Ein Wind aus dem Osten

Ein Wind aus dem Osten

Evelyn PoV

Nur wenige Zeit später stand ich vor Alicias Haustür und war gerüstet für den Mädelsabend- samt Filmen, Knabberkram und natürlich der Hoffnung, dass Sherlock und die anderen nicht allzu lange fort sein würden.
Alicia öffnete mir nun die Tür, doch sie schien nicht besonders überrascht zu sein, mich zu sehen. Wahrscheinlich hatte John ihr schon mitgeteilt, dass ich Zeit mit ihr verbringen würde, denn immerhin war er mit auf die Eurus- Expedition gegangen.

,,Evie...hey. Ich hab mich schon gefragt, wann du auftauchen würdest.", sagte sie und ich zuckte mit den Schultern.

,,Tja, ich habe ja strikte Anweisungen bekommen und die will ich natürlich ausführen."

,,Dann komm mal rein."

Alicia ließ mich rein, ehe sie die Tür schloss und ich begab mich auf direktem Wege ins Wohnzimmer. Das Haus von John und Alicia war hell und offen und es war natürlich weitaus ordentlicher hier, als in der Baker Street. Allerdings hatte dort ja heute auch die Bombe eingeschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes, und erst jetzt wurde mir wieder wahrhaftig bewusst, dass die Wohnung von Sherlock und mir nichts weiter als Schutt und Asche war. Zwar hatte Mrs. Hudson mir vorhin am Telefon mitgeteilt, dass sie bereits Handwerker und alle möglichen Helfer angeheuert hatte, welche die Wohnung wieder instand setzen sollten, aber das schafften die ja natürlich nicht in ein paar Stunden. Doch Alicia wäre nicht meine beste Freundin, wenn sie nicht schon die perfekte Lösung parat gehabt hätte.

,,Ich habe übrigens mit John besprochen, dass du vorerst hierbleiben wirst. Er, Sherlock und Mycroft sind wahrscheinlich eh mehrere Tage weg und John meinte, es wäre dann ohnehin besser, wenn ich nicht allein wäre. Ein bisschen zu viel Fürsorge, wenn du mich fragst.", äußerte Alicia seufzend, woraufhin ich versuchte, ein paar positive Argumente einzulegen.

,,Naja, er ist eben genauso nervös wie du. Da will er nur, dass nichts schiefgeht. Und ehrlich gesagt...freue ich mich, wenn wir wieder mal mehr Zeit miteinander verbringen. Außerdem lenkt mich das davon ab, mich die ganze Zeit zu fragen, ob es Sherlock und den anderen gutgeht."

Das hätte ich wohl lieber nicht gesagt, denn jetzt stürzten die neuesten Ereignisse wieder auf mich ein. Die ganze Sache mit Eurus war viel zu verrückt um wahr zu sein, aber sie war wahr und irgendwie machte mir das alles total Angst. Immerhin hatte diese Frau eine Bombe in der Baker Street hochgehen lassen und um ein Haar John und ihre eigenen Brüder getötet. Und doch hatte sie John nicht umgebracht, als sie bereits die Gelegenheit dafür gehabt hatte. Es war mir ein Rätsel, was Eurus daher im Schilde führte. Geschweige denn, was in ihrem Kopf vor sich ging.

,,Hey, Evie...ich weiß, dass du dir Sorgen machst...das tue ich auch.", erwiderte Alicia und legte mir eine Hand auf die Schulter. ,,Aber sie schaffen das schon. Sherlock und John haben bisher alles bewältigen können und noch dazu haben sie Mycroft dabei. Und lass ihn sein wie er ist, aber ein zweites brillantes Gehirn können die beiden in dieser Angelegenheit sicher gut gebrauchen."

,,Da hast du wohl Recht! Ich frage mich nur die ganze Zeit, warum Eurus sich nicht vorher gezeigt hat."

,,Vielleicht konnte sie es nicht. Sherlock meinte doch, dass Mycroft sie irgendwo gefangen hält.", meinte sie und ich räusperte mich.

,,Was die ganze Sache noch abgedrehter macht. Haben John und Sherlock dir denn gesagt, was bei dem Gespräch mit Mycroft rauskam?"

Erwartungsvoll musterte ich meine beste Freundin, doch die schüttelte den Kopf. Im Nachhinein bereute ich jetzt, dass ich nicht dabei gewesen war, als John und Sherlock die Wahrheit über Eurus erfahren hatten, aber es war auch eine Familienangelegenheit von Sherlock und Mycroft gewesen. Da wollte ich nicht auch noch Fragen stellen.

***

Eine gute Stunde später hatten Alicia und ich es uns schon auf dem Sofa bequem gemacht und schauten uns eine Komödie an. Das brachte uns immerhin eine Zeit lang auf andere Gedanken, aber ich konnte nicht verhindern, dass meine Blicke immer wieder zu der Uhr wanderten, wo sich die Zeit wie Kaugummi hinzuziehen schienen. Natürlich blieb Alicia das auch nicht verborgen, denn sie grinste ein wenig und sah mich amüsiert an.

,,Evelyn, die Zeit vergeht auch nicht schneller, wenn du die Uhr in Grund und Boden starrst."

,,Tut mir leid. Ich wünschte nur, dass Sherlock oder John sich mal melden würden. Wenigstens, um sie gut angekommen sind.", meinte ich, woraufhin Alicia schmunzelte.

,,Du weißt doch, wie die Zwei sind. Erstmal in ihrem Element, dann ist alles andere nebensächlich. Sie werden schon klarkommen und zur Not haben sie immer noch die Queen mit an Bord."

Nun mussten wir beide lachen. Tja, diesen Spitznamen würde Mycroft wohl nie wieder loswerden und ich konnte mir vorstellen, dass John Alicia sicherlich schon in sämtliche Abenteuer und Schandtaten eingeweiht hatte, die wir alle gemeinsam erlebt hatten, bevor sie damals in London eingetroffen war, um mich vor Vincent zu warnen. Und seit ich damals nach London gezogen war, hatte sich mein Leben so sehr verändert, wie ich es nie für möglich gehalten hatte.
Das Klingeln der Haustür ließ mich zusammenzucken und riss mich aus meinen Gedanken. Irritiert sah ich zu Alicia, aber die schien genauso verdutzt zu sein wie ich.

,,Erwartest du noch jemanden?", wollte ich wissen, aber sie schüttelte den Kopf.

,,Eigentlich nicht."

,,Ich gehe schon!", sagte ich, als sie Anstalten machte aufzustehen und eilte zur Haustür.

Als ich diese öffnete, staunte ich nicht schlecht, denn mein Partner Greg stand vor mir und lächelte verschmitzt, während ich ihn perplex anstarrte.

,,Greg, was machst du denn hier?"

,,Mich erlösen.", erklärte er, was mich nur noch mehr verwirrte.

,,Dich erlösen? Wovon denn bitte?"

,,Deinem Handy, was du vergessen hast."

Prompt hielt er mir mein Smartphone vor die Nase, welches ich ergriff und erst jetzt fiel mir auf, dass ich dessen Abwesenheit noch gar nicht bemerkt hatte. Ich musste es im Büro liegen gelassen haben, als Sherlock aufgekreuzt war und in all der Aufregung hatte ich es natürlich vergessen mitzunehmen.

,,Danke, Greg!"

,,Keine Ursache. Du hast eine Nachricht bekommen, glaube ich. Zumindest hat es die ganze Zeit gepiept.", raunte er mir zu und ich deutete kurzer Hand aufs Innere des Hauses.

,,Komm doch rein. Dann kannst du mir gleich sagen, was du bezüglich des Falls rausgefunden hast."

Das ließ sich mein Partner nicht zweimal sagen. Er kam rein und folgte mir ins Wohnzimmer, wo Alicia ihm fröhlich zuwinkte und kurzer Hand einen Platz auf dem Sofa anbot. Greg setzte sich und ich warf unterdessen einen Blick auf mein Handy. Tatsächlich hatte ich eine Nachricht und die war, zu meiner großen Erleichterung, von Sherlock. Er hatte also doch etwas von sich hören lassen.

Wir erreichen bald Sherrinford.
Plan wird jeden Moment in die Tat umgesetzt
und Mycroft nervt uns jetzt schon zu Tode.
Bleib bei Alicia und seid wachsam.
Melde mich sobald es Neuigkeiten gibt.

SH

Kurz überlegte ich, ob ich Sherlock eine Antwort schicken sollte, aber dann entschied ich mich dagegen. Er brauchte jetzt einen kühlen Kopf und da half es ihm gar nicht, wenn ich sentimental wurde oder unnötige Nachrichten schickte. Aber ich war froh, dass er sich gemeldet hatte und es beruhigte mich ungemein. Allerdings musste ich schmunzeln, da Mycroft Sherlock und John diese Mission offenbar in den ersten Stunden schon erschwerte und bemerkte gar nicht, dass ich deshalb zu grinsen schien, bis Alicia das natürlich bemerkte.

,,Da hat wohl jemand eine erlösende Nachricht erhalten. Sind sie gut angekommen?"

,,Offenbar ja.", erwiderte ich und steckte das Handy in meine Hosentasche, ehe ich eine Grimasse schnitt. ,,Und Mycroft scheint die Zwei bereits jetzt in den Wahnsinn zu treiben."

,,Also alles in bester Ordnung.", schlussfolgerte Greg, dem ich daraufhin einen erwartungsvollen Blick zuwarf.

,,Scheint zumindest so. Also, Partner...gibts Neuigkeiten in unserem Fall?"

,,Tja,", setzte Greg an und seufzte, was mich schon Böses erahnen ließ. ,,Also ich muss schon sagen...es haben mich nur wenig Fälle so nervlich strapaziert wie dieser hier. Ian Hunter scheint der potentielle Tatverdächtige zu sein, nur hat er bedauerlicherweise ein Alibi und fällt daher weg."

,,Na, super! Dann können wir also wieder von vorne anfangen.", brachte ich hervor und Greg nickte kaum merklich.

,,So, wie es aussieht ja. Anderson wollte noch schauen, ob er weitere Bekanntschaften unseres Opfers findet, aber je mehr es werden, desto schwieriger wird es am Ende auch, den Mörder unter ihnen zu finden."

Na, hervorragend! Dieser Fall entwickelte sich langsam aber sicher zu dem Perfekten Verbrechen, wie man gerne Fälle bezeichnete, die absolut nicht zu lösen waren. Und schon wieder wünschte ich mir Sherlock herbei, denn der hätte sicher schon eine brillante Idee, wie wir den wahren Täter finden konnten.

,,Das wird schon. Bisher habt ihr doch immer jeden Fall lösen können.", versuchte Alicia uns zu ermutigen, aber Greg winkte ab.

,,Mag sein, aber für heute habe ich genug. Wenn ich noch eine einzige Akte sehe...dann sehe ich bald aus wie eine."

Ich versuchte mir meinen Partner als Akte in Lebensgröße vorzustellen, aber der Schuss ging nach hinten los. Alicia jedoch, grinste ein wenig und ich beschloss, dass ich heute ebenfalls keinen Gedanken mehr an den Fall verschwenden würde. Sonst waren Greg und ich am Ende beide noch wahnsinnig.

***

Am frühen Abend saßen Alicia, Greg und ich zu dritt auf dem Sofa und widmeten unsere volle Aufmerksamkeit Richard Gere und Julia Roberts, die ihre glanzvolle Leistung in dem Streifen Pretty Woman hinlegten. Während ich am Ende einfach nur froh war, dass ich den Film überstanden hatte, war Alicia hellauf begeistert und Greg war von dem Ende so gerührt, dass er doch tatsächlich Tränen in den Augen hatte.

,,Das war das Romantischste, was ich je gesehen habe."

Alicia reichte ihm kurzer Hand ein Taschentuch, während ich meinen Partner nur ungläubig anstarrte. Der Film war zwar ganz nett gewesen, aber zum Heulen hatte er mich jetzt nicht gebracht. Aber Greg war ohnehin viel sensibler als ich und manchmal fragte ich mich, ob man mich in dieser Hinsicht wohl ebenfalls als etwas gefühlskalt bezeichnen konnte. Allerdings bezweifelte ich doch stark, dass sich diese Charaktereigenschaft anhand von Hollywoodstreifen analysieren ließ.
Als es klingelte, sah ich zur Uhr, wo es kurz nach 7 war. Wir hatten uns Essen bestellt und das musste ohne Zweifel der Fahrer sein. Da Greg immer noch den Tränen nahe war und Alicia ihn tröstete, übernahm ich das Essen und eilte kurzer Hand zur Tür. Doch als ich diese öffnete, bereute ich es ganz schnell wieder.

Denn die Tür kam mir bereits entgegen und brachte mich zu Fall, ehe sie krachend auf mir landete. Entsetzt sah ich zum offenen Türrahmen, wo eine Gruppe Männer stand und die, wie sollte es auch anders sein, allesamt bewaffnet waren.

,,EVELYN!"

Ich vernahm die laute Stimme meines Partners, während ich mich aufrappelte und nun die bedrohlichen Blicke der Männer auffing. Wer auch immer die waren, sie waren keineswegs freundlicher Natur und ich wollte nur eins: sie augenblicklich wieder loswerden!
Weil ich aber keine Waffe zur Hand hatte, sah ich mich um und griff kurzer Hand zu einem Brecheisen und ging dann auf die Männer los, die sich bereits Zutritt zum Haus verschafft hatten. Zwei von ihnen stürmten Richtung Wohnzimmer und ich hätte sie aufgehalten, hätte mir ein anderer nicht just in dem Moment das Brecheisen aus der Hand geschossen. Doch so leicht gab ich nicht auf und als Nächstes diente eine Bratpfanne von Alicia zu meiner Verteidigung, mit dem ich meinem Angreifer kurzer Hand eins überzog.

Er ging zu Boden, doch da rückten schon Zwei nach und ich sah, wie sie sich untereinander abzusprechen schienen und vielsagend auf mich deuteten. Zwar wusste ich nicht, was sie genau im Schilde führten, aber herausfinden wollte ich das genauso wenig.
Wild entschlossen diese Kerle loszuwerden, wagte ich einen erneuten Angriff und schaffte es auch, einen von ihnen niederzuschlagen, aber der andere entriss mir die Bratpfanne und wollte mich packen, aber ich entwischte ihm und stürmte ins Wohnzimmer. Da bot sich mir jedoch ein schockierender Anblick, denn zwei weitere Männer hatten Greg und Alicia jeweils gepackt und hielten ihnen ihre Waffen an den Kopf. Fassungslos blieb ich stehen und mein beste Freundin sah mich pansch an.

,,Evie...hinter dir!"

Ich wollte mich umdrehen, als ich auf einmal einen Stich im rechten Oberarm verspürte. Schockiert tastete ich an der Stelle nach dem Grund und zog einen kleinen Pfeil heraus, den ich aber kurz darauf zu Boden fallen ließ, als mein Kreislauf begann zusammenzubrechen. Benommen taumelte ich zurück und sah, wie ein weiterer Fremder, der allem Anschein nach der Kopf der Bande zu sein schien, auf mich zusteuerte und mich mit seinen dunklen Augen anstarrte.

,,Angenehme Träume, Miss Headley. Es kommt ein Wind aus dem Osten!"

Seine letzten Worte verschwammen und ich verstand sie schon gar nicht mehr. Denn in dem Moment sank ich zu Boden, während sich alles drehte und ehe ich wusste, wie mir geschah...fiel ich in eine tiefe schwarze Finsternis.

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