummer 28.", erbarmte ich mich schließlich und Sherlock sah vielsagend zu John.

,,Geben Sie Gas, John! Je eher wir da sind, desto eher kann ich das alles aufklären."

                         ***

Als wir die King Street erreichten und John den Wagen abseits abstellte, sodass er nicht auffiel, sah ich mich wachsam um. Aber nirgends waren Anzeichen von Polizei zu sehen, was aber noch lange nichts hieß. Sie konnten schließlich jeden Moment hier eintreffen und uns in Gewahrsam nehmen. Also war Eile gefragt und ehe ich mich versah, waren John und Sherlock auch schon ausgestiegen und ich folgte ihnen schließlich.
Wir begaben uns direkt zum Haus und ich erkannte das Absperrband der Mordkommission, welches vor der Haustür prangte.

,,Bringen wir es hinter uns!", sagte ich und schlüpfte kurzer Hand unter dem Band durch, nachdem ich die Haustür mit einem Dietrich geöffnet hatte.

John und Sherlock waren direkt hinter mir und ich fühlte mich dadurch augenblicklich besser. Heute Morgen war ich immerhin alleine hier drin gewesen und das hatte ja kein gutes Ende genommen.
Sherlock zögerte nicht lange und ging gleich Richtung Wohnzimmer und John folgte ihm, während ich zurückblieb. Meine Gedanken wanderten zu Greg und ich hoffte, dass es ihm den Umständen entsprechend gut ging. Es musste ein grausames Gefühl sein, dass man von allen für einen Mörder gehalten wurde und ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was mein Partner gerade durchmachte.

Warum? Warum wurde Greg des Mordes bezichtigt? So oft ich es auch im Kopf durchging...das alles ergab keinen Sinn und ich wusste einfach, dass Greg unschuldig war. Ich wusste nicht woher...aber ich wusste es.

Ich hörte, wie Sherlock und John etwas untereinander murmelten, konnte aber kein einziges Wort verstehen. Deshalb beschloss ich, dass ich näher ranging, doch soweit kam ich gar nicht. Denn mit einem Mal, platzte eine schwarz gekleidete Person ins Haus und ging auf mich los. Entsetzt sprang ich jedoch zur Seite und wich somit einem gekonnten Tritt aus, als ich auch schon die Frau erkannte, die mich heute Morgen bereits attackiert hatte.

,,Sie schon wieder!", zischte ich und als Quittung bekam ich einen Tritt von ihr in die Seite zu spüren, was mich gegen die Arbeitsplatte der Küche beförderte.

,,Evelyn!"

Die Stimme von Sherlock drang zu mir durch und zog die Aufmerksamkeit der Frau in Schwarz auf sich. Sie wandte sich von mir ab und sah zu Sherlock, was ich ausnutzte. Blitzschnell rappelte ich mich auf und revanchierte mich nun selbst mit einem heftigen Tritt.
Die Frau taumelte nach vorn und ich sah, wie John sich bereits einer Billardqueue bemächtigt hatte und bereit war, sie jederzeit einzusetzen. Sherlock sah ausdruckslos auf die fremde Frau und wir drei hatten sie nun regelrecht umzingelt, was sie etwas zu verunsichern schien. Denn sie sah hektisch umher und wirkte mehr als nervös und angespannt.

,,So, Lady...ich denke, es wird Zeit für ein paar Antworten.", setzte John an und ich grinste schadenfroh.

,,Ja! Lasst uns ein Spiel spielen...Wahrheit oder Pflicht!"

Die Frau sprach kein Wort und musterte uns stattdessen mit einem bedrohlichen Funkeln in den Augen. Also wenn Blicke töten könnten, dann hätten Sherlock, John und ich sicher binnen weniger Sekunden auf dem Boden gelegen. Aber stattdessen standen wir hier. Die Frau in Schwarz in unserer Mitte und eindeutig die Oberhand in dieser heiklen Situation.

,,Wer sind Sie und warum greifen Sie Evelyn an?", forderte Sherlock nun zu wissen und musterte die Frau ernst.

Auch ich wollte nur zu gerne wissen, warum diese Irre es auf mich abgesehen hatte. Und vor allem...warum sie dieses ganze Theater hier veranstaltete. Ohne Zweifel war sie es doch gewesen, die diesen Michael umgebracht hatte. Nur warum...wollte sie es Greg in die Schuhe schieben und mich offenbar auch noch erledigen?

Sie schwieg und sagte nichts, weshalb Sherlock sie noch intensiver betrachtete. Wie eine Raubkatze umkreiste er sie langsam und sein Blick war starr auf die Frau gerichtet. Es war, als würde er sie wie ein Röntgengerät durchleuchten...in der Hoffnung, dadurch auf die rettende Antwort zu stoßen.

,,Was wollen Sie von mir? Und warum haben Sie meinem Partner diesen brutalen Mord in die Schuhe geschoben?", platzte es schließlich aus mir heraus, nachdem diese Frau immer noch keinen Ton hervorbrachte.

Wie brachte die es nur fertig, so eisern zu schweigen? Das hielt doch kein Mensch aus! Gut, Ignoranz war seit jeher die beste Strafe, aber mit jeder Sekunde, die ohne Antwort verging, wurde ich ungehaltener und musste gegen den Impuls ankämpfen, dieser Frau einen Schlag zu verpassen.

,,Sie stellen die falschen Fragen, Miss Headley!", sagte sie dann mit einem Mal und John warf ihr einen sarkastischen Blick zu.

,,Es redet!"

,,Was meinen Sie mit falschen Fragen? Wenn diese Fragen falsch sindwelche sind dann Ihrer Meinung nach die Richtigen?", entgegnete ich kühl und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Frau warf einen Blick zu mir und zum ersten Mal konnte ich ihre grünen Augen sehen. Wie Smaragde funkelten sie mir entgegen und der Blick von ihr war so eiskalt, dass es mir augenblicklich den Rücken herunterlief. Wer war diese Frau nur?

,,Was richtig ist...das erfahren Sie schon früh genug, Evelyn. Aber seien Sie gewarnt...die Zeit läuft Ihnen davon. Die Schlinge zieht sich zu und wenn es erstmal soweit ist, dann gibt es kein Zurück mehr.",sagte sie und ich funkelte sie wütend an.

,,Ein Rätsel...faszinierend! Bedauerlicherweise habe ich keine Zeit für diesen Unfug, weil mein Partner wegen Ihnen unschuldig im Gefängnis sitzt und jederzeit wegen Mordes verurteilt werden könnte. Sie sollten also besser anfangen zu reden, bevor ich vollkommen die Geduld verliere."

,,Ohne Zweifel haben Sie eine Kampfsportart gelernt, was aufgrund Ihrer Kampftechnik und Bewegungen zu erkennen ist. Sie sprechen unsere Sprache hervorragend, aber dennoch ist unverkennbar, dass Ihre wahre Heimat Europa ist. Ich würde auf Deutschland schließen und da Sie sich hinter einer Kapuze und ausschließlich schwarzer Kleidung verstecken, sind sie ohne jeglichen Zweifel eine einsame Person, die allein lebt, sich von ihren Mitmenschen isoliert und sowohl Geheimnisse, als auch eine dunkle Vergangenheit hat.", schlussfolgerte Sherlock mit einem Mal und erntete mal wieder perplexe Blicke von John und mir.

Wie machte der Mann das bloß immer? Was sah Sherlock, was wir nicht sahen? Er konnte noch so oft eine Deduktion vorführen...ich würde immer wieder erstaunt sein und das würde sich auch ganz sicher niemals ändern.

Was ich bei der Bewunderung jedoch nicht bedacht hatte, war das Zeitmaß an Ablenkung, welches hier nun gerade entstanden war. Denn weil John und ich unsere Blicke auf Sherlock gerichtet hatten, achteten wir nicht auf unsere mysteriöse Mörderin und das nutzte die natürlich gekonnt aus.
Mit einem einzigen Tritt entwaffnete sie John und brachte ihn zu Fall, ehe sie die Queue ergriff und mit dieser Sherlock niederschlug. Selbst der war so verdutzt, dass er nicht ausweichen konnte und prompt bewusstlos zu Boden ging.
Fassungslos sah ich auf John und Sherlock, ehe sich mein Blick auf die schwarz gekleidete Frau richtete, die mir nun ein minimales triumphierendes Lächeln entgegenbrachte.

,,Man sieht sich immer zwei Mal im Leben!", zitierte sie, ehe sie schmunzelte und mit den Schultern zuckte. ,,Aber bekanntlich sind ja aller guten Dinge Drei. Bis zu unserem nächsten Treffen, Evelyn Headley!"

Und mit diesen Worten sprühte sie mir etwas ins Gesicht, was nach Chloroform stank und ich keuchte augenblicklich los. Aber es war schon zu spät, denn ich hatte das verfluchte Zeug bereits eingeatmet und es setzte mich augenblicklich außer Gefecht.
Ich sank benommen zu Boden und warf noch einen Blick auf die Frau in Schwarz, die sich ihre Kapuze tiefer ins Gesicht zog. Dann sah sie auf mich herab, schenkte mir noch ein weiteres böses Lächeln und verschwand. Alles um mich herum begann sich zu drehen und ehe ich mich versah, umfing mich Dunkelheit.

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